Geschrieben von Drahbeck am 23. August 2005 06:06:08: Zu den Pflichten eines
Doktoranden gehört auch die Veröffentlichungspflicht seiner Dissertation. Ein gewisser
Spielraum besteht dabei schon. Es reicht beispielsweise, wenn nur die
Universitätsbibliotheken mit Belegexemplaren versorgt werden. Es kann aber auch eine
über den Buchhandel vertriebene Buchfassung dazu geben. Und neuerdings ist es auch
möglich, durch dauerhafte Deponierung im Internet, dieser Veröffentlichungspflicht
nachzukommen. Es ist offenkundig, dass letztere Variante noch die für den Autor
kostengünstigste sein dürfte.
Nun also gibt es einen Doktoranden mit Bezug zum Zeugen Jehovas-Thema mehr, der sich
für letztere Variante entschieden hat. Das erfreut einem dann ja in gewisser Hinsicht.
Erspart es einem doch das Ärgernis, wie im Falle des Herrn H., 68,50 Euro für den Erwerb
seines Buches hinblättern zu müssen (sofern man nicht auf ein Bibliotheksexemplar
zurückgreift).
Allerdings, auch das muss man sagen. Diejenigen, die vorgenanntes im Internet
veröffentlichen, sind immer noch in der eindeutigen Minderzahl.
Michael Markus Hann, so der Name des Autors, um den es jetzt geht.
Seine Dissertation wurde von der katholischen Philosophisch-Theologische Hochschule
St. Augustin" im Jahre 2005 angenommen, und ist auch auf deren Server abrufbar.
www.philtheol-augustin.de/diss.hann.pdf
Ausstieg aus der Sekte Schritt in ein neues Leben? Das Problem des
Sektenausstiegs am Beispiel der Zeugen Jehovas und der Psychosekte Scientology. Eine
Herausforderung für Kirche und Gemeinden"
so der Titel der Arbeit. Wie man also sieht befinden sich da Zeugen Jehovas und
Scientology quasi in einer Vergleichsebene. Ich möchte es so halten, das bezüglich
Scientology ausgesagte, mehr oder weniger zu überspringen, um dafür mehr den Zeugen
Jehovas bezüglichen Aspekten die Aufmerksamkeit zu widmen.
Zum Einstieg in seine Materie bietet auch Hann eine geraffte Darstellung der Geschichte
der Zeugen Jehovas. Bei deren Lektüre kann man allerdings schon einige
Bauchschmerzen" bekommen.
Ein paar Beispiele:
So schreibt er etwa:
Rutherford veröffentlichte 1920 eine Zeitschrift mit dem Titel Millionen
jetzt lebender Menschen werden niemals sterben".
Au weia, mein Kommentar dazu. Ich wusste bisher noch nicht, das ein Büchlein der Rubrik
Zeitschrift" zugeordnet wird.
Weiter meint er zu wissen:
Ab dem Jahr 1904 erschienen die ersten Ausgaben der Zeitschrift Der
Wachtturm" in deutscher Sprache".
Auch das ist in dieser Rigorosität so nicht zutreffend. Schon seit 1897 gab es deutsche
Ausgabe des Zions Wachtturm". Allerdings mit dem Makel" noch nicht
kontinuierliches monatlichem Erscheinen. Letzteres war in der Tat erst ab 1904 der Fall.
Auch bei diesem Aspekt ist mir Hann zu ungenau.
Bezüglich Rutherford meint der Autor äußern zu können:
Günther Pape bemerkt hierzu: 'Als sie Rutherford stürzen wollten, mussten die vier
Direktionsmitglieder die Erfahrung machen, daß sie vier Flaschenkorken glichen, die gegen
den Felsen von Gibraltar sprangen.'"
Auch hierbei gilt, das Quellenstudium" des Herrn Haan ist mal sehr mager
ausgefallen. Wäre es anders, wüsste er. Jene Aussage stammt von dem Autor Marley Cole.
Wenn Pape sie auch zitiert, ändert dass immer noch nichts an dem Umstand, es ist ein
Zitat. Aber nicht auf dem Mist von Pape gewachsen."
Bauchschmerzen", und zwar erhebliche, bereitet auch der Umstand, wie der
Autor auf die Nazizeit eingeht. In seiner Lesart:
Der tiefste Beweggrund für die Verfolgung der Zeugen Jehovas lag in der Verwendung
alttestamentlichen und damit jüdischen Gedankengutes. Ein von Rutherford herausgegebenes
Buch mit dem Titel Trost für die Juden" trug allein durch dessen Titel ein
Übriges dazu bei. Die Verweigerung des Militärdienstes für das Vaterland war für die
Nationalsozialisten ein weiterer Beweis für die Staatsfeindlichkeit der Zeugen
Jehovas."
