Re: Juristisches "Medizinerdeutsch"


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 20. September 2005 07:52:24:

Als Antwort auf: Re: Verhandlungssache geschrieben von Drahbeck am 19. September 2005 07:39:37:

Gelesen in der "Östereichische Ärztezeitung" vom 10. Mai 1967
Ein Artikel von Dr. Herbert Heiss, (Oberarzt der Univ.-Frauenklinik Graz)
"Die Verweigerung der Bluttransfusion aus religiösen Gründen"

Das (Österreichische) Bundesministerium für soziale Verwaltung hat mit Beschluss vom 16. 1. 1967 (Z1. V-115.247-G 2/41/2/66) nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz zu dem Fragenkomplex der Blutübertragung an Angehörige der "Zeugen Jehovas" und generell zur Frage der Verweigerung der Zustimmung gesetzlichen Vertreters seine Auffassung wie folgt bekanntgegeben:
Minderjährige Pflegebefohlene, die das 18. Lebensohr vollendet haben und die nötige geistige Reife besitzen, können die Vornahme einer Bluttransfusion bzw. die Vornahme einer besonderen Heilbehandlung einschließlich operativer Eingriffe auch dann verweigern, wenn der gesetzliche Vertreter oder sonstige Sorgeberechtigte die Zustimmung erteilt. Das gleiche gilt auch für die übrigen Pflegebefohlenen, wenn sie die notwendige geistige Reife aufweisen.

Bei Pflegebefohlenen, die als Minderjährige das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, oder bei Pflegebefohlenen überhaupt, die nicht die notwendige geistige Reife besitzen, um die Verweigerung der Vornahme einer bestimmten Heilbehandlung richtig beurteilen zu können, ist grundsätzlich die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich. Diese Zustimmung kann, wenn der gesetzliche Vertreter mit seiner Weigerung die ihm obliegende Sorgepflicht verletzt, durch entsprechende Maßnahmen des Pflegschaftsgerichtes substituiert werden. Ein weiteres Eingehen auf diese Frage erübrigt sich jedoch, weil die Untersuchung sich auf jene Fälle beschränken kann, in denen eine Anrufung des Pflegschaftsgerichtes wegen Gefahr für das Leben oder Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung des Pflegebefohlenen nicht vertretbar ist. In diesen Fällen wird im Hinblick auf die dem Sorgeberechtigten (Vater, Mutter, Vormund, Kurator) gesetzlich auferlegte Pflicht, für das Leben und die Gesundheit seines Pflegebefohlenen zu sorgen, eine Verweigerung der Zustimmung zur Vornahme einer unbedingt notwendigen, d. h. lebenserhaltenden Heilbehandlung eine schwere Verletzung der Sorgepflicht darstellen.

Ein Arzt, der in diesen Fällen entgegen der Weigerung des Sorgeberechtigten in Erfüllung seiner ärztlichen Pflicht eine notwendige Heilbehandlung durchführt, handelt n i c h t rechtswidrig.

Weigert sich eine geistig reife und gesunde eigenberechtigte Person, an sich eine Blutübertragung oder eine besondere Heilbehandlung vornehmen zu lassen, ist diese Weigerung für den Arzt auch s t r a f r e c h t l i c h beachtlich (§ 499 StGB, Übertretung der eigenmächtigen Heilbehandlung). Eine solche Weigerung, sofern sie nur ernstlich bestimmt und aus freiem Willensentschluß ausgesprochen wurde, ist ohne Rücksicht auf die zugrunde liegenden Beweggründe selbst dann verbindlich, wenn damit der sichere Tod des Kranken verbunden ist.

Zu beachten ist jedoch, daß die Weigerung nur dann frei und ernstlich ist, wann der Kranke eine richtige Vorstellung über die unabwendbare oder doch wahrscheinliche Folge der Unterlassung der Heilbehandlung hat. In dieser Hinsicht besteht eine Aufklärungspflicht des Arztes, die zur Behandlung gehört.

Wie bereits oben angeführt, verletzt der gesetzliche Vertreter, der die Zustimmung zu einer zur Lebenserhaltung notwendigen Heilbehandlung verweigert, die ihm vom Gesetz auferlegte Pflicht, für das Leben und die Gesundheit seines Pflegebefohlenen zu sorgen.

