Re: Gesprächsbeauftragte


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 31. Oktober 2001 11:34:56:

Als Antwort auf: Re: Wachtturmgesellschaft - instrumentalisiertes Werkzeug der CIA ?! geschrieben von D. am 28. Oktober 2001 13:21:03:

"Gesprächsbeauftragte" heisst das Zauberwort der katholischen Kirche in der ehemaligen DDR, wenn sie insistierend darauf angesprochen wird, dass es auch in ihren Kreisen solche gab, die die Stasi mißbrauchen konnte. Die evangelische Kirche versuchte es mit totschweigen. Und wo das nicht gelang wie beim Fall Stolpe, mit der Vorführung von sogenannten "Entlastungszeugen" die sich allesamt als genauso belastet erwiesen wie Stolpe selbst. Da waren die katholischen Bischöfe "pfiffiger". Aus heutiger Sicht missliebige Stasikontakte werden von ihnen als "Gesprächsbeauftragung" schöngeredet. Was nicht die Wahl der entsprechend ausgesuchten Vokabel alles bewirken kann!
In einer Mailingliste für historisch Interessierte wurde jetzt rezensiv ein neueres Buch zum Thema Stasi und Kirchen vorgestellt. Ich warte allerdings noch auf den Tag, wo mal auch eine Monographie unter der Arbeitsüberschrift "Die Gesprächsbeauftragten der Zeugen Jehovas zur Stasi" erscheint. Wahrscheinlich werde ich wohl weiter warten müssen bis auf unabsehbare Zeit. Schweigen ist offenbar in diesen delikaten Dingen immer noch für die WTG das kleinere Übel.
Nachstehend mal diese Rezension bezüglich der katholischen Kirche.


Kösters, Christoph: Staatssicherheit und Caritas 1950-1989. Zur
politischen Geschichte der katholischen Kirche in der DDR, Paderborn
u.a.: Schöningh 2001, 228 S., ISBN: 3-506-74792-4, DM 29,90.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Goertz, Joachim
...

Als 1991 das schon im Titel irritierende Buch von Gerhard B.... und
Stephan Wolf "Pfarrer, Christen, Katholiken" <1> erschien, ging ein
Aufschrei vornehmlich durch die evangelische Christenheit in
Deutschland, hatten doch die Autoren die evangelischen Kirchen in der
DDR in der Nähe der Kumpanei zum SED-Staat geortet.

Vergleichsweise unaufgeregt lief die öffentliche Debatte über das
Verhältnis der katholischen Kirche in der DDR zum SED- Regime. Zwar
wurden einzelne Fälle von Verstrickungen kirchenleitender
Persönlichkeiten mit dem Staatssicherheitssystem der DDR bekannt, aber
sie wurden in der breiten Öffentlichkeit entweder als von den
jeweiligen Bischöfen gedeckte Gesprächskontakte wahrgenommen oder als
insgesamt irrelevant für das grundsätzlich distanzierte Verhältnis der
katholischen Kirche in der DDR zur politischen Macht in ihr angesehen.
Auch sind keine spektakulären Fälle bekanntgeworden, in denen
Verstrickte dienst- oder arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen
hatten. Diese Zurückhaltung hing sicher auch mit dem vergleichsweise
geringeren Einfluß der katholischen Kirche auf die politischen
Entwicklungen in der DDR zusammen - schon allein aus demographischen
Gründen.

Nachdem im Laufe der neunziger Jahre erste Expertisen <2>,
Tagungsbeiträge <3> und Überblicksdarstellungen <4> erschienen, in denen
auch das Verhältnis von Caritas und Staatssicherheitsdienst berührt
wurde, hat sich Christoph Kösters der verdienstvollen und überfälligen
Aufgabe gestellt, dieses Verhältnis nun näher zu beleuchten und auch in
den Kontext der Kirchenpolitik der katholischen Kirche in der DDR
einzuordnen. Christoph Kösters hat sich schon als Herausgeber des
Sammelbandes "Caritas in der SBZ/DDR 1945-1989" <5> profiliert - eine
Arbeit, die offensichtlich parallel zu der hier vorgelegten Studie
entstanden ist. Diese Studie ist das Ergebnis eines Forschungsprojektes,
das zwischen 1997 und 1999 gemeinsam vom Deutschen Caritasverband und
der Kommission für Zeitgeschichte durchgeführt wurde.

