Re: Theoretisch gesteinigt


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 11. Mai 2006 07:52:33:

Als Antwort auf: Theoretisch gesteinigt geschrieben von Drahbeck am 10. Mai 2006 07:28:48:

Schon im Jahre 1995 hatte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz einen Asylantrag mit Zeugen Jehovas-Bezug zu entscheiden. Dabei handelte es sich um einen 1975 in der Türkei geborenen Antragsteller, der im September 1990 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war und hier Asyl beantragte. Zur Begründung hatte er angegeben; seine christliche Familie sei im laufe der Zeit in der Türkei zu den Zeugen Jehovas konvertiert. Auch er habe an diesem Entwicklungsvorgang Teilhabe gehabt. Im Gegensatz zu seiner Mutter habe er sich allerdings noch nicht von den Zeugen Jehovas taufen lassen. Gleichwohl habe er das Gefühl gehabt, aufgrund seiner Zeugen Jehovas-Beeinflussung, im Alltagsleben gewissen Restriktionen ausgesetzt gewesen zu sein.

Als Beispiel für letzteres führte er an:
„Auf seiner Arbeitsstelle bei einer Installationsfirma sei er von einem muslimischen Kollegen unterdrückt und geschlagen worden. Deswegen habe er den Arbeitsplatz gekündigt und habe bei einem Bekannten gearbeitet. Dort habe es keine Probleme gegeben."
Als er dann in Deutschland war, habe er sich auch im März 1992 als Zeuge Jehovas taufen lassen.

Sein Asylantrag in Deutschland wurde in einer diesbezüglichen Gerichtsverhandlung vom März 1993 abgelehnt. Nun vor der Zwangssituation stehend, wieder in die Türkei ausreisen zu müssen, schöpfte er (respektive seine Anwälte) alle juristischen Optionen aus, dieses Urteil doch noch „kippen" zu können. Der Schwerpunkt der Argumentation verlagerte sich insbesondere auf die Wehrdienstfrage. Diesen Aspekt betreffend sei einmal eine etwas längere Passage dazu zitiert:

Es wurde ihm „Asyl mit der Begründung versagt, der Kläger habe als Zeuge Jehovas bei einer Rückkehr in die Türkei weder im sozialen Alltag noch bei der Ableistung des Pflichtgrundwehrdienstes mit politischer Verfolgung zu rechnen. Insbesondere könne eine solche bei der Ableistung des Wehrdienstes und vor allem mit Blick auf eine Wehrdienstverweigerung bzw. Befehlsverweigerung hinreichend sicher ausgeschlossen werden.

Dabei müsse man zunächst berücksichtigen, daß sich die Zeugen Jehovas in der Türkei nicht generell dem Wehrdienst verweigerten, sondern vielmehr den Einberufungsbescheiden Folge leisteten und bei der jeweiligen Einheit ihren Dienst anträten. Dort verweigerten sie lediglich die Ausbildung an Waffen und das Tragen von Waffen. In dieser Situation komme es für die weitere Behandlung der Zeugen Jehovas auf das Verhalten des militärischen Vorgesetzten an. Diese könne nicht in jedem Fall vorausgesehen werden. Aber immerhin falle auf, daß nach übereinstimmenden Angaben von Sachkennern inzwischen eine Praxis herrsche, Zeugen Jehovas in Diensten zu beschäftigen, in denen auf das Waffentragen verzichtet werden könne.

Danach sei schon eine Bestrafung wegen Befehlsverweigerung hinreichend sicher auszuschließen, so daß sich die Frage nach deren Folgen und dem Charakter solcher Konsequenzen an sich gar nicht stelle. Aber selbst wenn man nicht von einer derartigen generellen Praxis ausgehe, ergebe sich keine dem Kläger günstigere Betrachtungsweise. Denn eine derartige in Betracht zu ziehende Bestrafung wegen Befehlsverweigerung stelle keine politische Verfolgung dar. Eine Bestrafung knüpfe nämlich nicht an asylerhebliche Merkmale, hier an das Zeuge-Jehova-Sein des jeweiligen Rekruten, an.

Keine andere Beurteilung ergebe sich selbst dann, wenn man nach der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Härte einer drohenden Strafe als Indiz für eine hinter der Strafnorm stehende Verfolgung mit in den Blick nehme. Denn die Todesstrafe - die für das Bundesverwaltungsgericht schon ein Indiz gewesen sei - drohe wegen Befehlsverweigerung keineswegs. Selbst der lediglich auf Gefängnisstrafe lautende Strafrahmen hierfür werde nicht ausgeschöpft, die jeweilig zuerkannte Strafe bewege sich zwischen der Mindeststrafe von drei Monaten und sechs Monaten. Zudem bestehe kaum die Gefahr einer erneuten Bestrafung, da die Zeugen Jehovas die Verurteilung mit Rechtsmitteln angriffen, zur Truppe zurückkehren und spätestens dann im allgemeinen zu waffenlosem Dienst herangezogen würden. Danach liege aber selbst in einer Bestrafung wegen Befehlsverweigerung keine politische Verfolgung."

