Der Fall Hero von Ahlften


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 12. Oktober 2005 05:04:43:

Zu den erstaunlichen (in eine Fußnote verpackten) Angaben, in dem von Marcus Herrberger herausgebenen Buch zum Thema Wehrdienstverweigerung, gehört auch die auf S. 151 lesbare. Da vermengt er gleich zwei Personen für eine Zweckthese. Das liest sich dann bei ihm so:

"Auch aus der Zeit des Ersten Weltkrieges sind Verweigerer namentlich bekannt, wie z. B. Hero v. Ahlften oder Hans Hölterhoff, der von einem Militärgericht zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde."

Folgt man den Ausführungen von Herrn Wrobel an anderer Stelle, handelt es sich beim Fall Hölterhoff um einen der wenigen tatsächlichen Totalverweigerer. Wann Herr Hölterhoff das zeitlich praktizierte, lässt auch Wrobel im dunklen. Vieles spricht dafür; frühestens ab Mitte des ersten Weltkrieges. Keinesfalls jedoch schon zu dessen Anfang: denn auch das weis Wrobel. Selbst die WTG-Literatur berichtet 1915 von 350 "im Felde befindlichen".
Gemäß Wrobel befreite dann die Novemberrevolution 1918 auch Herrn Hölterhoff vom weiteren Verbüßen der Strafe.

Weitaus "interessanter" hingegen ist der zweite genannte Name. Einige Kampfschriften der Bibelforscher aus den zwanziger Jahren; etwa die berühmt-berüchtigten "Kulturfragen" des Herrn Balzereit, alias "Paul Gehrhard" weisen neben anderen Honoratiorennamen auch den seinigen auf. Es kommt aber noch "besser". Als in übereilter Hast die WTG ihre "Norddeutsche" und "Süddeutsche" Bibelforschervereinigung gründete, in der laut Satzung nur arische Deutsche Sitz und Stimme hätten; da war wiederum den Herrn v. Ahlften eine Vorstandsposten in der "Norddeutschen Bibelforschervereinigung" bestimmt.
Garbe notiert bezüglich dieses juristischen Konstrukts:

"Balzereit bestimmte den Hamburger IBV-Bezirksinspektor, Textilkaufmann Hero von Ahlften, zum Vorsitzenden, den Kieler IBV-Leiter, Polizeibaurat Dr. Max Karl, zum Kassierer und den Dresdener IBV-Leiter, Amtsgerichtsrat i. R. Dr. Alfred Mütze, zum Schriftführer".

Wäre wie der bereits genannte Herr Hölterhoff auch v. Ahlften schon zu Zeiten des ersten Weltkrieges Militärgerichtlich belangt, wäre das wohl das gefundene Fressen für die nazistischen Behörden.

Es ist nicht zu bestreiten, auch das berichtet Garbe:
"Hero von Ahlften. 1915 zur kaiserlichen Armee einberufen, verweigerte er zwei Jahre später die weitere 'Mitwirkung in des Teufels Werk'".

Rechnet man nach, verweigerte er also erst ab 1917. Offenbar hatte die Verweigerung des v. Ahlften ab 1917 jedoch nicht jene Auswirkungen wir im Falle Höltermann; denn in der Richtung wird nirgends etwas dokumentiert.

Übrigens sollte der "englische Korrespondent" von Ahlften, wie er sich selbst nannte, auch noch Bekanntschaft für sieben Wochen mit Nazigefängnissen machen (im Jahre 1934). Darüber berichtet Garbe:

"In Hamburg war im Juni 1934 der Leiter der dortigen IBV-Jugendgruppe verhaftet worden, weil er in einem Brief an das Zentraleuropäische Büro in Bern, der von der Zensurstelle Frankfurt am Main angehalten wurde, 'einige nüchterne nackte Tatsachen über Wahl-Methoden der Nationalsozialisten' geschrieben hatte. Da er für sein Schreiben die Initialen H. v. A. benutzt hatte, nahm die Gestapo auch den Vorsitzenden der am 15. Juli des Vorjahres verbotenen Norddeutschen Bibelforschervereinigung, Hero von Ahlften, für sieben Wochen in Haft."

Die Balzereit-Administration, zu der Zeit noch weiter den Schmusekurs mit den Nazis verfolgend, war über diese Wendung der Dinge nicht glücklich, und ließ ihn prompt wie eine heiße Kartoffel fallen.

Kaum war v. Ahlften jedoch wieder frei, schrieb er, der "englische Korrespondent" einen geharnischten Protestbrief an Rutherford. Aber auch die Gegenseite hielt es so.

Rutherford konnte sich anfänglich nicht so recht entscheiden, wem er denn nun recht geben solle. Offenbar war sein "salomonischer" Beschluss. Wer am aktivsten und für ihn Rutherford am überzeugendsten, die WTG-Interessen vertrete, der ist "sein" Mann. Damit neigte sich wohl auf der Rutherford'schen Waage, der Daumen zu ungunsten des v. Ahlften. Indirekt kann man dies auch darin ablesen, wenn man in der WTG CD-Rom den Suchbegriff Ahlften eingibt, und keinerlei Ergebnis geliefert bekommt.