Da kann ich nur wieder erneut: Au weia sagen. Hätte er den Wehrdienstaspekt stärker
betont, wäre das sicher angemessener. Sicherlich ist es legitim, den zeitgenössischen
Philosemitismus als einer Mit"-Ursache zu thematisieren. Aber mir schmeckt die
Hann'sche Überbewertung dabei in keiner Weise. Überhaupt drängt sich der Eindruck auf,
dass die mittlerweile durchaus schon umfänglich zu nennende Literatur zum Thema Zeugen
Jehovas und NS-Regime, offenbar noch nicht in St. Augustin angekommen ist. Das es einen
Autor, wie beispielsweise Detlef G. (und noch ein paar andere gibt). Davon scheint wohl
der Herr Hann bis heute keine Kenntnis zu haben.
Noch so ein Lapsus: Bezugnehmend auf den KdöR-Streit verwendet der Autor die
Formulierung:
Der Versuch der Anerkennung der Zeugen Jehovas als Körperschaft öffentlichen
Rechts scheint der skizzierten staatsfeindlichen Auffassung zu widersprechen. Die
Anerkennung der Sekte als Körperschaft öffentlichen Rechts" hätte für diese
erhebliche Vorteile mit sich gebracht, etwa die Einnahme von Kirchensteuern und weitere
steuerliche Vergünstigungen, die der Expansion des Wachtturm-Konzerns zugute gekommen
wären. Diese materiellen Vorzüge wogen offensichtlich stärker als die Verachtung des
Staates. Aufgrund der Verweigerung jeglicher Loyalität gegenüber dem Staat wurde ein
entsprechender Antrag vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt, wobei die Nicht-Teilnahme an
den Wahlen als Hauptargument angeführt wurde. Dies sah das Gericht als Widerspruch zu dem
für die staatliche Ordnung im Bund und in den Ländern konstitutiven
Demokratieprinzip".
Dazu zitiert er dann als Beleg Quellen aus dem Jahre 1997. Habe ich richtig gelesen,
erschien seine Dissertation aber erst im Jahre 2005. Das es nach 1997 noch weitere
Entwicklungen gab. Auch das scheint sich noch nicht bis St. Augustin herumgesprochen zu
haben. Dieweil das so ist, wird man das dem Autor kaum als Pluspunkt" sondern
als das Gegenteil davon anrechnen müssen.
Nun ist in der Tat festzustellen. Das Bemühen des Autors gilt nicht sosehr
geschichtlichen Aspekten. Die sind nur, weil es sich nicht vermeiden ließ, beiläufiges
Beiwerk.
Er will mehr den Ausstiegsmechansmen" und ihren Widerwärtigkeiten auf
dem Grund gehen". Und dabei verweist er besonders auf dazu schon veröffentlichte
Buchberichte. Der erste der da (Zeugen Jehovas bezogen) in sein Blickfeld gerät, ist der
Hans-Jürgen Twisselmann.
Weiter nennt er die Fälle
Gerd Wunderlich
Monika Deppe
Barbara Waß
Da deren Buchveröffentlichungen, den Weg zur WTG und von ihr wieder weg, detailliert
beschreiben, kann man das was Hann da so zitierenswert ansieht, gleichfalls überspringen.
Als Zusammenfassung zu ihnen schreibt er:
Die anfängliche Euphorie und das Glück, der allein seligmachenden Organisation
Gottes anzugehören, verfliegen in der Regel nach einem oft jahrelangen, durch physische
und psychische Opfer bestimmten Leben in der Gruppe der Zeugen. Das einzelne Mitglied wird
durch ständige Indoktrination und den unermüdlichen Einsatz für die Organisation an
einer reflektierten Betrachtung über die Gruppe gehindert. Gelingt es Anhängern der
Sekte nicht, die kritischen Fragen, die Außenstehende bei Werbeaktionen auf Marktplätzen
oder bei den zahlreichen Hausbesuchen zu verdrängen oder im Sinne der Sekte als Prüfung
Jehovas und als Bewährungsprobe zu interpretieren, droht ihnen eine
Persönlichkeitsspaltung. Wird der persönliche Leidensdruck zu groß und gelingt keine
Verdrängung mehr, kann es zu schwerwiegenden gesundheitlichen Beschwerden kommen. Da die
Sekte derartige Krankheitssymptome meist als Folge eines ungenügenden Einsatzes wertet,
verstärkt sie den Leistungsdruck auf das jeweilige Mitglied."
