Herr Knöller, sind Sie ein 'Gesalbter'?


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 25. November 2005 06:47:12:

Horst Knaut interviewt den Stadtdiener (Aufseher) vom München
Zitiert aus dem Buch "Propheten der Angst"

'Eine Frage, Herr Knöller, sind Sie auch ein Gesalbter?'
Herr Knöller weiß, daß ich gerade aus Wiesbaden komme. Er schaut mich zuerst etwas erstaunt an, dann antwortet er ein wenig verschmitzt auf meine Frage:
'Nein, ich bin kein Gesalbter!'
'Würden Sie denn gern ein Gesalbter sein?'
'Ach, wissen Sie', meint Herr Knöller, 'die Hoffnung, einmal auf Erden ewig zu leben, ist ja auch etwas schönes. Der normale Mensch will ja gar nicht in den Himmel kommen. Er möchte in Ruhe, Frieden, in Gesundheit und Gerechtigkeit auf Erden leben und arbeiten.'

Es gebe doch aber leitende Mitbrüder, sage ich zu Herrn Knöller, die sich zur kleinen Herde der Gesalbten zählen würden. Könne man sich denn einfach selbst zu dieser kleinen Schar zählen, frage ich.
'Ja, das geht.'
'Und wie geht so etwas?'
'Nun, sie müssen halt sicher sein, daß sie himmlische Hoffnungen haben', antwortet Herr Knöller, und ich meine, dies tut er wieder ein wenig verschmitzt.
'Und wie bekommt man die Sicherheit auf himmlische Hoffnungen?', frage ich weiter.
'Das geschieht durch den Heiligen Geist.'
'Wie bitte?'
'Ja, nach einer Selbstprüfung spürt man das.'
'Man spürt das?'
'Ja, man spürt es, ob man himmlische oder irdische Hoffnungen hat.'
Aha, so ist das also. Und Herr Knöller gibt sich mit nur irdischen Hoffnungen vollauf zufrieden.

Diese Zufriedenheit paßt zu Helmut Knöller, obwohl er eigentlich auch zu jener Privilegiertenschar gehört, die das 'gewisse Gefühl' schon erfahren hat, dies auch kundtut und sich auf überirdische Aufgaben präpariert.
Knöller gehört auch zu jenen altgedienten und leitenden 'Zeugen Jehovas', die ihres Glaubens wegen im Dritten Reich unter Verfolgung gestanden hatten. Im Vergleich mit Konrad Franke war er damals jedoch noch ein Spund. Als er neunzehnjährig 1940 seine Einberufung zum Reichsarbeitsdienst erhielt, fuhr er auch hin zur RAD-Abteilung nach Liedolsheim bei Bruchsal. Aber ohne Persilkarton, ohne Zahnbürste. Er hatte nämlich vor, gleich wieder heimzufahren, aber an Ort und Stelle des Wirkens Satans wollte er zuvor die Erklärung persönlich abgeben: 'Ich bin ein Christ, und der Dienst bei Ihnen läßt sich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren!'

Diese Erklärung gab er ab. Der Oberstfeldmeister der RAD-Abteilung hörte sie sich auch an und sagte nur: 'Komm, Junge, geh erst mal schlafen. Morgen reden wir noch einmal.'
Aber auch am nächsten Tag blieb Helmut Knöller bei seiner Erklärung.
Drei Tage später wurde Helmut Knöller bei der Gestapo in Karlsruhe vernommen. Er blieb bei der Dienstverweigerung. Und somit blieb er in Schutzhaft. Zunächst kam er ins KZ Dachau, dann nach Sachsenhausen, von dort in ein Lager nach Frankreich, schließlich nach Österreich.

Nach seiner Befreiung 1945 durch die US-Truppen suchte Knöller sofort Kontakt mit seinen Jehova-Brüdern in Deutschland. Bei der westlichen Zentrale in Wiesbaden-Dotzheim übernahm er gleich die Tätigkeit eines Vollzeitpredigers mit einer Vergütung von 150 Reichsmark im Monat. Mit 150 Reichsmark und einem kleinen Spesenfonds zog er auch bald als reisender Prediger von Versammlung zu Versammlung und wirkte am Wiederaufbau der theokratischen Organisation mit. Zehn Jahre hindurch war er so in einem unermüdlichen und strapaziösen Einsatz, in dem man keine Freizeit und keine Entspannung kennt. Der Missionsdienst der 'Zeugen Jehovas' ist in bezug auf körperliche und seelische Leistungen einzigartig und steht an der Spitze aller sonstigen religiösen Missionsdienste.

