Re: Letztlich ein Formalakt


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 26. Juni 2006 08:12:38:

Als Antwort auf: Re: Alle Blut Fraktionen sind jetzt freigegeben! geschrieben von Drahbeck am 26. Juni 2006 07:22:05:

Zitat aus:
Grote, Rainer; Marauhn, Thilo (Hrsg.)
"Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht"
Max Planck Institut für ausländisches Recht
Berlin 2001

Hinweis (Nachstehendes wurde nicht von Herr de Ruiter zitiert). Da er das bisher nicht im Internet zu lesen bekam, konnte er es auch nicht zitieren. Eigenständige Recherchen außerhalb der einschlägigen Verschwörungstheorien ist ohnehin nicht "sein Bier".

Jetzt also das angekündigte Zitat (a. a. O. S. 142, 143):
Am 9. März 1998 nahm die Europäische Menschenrechtskommission gemäß Art. 28 Abs. 1 lit. b EMRK (a.F.) einen Bericht an, der die gütliche Beilegung einer zulässigen Individualbeschwerde der in Sofia sitzenden Christlichen Gemeinschaft der Zeugen Jehovas gegen Bulgarien bewirkte.
Dem lag ein Abkommen zwischen der Beschwerdeführerin und der bulgarischen Regierung vom Februar 1998 zugrunde, in dem eine Fülle strittiger Fragen (Registrierung als Religionsgemeinschaft, Wehrdienst etc) einschließlich der Frage der Bluttransfusionen geklärt worden war. In diesem Abkommen verpflichteten sich die bulgarischen Zeugen Jehovas, ihren Statuten eine Erklärung hinzuzufügen, wonach jedes Mitglied das Recht habe, das medizinische System aus freiem Willen ohne Kontrollen und Sanktionen seitens der Religionsgemeinschaft in Anspruch zu nehmen und in Übereinstimmung mit bulgarischem Medizinrecht keine Voraberklärung abzugeben, wonach Minderjährige keine Bluttransfusion erhalten dürfen. sowie jedem erwachsenen Individuum die freie Wahl zu lassen.

Schon der Wortlaut der Übereinkunft läßt erkennen, daß es hierbei um eine Verpflichtung der bulgarischen Zeugen Jehovas auf die ohnehin verbindlichen Gesetze geht, nämlich insbesondere um die Respektierung des persönlichen Rechts, frei und unbeeinflußt von anderen über die eigene medizinische Behandlung zu entscheiden.
Im Gegenzug hierzu gewährt der bulgarische Staat den Zeugen Jehovas die Registrierung.

Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, was geschehen soll, wenn dennoch Druck auf die Mitglieder der Gemeinschaft ausgeübt werden würde. Zwar können die Registrierung bei systematischen Verstößen gegen die Vereinbarung rückgängig gemacht werden, es dürfte aber schwierig sein, einzelne Nötigungsakte aus den Reihen der Mitglieder der Organisation zuzurechnen und auf dieser Basis einen Bruch des Abkommens zu begründen. Aus diesem Grunde stellt sich die "bulgarische Lösung" letztlich als Formalakt dar, der die eigentliche Frage nach der Entscheidungsfreiheit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaft überspielt.

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Die faktische Bedeutungslosigkeit des Bulgarien-Dokumentes, wird auch durch den Umstand unterstrichen, dass es lediglich Kindern und Ungetauften untersagt ist, jenes Dokument Rechtswirksam bei sich zu führen, welches Blutttransfusionen untersagt.

Getaufte Zeugen Jehovas hingegen, haben auch in Bulgarien diese Möglichkeit ein solches Dokument bei sich zu führen. Im Fall der Fälle ist es dann - theoretisch - lediglich ihre "eigene Entscheidung". Justiziabel können sie sich dabei nicht auf die WTG berufen.

Also alles bleibt wie es ist. Der bulgarische Staat hat den gewünschten Sand in die Augen gestreut bekommen; und Herr de Ruiter und Co feiert einen Sieg, der praktisch kein solcher ist.


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