Dieser Aussage, wird man wohl zustimmen müssen.
Gleichfalls zustimmungsfähig ist die Aussage:
"Bei den Zeugen Jehovas lassen sich solche Verleumdungen, durch welche einer
abtrünnigen Person großer Schaden zugefügt werden soll, eindeutig nachweisen.
Abtrünnige sind nach Meinung der Zeugen Jehovas die stärksten Verbündeten
Satans", die durch ihren Abfall und ihr Agieren gegen die Organisation ihre
Mitknechte schlagen". Derartige Argumente werden als Begründung für die
Diffamierung von Zeugen angeführt, die der Sekte den Rücken kehren wollen oder den
Ausstieg schon geschafft haben. Wie sich solche Maßnahmen auswirken, kann man bei Monika
Deppe nachlesen: Wenn uns auf der Straße ehemalige Geschwister begegneten, sahen
sie starr an uns vorbei, grüßen durften sie uns nicht mehr. Daran hat sich auch bis
heute, zehn Jahre nach unserem Ausschluß, nichts geändert. Ein mit uns befreundetes
Ehepaar aus unserer Versammlung brach den Kontakt mit uns ab."
Auch Zustimmungsfähig:
Sektenaussteiger lassen ihr bisheriges vertrautes Umfeld bei einem Austritt aus der
Sekte hinter sich. Soll es nicht zur Vereinsamung und Isolation kommen, muß das ehemalige
Sektenmitglied ein neues soziales Umfeld aufbauen. Hierbei ist zunächst die Überwindung
des Mißtrauens gegenüber der Welt außerhalb der Sekte vordringlich, andernfalls ist die
Schaffung eines neuen Freundes- und Bekanntenkreises nicht möglich. Dies stellt einen
langwierigen und schwierigen Prozeß dar, der viel Mut erfordert. Ein Aussteiger, der
keinerlei Rückhalt in der Familie oder im Bekannten- und Freundeskreis hat, ist von
Einsamkeit und Isolation bedroht. Doch der Ausstieg kann fast nie allein bewerkstelligt
werden. Hierbei braucht der Aussteiger einen oder mehrere Menschen, die nach dem Bruch mit
der Sekte auch als erste Kontaktpersonen des neuen sozialen Umfeldes dienen können."
In seiner Einleitung formuliert der Autor aber auch den Satz:
Das abschließende vierte Kapitel befaßt sich mit der Herausforderung, die aufgrund
des Sektenausstiegs für die katholische Kirche und ihre Gemeinden ergibt. Sind unsere
Gemeinden in der Lage, Sektenaussteigern angemessen zu begegnen, in einen fruchtbaren
Dialog mit ihnen einzutreten, indem sie sich den Problemen und Fragen solcher Menschen
stellen? Können sie Sektenaussteigern letztlich vielleicht sogar eine neue Heimat bieten,
indem sie diese in ihre Reihen aufnehmen?"
Liest man seine diesbezüglich in geschraubten Wendungen vorgetragenen Ausführungen,
empfiehlt er wohl so eine Art Psychoanalytischer Begleitung" der vormaligen
Sektenanhänger. Nun ist die Psychoanalyse nicht expliziert kirchlich". Deshalb
legt er schon Wert darauf. Es möge doch möglichst eine solche mit kirchlichem
Touch" sein. Das mag sich in den Sandkastenspielen von St. Augustin"
ganz gut ausnehmen. Hat aber nichts bis nullkomma nichts gemein mit den Gegebenheiten, die
da örtliche Gemeinden der katholischen Kirche anbieten.
Auch der Autor muss deshalb einräumen:
Es sei vorweg angemerkt, daß die meisten unserer Gemeinden keine idealen Orte sind,
um diesem Anliegen gerecht zu werden".
Sein "Eiertanz" wird auch darin deutlich, dass er gar die "Theologie der
Befreiung" mit ins Gespräch bringt. Nicht reflektierend, dass die unter
konservativen Päpsten keineswegs "gut gelitten" ist. Nicht reflektierend, das
die soviel Verbbindung zum Sektenthema hat, wie das Gehalt eines Mercedes-Manager, im
Vergleich zu einem Hartz IV-Gebeutelten.
Was er da also als Nebensatz ausspricht, dass würde ich aus meiner
Sicht in übergroßen Buchstaben aussprechen. Und damit ist dann auch das Urteil über die
Ausführungen des Michael Markus Hann gefällt.
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