Eine Kongreßerfahrung


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von D. am 19. Januar 2006 06:39:40:

Als Antwort auf: Schmeichelhaft, aber ungemein anstrengend geschrieben von D. am 18. Januar 2006 05:00:25:

„Zuerst mußte mein Mann einmal Urlaub bekommen. Damals hieß es immer, wenn jemand für den Kongreß keinen Urlaub bekommt, dann sollte er einfach auf »Jehova vertrauen« und kündigen. Das haben damals und auch später zahlreiche Zeugen Jehovas getan. Bei den Kongressen wurden einige solcher Erfahrungen erzählt, in denen der Betreffende nachher meist eine bessere Stelle bekommen hat, als er vorher hatte.

So einfach ist das aber nicht, besonders wenn man eine Familie zu versorgen hat. Sicher haben manche nicht gleich wieder Arbeit bekommen, doch davon wurde nicht erzählt. … So kostete die Reise doch (auch) Geld. Wir mußten uns dieses Geld immer hart zusammensparen. …
Natürlich waren auch Redner direkt von der leitenden Körperschaft aus New York anwesend. Das war bei allen großen Kongressen so. Das Stadion in Nürnberg war stets voll, egal ob die Sonne unbarmherzig brannte oder ob es regnete. Alle lauschten gespannt den Vorträgen. …

Bei solchen Gelegenheiten wurde nicht mit Geld gespart. Da zur gleichen Zeit ein großer Kongreß in Rom stattfand, pendelte die Delegation zwischen Wien und Rom hin und her. Sie übermittelten natürlich Grüße von einem Kongreß zum andern. Wir freuten uns darüber und diese Grüße wurden stets mit großem Beifall aufgenommen. Wahrscheinlich machten sich die meisten kaum Gedanken darüber, wieviel Geld dieses Hin- und Herreisen kostete.

Der psychologische Effekt der großen Masse verfehlte auch bei uns nicht seine Wirkung. Wir sahen, daß wir nicht allein, waren, daß andere mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten wie wir. …
Wir hatten drei Kinder im Alter von einem, zwei und sechs Jahren. Es herrschte große Hitze und im Stadion brannte die Sonne unbarmherzig auf den Beton. Soweit ich mich erinnere waren mehr als 30.000 Personen anwesend. Für uns war das ein schwieriger Kongreß. Das Programm dauerte abends fast bis 22 Uhr. Meist begann es schon um neun Uhr Vormittag. Es waren ja, wie immer bei großen Kongressen, auch Männer aus der leitenden Körperschaft da, die Vorträge hielten. Diese Vorträge wurden immer in Englisch gehalten und nebenbei ins Deutsche übersetzt, auch wenn der Redner deutsch gekonnt hätte. …

Mit kleinen Kindern, wie wir sie hatten, den ganzen Tag bis in die Nacht bei dreißig Grad Hitze im Stadion zu sitzen ist eine Strapaze. Aber für uns war das selbstverständlich, wie für die anderen auch. Noch dazu durfte man nirgends mit einem Kinderwagen hinein, damit die Gänge nicht versperrt wurden. Auf dem einzigen Platz, wo man mit dem Kinderwagen hin durfte, waren keine Sitzgelegenheiten und außerdem zog es ganz furchtbar. So hatte jeder von uns stets ein Kind am Arm und der größere war noch so mit. Bei solchen Menschenmassen muß man auch immer aufpassen, denn ein Kind ist schnell verloren, wenn man es aus der Hand läßt. Zusätzlich hatten wir natürlich auch noch die Tasche voll mit Bibeln, Liederbüchern, Windeln, Thermosflaschen, Babyflascherln und all den anderen Dingen, die man braucht, wenn man kleine Kinder mithat und den ganzen Tag nicht nach Hause kommt. Das Auto war natürlich ein ganzes Stück vom Stadion entfernt geparkt und man mußte alles tragen.

Die Kinder waren bald alle schrecklich übermüdet, denn es wurde jeden Tag fast elf, bis sie ins Bett kamen. Es war auch nicht einfach im stockdunklen Zelt die ohnehin schon erschöpften Kinder ins Bett zu bringen.
Wir hatten damals noch keine Papierwindeln, und so mußte ich jeden Morgen vor dem Programm noch die Windeln waschen, damit ich sie am nächsten Tag wieder hatte.
Einmal war ich wirklich an einem Tiefpunkt: Als uns die Getränke ausgingen, und ich mich an einem Stand anstellen mußte, um den Kindern etwas zu trinken zu kaufen. Es war eine lange Schlange. Die Kinder waren ohnehin schon sehr unruhig. Ich stand etwa eine Viertelstunde in der prallen Sonne in dieser Schlange, aber es würde noch eine ganze Weile gedauert haben bis ich drangekommen wäre. Es machte auch niemand Anstalten, mich etwa mit den Kindern vorgehen zu lassen. Da gab ich es auf. Ich ging in eine Toilette und holte eine Flasche Wasser. Damals hab ich heimlich geweint, weil mir die Kinder leid taten und weil ich selber schon so fertig war.

Mit Mühe konnte ich meinen Mann davon überzeugen, daß wir einmal einen Nachmittag das Programm versäumen und die Kinder schlafen lassen mußten. Wir machten auch einen erholsamen Spaziergang durch den Laxenburger Park im Schatten der alten Bäume und erholten uns auch wirklich etwas. Am Abend aber waren wir wieder im Stadion."
Gelesen in dem Buch von Barbara Waß „Leben in der Wahrheit. 12 Jahre Zeugin Jehovas"


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