Re: Popper


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 27. August 2006 16:58:13:

Als Antwort auf: Re:Ich meine? geschrieben von + am 27. August 2006 15:31:43:

Der Fall Popper geistert schon einige Jahre in der Literatur herum.

Mit zum erstem Mal ist er mir in der CV 142 (Mai 1981) begegnet.
Der Einfachheit halber zitiere ich einfach mal das, was ich seinerzeit als Einleitung zu genannter CV notierte:

CV 142

„Ein Artikel in dieser CV-Ausgabe will nachweisen, dass der WT ungenau zitiert. Dazu wird als Fallbeispiel Sir Karl Popper herangezogen. Zitat aus der CV:

Jüngst widerfuhr das dem bekannten Begründer des "kritischen Rationalismus",
Sir Karl R a i m u n d (Name wegen Wortsperre einen früheren User betreffend, gesperrt geschrieben) Popper, England, der im WT zitiert wurde. Popper steht in sehr hohem Rang in der westlichen Geisteswissenschaft und Philosophie. Auf ihn stützen sich Bundespolitiker, wie Helmut Kohl, CDU und Bundeskanzler Helmut Schmidt und man erhofft sich von ihm durch seinen "kritischen Rationalismus" u.a. auch eine Vernichtung der "zentralen Ansprüche des Marxismus".
Auf welche WT-Ausgabe sich die unkorrekte Zitierung beziehen soll, wird nicht angegeben. Der Vergleich ergibt. Gemeint ist der WT vom 15. 5. 1975 (S. 294).
Darin wird Popper mit dem Satz bemüht:
"Die Wissenschaft ist kein System gesicherter oder nachgewiesener Erklärungen … wir wissen nicht, wir können nur vermuten".

Laut CV legt Popper aber Wert auf die Feststellung:
"Da Sie mich aber ausdrücklich gefragt haben, ob das eine falsche Interpretation ist, muß ich Ihnen sagen, daß es sich in der Tat um eine falsche Wiedergabe handelt. Es ist einer Lüge gleichzusetzen; und diese ganze Sache ist in einem Höchstmaß unfair."
Da müsste man doch wohl erst das fragliche Buch des Popper selbst lesen; wobei noch nicht einmal mitgeteilt wird, um welches es sich handelt und welche Seite dort.
So, mit diesen paar hingeworfenen Brocken zu beurteilen, ob da wirklich falsch zitiert wurde fällt mehr als schwer. Billige Erbenszählerei

Der nächste der den Fall aufgriff war offenbar Gerd Wunderlich in seinem Buch „Jehovas Zeugen die Paradies-Verkäufer" (S. 82f.).
Wunderlich befand sich zu dem Zeitpunkt schon auf dem „Absprung von der WTG". Als „unsicherer Kantonist" in ihren Reihen bereits gehandelt, gab es da noch eine hitzige Diskussion mit einem der WTG-Getreuen. Und dabei wird ebenfalls der Fall Popper bemüht. Ob sonderlich „überzeugend", möchte ich doch eher dahingestellt sein lassen.

Wunderlich schreibt:
"Uns ist ein Bericht im ,Wachtturm' vom 15.5.1975 aufgefallen. In dem Artikel .Wird die Wissenschaft wirklich deine Probleme lösen?' wird auf der Seite 294 ohne Quellenangabe ein Zitat des Philosophen Karl Popper zerstückelt und sinnwidrig wiedergegeben, nur um, wie wir glauben, diesen Wissenschaftler für die Interessen der WTG zu mißbrauchen."

"Das glaubst du doch wohl selbst nicht", bemerkte Bruder Stefan B. erstaunt. "Überhaupt, wie kommst du darauf, daß im ,Wachtturm' Zitate falsch wiedergegeben werden?"
"Darf ich euch das einmal zeigen?" fragte ich darauf. Als man mir das erlaubte, erkundigte ich mich zunächst, ob ihnen die Passage "Genauigkeit der Darlegung" aus unserem Lehrbuch "Leitfaden für die theokratische Predigtdienstschule" bekannt sei. Auf Seite 110 dieses Buches lesen wir:

"Jehovas Zeugen sind eine Organisation der Wahrheit. Wir sollten den Wunsch haben, die Wahrheit zu reden und jederzeit in allen Einzelheiten völlig genau zu sein. Dies sollte nicht nur hinsichtlich der Lehre der Fall sein, sondern auch in unseren Zitaten, in dem, was wir über andere sagen, oder darin, wie wir sie darstellen, ferner in Dingen, bei denen es um wissenschaftliche
Angaben oder um Tagesereignisse geht."
"An diesem Maßstab wollen wir einmal den genannten Abschnitt aus dem Wachtturm vom 15.5.1975 messen", sagte ich (Wunderlich) zu den Ältesten.

Auf der Seite 294 linke Spalte oben steht:
"Wahre Christen haben eine ausgeglichene Ansicht in bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse, und das führt zu guten Ergebnissen. Sie lassen sich nicht von ,wissenschaftlichen' Vorstellungen irreführen, die oft eher persönliche Meinungen als erwiesene Tatsachen sind. Der Philosoph Karl Popper gesteht:

,Die Wissenschaft ist kein System gesicherter oder nachgewiesener Erklärungen; ... wir wissen nicht; wir können nur vermuten. Und unsere Vermutungen werden vom Unwissenschaftlichen geleitet, vom Metaphysischen ...'

