Re: Notiert aus der Sendung Nachtcafe


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 25. März 2006 15:55:38:

Als Antwort auf: Re: Sabine M... und andere geschrieben von + am 18. März 2006 10:51:51:

Anrede des Moderators:
Sabine M..., waren Sie bei einer Vereinigung, die die Grenzen nicht mehr eingehalten hat?
Sie waren lange Jahre bei den Zeugen Jehovas. War da der Schritt zum Wahn schon überschritten?
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Antwort:
Sie würde jetzt spontan sagen: Die Grenzen wurden nicht einfach nicht eingehalten, sondern zu eng gesteckt. Man wurde in eine Form gepresst über Jahre, Jahrzehnte, die das einfach Mensch sein, einfach nicht mehr möglich sein ließ. Das sei speziell in ihrem Falle so, weil sie praktisch von Kindesbeinen mit diesen Lehren konfrontiert war....
Man hat früher immer das Gebot gehört, Du sollst Vater und Mutter ehren, und sie hat im stillen dann vielfach gedacht: Wo bleibt denn meine Ehre? Und hat sich dabei aber auch schon wieder schuldig gefühlt.
Und bei dem Satz "wieder schuldig gefühlt" kann der Herr Terwitte sein breit grinsendes Lächeln nicht verkneifen.
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Wohl im Bewusstsein dessen, dass das schüren von Schuldkomplexen ja auch mit zu seinem "Berufseinmaleins" gehört. Und das muss man wohl sagen. Eben nicht "nur" bei den Zeugen.

Was sie (Sabine M...) heute als Problem ansehen würde wäre, dass sich die Religionen alle auf ein Buch berufen, dass irgendwann von irgendwelchen Leuten mal geschrieben wurde.
Der Grundgedanke der Nächstenliebe zum Beispiel, im Christentum, das befürwortet sie ja eigentlich; nur: Alles was darum herumgebaut wird, ist das, was die Menschen letztendlich in den Wahn treibt. Zum Beispiel in solchen Sekten wie den Zeugen Jehovas, weil die Grenzen so eng gesteckt werden, dass man einfach entweder darüber hinaus wachsen muss, um wieder Mensch zu sein, oder aber man muss sich vollkommen anpassen, um dort zurecht zu kommen.

Auch bei der letzten Aussage "um dort zurecht zu kommen", ist aus meiner Sicht des Mienenspiel des Herrn Terwitte aufschlussreich. Konnte er sich doch wohl nicht ganz des Eindruckes erwehren, beim eben ausgeführten, in einen Spiegel gesehen und sich selbst darin vorgefunden zu haben.
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Er kenne kaum ein Buch aus der Weltliteratur, dass so von grenzenlosen Sadismus geprägt sei wie die Offenbarung des Johannes, so ein "Nachlegevotum" von Schmidt-Salomon, nachdem er schon vorher - zur allgemeinen Erheiterung beitragend - seine Aussagen mit konkreten Bibelstellen belegte.
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Ein Christentum ohne Hölle und Teufel sei in etwa vergleichbar mit einem Elfmeterschießen ohne gegnerische Mannschaft. Ein weiterer Satz des Genannten, den wie kaum anders zu erwarten der "Vorzeigechrist" Terwitte nicht gelten lassen will. Nicht aus sachlichen Gründen; aber wohl weil er richtig mitbekommen hat, das solche Sätze sich für Seinesgleichen als "Imageschädigend" erweisen. Und da kann natürlich nicht sein, was nicht sein soll.
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Schmidt-Salomon meint weiter, die Menschheit habe ein Problem. Das Problem der "halbierten Aufklärung"
Auf der einen Seite sind wir technologisch im 21. Jahrhundert; aber die Weltbilder seien von archaischen Mythen geprägt. Dieses Zusammenspiel von höchstem technischen Know how und naivsten Kinderglauben, Beispiel Iran; das könne auf die Dauer nicht gut gehen.
Man würde sich so verhalten, als würde man Fünfjährigen die Verantwortung über einen Jumbojet übertragen.

Danach wurde gezielt die Sabine M... bezüglich ihrer Erfahrungen angesprochen.
Als sie drei Jahre alt war, wurden die Eltern Zeugen Jehovas, was selbstredend sich dann auch in der Erziehung niederschlug.

Dazu mal ein charakteristisches Zitat. Es war in der Sendung nicht verwandt. Dennoch scheint es mir die Sachlage zutreffend zu beschreiben.
In dem 1956 in Deutsch herausgekommenen WTG-Buch "In Einheit miteinander predigen", das nur an getaufte Zeugen Jehovas gegen namentliche Unterschrift abgegeben wurde, heißt es in einem Passus etwa:

"Eltern mögen ihre Kinder in den Felddienst mitnehmen, doch wenn die Kinder am Predigen der Botschaft kein Interesse haben, sondern einfach mitgehen, weil sie müssen, sollte man sie nicht als Verkündiger melden. Jugendliche Verkündiger können Felddienstberichte abgeben, sofern sie verstehen, was sie tun, und den Wunsch bekunden, diesen Dienst zu verrichten, weil sie erkennen, daß Jehova ihn getan haben will.