Nach der überstandenen KZ-Haft und einem zehnjährigen Vollzeitmissionsdienst machten sich bei ihm erste gesundheitliche Störungen bemerkbar, so daß er beschloß, in etwas langsameren Schritten für die 'Zeugen Jehovas' tätig zu sein. In München übernahm er 1955 eine Büroarbeit als Buchhalter in einer Firma und für seine Wachtturm-Gesellschaft die Funktion eines Stadtaufsehers für die bayerische Landeshauptstadt. Der Dienst des Stadtaufsehers ist eine Sonderaufgabe:

Knöller bereitet Kongresse und Tagungen der 'Zeugen Jehovas' vor und steht für Sonderaufgaben zur Verfügung. Selbstverständlich gehört er daneben auch einer örtlichen Versammlung an, in der er als einer der Ältesten wirkt. Und selbstverständlich hat er auch seinen Predigerbezirk. Dafür bekommt er von der Wachtturm-Gesellschaft in Wiesbaden-Dotzheim nun keine Vergütung mehr, denn er steht ja nicht mehr im Vollzeitdienst. Diese Vergütung wäre auch heute immer noch äußerst minimal. Die Sätze für die Vollzeitdiener, das sind Kreisdiener, Bezirksdiener und sogenannte Sonderpioniere, sind kaum angehoben worden. Mit weniger als 300 DM müssen diese Vollzeitmissionare im Monat zurechtkommen. Wie sie das schaffen, wie sie ihre Mieten zahlen und ihr Essen, das ist vielen ein Rätsel.

Die 'Zeugen Jehovas' in den einzelnen Versammlungen, die sie aufsuchen, helfen ihnen dabei, indem sie sie zum Essen einladen und ihnen Übernachtungsmöglichkeiten anbieten. 'Die Brüder und Schwestern in Wiesbaden bekommen noch weniger. Die haben nur etwa fünfzig Mark im Monat', sagt Knöller.
'Auch Herr Franke?'
'Der hat auch nicht mehr. Dort sind alle gleich — vom einfachen Drucker bis zum Redakteur. Dafür haben dort alle freies Essen und freie Wohnung. Aber die Wohnung ist bescheiden.'

'Es gibt wirklich keine Unterschiede in der Hierarchie Ihrer großen Organisation?'
'Nein, keine. Auch Bruder Knorr, unser Präsident in Brooklyn, lebt nicht anders. Ich war selbst schon dort und habe es gesehen. Und er war auch schon bei mir, er hat hier bei mir an diesem Tisch gesessen', sagt Knöller.
An diesem Tisch mit einer Wachstuchdecke in einem Schwabinger Mietshaus sitze nun ich dem Stadtaufseher von München gegenüber.
Knöller arbeitet seit einiger Zeit nur noch halbtags als Buchhalter, denn seine organischen Gebrechen machen sich wieder bemerkbar. Knöller lebt bescheiden. Wie immer man seine Hoffnung auf ein ewiges und besseres irdisches Leben auch auslegen mag, sie ist zu verstehen. Ganz hoch hinaus wollte er noch nie, obwohl er während seiner Wiesbadener Zeit dazu sicher Gelegenheit gehabt hätte. Vielleicht fehlten ihm auch nur die nötigen Ellenbogen, und die hat er nicht.

Für mich ist er der erste 'Zeuge Jehovas', den ich treffe, der mir auf klare Fragen auch relativ klare Antworten geben kann. Und das macht ihn mir beinahe sympathisch. Er schwafelt nicht um einfachste Fragen gleich immer kompliziert herum.
'Sie haben auch Kinder?', frage ich.
'Ja, zwei. Mein Sohn ist verheiratet und arbeitete als Buchdrucker bei der Wachtturm-Gesellschaft in Wiesbaden. Jetzt lebt er bei Fulda, arbeitet dort auch als Buchdrucker, und ist nebenher natürlich als Verkündiger tätig.'
'Und Ihr ...'
'Ja, dann haben wir noch Miriam, die ist neunzehn. Sie arbeitet halbtags in einem Büro, und nachmittags macht sie Predigtdienst.'
'Macht Ihre Frau auch Predigtdienst?'
'Aber selbstverständlich, schon genauso lange wie ich.
Wir haben uns übrigens während meiner KZ-Haft kennengelernt.'
'Wie war das möglich?'

