Vollnhals und Dirksen


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 26. April 2002 17:42:30:

In einem einfühlsamen einleitenden Beitrag referiert Stefan Wolle über die Befindlichkeit der Ostdeutschen. Man merkt diesem Beitrag an, da schrieb einer (ohne zu verklären), der selbst eine ostdeutsche Biographie hat. Das Wolle nicht zu den PDS-nahen "Bejublern" das SED-Regimes gehört, wurde schon 1990 deutlich, als er zusammen mit Armin Mitter als Herausgeber des Buches: "Ich liebe euch doch alle! Befehle und Lageberichte des MfS Januar-November 1990" in Erscheinung trat. In genannten Buch wurde die "Widerstandskraft der Zeugen Jehovas gegen das DDR-Regime" mit folgendem aus den Stasiakten entnommenen Zitat charakterisiert:

"Die Mitglieder der verbotenen Sekte 'Zeugen Jehovas' beteiligten sich wie in der Vergangenheit nicht an der Wahl. Störungen gingen von ihnen nicht aus …" (S. 105).
Das die Tage des SED-Regimes im Jahre 1989 gezählt waren, ist sehr wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass namentlich im kirchlichem Umfeld vorhandene Kreise, dem SED-Regime "Störungen" verursachten. Aber wie man liest, die Stasi bescheinigt den Zeugen, eben keine Störer gewesen zu sein. Soviel zum Thema "Widerstandskämpfer" Made in Zeugen Jehovas.

Zwei weitere Autorennamen in dem Sammelband "Der Schein der Normalität. Alltag und Herrschaft in der SED-Diktatur", verdienen noch gesondert hervorgehoben zu werden.
Da ist einmal der Name des Mitherausgebers dieses Buches, Clemens Vollnhals.
Zu Vollnhals ist anzumerken, dass er auch einer jener "Westimporte" ist, die nach 1989 den universitären Überbau ehemaliger DDR-Koryphäen systematisch kalt stellten.
Die ehemaligen DDRler, in der Regel SED-Mitglieder, wenn nicht gar darüber hinausgehend "Stasibelastet", waren nach 1989 nicht mehr sonderlich gefragt. In das diesbezüglich entstandene Vakuum pflegten in der Hauptsache "Alt-Bundesrepublikaner" einzutreten, die den Ostdeutschen nunmehr beibrachten, wohin die Reise zu gehen habe. In früheren Zeiten hätte man dafür die Vokabel "Kolonisierung" verwandt. Nicht so aber im Falle ehemalige DDR.

Es steht außer Frage, daß Vollnhals sich schon in Alt-Bundesrepublikanischen Zeiten als renommierter Wissenschaftler ausgewiesen hat. Er, wie auch andere haben lediglich die Chance genutzt, durch den Fall der DDR, ihre ganz persönliche Karriere zu beschleunigen. Unter westlichen Voraussetzungen wäre ihr Karrierebedürfnis, aufgrund des hohen Konkurrenzdruckes, doch eher wohl in gemäßigteren Bahnen verlaufen. Das "Vakuum" Ostdeutschland bot ihnen d i e Chance ihres Lebens, die sie hätte es den ostdeutschen Crash so nicht gegeben, wohl kaum erhalten hätten.

Wie gesagt, die wissenschaftliche Reputation von Vollnhals soll mit vorstehendem in keiner Weise angezweifelt werden. Einer seiner ersten hiesigen Arbeitgeber war denn auch die sich neu im Aufbau befindliche "Gauckbehörde". Heute ist er stellvertretender Leiter des Dresdner Totalitarismusinstitutes. Jenes Institutes, dem bekanntlich auch die Studie zum Thema Zeugen Jehovas in der DDR von Gerald Hacke zuzuordnen ist.

In seiner Gauckbehördenzeit veröffentlichte Vollnhals auch einige durchaus bedeutsame Schriften. Ich nenne da besonders sein zusammen mit Siegfried Bräuer (einem "Ostdeutschen") herausgegebenes Buch "In der DDR gibt es keine Zensur". Wer sich für die DDR-Kirchenpolitik interessiert, wird dieses Buch mit Gewinn gelesen haben. Es offenbart die feinverästelten Zensurstrukturen des SED-Staates. Namentlich, wie alle in der DDR erschienene Literatur, vor Drucklegung, prinzipiell hausinternen und externen "Gutachten" unterworfen wurde. Wobei sich die externen Gutachter oftmals noch als die schlimmeren erwiesen. Ich kann es mir nicht verkneifen. "Einen schönen Gruß" an den DDR-Theologieprofessor Bassarak, auch einer jener externen Gutachter-Zensoren der schlimmeren Art, über die man dank der vorgenannten Studie nun näher informiert ist.

