Nietzsche


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 03. März 2002 07:47:29:

Bei InfoLink kam das Thema Nietzsche zur Sprache. Ein dortiges Posting meinerseits fand eine kritische Resonanz. Nachstehend meine Antwort auf letztere:

Es sei nicht bestritten, dass Nietzsche bis in die Gegenwart fortwährende Denkanstöße gegeben hat. Es sei auch hinzugefügt, dass die Nietzsche-Interpretation der WTG primär nicht die meinige ist. Ambivalent nannte ich Nietzsche. Lexika definieren diesen Begriff als gleichzeitiges Bestehen entgegengesetzter Gefühle und Wünsche (Haß und Liebe). Ich wüsste in der Tat nicht, welch andere Vokabel im Falle Nietzsche zutreffender wäre. Der Aufforderung von Georg "Auf in die Bibliotheken" kann ich nur voll zustimmen.

Ein paar Nietzsche-Zitate mal:

"Und nicht anders wußten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den Menschen ans Kreuz schlugen!
Bessere Lieder müßten sie mir singen, daß ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müßten mir seine Jünger aussehen!
Aus Lücken bestand der Geist dieses Erlösers; aber in jede Lücke hatten sie ihren Wahn gestellt, ihren Lückenbüßer, den sie Gott nannten." (Kommentar: Zwar von Nietzsche zynisch formuliert, in der Sache aber voll zutreffend).

"Das Christentum insonderheit dürfte man eine große Schatzkammer geistreichster Trostmittel nennen, so viel Erquickliches, Milderndes, Narkotisierendes ist in ihm gehäuft, so viel Gefährliches und Verwegenstes zu diesem Zweck gewagt, so fein, so raffiniert, so südländisch-raffiniert ist von ihm insbesondere erraten worden, mit was für Stimulanz-Affekten die tiefe Depression, die bleierne Ermüdung, die schwarze Traurigkeit der Physiologisch-Gehemmten wenigsten für Zeiten besiegt werden kann." (Kommentar: Etwas umständlich formuliert. Als Denkanstoß des Nachdenkens wert).

Zitat: "Hinweg von Gott und Göttern lockte mich dieser Wille; was wäre denn zu schaffen, wenn Götter - da wären?" (Kommentar, siehe oben).

Zitat: "Luther, dies Verhängnis von Mönch, hat die Kirche, und was tausend mal schlimmer ist, das Christentum wiederhergestellt, im Augenblick, wo es unterlag ... Luther, ein unmöglicher Mönch, der aus Gründen seiner 'Unmöglichkeit', die Kirche angriff und sie - folglich - wiederherstellte ... Die Katholiken hätten Gründe, Lutherfeste zu feiern ..." (Kommentar. Analog auch auf den Fall Bibelforscher/Zeugen Jehovas übertragbar.)

Zitat: Der 'Glaube' als Imperativ ist das Veto gegen die Wissenschaft - in praxi die Lüge um jeden Preis ... Paulus begriff, daß die Lüge - daß 'der Glaube' nottat; die Kirche später wieder begriff Paulus. - Jener 'Gott', den Paulus sich erfand, ein Gott, der 'die Weisheit der Welt' (im engeren Sinn die beiden großen Gegnerinnen alles Aberglaubens, Philologie und Medizin) 'zuschanden macht', ist in Wahrheit nur der resolute Entschluß des Paulus selbst dazu: 'Gott' seinen eigenen Willen zu nennen." (Kommentar: Hart formuliert, in der Sache zutreffend!)

Zitat: "Es steht niemand frei, Christ zu werden: man wird zum Christentum nicht 'bekehrt' - man muß krank genug dazu sein ... Wir anderen, die wir den Mut zur Gesundheit und auch zur Verachtung haben, wie dürfen wir eine Religion verachten, die den Leib mißverstehen lehrte, die den Seelen-Aberglauben nicht loswerden will! die aus der unzureichenden Ernährung ein 'Verdienst' macht! die in der Gesundheit eine Art Feind, Teufel, Versuchung bekämpft! die sich einredete, man könne eine 'vollkommene Seele' in einem Kadaver von Leib herumtragen...." (Kommentar: Hart formuliert. Des Nachdenkens wert).

"Erst das Christentum hat den Teufel an die Wand gemalt; erst das Christentum hat die Sünde in die Welt gebracht. Der Glaube an die Heilmittel, welche es dagegen anbot, ist nun allmählich bis in die tiefsten Wurzeln hinein erschüttert: aber immer noch besteht der Glaube an die Krankheit, welchen es gelehrt und verbreitet hat." (Siehe vorstehenden Kommentar).

Zitat: "Leute, welchen ihr tägliches Leben zu leer und eintönig vorkommt, werden leicht religiös: dies ist begreiflich und verzeihlich; nur haben sie kein Recht, Religiosität von denen zu fordern, denen das tägliche Leben nicht leer und eintönig verfließt." (Kommentar: siehe vorhergehenden Kommentar).

