Kleinstadt-Gespräche


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 28. September 2006 05:32:11:

Einer der Vorwürfe von interessierter Seite gegen die sogenannte „Christliche Verantwortung" lautet bekanntlich, dass einige ihrer Berichte „erfunden" seien. Fragt man weiter nach, welcher konkreter Artikel, mit welcher konkreten Begründung dem entspricht, hört man in der Regel nichts nachprüfbares. Es geht ja auch nur ums „madig machen". Da können diejenigen, denen das ein Herzensanliegen ist, sich natürlich nicht in die „Niederungen" hinab begeben, Beweise für ihre These zu liefern.

Lassen wir die Frage, ob es erfundene Artikel gäbe oder nicht, einstweilen offen oder unentschieden. Vielleicht enthält die CV 213 solch einen „erfundenen Artikel". Sollte dem so sein, muss man dem Artikelschreiber allerdings bescheinigen, dass er durchaus einen gewissen „Nerv" mit seiner „Erfindung" getroffen hat.

Worum geht es? Nun bekanntlich hatten die Bibelforscher zu Russell's Zeiten eine himmlische Hoffnung. Sie sahen sich als „Herauswahl" dereinst zusammen mit Christus herrschend. Wie auch bei so vielen anderen Sachen, führte auch hierbei Rutherford dann noch eine Änderung durch. Lief diese ideologische Zäsur reibungslos ab? Andere Zäsuren, etwa die Aufgabe der Pyramidenlehre und anderes scheinen ja auch ohne größere Proteste vonstatten gegangen zu sein.

Nun also will genannte CV in einem Artikel darlegen, wie das in der Praxis war. Dazu lässt sie eine ältere Schwester aus dem „Nähkästchen plaudern". Wie gesagt in der Streitfrage - erfunden oder nicht - lege ich mich diesbezüglich nicht fest. Eines scheint mir jedoch durchaus gegeben zu sein. Der mutmaßliche „Erfinder" hat sich sehr wohl in den mentale Befindlichkeit der zeitgenössisch Handelnden hineinversetzt. Wenn er denn ein „Erfinder" sein sollte, hat er „gut erfunden".

Im genannten Artikel, der vorgibt Erinnerungen einer älteren Zeugin Jehovas wiederzugeben liest man unter anderem, und damit mag das Zitat beginnen, zu dem es jedem frei steht, sich seine eigene Meinung zu bilden:

Erinnerungen einer alten Zeugin Jehovas
Beim Lesen des Artikels der Japanerin Yuriko Eto im WT 17/86 „Warum ich. nicht: mehr in den Himmel kommen will", wurden bei mir wieder Erinnerungen wach, die ich gern aufschreiben möchte, damit sie der Nachwelt erhalten bleiben, denn bald wird es keinen mehr geben, der aus Erinnerungen der heutigen Generation erzählen kann wie es damals war - damals in den zwanzigern, dreißigern Jahren.

Auch ich weiß einiges nur, weil ich alte Menschen befragte, sie bat, doch zu erzählen wie es damals war, damals in den dreißigern Jahren, als die sogenannte „große Volksmenge", oder auch „andere Schafe" genannt, aufgekommen ist.
„Damals", so sagte ich, „glaubtet ihr doch alle noch, daß alle gläubigen Christen in den Himmel kommen werden, und wenn das Abendmahl gefeiert wurde, da habt ihr doch alle noch von dem Brot und dem Wein gemeinsam genossen. Heute glauben wir nicht mehr, daß wir in den Himmel kommen werden, und wenn die Gedächtnisfeier ist, nimmt keiner mehr von Brot und Wein etwas zu sich?"

„Ja", sagte die alte Schwester (heute lebt sie wohl nicht mehr), „was soll ich dir sagen. Willst wissen, wie es damals wirklich war. Gerne erzähle ich nicht von den damaligen Zeiten. In den Wachttürmen liest man auch nie wie es damals wirklich war und vielleicht sollte man sowas auch nicht weitererzählen.
Aber dir will ich es sagen.
Also, es war so:
Als im Wachtturm das hellere Licht erschien, sollten wir demnach nicht mehr glauben, daß wir in den Himmel kommen und dort mit Jesus Christus zusammen sein werden, auch sollten wir beim Abendmahl nicht mehr vom Brot und Wein etwas essen, denn wir wären nicht würdig dazu.

