Re: Margarete Buber-Neumann


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 21. August 2005 06:51:08:

Als Antwort auf: Re: Die Schwester von Cliff Richard geschrieben von Drahbeck am 20. August 2005 07:48:16:

Gelesen in: Margarete Buber-Neumann
"Als Gefangene bei Stalin und Hitler"
(Seitenangabe zitiert nach der Auflage von 1997: S. 264f.)

Eines Tages kam eine Bibelforscherin zu mir und erklärte, daß ein Teil ihrer »Schwestern« sich von jetzt ab weigere, Blutwurst zu essen. Mit dieser Blutwurst verhielt es sich so: In Ravensbrück bekamen wir bis 1943, außer der täglichen Ration Brot von ungefähr 500 Gramm, mittags 1/2 bis 3/4 Liter Gemüse und 5 bis 6 Pellkartoffeln sowie abends und eine Zeitlang auch am Morgen eine Suppe. Sonnabends und sonntags aber war das Abendessen »kalt«. Dieses kalte Abendessen bestand aus ungefähr 20 Gramm Margarine, dazu sonnabends einem kleinen »Sechserkäse« und sonntags ungefähr 35 Gramm Leber-, Fleisch- oder Blutwurst. Die Ernährung in Ravensbrück verschlechterte sich ab 1941 von Woche zu Woche. Hülsenfrüchte oder Teigwaren verschwanden vollkommen, und die Fettzuteilung im Essen, die im ersten Jahr wirklich vorhanden war, wurde immer geringer. Der wöchentliche Löffel mit Schmalz hörte schon 1941 auf, und Marmelade gab es nur noch in ganz minimalen Mengen, einen Eßlöffel pro Woche. Die Zuckerzuteilung wurde restlos von der SS gestohlen. Auch in der Häftlingskantine konnte man bald nur noch minderwertiges Zeug wie Fischpastete, die aus Heringsköpfen und Gräten hergestellt schien, und irgendwelche abscheulichen »Gemüsesalate« einkaufen.

Eine junge Bibelforscherin, Ilse Unterdörfer, entdeckte im Alten Testament den Befehl Jehovas : »Lasset das Blut zur Erde fließen!« und erläuterte ihren Schwestern, daß man fortan das Essen der Blutwurst einstellen müsse. Ungefähr fünfundzwanzig der »Extremen« beschlossen, von nun ab die Annahme der Blutwurst zu verweigern. - Es gab unter den Bibelforschern drei »Fraktionen«, die »Extremen«, die »schwankende Mitte« und die »Gemäßigten«. Sie trugen regelrechte Fraktionskämpfe aus, bezichtigten einander des Verrats an den Glaubenssätzen, wozu sie Vergleiche aus der biblischen Geschichte heranzogen, und legten ihren Fraktionsgegnern Namen alttestamentarischer Verräter zu.

Als ich von dieser Weigerung hörte, nahm ich an, die Blutwurst schmecke meinen Bibelforschem schlecht, denn sie war wirklich nicht delikat. Darum machte ich ihnen den Vorschlag, soweit es durchführbar war, allen denen, die keine Blutwurst mochten, Leberwurst zu geben. Aber da hatte ich nicht mit Jehovas Befehl gerechnet. Denn es ging ja gar nicht um die Blutwurst, es ging um eine Demonstration zu Ehren Jehovas. Die Extremen mußten von sich reden machen, sie wollten einen Angriff der SS provozieren, es gelüstete sie nach Leiden. Und so fertigten sie eine Liste mit den Namen aller derer an, die laut Jehovas Befehl von nun ab den Genuß der Blutwurst verweigerten. Die Liste wurde »nach vom« gebracht, und die SS lachte sich ins Fäustchen: Wenn die keine Blutwurst fressen wollen, kriegen sie auch keine Margarine. Eine vorzügliche Sparmaßnahme.

Der ersten »Verweigerer-Liste« folgte eine zweite. Erbitterte Kämpfe zwischen den »Extremen« und »Gemäßigten« wurden auf dem Bibelforscherblock ausgetragen. Wie zu erwarten war, reagierte die Lagerleitung nicht nur mit dem Entzug der Margarine, sondern ersann drastischere Maßnahmen.

Ergänzend dazu noch aus Hanna Elling "Frauen im deutschen Widerstand 1933-45" Frankfurt/M. 1979 S. 79f. (Interview mit Herta Brünen-Niederhellmann:

"Auch ich kam, nachdem das KZ Lichtenburg aufgelöst worden war, in das neu errichtete Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Dort habe ich den seltsamen Essensstreik der Bibelforscher gegen die Blutwurst miterlebt. Irgendeine Frau hatte in der Bibel ein Wort gefunden, das ihnen den Verzehr von Blutwurst untersagte. Da Sonntagsabends ein Stück Brot mit einem Stück Blut- oder Leberwurst ausgegeben wurde, und die Bibelforscherinnen die Annahme der Blutwurst verweigerten, wuchs sich das zu einer Katastrophe für die Bibelforscher aus."


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