Re: Nietzsche


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 03. März 2002 18:52:02:

Als Antwort auf: Re: Nietzsche geschrieben von Prometeus am 03. März 2002 16:21:33:

Die Sekundärliteratur zu Nietzsche ist mittlerweile unübersehbar. Verständlicherweise sind Kirchenvertreter auf ihn nicht sonderlich "gut" zu sprechen. Um dies mal am Beispiel des Katholiken Konrad Algermissen zu verdeutlichen. Letzterer veröffentlichte eine etliche Jahrzehnte als katholisches Standardwerk geltende "Konfessionskunde". Er hat sich auch nachweislich mit den Nazis "angelegt", in seinem 1935 veröffentlichten Buche "Germanentum und Christentum", dass von den Nazis, bis auf wenige Bibliotheksexemplare, schon nach kurzer Zeit sekretiert wurde.

Ich bin durchaus kein "Fan" von Algermissen. Mir gefällt namentlich seine vormale "Überlegenheitstendenz" nach dem Motto "die heilige katholische Kirche" und der "unheilige Rest" nicht. Gleichwohl attestiere ich Algermissen, im Gegensatz zu etlichen anderen publizierenden Katholiken (etwa dem Fritz Schlegel) ein gewisses Maß an Seriosität.

Algermissen veröffentlichte 1946 ein Buch mit dem Titel "Nietzsche und das Dritte Reich".
In ihm verbreitet er sich unter anderem wie folgt:
"Kurz nach dem Jahre 1900 veröffentlichte der damals zwanzigjährige Mussolini in der italienischen Zeitschrift 'Il pensiero romagnola' einen Artikel über Nietzsche, in welchem es wörtlich heißt:
'Um das Ideal, das Nietzsche uns vorzeichnet, zu erreichen, wird eine neue Art von freien Geistern erstehen, die erstarkt sind im Kriege, in der großen Gefahr, Geister, die uns von der Nächstenliebe erlösen werden."

Algermissen meint sein Zitat dahingehend kommentieren zu können: "Mussolini fühlte sich ganz und gar als Schüler Nietzsches." Und weiter "Es (sei) nun Tatsache, daß die beiden genannten Systeme, der italienische Faschismus und der deutsche Nationalsozialismus, mit all ihren entsetzlichen Folgen die beste und letzte Verwirklichung der Nietze'schen Ideenwelt darstellten."

Mag ich Algermissen in der Rigorosität seiner These auch nicht zu folgen. Genannte Systeme existierten nicht zuletzt als Reaktion auf das sowjetkommunistische "Modell". Und genannte Systeme hätten ihre Verbrechen auch dann begangen, wenn es keinen Nietzsche gegeben hätte, aber eben die Sowjetunion als Stein des Anstoßes. Dieses kritisch zu Algermissen. Andererseits erkenne ich sehr wohl, dass auch Algermissen durchaus in der Lage ist Nietzsche-Zitate zu bringen und zu interpretieren, die letzteren in die "faschistische Ecke" stellen. Meine eben geäußerte Kritik an Algermissen ist daher durchaus kein "Freibrief" für Nietzsche

Noch ein Zitat aus der 1966 erschienenen Nietzschebiographie von Ivo Frenzel (Rowohlt-Verlag)
"Die ideologische Kontroverse setzte früh ein und wurde nach 1933 zeitweise dominierend. In dem Maße, in dem von nationalsozialistischen Autoren Nietzsche für den Faschismus in Anspruch genommen wurde, erschienen im Ausland kritische Schriften und Pamphlete gegen Nietzsche als geistigen Wegbereiter des Dritten Reiches. Gleichzeitig nahmen aber auch immer wieder gerade ausländische oder ins Ausland emigrierte Autoren Nietzsche gegen verfälschende nationalsozialistische Interpretationen in Schutz."

Noch ein Zitat. Robert Steigerwald. Dieser Name sagt den hiesigen Lesern in der Regel nichts. Ich nehme für mich in Anspruch ob es dem "Georg de Raetz" nun "gefällt" oder nicht) vielleicht philosophisch etwas mehr gebildet (respektive belesen zu sein) als manch anderer, genannter "Georg" eingeschlossen. Steigerwald veröffentlichte 1973 ein Buch "Marxismus - Religion - Gegenwart". Durchaus lesenswert. Wie schon der Buchtitel andeutet, kommt Steigerwald aus einer ganz bestimmten politischen Ecke. Konkret aus der Ecke der "DKP" in der alten Bundesrepublik Auch gehört er dem kommunistisch orientierten Flügel (es gibt auch einen sozialdemokratisch orientierten Flügel). Also Steigerwald gehört dem kommunistisch orientierten Flügel der "Freidenker" (in der alten BRD) an.

Letztere veröffentlichten 1981 im Kölner Pahl-Rugenstein-Verlag eine Art "Festschrift". Darin vertreten auch Steigerwald mit einem Aufsatz über Nietzsche. Ich teile Steigerwald's politische Heimat nicht. Indessen konzediere ich ihm, dass er aus seiner speziellen Sicht- und Interessenlage durchaus ein klares Urteil über Nietzsche abgegeben hat. Und mit der Zitierung dieses Statements, mag sich dieses Posting seinem Ende nähern. Steigerwald schrieb da:

"Es gibt, wie angedeutet, auch linke Nietzsche-Prediger. Sie preisen ihn seines Atheismus wegen. Was es mit dem wirklich auf sich hat, wird zu prüfen sein.
Zuvor sei, unabhängig vom Thema Nietzsche vor einer Achsverschiebung gewarnt. Die Achse, um die sich sozialistische Politik dreht, heißt nicht Atheismus, sondern Sozialismus! Andernfalls käme heraus, daß mich mit jenen, die sich vielfach aus unverdauten Brocken einer eher pantheistischen (oder frei-religiösen, oder ludendorfferisches) als materialistisches Weltbild bauten, das sie atheistisch benamsen , und die dabei politisch nicht selten rechts stehen, mehr verbände als mit den Christen, der aus seinem Glauben die Kraft zur sozialistischen Entscheidung gewann.

Nicht jeder Kämpfer gegen das Christentum ist übrigens atheistisch. Gerade Nietzsche bekämpfte im Christentum nicht die Religion, sondern die von ihm vermutete gleichmacherische, demokratische, sklavische Tendenz. Und er bekämpfte sie ihrer sozialistischen Konsequenzen wegen.
Denn seiner Überzeugung nach ist die historisch ausgebildete Gestalt des Christentums ein 'Platonismus fürs Volk', eine Moral-Lehre für die Massen des niederen Volkes. Kritik am Christentum ist ihm folglich nicht Religions- sondern Moralkritik. 'Die Widerlegung Gottes - eigentlich ist nur der moralische Gott widerlegt.'

Nietzsches 'Anti-Christ' ist das Hohelied eben jener Anti-Moral. Und wir Sozialisten sollten, eines demagogischen Spiels mit der Sache Atheismus wegen Nietzsches 'Hohelied' mitsingen? Eine perverse Idee, fürwahr!
Daß Nietzsche kein Atheist, ja streng genommen, auch kein Gegner des Christentums war, wird also auch von der bürgerlichen Philosophie und von der Theologie wahrgenommen. So sehr, daß sie mittels Nietzsche sogar ein besseres Christentum für möglich hält. ...
Wohlgemerkt: wir bekämpfen in Nietzsche nicht den Usurpator des Atheismus, sondern den Feind des Volkes, der Demokratie und des Sozialismus."

meint zumindest das DKP-Mitglied Steigerwald.


ZurIndexseite