Auch aus der Bestimmung des § 360 StGB kann die Rechtswidrigkeit der Weigerung des gesetzlichen Vertreters, eine notwendige Heilbehandlung durchführen zu lassen, sofern er, wie dies meist zutrifft, zur Pflege des Kranken verpflichtet ist, abgeleitet werden. Nach § 360 StGB macht sich nämlich derjenige schuldig, der es unterläßt, einem Angehörigen, dessen Pflege ihm obliegt, den notwendigen medizinischen Beistand zu verschaffen. Dieser medizinische Beistand umfaßt nicht nur die Herbeirufung des Arztes, die Veranlassung der Spitalsaufnahme und die Herbeischaffung der erforderlichen Arzneien, sondern auch die Befolgung der zur Heilung notwendigen ärztlichen Anordnungen.

Ist somit die Weigerung des gesetzlichen Vertreters bzw, des Sorgeberechtigten rechtswidrig und kann das Pflegschaftsgericht wegen Gefahr im Verzuge nicht rechtzeitig angerufen werden, dann ist auch die eigenmächtige Heilbehandlung (als Fall des § 499 Abs. 2 StGB) n i c h t strafbar.

Die vom Bundesministerium für soziale Verwaltung im obigen Erlaß aufgerollte Frage nach der Zulässigkeit einer Bluttransfusion als lebensrettende Maßnahme ist nach der Diskussion über die ärztliche Aufklärungspflicht und im Hinblick auf den Entwurf eines neuen österreichischen Strafgesetzbuches besonders aktuell und erfordert auch eine ärztliche Stellungnahme.

Nach Rottländer ("Medizinsche Klinik" 61. Jg. (1966) 26.) ist der Arzt grundsätzlich nicht verpflichtet, sich über Ge- und Verbotsnormen einer religiösen Sekte, der ein Patient angehört, zu informieren. Zwischen Arzt und Patient können Rechtsbeziehungen mannigfacher Art bestehen (ein auf Dienstleistungen höherer Art gerichteter Dienstvertrag, in seltenen Fällen ein Werksvertrag, ein Krankenkassenvertrag zugunsten Dritter, ein aufgespaltener oder totaler Arzt-Krankenhaus-Vertrag); ihr Inhalt ist immer in erster Linie auf die Heilung des kranken Menschen ausgerichtet. Für den Arzt erwächst gegenüber dem Patienten immer 'die Pflicht, die Heilbehandlung unter Beachtung der anerkannten' Regeln der Heilkunst in einer Weise durchzuführen, welche die günstigsten Aussichten für einen Heilerfolg bietet, wobei er den Willen des Patienten grundsätzlich nicht unberücksichtigt lassen darf. Über diese wesentliche Pflicht hinaus kann aus der Arzt-Patient-Beziehung n i c h t die generelle Verpflichtung für den Arzt hergeleitet werden, sich auch noch über die religiösen Vorschriften zu informieren, denen sich der Patient verpflichtet fühlt, es sei denn in seltenen Ausnahmen, daß die Kenntnis dieser Vorschrift geradezu Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung etwa des psychisch labilen Sektierers wäre.

Setzt sich der Arzt unwissentlich oder wissentlich über eine Vorschrift einer Sekte hinweg, so macht er sich dadurch nicht strafbar, denn die Verletzung ausschließlich religiöser, nicht strafrechtlich fundierter Vorschriften ist nicht strafbar. Wenn ein durch die Vorschrift einer Religionsgemeinschaft gebotenes Handeln oder Unterlassen nicht gleichzeitig durch seinen Niederschlag in einem Strafgesetz mit einem fest umrissenen Tatbestand für strafbar erklärt worden ist, so die Verletzung des religiösen Ge- oder Verbotes, mag sie auch für den Täter schwere Sünde sein, k e i n strafbare Handlung.

Damit sind zwei aufgeworfene Fragen zwar beantwortet, aber hinter diesen verbirgt sich noch das Problem, wie sich der Arzt gegebenenfalls zu verhalten hat, wenn der lebensgefährlich erkrankte Patient, der einer die Blutübertragung ablehnenden Sekte angehört, seine Einwilligung in die indizierte Bluttransfusion verweigert.

