Danziger Fischmarkt


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 06. März 2006 07:53:33:

Wenn man so will, lässt sich die durchaus charakteristisch zu nennende Erziehung zum Außenseitertum seitens der Zeugen Jehovas, schon im Naziregime nachweisen. Der dortige Kontrast bestand insbesondere in den Staatsvergötzungstendenzen des Naziregimes kontra den Ansprüchen der Zeugen Jehovas, allein nur Vergötzung der eigenen Art, durchzuführen. Auch da wurde dieser Konflikt schon auf dem Rücken der Kinder ausgetragen.
Ein Beispiel dafür liefert Hermine Schmidt in ihrem Erinnerungsband „Die gerettete Freude" wenn sie da etwa schreibt:

„Diese Stunden und diese Erlebnisse aus frühester Kindheit, die kann ich nicht vergessen. Die Narben sitzen zu tief in meiner Seele. Auch wenn sie an der Oberfläche sicherlich geheilt erscheinen. Ich denke da an eine Begebenheit von vielen. Es war der jährliche große Elternabend in der großen Festhalle unserer Schule. Mein Vater, meine Schwester und ich waren inmitten der großen Menge. Wir hätten es wissen müssen! Das 'Deutschlandlied' und das 'Horst Wessel-Lied' wurden gesungen. Und damit befanden wir uns in einem nicht enden wollenden Spießrutenlauf. Wir drei nun in der Menge, ohne die Hand zu heben, ohne mitzumachen, ohne mitzusingen. Einer allein, der kann dann eher unbemerkt bleiben. Aber drei beieinander, das musste auffallen. Und die beiden Lieder nahmen und nahmen kein Ende. Ich hatte Beine wie Gummi und kämpfte mühsam gegen das Umfallen.

Mein Vater wollte mich doch so gerne in der Hauptrolle einer Theateraufführung erleben, die zu diesem Anlass gezeigt werden sollte. Aber diese Freude war ihm nun gründlich verdorben. Er kam nie mehr zu diesen Festen, diesen immer sehr groß aufgezogenen Elternabenden,wo dann einige hundert Eltern die Halle füllten. Meine Mutter kam ohnehin nicht mit.

Dieses Mal stellten wir das Leben auf dem Danziger Fischmarkt dar. Mit echten Fischkiepen auf dem Rücken, dazu tolle Kostüme. Mit großer Sorgfalt ausgewählt. Monatelang wurde geprobt, bis die Tänze und jedes Wort perfekt saßen. Die dabei mitmachen durften, wurden viele Wochen lang für diese Proben stundenweise vom Unterricht befreit. Später hatte mich Fräulein Wölk, unsere Tumlehrerin, am Danziger Staatstheater angemeldet. Sie wollte mich unbedingt dort unterbringen. Am liebsten im Ballett.

Aber da hatte sie nicht mit meiner Mutter gerechnet, die mir das liebevoll ausredete. Papa merkte wenigstens, wie schwer mir dieser Verzicht fiel. .... Es hieß auch verzichten, als mir beim Abschluss der vierten Grundschulklasse zum ersten Mal 'Freischule' angeboten wurde. Nur zwei Schülerinnen von insgesamt vierzig wurden für die höhere Schule vorgeschlagen, ohne das Schulgeld zahlen zu müssen. Damals war der Besuch einer höheren Schule mit allerlei Kosten für die Eltern verbunden. Aber das war ja nicht der Grund bei uns, daran lag es nicht. Diese schulischen Möglichkeiten erhielt ich später noch dreimal und das wurde zum Teil recht unangenehm. Da ich keine Kompromisse einging, war das immer eher ein Verhängnis und keine Freude. Es verbot sich von selbst, diese Angebote anzunehmen.

Trotzdem war ich verständlicherweise sehr traurig darüber. Turnen, also Körperübungen konnten mich wirklich begeistern. Da war zum Beispiel dieses sehr groß aufgezogene Sportfest, an dem alle Schulen Danzigs teilnahmen. Dafür wurde natürlich besonders geübt. Einmal gab es auf dem großen Schulhof so eine Art Generalprobe. Es waren alle Klassen vertreten. Da nahmen sie ausgerechnet mich als Vorturnerin. Im ersten Augenblick machte mich das natürlich richtig stolz und ich gab auch mein Bestes. Denn Übung hatte ich ja vom Strand in Zoppot, da waren wir alle fast zirkusreif. Mein Kreuz war tatsächlich wie Gummi und mein Vater hätte mir besser den Hintern versohlen sollen, als noch ganz stolz Aufnahmen zu machen, vom Spagat, ganz verrückten Brücken oder wenn ich im Stehen oder im Liegen die Fußspitze mit Leichtigkeit zum Hinterkopf brachte. Das alles machte mir einen riesigen Spaß, dort in Sonne und Wind, ganz frei in Zoppot.

Aber schon als ich hier auf dem Schulhof von diesem Tisch wieder hinuntersprang, da wusste ich, dass ich dieses Schulfest auf keinen Fall mitmachen würde. Da war ich krank, da war ich verreist, oder irgendetwas musste auf dieser schriftlichen Entschuldigung stehen und erfunden werden. Der wahre Grund konnte und durfte nicht darauf stehen. Schon um den Lehrer nicht herauszufordern, der den Grund kannte."


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