Eltern sollten ihre Kinder selbst in den Felddienst mitnehmen und diese Verantwortung nicht anderen Verkündigern auferlegen. Sie sollten stets daran denken, daß wir in den Felddienst gehen, um die gute Botschaft zu predigen, und daß uns in diesen Dienst nur solche begleiten sollten, die mitzugehen wünschen. Die einzige Ausnahme wäre im Falle von Eltern, die ihre eigenen Kinder mitnehmen, weil das zu ihrer Verantwortung gehört. Wenn Jugendliche am Dienst teilnehmen möchten und der weiteren Schulung bedürfen, so ist es vollkommen richtig, daß sie mit anderen Verkündigern ausziehen, die ihnen gerne behilflich sind, an Reife zuzunehmen."

Auch wenn man der Verklausuliertheit dieser Ausführungen Rechnung trägt, ist doch wohl die Tendenz unverkennbar, dass den Jugendlichen keine echte Entscheidungsmöglichkeit zugebilligt wird. Sie müssen mit in den Predigtdienst via ihrer Eltern, "weil das zur Verantwortung der Eltern gehöre."

Spielt sich das alles, durch die eingeschliffenen Mechanismen, ohne offenen Aufruhr ab, umso besser. Aber auch vorhandene Widerspenstigkeit ist letztendlich kein für die WTG akzeptabler Grund. Die müsse dann halt eben mehr oder weniger "taktvoll" ausgetrieben werden.

Auch dieser Sabine M... blieb dieses Schicksal nicht erspart.
Als die Zeit reif war, wo üblicherweise die Berufsausbildung für Jugendliche ansteht, bewirkten diese Mechanismen in ihrem Fall, dass sie als ungelernte Kraft gleich halbtags in einem Hotel als Zimmermädchen zu arbeiten anfing. Halbtags auch deshalb, weil so ihr der von der WTG absolut favorisierte Pionierdienst nur möglich wurde.

Eine echte "Erfüllung" indes, fand sie je länger, je mehr, in dieser Lebensform wohl nicht.

Der erste Knackpunkt kam dergestalt, als sie 19 Jahre und zusammen mit einem älteren "Bruder" - ohne "Anstandswauwau" in einer Gaststätte sich einen angenehmen Tag mal gönnte. Irgendwie funktionierten die WTG-Spitzel "perfekt". Schon anläßlich der nächsten regulären Zusammenkunft, wurde sie im Anschluss daran, vor ein de facto Ausschlusskomitee ob dieses "Verbrechens" gestellt.

Letztendlich bewirkte diese Erfahrung ihr Abrutschen aus den WTG-Geleisen. Das Pendel "schlug jetzt um". Jetzt begann sie wohl einen tatsächlichen losen Lebenswandel, den es davor nicht gab. Erst nach der Geburt ihres ersten Kindes hat sie sich, aufgrund der damit verbundenen Pflichten als Mutter wieder gefangen. Sie deutet an, insgesamt drei Kinder nunmehr zu haben. Echte "Lebenshilfe" erfuhr sie in diesen Situationen nicht. "Nächstenliebe" ein Papierbegriff, jedenfalls soweit es die Zeugen betrifft.

Solange sie eine leistungsfähige Pionierin für die WTG war, hatte sie für die einen gewissen Wert. Jetzt aber wurde die "heiße Kartoffel" fallengelassen. Das nachträgliche Reflektieren über diese Umstände bewirkte letztendlich auch die Bereitschaft, ihre Individualprobleme, die letztendlich WTG-Religionsbedingt mit verursacht sind, auch via Fernsehen, öffentlich zu machen. Sicherlich gibt es genügend andere, die ähnliches Erlebten. Vielleicht aber nicht unbedingt den Weg der Fernsehöffentlichkeit einschlagen.

Die sich da ansonsten in den Fernseh-Talkshows "tummeln", sind doch eher "Typen" der Art wie Terwitte, meinetwegen auch Schmidt-Salomon. Sabine M... ist von ihrer Biographie her nicht unbedingt der "Typ" der auch dafür in Betracht kommt. Indem sie diese Schwelle überschritt wiegt ihre Anklage, im Vergleich zu dem "Sonntagsredner" Terwitte doppelt.
"Beiläufig" erfahrt man auch noch, dass Sabine M... in diesen Krisensituationen auch noch zwei Selbstmordversuche hinter sich hat. Das überrascht zwar einerseits überhaupt nicht, verdient es aber durchaus als wesentliches Charakteristikum der WTG-Religion, mit festgehalten zu werden.

Was sei das zentrale der Zeugen Jehovas-Religion, wird sie gefragt, verbunden mit der Bitte, diese Antwort doch in möglichst kurzer prägnanter Form abzufassen.
Ihre Antwort:
"Da fällt mir zuerst das Wort Leistung ein. Leistung bringen und Angst".
... "Man war als Kind schon gezwungen sich wie ein Erwachsener zu benehmen. Ich hatte eigentlich nie die Chance Kind zu sein."
"Das war wirklich naiv zu denken (die Sache mit dem Gaststättenbesuch). Zeugen Jehovas bringen kein Vertrauen entgegen."
Die Folgen. "Das ich sozial auf sehr schwachen Füßen stand erstmal. Das was ich vorher kannte, das gab's nicht mehr und was es gab, dass kannte ich nicht. Und damit muß man erst mal klarkommen ..."
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