Knöller erzählt mir, wie er 1944 mit einem älteren 'Zeugen Jehovas' aus Sachsen im Konzentrationslager gesessen hatte. Der Glaubensbruder und dessen Familie waren getrennt inhaftiert worden. Er hatte aber herausbekommen, daß seine Tochter Liselotte im Gefängnis Stadelheim in Schutzhaft saß, und über geheime Kuriere war es möglich gewesen, der Tochter ab und zu Kassibergrüße zu schicken. Einmal hatte auch Knöller einen Gruß mit hinzugeschrieben. Gleich nach dem Krieg hat er Liselotte dann persönlich kennengelernt und geheiratet.

Ein tragisch-glückliches Leben zweier junger Leute nahm seinen Anfang. War es bis heute tragisch? War es glücklich? Es kommt auf den Blickwinkel an, aus dem man es betrachtet. Außenstehende sollten darüber nicht urteilen. Die Betroffenen sagen: Ja, unser Leben war bis heute glücklich und erfüllt, denn es wurde auf dem wahren Wort Gottes aufgebaut.
Nur zweimal in ihrem Leben hat sich die 'Zeugen-Jehova'-Familie Knöller etwas Außergewöhnliches gegönnt. In zwei Raten, 1953 und 1958, hat Helmut Knöller ein paar tausend Mark KZ-Entschädigung bekommen. Dafür hat er sich ein Auto gekauft, um schneller und besser zu seinem Arbeitsplatz zu kommen, freilich auch um damit zu den einzelnen Versammlungen der 'Zeugen Jehovas' im Stadtbezirk von München mit seinen Außenregionen gelangen zu können. Ab und zu fährt er mit dem Wagen seine Familie auch schon mal ins Grüne. Mit dem Rest des Geldes unternahm Helmut Knöller mit seiner Frau Liselotte so etwas wie zwei Pilgerflüge. Das Ehepaar besuchte 1953 und 1958 die Kongresse der Watchtower Bible and Tract Society in Brooklyn.

Einen langen Nachmittag sitze ich bei Helmut Knöller an dem Tisch mit der Wachstuchdecke. Knöller läßt sich Zeit für meine Fragen, aber ich weiß, daß er jetzt eigentlich Hausbesuche machen müßte. Nun wird er morgen nachmittag die versäumte Mission von heute mit aufarbeiten.

Ich frage ihn schließlich noch etwas, was die Lehre der 'Zeugen Jehovas' direkt angeht. Ich möchte wissen, ob es Berufsgruppen gibt, die einmal keine Chance haben werden, in das Tausendjährige Reich zu kommen.
'Ja, diese Berufe gibt es', sagt er, und ich habe den Eindruck, als antworte mir jetzt nicht mehr der Herr Knöller, sondern der Prediger Knöller, der alterfahrene Brooklyn-Didakt.

'Und welche Berufe sind das?', frage ich.
'Das sind alle Berufe, die die Grundsätze der Bibel übertreten, und zwar unter anderen die Tabakhändler und Tabakanbauer, die Glücksspieler und natürlich in erster Linie die Pfarrer.'
'Und für die wird es partout keine Rettung geben?'
'Doch!'
'Und wie?'
'Ganz einfach, sie müssen umsatteln. Sofort!'

Zum Schluß möchte ich noch wissen, ob sich der 'Zeuge Jehovas' Helmut Knöller eigentlich selbst als einen Sektierer betrachtet. 'Nein', sagt er, 'diese Bezeichnung tut mir auch weiter gar nicht weh.'
'Und weshalb nicht?'
'Weil ich weiß, daß es nur zwei Religionen auf der Welt gibt und sonst nichts.'

'Nur zwei?'
'Ja, nur zwei, die falsche und die wahre. Und zur wahren gehöre ich.'


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