Erwähnenswert auch die von Vollnhals für die "Gauckbehörde" herausgegebene Studie: "Die kirchenpolitische Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit." Zwar in der Substanz nicht sonderlich überragend aussagekräftig. Dennoch durchaus lesenswert.
Lesenswert ist meines Erachtens auch sein für die gleiche Dienststelle herausgegebenes Buch: "Die Kirchenpolitik von SED und Staatssicherheit".

Bedeutsam erscheint mir besonders darin der Satz:
"Es fällt darum schwer, diese Dienststelle (Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR) als eigenständige staatliche Behörde zu begreifen. Zutreffender wäre seine Bezeichnung als Dependance des MfS." Letztere Einschätzung kann ich nur bestätigen. Mir hatte sich schon zeitgenössisch, aus einem anderen Blickwinkel selbstredend, ein ähnlicher Eindruck aufgedrängt.

Ansonsten ist mein Eindruck zu dieser Studie von Vollnhals. Sie bleibt vielfach im Oberflächlichen stecken. Dort wo es für unserein interessant werden könnte, bietet er auch nur Allgemeinplätze und wenig zusätzliche Details. Vollnhals saß da nun an den Quellen (sprich Stasiakten). Das was er z. B. zu dem durchaus interessanten Thema Stasi-Kircheninstitut "Wandlitz" zu berichten weiß, ich kann meine Enttäuschung nicht verhehlen, ist für meine Begriffe dürftig. Er nennt da zwar ein paar Namen. Unter anderem die Namen Trebs, Dressler und Pape. Schön und gut. Nun weiß man's. Die waren auch in diesem "illustren" Institut beschäftigt. Und ist das alles, was es dazu zu sagen gibt? Ich meine, wer die Chance hatte diese Stasiakten einzusehen. Der hätte und müsste diesbezüglich durchaus detaillierter werden. Fehlanzeige bei Vollnhals.

Über genannten Pape weiß er lediglich zu berichten:
"Verdient machte sich auch der Diplom-Historiker Dieter Pape (IM 'Wilhelm'). Er war im Auswerterobjekt für die Zeugen Jehovas zuständig und organisierte im Auftrag des MfS die Studiengruppe 'Christliche Verantwortung' mit gleichnamiger Zeitschrift." Ende der Durchsage bei Vollnhals.

In dem vorliegenden Sammelband ist Vollnhals auch mit einem eigenen Beitrag vertreten, der dem Thema Stasi gewidmet ist. Da wird es vielleicht auf Seite 132 seiner Ausführungen interessant. Nachdem er mitteilt, dass (bezogen auf das Jahr 1998) die Stasi-IM auf der "Kirchenlinie" abgerechnete Beträge zwischen 4,70 Mark bis 9735 Mark kassiert hätten, nennt er zugleich auch den Stasinamen dieses "Spitzenverdieners". Danach kassierte der IM "Max" die 9735 Mark. Keine weiteren Angaben bei Vollnhals, wer denn nun der IM "Max" sei. Zieht man das Yonan-Buch "Im Visier der Stasi" mit zu Rate, wird das ganze noch "rätselhafter". Y. berichtet auf S. 196 von dem Wolfgang Kirchhoff, seinen "Leistungen" für den DDR-Staat und seinen IM Namen. Nach Y. war er mal als GI Max registriert, wurde später von der Stasi als IM Albert umbenannt, ab 1987 gar noch als IM Alex.
Hat die Stasi also nach vorgenannter Umbenennung den Ursprungsnamen anderweitig weiter verwendet? Oder lief ein und dieselbe Person in den Stasiakten unter mehreren Namen? Es wäre Sache jener, die diese Akten einsehen konnten, hierüber nähere Klarheit zu schaffen.

Ein weiterer "Westimport", der es verdient besonders hervorgehoben zu werden, sei jetzt noch genannt. Sein Name: Hans-Hermann D.. Das D. eine Alt-Bundesrepublikanische Biographie hat, dürfte er doch wohl kaum bestreiten. Gleichwohl hat sein von der Universität Greifswald (ehemals DDR) angenommenes Dissertationsthema sehr wohl Ostbezug. Es ist den Zeugen Jehovas in der DDR gewidmet. Seine voluminöse Arbeit, auch im Buchhandel erhältlich, habe ich an anderer Stelle meiner Webseite schon kommentiert.