Der christliche Apostel Paulus gab Timotheus folgenden weisen Rat: ,Hüte dich vor unheiligen Wortneuerungen und den Streitreden der ... sogenannten Wissenschaft' (l. Tim. 6:20, Allioli)."
"Na und, was soll denn daran falsch zitiert sein?" fragte Bruder Stefan B.

"Darauf will ich ja jetzt kommen", gab ich zur Antwort.
"Obwohl, wie ich schon sagte, die Gesellschaft keine Quelle angibt, was allein schon sehr unseriös ist, ist es Bruder Martens gelungen, das Buch von Karl Popper, aus dem die WTG zitiert, ausfindig zu machen. Es handelt sich um das Buch ,Logik der Forschung' (Tübingen, 1971). Ich möchte euch jetzt einmal das vollständige Zitat vorlesen (Seite 223);

" Unsere Wissenschaft ist kein System von gesicherten Sätzen, auch kein System, das in stetem Fortschritt einem Zustand der Endgültigkeit zustrebt. Unsere Wissenschaft ist kein Wissen (episteme): weder Wahrheit noch Wahrscheinlichkeit kann sie erreichen. Dennoch ist die Wissenschaft nicht nur biologisch wertvoll. Ihr Wert liegt nicht nur in ihrer Brauchbarkeit: Obwohl Wahrheit und Wahrscheinlichkeit für sie unerreichbar ist, so ist doch das intellektuelle Streben, der Wahrheitstrieb, wohl der stärkste Antrieb der Forschung.
Zwar geben wir zu: Wir wissen nicht, sondern wir raten. Und unser Raten ist geleitet von dem unwissenschaftlichen, metaphysischen (aber biologisch erklärbaren) Glauben, daß es Gesetzmäßigkeiten gibt, die wir entschleiern, entdecken können. " (Nur die kursiven Stellen wurden von der WTG zitiert. Im Falle dieser Zitierung anstelle kursiv = fett))

"Ihr seht also, wenn man das vollständige Zitat liest und nicht nur die Fragmente, die von der Gesellschaft zusammengestoppelt sind, kommt etwas ganz anderes heraus.
Popper sagt, wissenschaftliche Erkenntnis könne "zwar" nie endgültig sein, da immer wieder neue Entdeckungen gemacht würden. Deswegen ist wissenschaftliche Wahrheit nicht absolut, sondern sie nähert sich nur an. Dennoch ist die Grundlage wissenschaftlicher Arbeit die Annahme, daß es Gesetzmäßigkeiten gibt, die wir entschleiern, entdecken können'.

Was uns allerdings die Gesellschaft durch diese Zitat-Manipulation vermitteln wollte, war etwas ganz anderes. Jeder Leser, der nicht weiß, was Popper wirklich gesagt hat, muß glauben, Popper, gesteht (diese Worte gebraucht die WTG gerne, wenn sie andere zu ihren Gunsten zitiert), daß Wissenschaft mehr oder weniger Nonsens ist. Damit hat die Gesellschaft bei unseren Brüdern großen Erfolg. ...

Wenn die Wissenschaft im Gegensatz zum Wachtturm' steht, dann muß sich eben die Wissenschaft korrigieren.'"
Jetzt nahm Bruder Stefan B. das Gespräch wieder auf:
"Ich kann nicht mit dir übereinstimmen, daß die Gesellschaft das Popper-Zitat gegen den Sinn zitiert hat." Auch Bruder Paul M. schloß sich dem an und erklärte: "Es ist doch völlig gleich, ob der Autor in seinen Ausführungen etwas anderes sagen wollte. Das ändert doch nichts an der Tatsache, daß er die Worte, die die Gesellschaft zitierte, tatsächlich geschrieben hat."

Dieser Logik konnte ich beim besten Willen nicht folgen und meinte, daß sie das Zitat noch einmal in Ruhe durchlesen und überdenken sollten. Da an eine Klärung dieser Punkte nicht mehr zu denken war, verabschiedeten sich die beiden Ältesten von uns mit der Bitte, wir möchten über alles schweigen. Das lehnten wir ab.

Auch der Katholik Ludwig Neidhart kommt in seinem Buch (in einer Fußnote verpackt und bei weitem nicht so umfangreich wie bei Wunderlich) in ähnlicher Weise auf den Aspekt zu sprechen.

Im bereits zitierten Wunderlich-Zitat ist von einem Herrn Martens die Rede, welcher wohl diesen vermeintlich grandiosen Fund initiiert habe (zumindest im Falle Wunderlich). Täuscht mich nicht alles, dürfte wohl dieser Herr Martens und etliche vor und nach ihm, der katholischen Ecke zuzuschlagen sein. Es gibt halt immer wieder mal solche Fälle, dass da einige glauben „Weltbewegendes" ausgebuttelt zu haben. Beschränkt sich die Auseinandersetzung mit der WTG auf solcherlei, dann sieht es wohl nicht gerade gut aus. Das kann bestenfalls den Rang einer Fußnote einnehmen. Wird es jedoch zum „Kronargument" hochstilisiert. Na dann, gute Nacht! ...


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