Zitat: "Im Zustande des Hasses sind Frauen gefährlicher als Männer; zuvörderst weil sie durch keine Rücksicht auf Billigkeit in ihrer einmal erregten feindseligen Empfindung gehemmt werden, sondern ungestört ihren Haß bis zu den letzten Konsequenzen anwachsen lassen, sodann weil sie darauf eingeübt sind, wunde Stellen (die jeder Mensch, jede Partei hat) zu finden und dorthin zu stechen: wozu ihnen ihr dolchspitzer Verstand treffliche Dienste leistet (während die Männer beim Anblick von Wunden zurückhaltend, oft großmütig und versöhnlich gestimmt werden)." (Kommentar: Des Nachdenkens wert).

Zitat: "Der Mann ist für das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind. Aber was ist das Weib für den Mann?
Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel. Deshalb will er das Weib, als das gefährlichste Spielzeug. Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erhohlung des Kriegers: alles andere ist Torheit.
'Gib mir, Weiblein, deine kleine Wahrheit!' sagte ich. Und also sprach das alte Weiblein: 'Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!' " (Kommentar: Wieder ein von Nietzsches Zynismus förmlich triefendes Zitat. So nicht hinnehmbar).

Zitat: "Der christliche Entschluß, die Welt häßlich und schlecht zu finden, hat die Welt häßlich und schlecht gemacht. Jetzt entscheidet unser Geschmack gegen das Christentum, nicht mehr unsere Gründe." (Kommentar: Flapsig formuliert. So nicht hinnehmbar).

Zitat: "Seht, ich lehre euch den Übermenschen! Der Übermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde! Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht.
Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren! Einst war der Frevel an Gott der größte Frevel, aber Gott starb, und damit starben auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste und die Eingeweide des Unerforschlichen höher zu achten, als den Sinn der Erde!" (Kommentar: "Das" ambivalente Nietzsche-Zitat. Besonders die These vom Übermenschen oder Herrenmenschen als dem Sinn der Geschichte, hatte es den Nazis angetan. "Und heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt" (Nazithese). Oder. Ob da hunderte Weiber beim ausgraben eines Panzergrabens an Entkräftung zugrunde gehen, interessiert mich (Himmler) nur insoweit, ob der Panzergraben für Deutschland fertiggestellt wird (sinngemäß zitiert - letztendlich auch auf der Nietzschephilosphie von Herren und "Untermenschen" basierend).

Nicht nur die Religion, auch die politische Strömung des sogenannten "Sozialismus" fand sich im Blickfeld der gleißenden Nietzschekritik. Auch diesbezüglich fand er den Beifall der Nazis, waren doch letztere auch als erklärte Gegner des "Sozialismus" angetreten. Insoweit der "Sozialismus" in der Praxis sich als Bürokratieförderndes Instrumentarium erweist (und dieser Kritik wird sich diese Richtung stellen müssen ob sie es will oder nicht); kann man dazu nur sagen. Auch diesbezüglich ist die Nietzschekritik ambivalent. Sie enthält einen ernstzunehmenden Kern; schießt andererseits aber übers Ziel hinaus.

In diesem Staat ist nach wie vor das "Christentum" (namentlich in seiner großkirchlichen Form protegiert). Ich bedaure das und heiße das keineswegs gut. Dennoch: Nicht alle Religionskritik ist für mich schon aus Prinzip annehmbar. Es gilt da auch näher hinzusehen. Beispiel. Das Euthanasieprogramm des Nazis; der Fabrikmäßig durchgeführte Mord an sogenanntem "unwertem Leben". Wie immer man auch das taktieren und lavieren der Großkirchen im Naziregime bewertet. Hier ist zu konstatieren. Ausnahmsweise haben sich die Kirchen in dieser Sache mal "mit Ruhm bekleckert", indem sie, durchaus unter eigener Gefährdung protestierten. Letztendlich lag das Nazi-Euthanasieprogramm in voller geistesgeschichtlicher Kontinuität auch zu Nietzsche. Das ist meine Meinung zu diesem umstrittenen Philosophen, der auch weiterhin umstritten bleiben wird.

Aber auf jeden Fall ist das tatsächliche Studium seiner Werke erheblich anregender, als wie die bleiernden, geradezu den Schlafzustand herausfordernden sogenannten Studienschriften der Zeugen Jehovas.

Übrigens. Religionskritik läßt sich nicht nur auf den Namen Nietzsche "verengen". Ich empfehle auch mal einen Blick zu Feuerbach.
http://www.manfred-gebhard.de/Feuerbach.htm

Post Skriptum:
Der Katalog der lieferbarer Titel bei Amazon.de weist zum Stichwort Nietzsche 489 Angebote nach. Darunter eine dreibändige Ausgabe (die ich in gewisser Beziehung favorisieren würde, die allerdings nicht "billig" ist; eine zehnbändige Ausgabe, etwas preis"günstiger" - Aber wer liest schon eine zehnbändige Werkausgabe); diverse sonstige Studienausgaben, Kommentare (unter anderem ein Titel wie: "Nietzsche und der Faschismus. Ein Politikum") und Einzelschriften. Wer die Wahl hat in diesem Falle tatsächlich die Qual. Ich würde auch meinen, solche Studienausgaben dürften in der Regel die Zeugen Jehovas überfordern. Ich würde daher eher auf etwas "seichtes" empfehlend hinweisen wollen:



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