Es interessiert hier besonders, was D. zum Thema Zeugen Jehovas in dem hier zu referierenden Sammelband zu berichten weiß. Sein zusammen mit Annegret Dirksen verfassten Beitrag, einer der umfangreicheren in diesem Buche ist überschrieben: "Die Kinder der Zeugen Jehovas - Staatliche Ausgrenzung und soziale Repression."
Neben der weitgehend der Tendenz seines Buches folgenden Selbstdarstellung, kommt er auf die verschiedenen Phasen des MfS-Kampfes gegen die Zeugen Jehovas zu sprechen. So zitiert auch D. jene nach 1966 gültige Stasidirektive, in der diese als ihre jetzige Zielstellung formulierte:

"Besonderer Wert ist auf die Werbung von befähigten Anhängern sowie auf mittlere und leitende Funktionäre der Zeugen Jehovas zu legen. […] Es sind ferner alle geeigneten Maßnahmen zu organisieren, die gewährleisten, dass jetzt vertrauensvolle IM in Schlüsselpositionen der Organisation aufrücken" (S. 232).

D. stellt Stichpunktartig einige Fälle von Zeugen Jehovas-Kindern in der DDR vor, die staatlicherseits benachteiligt wurden. Dieser Sachverhalt ist auch meinerseits unbestritten und wird ebenso verurteilt. Der Knackpunkt indes liegt auf einer anderen Ebene. In der Datei "Kindererziehung" auf der Gebhard-Webseite findet man diverse Links die belegen, dass Jehovas Zeugen (endzeitlich motiviert) ein sehr gebrochenes Verhältnis zu weltlicher Bildung hatten und man kann vielleicht sogar wagen zu behaupten, vielleicht noch haben. Dies gilt auch für freiheitliche Gesellschaften und keineswegs nur für totalitäre wie die DDR.

Genau diesen Punkt versucht D. nun apologetisch zu entkräften. Sein Kronzeuge ist ihm dafür der Lobbyist B., den er mit der Aussage zitiert:
"Dass Kinder von Zeugen Jehovas keinen privaten Umgang mit Klassenkameraden anderen Glaubens haben dürften, trifft ebensowenig zu wie die Behauptung, sie dürften keinen Sport treiben, nicht musizieren und nicht an Klassenfahrten teilnehmen."
Dieses B.'sche Statement ist das typische Beispiel einer halben Wahrheit. Und von solchen üblen Verdrehungen ist die B.'sche Apologie auch auf anderen Gebieten reichlich gesegnet.

Formal ist bei den Zeugen Jehovas nichts verboten. Auch nicht höhere Bildung. Auch nicht Umgang mit Andersgläubigen. Indes in der Praxis ist es sehr wohl so, dass die inkriminierten Tatbestände bestehen.

D. selbst ist, man kann es kaum anders nennen, eine Art "exotischer Paradiesvogel" unter den Zeugen Jehovas; dieweil seine Laufbahn als Jurist, heute dazu herhalten muss, als "Paradebeispiel" für die "Weltoffenheit" der Zeugen Jehovas zu dienen. Wie sagt man so schon: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer! Gemessen daran sind "im Sommer der Zeugen Jehovas", die "Schwalben" nach wie vor fast ausgestorben.

Der DDR-Staat war auf die Zeugen Jehovas nicht "gut" zu sprechen. Eine Binsenweisheit. Und auch in der DDR wurde bei den Bildungsperspektiven der Jugend "gesiebt". Parteilichkeit im Sinne des SED-Staates stand für diejenigen die dort das sagen hatten, ganz hoch im Kurs. Es versteht sich fast selbstredend, dass Zeugen Jehovas-Kinder da vom Prinzip her, erst mal schlechte Karten hatten. Auch unter freiheitlichen Bedingungen kann nicht jeder werden, was er gerne möchte. Auch da gibt es einen Selektionsprozess (unter anderen Kriterien). Ähnliches spielte sich auch in der DDR ab.

Wenn D. also Fälle beklagt, wo Zeugen Jehovas es in der DDR nur zum Hilfsarbeiterdasein bringen konnten, mit den damit verbundenen erheblichen sozialen Einschränkungen, so berichtet er nichts neues. Vor ihm hat das (beispielsweise) Marko Martin, mit einer anderen Motivation allerdings, bereits getan. Und selbst im Internet kann man sich über einen, der es unter DDR-Bedingungen nur zum Hilfsarbeiter bringen konnte, und seinen nachfolgenden Kampf (ob er gelungen ist oder nicht will ich nicht bewerten), sich aus diesem Odium zu befreien, informieren. Man sehe sich nur die Webseite des Thomas Pape im Detail an. Dann hat man auch hierfür ein Veranschaulichungsbeispiel.

D. legt den Akzent auf das Weinerliche. Seht wie schlecht der DDR-Staat doch die Zeugen Jehovas behandelt hat. Er hat recht. Sie wurden schlecht behandelt. Dies ist und bleibt jedoch die halbe Wahrheit. Gerade auf der Bildungsebene haben sich Zeugen Jehovas und DDR-Staat gegenseitig (zugebenermaßen nicht mit Bewusstheit) die Bälle zugeschossen. Des einen soziale Diskriminierung- des anderen Freud über die sich daraus speisende religiöse Fantatisierung!





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