Also auch diese Verhandlung verlief für den Antragsteller ungünstig. Dennoch lies er (respektive seine Anwälte) nicht locker. Es gelang ihnen eine Revisionsverhandlung durchzusetzen. Als „Trumpf" um das erreichen zu können, wurde nun dem Gericht ein vom 20. 9. 1993 datierter Zeitungsartikel aus einer Zeitung namens „Gründem" vorgelegt.

„In ihm wird über den Fall eines Zeugen Jehovas berichtet, der dreimal hintereinander die Annahme der ihm ausgehändigten Waffe verweigert hat. Er wurde in der ersten Instanz wegen dreimaliger Befehlsverweigerung bestraft. Das von der Oberstaatsanwaltschaft hiergegen zugunsten des Zeugen Jehovas eingelegte Rechtsmittel blieb ohne Erfolg. Der Militärische Kassationshof entschied abschließend, daß in Fällen dieser Art keine fortlaufende, auf einem Gesamtvorsatz beruhende strafbare Handlung vorliege, sondern vielmehr drei selbstständige Handlungen, mit denen jeweils für sich der Straftatbestand verwirklicht worden sei."

Im Klarxtext besagte diese Aussage, dass es offenbar in der Türkei Fälle gab, wo ein und derselbe Zeuge Jehovas wegen seiner militärischen Dienstverweigerung, mehrmals verurteilt wurde. Dieses Vorbringen reichte nun aus, um die Revisionsverhandlung zu erreichen. Das Gericht musste sich nunmehr ausdrücklich mit dem Fakt der Mehrfachbestrafungen in der Türkei auseinandersetzen. Dennoch ist zu konstatieren, dass dem Antragsteller, trotz dieses neuen oder zusätzlichen Vorbringens, auch diesmal kein Erfolg beschieden war.

In der diesbezüglichen gerichtlichen Argumentation, wobei dazu diverse Gutachten eingeholt wurden, wurde unter anderem ausgeführt:
„Zudem ist bekannt geworden, daß die Zeugen Jehovas Ercan E. Und Mustafa Tucer E. ebenfalls mehrfach verurteilt worden sind. Sie waren nach ihren Befehlsverweigerungen in Untersuchungshaft genommen und verurteilt worden. Nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft waren sie erneut zum Dienstantritt befohlen worden. Auch dabei verweigerten sie die Annahme der Waffe. Sie kamen erneut in Untersuchungshaft und wurden ein weiteres Mal wegen Befehlsverweigerung bestraft, Ercan E. sogar dreimal

Zweifel ergeben sich dabei schon nach wie vor angesichts der Dichte solcher Mehrfachbestrafungen wegen Befehlsverweigerungen. Bislang sind lediglich die erwähnten zwei bis drei Fälle von Befehlsverweigerungen bekannt geworden. Ob dies für die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für solche Bestrafungen, wie sie die Vorinstanz angenommen hat, ausreicht, ist sehr zweifelhaft. … Auch weiterhin besteht bei sämtlichen angehörten Stellen und Personen Übereinstimmung, daß Zeugen Jehovas nicht anders behandelt werden als andere Personen, die ebenfalls den Militärdienst verweigern, denn auch weiterhin bewegen sich die Verurteilungen der Zeugen Jehovas wegen Befehlsverweigerung im unteren Bereich des Strafrahmens. Das gilt selbst bei Mehrfachbestrafungen."

Weiter führte das Gericht aus:
„Im übrigen muß bei den Verurteilungen der Zeugen Jehovas berücksichtigt werden, daß diese nicht von einem totalitären Staat ohne geordnetes und berechenbares Gerichtsverfahren ergehen und die Strafen willkürlich verhängt werden."

Was insbesondere den Aspekt betraf, dass ein und dieselbe Person für den gleichen Tatbestand mehrmals verurteilt wurde, wird dann vom Gericht ausgeführt:
„Vielmehr sehen sie (die türkischen Gerichte) in den neuerlichen Verstößen gegen Strafvorschriften eine neue Tat im Sinne des Straf- und Strafprozeßrechts. Eine solche Strafpraxis ist aber durchaus geordnet, berechenbar und nicht willkürlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Sie entsprach im übrigen ein Jahrzehnt lang der Rechtsprechung deutscher Strafgerichte gegenüber den Zeugen Jehovas.

Sie hatte seinerzeit zu zahlreichen und mehrmaligen Verurteilungen der Zeugen Jehovas wegen wiederholter Nichtbefolgung einer Einberufung zum zivilen Ersatzdienst geführt. Diese Rechtsprechung fand ihr Ende erst, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 7. 3. 1968 … feststellte, daß in solchen Fällen "dieselbe Tat" i. S. d. Art. 103 Abs. 3 GG vorliege und Mehrfachbestrafungen für unzulässig erklärte.
In dieser langjährigen, vom Bundesverfassungsgericht letztlich verworfenen Rechtsprechung der deutschen Strafgerichte kann man sicherlich keine politische Verfolgung durch den deutschen Staat sehen."


ZurIndexseite