Geschrieben von D. am 06. Januar 2006 04:04:11: Als Antwort auf: Sogenannter
Zivildienst, in Russland geschrieben von Drahbeck am 23. September 2005 21:13:49:
Zivildienst in Russland: Keine echte Alternative
Seit zwei Jahren können junge Russen einen "Zivilen Alternativen Dienst"
absolvieren. Die Bilanz ist kläglich: nur sehr wenige entscheiden sich für diesen Weg.
Eine DW-Reporterin hat einen von ihnen getroffen.
Stanislaw Gazarian geht über den Flur im Pflegeheim Nr. 1 in Sankt Petersburg. Vor dem
Fahrstuhl plaudern drei alte Frauen. Als sie den jungen Mann im blauen Kittel sehen,
reißt eine die Arme hoch, juchzt vor Begeisterung. Da sei er ja, der junge Künstler. Wie
der immer die Tabletts mit dem Essen hereintrage! Wie eine Ballerina! Stanislaw lächelt.
Seit Juni absolviert er seinen Zivildienst in dem Pflegeheim, wäscht die Alten, leert
Bettpfannen, wechselt Wäsche, teilt Essen aus. 40 Bettlägerige betreut er. Stanislaw
betritt eines der Zimmer. Vier Frauen sitzen dort auf einfachen Metallbetten zwischen
Lumpen. "Das Zimmer hier geht noch", sagt Stanislaw, "Die Leute halten es
selbst einigermaßen sauber. Andere sind schlimmer. Besonders der Geruch ..."
Motiv: religiöse Überzeugung
Stanislaw ist 21 Jahre alt, die nackten Füße stecken in Filzpantoffeln. Er kommt aus
einer Kleinstadt in Südrussland, etwa 2.000 Kilometer von Sankt Petersburg entfernt. Für
den Zivildienst hat er sich aus religiöser Überzeugung entschieden. Er ist Zeuge
Jehovas. Die Arbeit im Pflegeheim sei zwar schwer, sagt er, aber immer noch besser, als
eine Waffe in die Hand zu nehmen: "Ich habe zuhause auf dem Bau gejobbt. All der
Staub, Schmutz und Zement - das war eine sehr schwere Arbeit. Körperlich ist es für mich
deshalb hier nicht schwer, aber seelisch. In der ersten Zeit konnte ich nicht einmal
einschlafen. Ich habe abends von dem Elend hier geträumt. Inzwischen macht mir das nichts
mehr aus, ich habe mich wohl daran gewöhnt. Einige Bewohner verstehen nicht, warum ich
hier arbeite, manche sagen sogar: Wärst du doch besser in den Krieg gegangen... Das
kränkt mich natürlich, denn ich finde, ich habe viel geopfert: Ich bin von meinen Eltern
weggegangen, ich mache hier diese Arbeit, und dann verdiene ich hier auch noch weniger,
als ich auf dem Bau verdient habe."
Unzumutbare Bedingungen
Zurzeit gibt es in Russland nur sehr wenige Zivildienstleistende. Die Angaben schwanken
zwischen 500 und 1.000. Für das riesige Land eine gerade zu verschwindend geringe Zahl.
Grund dafür sind die Bedingungen, die von vielen als unzumutbar empfunden werden -
insbesondere die Dauer des alternativen Dienstes von dreieinhalb Jahren - fast doppelt so
lange, wie der zweijährige Armeedienst. Außerdem haben die Zivis in der Regel keinen
Einfluss darauf, an welchen Ort und in was für einen Betrieb sie geschickt werden,
erzählt Stanislaw: "Mein Freund absolviert seinen Alternativen Dienst in Rybinsk.
Dort bekommt er 600 Rubel, das sind etwa 20 Dollar, und davon muss er noch 10 Dollar für
Verpflegung abgeben. So bleiben ihm 10 Dollar Taschengeld im Monat. Ich habe ihn gefragt,
wie er damit über die Runden kommt. Er hat gesagt: Was bleibt mir anderes übrig? Er hat
sich damit abgefunden. Ich bin in einer besseren Situation, ich bekomme etwa 100 Dollar im
Monat. Es ist also nicht alles schlecht. Ich weiß, dass einige meiner Glaubensbrüder in
Rüstungsfabriken geschickt wurden. Ihnen hat ihr Gewissen nicht erlaubt, dort zu
arbeiten. Sie haben sich geweigert und sind nachhause gefahren. Einige wurden zu
Geldstrafen verurteilt."
Zivildienst verfassungswidrig?
Russische Menschenrechtsorganisationen meinen, der Zivildienst stelle in seiner jetzigen
Form gar keine echte Alternative dar und verstoße damit gegen die Verfassung. Sie wollen
deshalb gegen das Gesetz klagen. Andrej Kalich vom Moskauer "Zentrum für die
Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten" sucht deshalb händeringend nach
einem Zivi, der bereit ist, seinen Namen für eine solche Klage herzugeben. Doch das ist
schwer. Andrej Kalich erklärt: "Die Leute sind nicht bereit, ihre Rechte in einem
Gericht zu erstreiten. Man muss wirklich dafür reif sein und sehr starken Willen haben
dafür, sich verteidigen zu können. Ein anderes Problem ist natürlich, dass es nur ganz
junge Leute sind, 18, 19 Jahre alt, und dass sie auch aus religiösen Gründen kommen. Zum
Beispiel für Zeugen Jehovas ist der Zivildienst eine Prüfung. Dass sie auch leiden
müssen."
Stanislaw ist trotz allem zufrieden mit seinem Dienst. Er habe einfach Glück gehabt,
sagt er: "Unter uns: Petersburg ist eine der besten Städte, in die man als Zivi
geschickt werden kann. Vielleicht bleibe ich in Petersburg, wenn ich hier Arbeit finde und
genug verdiene, um eine Wohnung zu mieten. Auf jeden Fall fahre ich erst einmal nach Hause
und berate mich mit meinen Eltern."
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www.dw-world.de/dw/article/0,2144,1848045,00.html
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