Auf gezwungene Gespräche kann sie verzichten


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 19. Februar 2006 08:23:58:

Margit Böhme ist unter unseren Interviewpartnern eine Ausnahme. Sie versteht sich zwar selbst nicht mehr als Zeugin Jehovas, ist aber noch nicht ausgeschlossen. Sie besucht jedoch schon seit längerem keine Versammlungen mehr, verrichtet auch keinen Predigtdienst und wartet auf eine Reaktion, die in nächster Zeit von den Ältesten kommen muß. Ihre Situation ist besonders schwierig, weil alle ihre Familienangehörigen aktive Zeugen Jehovas sind. Ein Ausschluß wäre für sie daher im Moment sehr schlimm, auch weil ihre Familie darunter leiden würde.

Das Rechtskomitee beschließt einen Ausschluß allerdings nicht, wenn ein Zeuge untätig geworden ist. Man müßte Frau Böhme schon "Unzucht", also eine intime Beziehung außerhalb der Ehe, nachweisen können. Frau Böhme scheut zwar im Moment eine Konfrontation, würde ihr aber auch nicht ausweichen. Angefangen hat ihre innere Distanzierung mit einer kleinen Emanzipationsgeschichte:

"... Ich bin dann umgezogen und in eine andere Versammlung gekommen. Ab dieser Zeit habe ich mich bei den ZJ nicht mehr wohlgefühlt. Das ist jetzt sieben Jahre her. Außerdem mußte ich wieder voll arbeiten gehen, meine Zeit war also knapp bemessen. Ich bin um 6 Uhr in der Frühe weggegangen und um 19.30 Uhr hundemüde heimgekommen. Man hat aber nicht verstanden, daß ich dann nicht mehr in die Versammlung komme. Ich habe mit ihnen etliche Gespräche geführt. Ich habe gesagt: Wenn ihr nicht versteht, daß ich für mich und mein Kind sorgen muß und niemandem von euch zur Last falle, ich dafür aber nicht immer in die Versammlung kommen kann, dann tut ihr mir von Herzen leid. Man hat mir diese Einstellung vorgeworfen und gesagt, daß ich weniger arbeiten soll. Ich wollte aber, wenn ich schon arbeiten gehen muß, auch genügend verdienen und bin dann sofort Filialleiterin geworden. Ich wollte natürlich einen Rang, der meinen Fähigkeiten entspricht. Das hat man mir vorgeworfen und wirft es mir heute noch vor. Und das finde ich wahnsinnig böse. Ich hätte ihnen aber genausogut zur Last fallen können. Es ist bei mir innerlich kalt und immer kälter geworden. Immer dieser Zwang, alle Zeitschriften gelesen zu haben, ich habe es einfach nicht mehr gekonnt. Es ist mir wirklich gegen den Strich gegangen. Daß ich immer gezwungen wurde, voll da zu sein. Man sollte bei den Versammlungen immer eine Viertelstunde früher da sein und nachher länger bleiben. Ich war froh, daß ich wenigstens zu spät kommen und nachher ins Bett gehen konnte. Außerdem: Wenn man nicht das Gefühl hat, mit Leuten ein Gespräch führen zu wollen, auf gezwungene Gespräche kann ich verzichten. Das habe ich auch einmal definitiv gesagt.
Ein von Eva-Maria Kaiser und Ulrich Rausch dargestelltes Fallbeispiel


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