Die Bluttransfusion ist ein ärztlicher Eingriff und der zufolge nach ständiger Rechtssprechung tatbestandmäßig eine Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzes und nur durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt. Nach geltendem Recht hat der Arzt grundsätzlich die freie Entschließung des a n g e m e s s e n aufgeklärten Patienten zu respektieren, auch die des Transfusionsverweigerers. Gegen den klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebrachten Willen des mündigen Patienten darf der Arzt somit die Bluttransfusion n i c h t vornehmen. in Fällen, bei denen Gefahr im Verzuge ist, der Patient bewußtlos ist, eine eindeutige Willensäußerung nicht abzugeben vermag oder die Lage nicht mehr zu überschauen ist, darf der Arzt unterstellen, daß sich de Patient wie ein normaler Mensch verhalten und in die unaufschiebbare Transfusion einwilligen werde. Vorsicht ist in solchen Fällen gegenüber den Erklärungen des Ehegatten oder von Angehörigen am Platze. Entscheidend ist allein der Wille des Patienten. Wenn die Angehörigen auch behaupten, der Patient sei eín überzeugter Transfusionsgegner, so steht damit keineswegs fest, daß er angesichts des drohenden Tode seine Ansicht nicht doch noch geändert hätte. Unerheblich ist schließlich die Kenntnis des Arztes von der Zugehörigkeit des bewußtlosen Patienten zu einer Sekte, welche die Bluttransfusion kategorisch ablehnt.

Die Zugehörigkeit des Patienten zu einer die Transfusion ablehnenden Glaubensgemeinschaft an sich ist vom Standpunkt des behandelnden Arztes aus gesehen irrelevant. Nur wenn der Patient selbst - grundsätzlich nicht die Angehörigen - eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, daß er die Transfusion ablehnt sind dem Arzt die Hände gebunden.

Aber selbst in diesem Fall ist der verneinende Wille des Patienten umbeachtlich, wenn der Arzt erkennt daß der Patient in selbstmörderischer A b s i c h t die Transfusion verweigert. In diesem Fall ist er sogar verpflichtet, die rettende Transfusion vorzunehmen, wenn er sich nicht wegen unterlassener Hilfeleistung im Notfall, im Sinne des StGB strafbar machen will. Auch könne der Transfusionsverweigerer mit seiner Weigerung u. U. gegen das Sittengesetz verstoßen (Urteil des OLG Stuttgart vom 6. 7. 1964, veröffentlicht in Monatsschrift für Deutsches ,Recht 12:1024) mit der Wirkung, daß sein entgegenstehender Wille unbeachtlich sei. Unterstützt etwa der Ehemann seine Frau in ihren Bestrebungen, eine Bluttransfusion abzulehnen, so hatte dieser seine Hilfeleistungspflicht dadurch verletzt, daß er es unterlassen habe, seinen Einfluß auf seine Ehefrau im Sinne des ärztlichen Ratschlages geltend zu machen, sie also nicht umzustimmen versucht habe, ja ihre ablehnende Entschließung noch durch den Hinweis auf die Lehren des Brüdervereines gefördert habe. Bei einer derartigen Sachlage trüge das Sittengesetz, das auch insoweit maßgeblich sei, dem Angeklagten ein Tätigwerden in der bezeichneten Richtung auf, gehe es doch um das Leben seiner Frau, das höchste Gut, das auch ein Höchstmaß an Einsatz erfordere. Es erscheine gesundem ethischen Empfinden schlechthin unerträglich, wollte man unter solchen Umständen einem Eheteil von Rechts wegen gestatten, untätig und nur im Gebet verharrend den anderen dahinsterben zu lassen.

Nach den in diesem Urteil entwickelten Gedanken, würde sich der Arzt nicht strafbar gemacht haben, wenn wie im vorliegenden Fall unter Außerachtlassung der religiösen Vorschriften der betreffenden Sekte und gegen den Willen der Patientin die indizierte Transfusion vorgenommen hätten. Sie würden sich unter Umständen sogar wegen unterlassener Hilfeleistung in einem Notfall strafbar gemacht haben, wenn sie die Möglichkeit zur Transfusion gehabt, dieselbe aber im Hinblick auf die sektiererische Ablehnung unterlassen hätten, obwohl klar erkennbar war, daß hier ein schwerer Verstoß gegen die allgemeinen sittlichen Anschauungen vorliegt.