Das schockierte uns alle natürlich und wollten uns der neuen Lehre nicht so recht anpassen. Waren wir doch alle überzeugt, daß wir endlich den richtigen Glauben gefunden hatten und wollten treu daran festhalten. Und als das Abendmahl gefeiert wurde, nahmen die meisten wieder vom Brot und Wein zu sich. Das muß wohl so um 1935 gewesen sein. Damals waren auch schon die Verfolgungen unter Hitler und wir alle hielten viel fester zusammen wie heute.
Dann kam aber ein Bruder, den wir alle kannten, weil er sowas ähnliches war wie heute unsere Kreisdiener und er war ein glänzender Redner. Er wollte uns einen sehr wichtigen Vortrag halten und wir alle kamen in großer Zahl heimlich zusammen. Wir waren damals immer sehr gespannt auf jede Neuigkeit, weil wir das Ende jeden Augenblick sozusagen erwarteten.

In seiner Ansprache malte uns der Bruder in den schönsten Farben das künftige Paradies auf Erden vor. Unsere Augen glühten und wir waren begeistert. Es hätte nur noch gefehlt, daß er uns sagte wann es soweit ist und wir wären bereit, sofort in den Verfolgungen für unsern Glauben zu sterben, um in dieses schöne Paradies zu gelangen. Aber er fragte uns unvermittelt 'wer von euch möchte nicht in so einem schönen Paradies auf Erden leben, der möchte die Hand heben.'
Keiner hob die Hand - was ja auch zu erwarten war. Da sagte der Bruder so etwa:
'ALSO BRÜDER UND SCHWESTERN, ICH SEHE, DASS IHR ALLE DIE IRDISCHE HOFFNUNG HABT UND NICHT DIE HIMMLISCHE, WIE AUCH ICH ÜBRIGENS UND BRÜDER UND SCHWESTERN IN DEN ANDEREN VERSAMMLUNGEN.
WARUM HÄLT IHR DENN NOCH IMMER FEST AN DER HIMMLISCHEN HOFFNUNG?'

Wir müssen wohl plötzlich sehr dumme Gesichter gemacht haben, jedenfalls schien mir, daß unser Bruder uns nicht mehr so sympathisch anlächelte, sondern eher angrinste. Ich war sehr böse auf ihn. Dann folgten noch sehr lange Erklärungen von ihm, warum wir auch beim Abendmahl von Brot und Wein nicht genießen sollten, aber wir alle, glaube ich, hörten nicht mehr so richtig hin. Ich jedenfalls kann mich an nichts mehr so richtig erinnern, was er noch sagte. Nach dem Vortrag gingen wir gleich wieder auseinander, nur paar Brüder blieben noch zurück. Du kannst dir ja denken was für Debatten wir in der Folgezeit unter uns führten. Zwar fanden die Überrumplung des Bruders nicht ganz fair, aber wir fügten uns allmählich dem neuen Licht. Und als wieder das Abendmahl - jetzt sagen wir ja dazu Gedächtnisfeier - war, nahm keiner mehr von den Symbolen - denn sie sollten jetzt Brot und werden -, aber einige waren dabei. Sie wandten sich ab und sind bis heute nicht zurückgekommen. Aber einige nahmen nach der Feier doch noch heimlich von Brot und Wein zu sich, meistens erst zu Hause, damit es keiner sieht. Mein Mann gehörte auch zu denen. Jetzt, wo er schon gestorben ist, kann ich dir das ja sagen.

Der Bruder, der die Begräbnisrede hielt, hat das gewußt und hat in seiner Ansprache gesagt, 'daß er zu den 144 000 gehört er wird mit Christus tausend Jahre wie ein König auf Erden regieren.'
Das hätte er aber lieber nicht sagen sollen, denn wir sind in dieser Kleinstadt hier zu gut bekannt und es waren sehr viele Bekannte, sogar alte Schulfreunde von uns zur Beerdigung gekommen und sie haben gelacht über das, was sie hörten. Es wurde zum Stadtgespräch und über uns wurde gespöttelt: 'was, der soll uns mal regieren? wie ein König? mit Christus zusammen 1000 Jahre?' Na du weißt ja wie die Leute sind.
Aber ich muß ehrlich sagen, daß mir das nicht so ganz gefallen hat, daß mein Mann die himmlische Hoffnung hatte und ich nur die irdische. Es soll ja eine Auferstehung der Toten geben und demnach werde ich meinen Mann ja nie wiedersehen, denn er wird im Himmel sein und ich auf der Erde.

Wir hatten eine sehr lange glückliche Ehe geführt, denn wir beide kannten uns schon von der Schule und hatten sehr jung geheiratet. Vier Kinder hatten wir in der Wahrheit großgezogen und drei leben noch heute und auch unsere Enkel sind alle der Wahrheit. Die jungen Leute heute glauben ganz anders als wir damals, damals, als wir in den zwanziger Jahren zu den Bibelforschern kamen. Die wissen immer alles besser und wollen uns noch belehren. Aber ich weiß, daß die Menschen damals besser waren als heute.- Wir hatten nicht viel, wir waren arm, aber wir verstanden es, glücklicher zu sein ..."


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