In fünf unterschiedlich gewichteten Abschnitten nähert sich Kösters den
Konfliktlinien von Caritas und Staatssicherheit in der DDR. Nachdem er
in Abschnitt I den Grundkonflikt zwischen Caritas und sozialistischer
Diktatur beschreibt, unternimmt er in Abschnitt II eine äußere
Bestandsaufnahme von Überwachung und konspirativer Durchdringung der
Caritasführung. Der Abschnitt III bildet den Schwerpunkt seiner Studie
und beschreibt die "Phasen und Spannungslinien in der Geschichte von
Staatssicherheit und Caritas". Kösters sieht drei Phasen in dieser
Geschichte und benennt sie als 1. Gewaltsame Repression (1950 - 1961),
2. Pragmatische Koexistenz (1961 - 1968) und 3. Partielle Kooperation
(1968/71 - 1989). Eine zusammenfassende Bewertung (IV) und ein Ausblick
auf die Forschungsperspektiven (V) beschließen diese Studie.

Er läßt aber schon am Beginn seiner Einleitung erkennen, wie er die
Aufarbeitung der Stasiverstrickung in den Kirchen einordnet: "Zehn Jahre
nach dem Fall der Mauer ist das Thema 'Kirchen und Staatssicherheit'
weitgehend aus dem Rampenlicht der öffentlichen Debatte herausgerückt
und zu einem Gegenstand vorwiegend der wissenschaftlichen Forschung
geworden. Nicht die vorschnelle 'Entlarvung' von Inoffiziellen
Mitarbeitern, sondern die umfassende historische Auseinandersetzung mit
diesem besonderen Kapitel [...] steht im Mittelpunkt einer notwendig
versachlichten Diskussion." (Seite 11). Der Rezensent kann den zweiten
Satz nicht teilen, suggeriert er doch, dass Anfang der neunziger Jahre
'vorschnelle Entlarvungen' im Vordergrund standen. Die Überführung von
Wolfgang Schnur und Manfred Böhme, die Entwicklungen der Fälle Lothar de
Maiziere und Manfred Stolpe und anderer im Umfeld der Kirchen Tätiger
lassen aber ein differenzierteres Bild entstehen.

Auch scheint Kösters nach seinen umfangreichen Studien der MfS-Akten
(siehe Quellenverzeichnis, Seite 203f) zu keinem anderen Ergebnis bei
der Bewertung der Zuverlässigkeit der MfS-Überlieferung zu kommen als
sein Kollege Bernd Schäfer, auf dessen Kriterien der Einordnung der
IM-Tätigkeit er sich ebenso stützt <6>, was mir aber insgesamt nicht
schlüssig erscheint. Zwar gebrauchte auch die Staatssicherheit bei
konspirativen Kontakten gelegentlich den Begriff der "Abschöpfung",
gleichwohl ist diese qualitativ eine andere als die, wenn die
Konspiration nicht akzeptiert wurde. Auch wenn der IM keinen Bericht
gesprochen, diktiert oder geschrieben hat, auch wenn er von keinem
Decknamen wußte und keine förmliche Verpflichtungserklärung abgegeben
hat, war er doch kein bewußtloser Filter, aus dem nur etwas zu saugen
war, sondern verantwortliches Gegenüber seines "Führungsoffiziers".

Jenseits dieser Wertungen besticht diese Studie durch ihre minutiöse
Darlegung der Fakten der Geschichte und Struktur der Caritasführung in
der DDR. Besonders aufschlussreich ist dabei die Darstellung der
Kirchengeschäfte B und C mit der DDR-Regierung, in denen die Caritas und
der Bereich Kommerzielle Koordinierung unter Alexander
Schalck-Golodkowski, aber auch Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, eine
zentrale Rolle spielten. Hier und bei der Frage der
Familienzusammenführungen wäre einmal zu untersuchen, ob es auf diesem
Gebiet ökumenische Kontakte zwischen der evangelischen und katholischen
Seite gab. Die Frage, ob die Kirche beim Häftlingsfreikauf davon erfuhr,
dass die Devisen schließlich doch dem DDR- Sicherheitsapparat zugute
kamen, läßt sich jedenfalls nicht in Anmerkungen verstecken.<7>

