Zwischen Telefonistendienst und Todesurteil


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 12. Juni 2006 07:42:37:

Als Antwort auf: Re: Die Orthodoxe Kirche hat ihren Inquisitionsknüppel gefunden

geschrieben von Drahbeck am 17. Juni 2004 17:47:25:

Griechenland ist jenes westliche Land, dass in der Wehrdienstfrage in den Jahren nach 1945 durch besondere Rigorosität, im Vergleich zu anderen Staaten, unrühmlich hervorgetreten ist. Allerdings gab es im Vergleich zu den kommunistischen Staaten doch einen Unterschied, den man wohl benennen muss. Gegebenenfalls konnten in Griechenland sowohl versierte Rechtsanwälte als auch (und das ist besonders wichtig) die Presse sich der Dinge annehmen. Also das mit dem „deckeln" klappte in Griechenland nicht so, wie andernorts. Dennoch lässt trotz alledem die griechische Rigorosität einem noch heute „das Blut in den Adern erstarren." Genannten Umstand einer möglichen Publizierung in der Öffentlichkeit ist es auch zuzuschreiben, dass schon im Jahre 1979 in Griechenland das Buch eines Rechtsanwaltes (Thanassis Reppas) erschien, dass nach 1988 auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Also die Fälle die Reppas beschreibt, spielen alle vor 1979. Das gilt es als zeitlichen Hintergrund zu beachten. Reppas ist auch nicht frei von Eitelkeit; und so stellt er denn das Licht von sich selbst und seinem Berufsstand, mit Sicherheit n i c h t „unter" dem Scheffel. Eine gewisse Weitschweifigkeit, die der eben genannten Zielsetzung dient, ist einfach nicht zu übersehen. Man hat schon einige Mühe, die wirklich substanziellen Sätze seiner Darstellung herauszukristallisieren.

Ein solcher, die griechische Praxis beschreibender Satz ist meines Erachtens auch der:
„Zwar sah das Gesetz die Todesstrafe vor, aber seit dem Ende des Bürgerkrieges hatte kein Gericht diese Strafe verhängt, noch war sie je beantragt worden.
Gewöhnlich entschied man sich für lebenslängliche Haft, und um die zivilisierte Welt nicht in Empörung zu versetzen, wurde das „lebenslänglich" in Raten verhängt. Man verurteilte die Angeklagten jeweils zu vier bis fünf Jahren Gefängnis und wenn sie die Strafe abgesessen hatten, erhielten sie erneut einen Einberufungsbescheid. Damit begann die Prozedur von vorn: … Daraufhin wieder Haft, Militärgericht und neuerliche Verurteilung zu vier bis fünf Jahren Gefängnis. Nach Verbüßung der Strafe kam ein neuer Einberufungsbescheid, und dieselbe Geschichte wiederholte sich bis der Angeklagte sein fünfzigstes Lebensjahr erreichte. Auf diese Art konnte jemand, der mit zwanzig den ersten Einberufungsbescheid erhielt, darauf hoffen, mit fünfundfünfzig frei zu sein. Diese Taktik hatte sich fest eingebürgert."

Nun stellt Reppas in seinem Buch einen Fall des Minas Destunis vor, die sich vor einem Militärgericht verantworten musste. Und in diesem speziellen Fall befand der anklagende Staatsanwalt, der „Delinquent" müsse wohl eine Art „Führungsposition" bei den „Jehovanern" wahrnehmen. Ob denn dies tatsächlich der Fall war, sei einmal völlig dahin gestellt. Jedenfalls fiel der Urteilsantrag des Staatsanwaltes entsprechend „saftig" aus. Er beantragte die Todesstrafe, und noch schlimmer, das Gericht folgte seinem Antrag.

Im Gegensatz zu etwa Ostblockstaaten, erregte der Fall großes Aufsehen, auch publizistischer Art. Berufene und Unberufene fühlten sich bemüßigt das Urteil zu kommentieren. Eine solche Urteilskommentierung sei denn doch nicht vorenthalten.
„Es wurde eine Erklärung des Erzbischofs veröffentlicht, daneben ein Photo von ihm und eins von Minas. Der Erzbischof sagte:
„Die griechisch-orthodoxe Kirche betrachtet die Anhänger der Sekte der Zeugen Jehovas als ihren Feind Nummer eins. Wir haben oftmals um staatliche Intervention, um Strafverfolgung und Festnahme derer, die Proselytenmacherei betreiben, gebeten. In Rundschreiben und Aufrufen wurde wiederholt auf die Gefahr aufmerksam gemacht, die unserer Kirche von dieser Seite droht. Was das Todesurteil gegen Minas Destunis, ein Mitglied dieser Sekte, anbelangt, wollen wir uns nicht in die Zuständigkeit des Staates, d.h. der militärischen Gerichtsbarkeit, einmischen."

