Albrecht

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 09. März 2002 14:30:37:

Zu "DDR"-Zeiten war mir dessen Lektüre nicht möglich. Obwohl ich das "Privileg" mir erkämpft hatte (und unterm Strich einen hohen Preis dafür bezahlt habe) in der Ostberliner Deutschen Staatsbibliothek, in der dortigen "Giftschrankabteilung", genannt "Abteilung für spezielle Forschungsliteratur", auch sekretierte Literatur einsehen zu können, die ansonsten normalen Sterblichen, nicht zugänglich war. Wenn ich also dort (beispielsweise) das ZJ-Buch Franz Zürcher "Kreuzzug gegen das Christentum" und ähnliches anforderte, dann konnte ich das immerhin als thematisch begründet nachweisen. Auch einige "weniger thematisch" begründete Bücher, etwa George's Orwell "1984" habe ich dort angefordert. Letzteres ist mir dann schon weniger "gut" bekommen. Aber den Bogen konnte ich selbstredend nicht "überspannen". Ich hätte es damals zwar auch gerne mal gelesen; aber so selbstmörderisch frivol es auch anzufordern, war ich doch nicht.

Die Rede ist von dem Buch Karl L. Albrecht "Der verratene Sozialismus. Zehn Jahre als hoher Staatsbeamter in der Sowjetunion". 1939 erschienen. Nun habe ich es kürzlich doch noch lesen können (via Erwerb bei einer Auktion).
Neben seinem eigenen Schicksal, berichtet der Autor auch darin über das einiger anderer deutscher Kommunisten in der Sowjetunion, von denen nicht wenige, letztendlich einen "Kopf kürzer" gemacht wurden. Er bietet auch einige Charakteristika von etlichen dieser Funktionäre, die diese nicht unbedingt im "Heldenlicht" erscheinen lassen. Interessant dort auch die Ausführungen über Heinz Neumann, dem Ehemann der Magarete Buber-Neumann, deren Erlebnisbericht bekanntlich auch einen Zeugen Jehovas-Bezug hat. Neumann betätigte sich auch im Falle Albrecht als Henkerswerkzeug. Das hinderte allerdings nicht daran, dass auch er schließendlich Opfer dieser Henker wurde.
Nun kann und ist dieses Forum nicht der Thematik KPD gewidmet. Das versteht sich selbstredend von selbst. Ich will denn aus diesem Buche auch nicht weiter zitieren. Mit einer Ausnahme vielleicht doch noch.

Der Autor schildert plastisch, wie für die ausländischen "Gäste" in der Sowjetunion wahre "Potemkinsche Dörfer" erstellt wurden. Eine glänzende Fassade und nichts dahinter. In diesem Kontext fällt bei ihm auf Seite 48 auch der Satz:
"Ich selbst war zur Zeit des V. Kongresses der Komintern bereits ein Jahr in der Sowjetunion tätig. Ich war nicht mehr ganz so ahnungslos wie der größte Teil dieser geladenen Arbeiterdelegierten aus aller Welt. Damals schon machte ich einige deutsche Genossen darauf aufmerksam, daß doch nicht alles Gold sei, was in der Sowjetunion zu glänzen scheine. Aber die begeisterten Menschen w o l l t e n in dem Lande ihrer Träume keine Enttäuschung erleben. Sie blieben blind. Und auch ich unterdrückte mit aller Energie die erwachenden Zweifel, die kritischen Bedenken. Ich schalt mich selbst kleingläubig."

Mir scheint diese Aussage ist auch auf eine andere Organisation übertragbar. Und zwar diejenige, die das eigentliche Thema dieses Forums ist!

Geschrieben von Prometeus am 09. März 2002 19:50:12:

Als Antwort auf: Albrecht geschrieben von Drahbeck am 09. März 2002 14:30:37:

Der Kommunismus oder Sozialismus als solcher erfüllt schließlich alle Attribute einer Religion:

Dogmas, Absolutheitsanspruch, Bestrafung oder Vernichtung der "Ketzer", einen Klerus dessen Autorität sich über alle Lebensbereiche erstreckt, Heilsversprechen, Belohnung der eigenen Anhänger sofern sie loyal ergeben sind (wenigstens nach außen hin), selektives Wahrnehmungsvermögen, Gruppendynamik, Elitedenken, Kultstätten, gemeinsame Rituale usw.

Es ist daher nicht verwunderlich daß sich hier auch zu ZJ Parallelen ergeben. Es wird ja auch so empfunden. Wenn ein prominenter Aussteiger und DDR- Flüchtling ( Martin) meint die tatsächliche DDR und die geistige DDR (WTG) verlassen zu haben, so empfand er ja offensichtlich gefühlsmäßig eine Symbiose beider Systeme.

In 200 Jahren wird beides nur noch eine Fußnote in den Geschichtsbüchern wert sein.

Geschrieben von LuckyX am 11. März 2002 09:43:30:

Als Antwort auf: Albrecht geschrieben von Drahbeck am 09. März 2002 14:30:37:

Ähnliche und zum Teil bewegende, weil biographische und glaubhaft erzählte Erfahrungen dieser Art finden sich bei Lew Kopelewski "Und schuf mir einen Götzen" sowie "Aufbewahren für alle Zeit" oder Wolfgang Leonhard "Die Revolution entläßt ihre Kinder".

Die Parallelen zwischen Glaubenssverlust und Austieg aus einer totalitären politischen Ideologie und aus einer ebenso totalitären religiösen Gruppe sind offenkundig. Mich haben sie sehr nachdenklich gemacht.


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