Offenbar gehörte nun auch v. Ahlften zu denjenigen vor und nach ihm, die eine gewisse Zeit für die WTG nützlich, dann aber nicht mehr und somit auch zu Unpersonen wurden.


Das es im Ersten Weltkrieg keine wirklich konsequente Ktriegsdienstverwegerung gab, macht auch jener verklärende Bericht aus dem 1922 erschienenen Rutherford-Buch „Die Harfe Gottes" deutlich, in dem man als Fallbeispiel liest:
"In Deutschland wurden sie verfolgt und viele in die vordersten Reihen des angreifenden Heeres gestellt. Ein christlicher Mann zum Beispiel, der sich, in glaubenstreuem Gehorsam gegen das Gebot des Herrn, weigerte, Menschenblut zu vergiessen, wurde in die vorderste Angriffslinie während einer Schlacht gestellt. Auf jeder Seite war ihm ein Soldat mit geladenem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett beigegeben, mit strengem Befehl, ihn sofort zu töten, wenn er zu entweichen suche. Er selbst ging unversehrt durch die ganze Schlacht hindurch.

Der grösste Teil des Regiments wurde gänzlich vernichtet, mit Einschluss der beiden Wächter an seiner Seite. Als die Schlacht vorüber war, hatte dieser christliche Bruder nicht eine einzige Schramme, Wiederum wurde er in eine gleiche Stellung gebracht, und wiederum ging er unversehrt durch eine andere Schlacht hindurch. Er wurde dann vor Gericht gestellt, auf die Anklage, dass er geistesgestört sei, weil er nicht gegen den Feind kämpfen wolle. Er wurde in eine Irrenanstalt geschickt und dort eine Zeitlang festgehalten. bis er freigelassen wurde ... und dann machte er sich daran, die Botschaft der Gegenwart des Herrn und seines kommenden glorreichen Königreiches zu verkünden."
("Die Harfe Gottes", Ausgabe Bern S. 243; Ausgabe Barmen S.217 ).)

Zu diesem Bericht wird man wohl noch hinzufügen müssen, dass er indirekt mit aufzeigt: Wehrdienstverweigerung kam erst mit der Rutherford-Adminstration; etwa ab 1917 auf. Ersichtlich auch an dem Umstand, dass dieses Fallbeispiel mitten in der militärischen Organisationsstruktur sich befand. In der Bewährungsprobe erst verweigerte; vielleicht noch hoffend, so "irgendwie" diese herausfordernde Zeit zu überstehen.

Aber es kommt noch "besser". Von der "Harfe Gottes" gibt es noch eine dritte in Magdeburg gedruckte Ausgabe. Auch sie differiert in ihrer Seitenzählung zu den anderen Ausgaben. Diese dritte Ausgabe, in grünes Kaliko eingebunden, hat ganz offensichtlich den Deutschland bezüglichen, eben zitierten Abschnitt, ersatzlos wegzensiert. Das macht der genaue Textvergleich dieser Ausgabe (S. 233) deutlich. Ganz offenbar hat die deutsche Balzereit-Administration, höchstwahrscheinlich eigenmächtig, diese Textpassage wegzensiert. Auch das macht deutlich, wies es denn um ihre Position diesbezüglich bestellt war.

Für die These, dass diese Zensur der Balzereit-Administration zuzuschreiben ist, spricht auch ein sich selbst verklärender Artikel in der Zeitschrift "Nachdenkliches aus Leben und Christentum" vom Februar 1959 in dem Balzereit unter anderem schrieb:
"Das jeder Versuch (die) bösesten Entstellungen, sachlich und lautlich soweit wie möglich bei der Übertragung ins Deutsche zu mildern - sobald er entdeckt wurde - Feindschaft, bitteres Hinterrücksreden (von Seiten solcher Versammlungsglieder und Mitarbeiter die den wachsenden Irrtum sogar noch als 'Neues Licht' priesen, und eine direkte Empörung im eigenen Lager zu organisieren suchten) und anderes mehr zur Folge hatte." [45]

Weiter spricht Balzereit von hässlichen, bitteren brieflichen und bei einmal im Jahr stattfindenden Besuchen des Präsidenten auch persönlichen Bitterkeiten und Anwürfe, die der - sich (dieses) 'Frevels' an dem fragwürdigen Geistesgut schuldig gemachte - Verantwortliche über sich ergehen lassen musste." [46]
Siehe dazu auch "Geschichte der Zeugen Jehovas" S. 491, 492.

Wie gesagt: Alle drei Ausgaben der "Harfe Gottes" differieren in ihrer Seitenzählung. Das ist keine neue Feststellung. Es trifft im gleicher Weise auch für die "Schriftstudien" und noch einiges mehr zu. Aber dieser Fakt der Weg-Zensierung durch die deutsche WTG-Führung, verdient schon dokumentiert zu werden.

Zur Veranschaulichung als Repro alle drei Ausgaben, wo die fragliche Aussage enthalten (bzw. nicht enthalten) ist. In der Reihenfolge.
Erst die Ausgabe Bern; gefolgt von der Ausgabe Barmen, und zuletzt der Ausgabe Magdeburg. Aus Formatierungsgründen, und um den Text in tatsächlich lesbarer Größenordnung wiederzugeben, werden die drei genannten Repros in dem nachfolgenden Posting dargestellt.




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