Diesen Kommentar darf man wohl berechtigt der Rubrik „unberufen" zuordnen. Indes, es gab auch andere Kommentare, und auch Proteste im In- und Ausland.
Dazu Reppas:

„Nur drei Tage nach seiner Verurteilung erhielt Minas eine Vorladung, um die Wiederaufnahme seines Verfahrens vor dem Revisionsgericht zu beantragen. Dergleichen war noch nie geschehen und es zeigte, daß die Behörden es eilig hatten. Am selben Tag besuchten ihn sein Anwalt und seine Mutter. Beide waren optimistisch und versuchten, ihre Zuversicht an Minas weiterzugeben. Der Anwalt sagte ihm, er sei sicher, daß das Urteil revidiert würde, da es noch nie vorgekommen sei, daß so kurzfristig ein Berufungsgesuch angenommen wurde. Diese Tatsache bewiese, daß der Staat das Todesurteil so schnell wie möglich umstoßen wolle, da er sich jetzt selbst von der öffentlichen Meinung der Welt angeklagt sah."

Und was angesichts dieser Einschätzung zu erwarten war, trat ein. Die Berufungsverhandlung, war eigentlich gar keine „Verhandlung" mehr, sondern nur ein „Feigenblatt" um in Minutenschnelle ein reduziertes Urteil auf 4 Jahre und 11 Monate Gefängnis auszusprechen.

Wenn dieser spezielle Fall zitiert wird, dann ist es nicht uninteressant sich auch einige Details dabei anzusehen (die liefert ja Reppas frei Haus).
Wie in solchen Verfahren schon als üblich zu bezeichnen, versuchte man den Delinquenten auch durch allerlei Fangfragen aufs Glatteis zu locken.
Zu nennen wäre da beispielsweise der vom Angeklagten genannte Hinweis auf den Fall Franz Jägerstätter in der Nazizeit, der denn auch prompt mit der Antwort des Staatsanwaltes gekontert wurde:

„STAATSANWALT: Uns interessiert nicht, was in anderen Ländern geschieht, sondern was bei uns geschieht. Soviel wir wissen, hat in unserem Land niemand, der nicht Zeuge Jehovas ist, eine ähnliche Haltung gezeigt".

Der nächste Schachzug bestand in der Frage des Staatsanwaltes:
„STAATSANWALT: Wenn wir dir vorschlügen, irgendeinen Hilfsdienst im Militär zu versehen, z.B. als Krankenpfleger, würdest du einwilligen?"

Jetzt protestierte der Verteidiger dagegen. Es könne nicht hingenommen werden, dass dem Angeklagten „was wäre wenn"-Fragen gestellt werden. Es könne nur von der tatsächlichen Sachlage ausgegangen werden. Einstweilen musste also der Staatsanwalt den Rückzieher machen. Er lies aber nicht locker, und formulierte seine Frage aufs neue. Diesmal lautete die Frage:

„STAATSANWALT: Gut, ich ziehe die Frage zurück. Ich werde sie anders stellen.
Wenn man dir vorschlüge, als Telefonist zu dienen, würdest du einwilligen?
ANGEKLAGTER: Nein."

Dieses kurze und knappe „Nein" war es dann wohl. Damit war für den Staatsanwalt die Befragung im wesentlichen beendet. Wie das Urteil dann lautete, wurde ja schon gesagt.

Dieses „Nein" selbst zu Telefonistendiensten, sollte man sich aber noch einmal überdenken. Wie gesagt, es handelt sich um die Zeit vor 1996. Ob derselbe Angeklagte, hätte sich sein Fall nach 1996 abgespielt, auch noch so ein flottes „Nein" ausgesprochen hätte, ist doch sehr die Frage!


Eine Bilanz in Sachen Wehrdienstverweigerung

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