Zusammenfassend ist zu diesem Punkt zu betonen, daß es bedauerlich ist, daß bei der derzeitigen Stellung zur Rechtslage eine befriedigende Lösung dieses für Ärzte und Juristen gleichermaßen schwierigen Problems bisher nicht gegeben ist. Die Ärzte stehen vor der Tatsache, daß sie n i c h t berechtigt sind, gegen den ausdrücklichen Willen des Patienten eine Bluttransfusion ohne die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung vorzunehmen. Eine Ausnahme bilden hierbei lediglich die "Suicid-Unglücksfälle", bei denen die Hilfeleistungspflicht des Arztes dem entgegenstehenden Willen des Patienten vorgeht. Anders ist der Fall zu beurteilen, in dem der Patient einer Krankheit, die nicht unter den Begriff des Unglücksfalles zu bringen ist, ungehindert, ihren tödlichen Verlauf lassen will und man darin nicht einen Verstoß gegen die guten Sitten erblicken will oder kann. Hier muß der Arzt den Patientenwillen nach Schwalm ("Monatsschrift für deutsches Recht" 1962: 689) auch dann achten, wenn diesem eine Selbsttötungsabsicht zugrunde liegt. Im Gegensatz hierzu vertritt Bockelmann ("Neue juristische Wochenschrift" 1961: 945) die Auffassung, daß - wenn der Arzt in letzterem Falle die Selbsttötungsabsicht des Patienten nicht respektiert - eine Strafbarkeit nicht begründet sei. Wenn eine Einwilligung in eine lebensrettende Bluttransfusion nicht vorliegt, so fehlt die Rechtswidrigkeit, wenn der Arzt in solchen Fällen als Geschäftsführer ohne Auftrag im Sinne der §§ 677, 678 und 679 des BGB tätig wird; denn ein Verhalten, welches trotz Tatbestandsmäßigkeit durch das Zivilrecht gestattet wird, kann nicht strafbar sein. Kann also die Entscheidung des erwachsenen Patienten während einer Operation oder Geburt nicht eingeholt werden, so handelt der Arzt rechtmäßig, wenn er die im Interesse des Patienten gebotenen Maßnahmen mit Rücksicht auf dessen mutmaßlichen Willen trifft. Als mutmaßlicher Wille kann die Entscheidung zugrunde gelegt werden, die ein vernünftiger Mensch unter Abwägung aller Umstände treffen würde. Es kann in einem solchen Falle also auch bei einem Zeugen Jehovas davon ausgegangen werden, daß er seine Zustimmung zu einer Bluttransfusion geben würde.

Hiebei ist (Muth und Hentrich) noch zu bemerken, daß bei erwachsenen Frauen die Angehörigen, einschließlich des Ehemannes, kein Verfügungsrecht haben. Kann also bei einer Frau während der Operation oder Geburt ihre eigene Entscheidung nicht eingeholt werden, so ist der Widerspruch der Angehörigen ohne rechtliche Bedeutung. Diese Zustimmung der Angehörigen ist lediglich ein Indiz für die mutmaßliche Einwilligung der Patientin. Der Arzt braucht also den Widerspruch der Angehörigen nicht zu berücksichtigen. Da die Einwilligung des Patienten im Zeitpunkt des ärztlichen Eingriffes vorliegen muß, kann umgekehrt nicht davon ausgegangen werden, daß ein Patient, der vor der Operation seine Zustimmung verweigert hat, bei dieser Entscheidung verbleiben würde, wenn ihm in der kritischen Phase der Operation die lebensbedrohende Situation in vollem Umfang klar würde. Der Arzt kann also auch in solchen Fällen als Geschäftsführer ohne Auftrag für den Patienten die Entscheidung treffen, ob eine Bluttransfusion vorzunehmen ist.

Lehnt der Patient unter allen Umständen und trotz intensiver Aufklärung über die Bedeutung seiner Weigerung die Bluttransfusion ab, so ist diesem Willen des Patienten zu entsprechen, will sich der Arzt nicht wegen eigenmächtiger Heilbehandlung strafbar machen.