Christoph Kösters breitet seine Forschungsergebnisse aus dem Studium
staatlicher und kirchlicher Quellen zum Gegenstand faktenreich aus. Er
beschreibt die Kontakte der maßgeblichen Caritasfunktionäre in
Ostberlin Johannes Zinke (1946-1968), Otto Groß (1968-1974), Theodor
Hubrich (1968-1974), Norbert Kaczmarek (1970-1977) zu den für die
Kirchenpolitik zuständigen staatlichen Organen auch jenseits ihrer
Funktionen für die Caritas. Die letzteren Drei wurden bemerkenswerter
Weise trotz ihrer kirchlichen Gesprächsbeauftragung als Inoffizielle
Mitarbeiter bei der Staatssicherheit geführt, was sicher nicht auf eine
großzügigere, weil erfolgsheischende Handhabung der MfS-internen
Kriterien für die IM-Registrierung durch die jeweiligen
Führungsoffiziere zurückzuführen ist. Daß Hubrich und Kaczmarek ihre
Kontakte auch weiterpflegten, als sie keinen kirchlichen Auftrag mehr
dafür hatten, erscheint mir fast zwangsläufig.

Kösters schildert anschaulich die Auseinandersetzungen vor dem Mauerbau
um den "innerdeutschen Handel", den die Caritas in Form von Geld -und
Sachspenden betrieb, er beschreibt die Schließungen der
Bahnhofsmissionen und von Kinderheimen, die von der Caritas getragen
wurden, und die Bemühungen der Caritas, ins Visier der Staatssicherheit
Geratene aus deren Fängen zu lösen. Dabei wird deutlich, daß auch in der
katholischen Kirche der Grundsatz galt, daß kirchliche Mitarbeiter ihre
Kontakte zur Staatssicherheit dem jeweiligen Vorgesetzten zu melden
hatten, um der Konspiration zu entgehen. Freilich war es spezifisch für
die katholische Kirche, dass sie jeden Gesprächskontakt zur SED aus
weltanschaulichen und politischen Gründen ablehnte und eine allgemeine
Gesprächsbeauftragung mit dem MfS durch den Bischof praktizierte.

Insgesamt läßt sich dem Resümee von Kösters zustimmen, daß es der
SED-Diktatur nicht gelungen ist, die spezifische Arbeit der Caritas
entscheidend zu beeinflussen, geschweige denn zu marginalisieren. Auch
wenn manche seiner Bewertungen der MfS- Kontakte von Caritasführern sehr
wohlwollend erscheinen, hat Kösters einen wertvollen Baustein für die
Aneignung dieser bedrängenden Vergangenheit geliefert.

<1>B..., Gerhard/Wolf, Stephan, "Pfarrer, Christen, Katholiken". Das
Ministerium für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen,
2. Auflage, Neukirchen-Vluyn 1992.
<2> Pilvousek, Josef, "Innenansichten". Von der "Flüchtlingskirche" zur
"katholischen Kirche in der DDR", in: Materialien der Enquetekommission:
Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland,
Bd. VI,2, S.1134-1163, Baden-Baden 1995.
<3> Raabe, Thomas, SED-Staat und katholische Kirche 1949 bis 1989, in:
Vollnhals, Clemens (Hg.), Die Kirchenpolitik von SED und
Staatssicherheit, Berlin 1996, S. 353-370.
Haese, Ute, MfS-Kontakte auf offizieller Ebene, in: ebenda, S. 371-387.
Grande, Dieter/ Schäfer, Bernd, Interne Richtlinien und
Bewertungsmaßstäbe zu kirchlichen Kontakten mit dem MfS, in : ebenda,
S.388-404.
<4> Pilvousek, Josef, Die katholische Kirche in der DDR, in: Dähn, Horst
(Hg.), Die Rolle der Kirchen in der DDR,
München 1993, S.56-72.
<5> Kösters, Christoph, Caritas in der SBZ/DDR, Paderborn 2001.
<6> Schäfer, Bernd, "Inoffizielle Mitarbeiter" und "Zusammenarbeit" - Zur
Differenzierung von MfS-Unterlagen im Bereich der katholischen Kirche,
in: Henke, Klaus-Dietmar/Engelmann, Roger (Hg.), Aktenlage, Berlin 1995,
S.47-55.
<7> Brinkschulte, Wolfgang/Gerlach, Hans-Jörgen/Heise, Thomas,
Freikaufgewinnler, Frankfurt/M 1993.
Maser, Peter, Die Kirchen in der DDR, Bundeszentrale für politische
Bildung Bonn 2000, S. 100-104.


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