Von besonderem Interesse ist noch die Fragestellung bei erforderlicher Austauschtransfusion N e u g e b o r e n e r, welche bekanntlich nur mit Einverständnis der Eltern durchgeführt werden darf. Dieselbe Problematik ergibt sich, wenn bei einem M i n d e r j ä hrigen bzw. bei geschäftsunfähigen E r w a c h s e n e n eine Blutübertragung notwendig ist.

Wenn Minderjährige noch ihrer geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des ärztlichen Eingriffes und seine Gestaltung zu ermessen vermögen, so können sie nach Rottländer selbst einwilligen. Die gesetzlichen Vertreter brauchen in diesen Fällen nicht erst um ihre Einwilligung angegangen zu werden, ihre religiösen Bedenken gegen die Transfusion sind hier ohne Bedeutung.

Besitzen Minderjährige die für eine rechtswirksame Einwilligung erforderliche Reife noch nicht, dann müssen die gesetzlichen Vertreter (Eltern, Vormund) um Erlaubnis gefragt werden. Wird sie etwa unter Hinweis auf das Verbot ihrer Reiligionsgemeinschaft abgelehnt und ist noch genügend Zeit vorhanden, so muß sich der Arzt an das Vormundschaftsgericht wenden, welches bei mißbräuchlicher Weigerung unter teilweiser Entziehung der elterlichen Gewalt für das Kind einen Pfleger bestellt, welcher die Einwilligung erteilt. Ist aber Gefahr im Verzug, so kann der Arzt die Blutübertragung aus dem Gesichtspunkt des übergesetzlichen Notstandes (Beseitigung einer drohenden Gefahr, die nicht anders möglich ist als durch Begehung einer "angemessenen" Straftat, wenn das zu schützende Interesse das beeinträchtigte erheblich überwiegt) gegen den ausdrücklichen Willen der elterlichen Gewalthaber vornehmen. Um das Leben des Kindes zu retten, darf sich der Arzt in diesen Falle über den ausdrücklich erklärten Willen der elterlichen Gewalthaber hinwegsetzen, weil dieser Wille hier nicht Ausfluß des Selbstbestimmungsrechtes der Gewalthaber ist, sondern nur Ausfluß ihres Fürsorgerechtes. Die Erhaltung des Lebens des Kindes ist aber ungleich wichtiger als die Respektierung des Fürsorgerechtes der Gewalthaber.

Die generelle Berufung auf den übergesetzlichen Notstand versagt jedoch in der Regel beim Erwachsenen (Schwarz-Dreher), weil die Rechtssprechung in der erzwungenen Bluttransfusion einen "unangemessenen" Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Patienten erblickt.

Zusammenfassend ist zu dieser zweiten Problematik zu betonen, daß bei Kindern oder geschäftsunfähigen Erwachsenen, zur Durchführung einer Bluttransfusion die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, also diejenige der Eltern oder des Vormundes, notwendig ist. Wird die Zustimmung zur Bluttransfusion verweigert und steht noch ausreichend Zeit zur Verfügung, so empfiehlt es sich, eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes herbeizuführen. § 1666 BGB bestimmt hierzu, daß das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, wenn das leibliche Wohl des Kindes dadurch gefährdet wird, daß die Eltern das Recht der Sorge um die Person des Kindes mißbrauchen. Das ist der Fall, wenn sie ihre Zustimmung zu einem ärztlichen Eingriff entgegen aller Vernunft verweigern. Kann die Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes nicht mehr eingeholt werden, so kann der Arzt entweder unter dem Gesichtspunkt des übergesetzlichen Notstandes oder wiederum als Geschäftsführer ohne Auftrag, und zwar jetzt an Stelle des gesetzlichen Vertreters, die erforderliche Entscheidung treffen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß nach § 679 BGB der entgegenstehende Wille der Eltern oder des Vormundes n i c h t berücksichtigt zu werden braucht, wenn dadurch die Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber dem Kinde oder dem Mündel, nämlich die Pflicht, auf jeden Fall ihr Leben zu erhalten, unterbleiben würde.


ZurIndexseite