"Der Kreideverbrauch ist gestiegen ..."

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 07. Februar 2005 10:30:02:

"Der Kreideverbrauch ist gestiegen", kommentiert Südhoff die Selbstdarstellung der Gemeinde....

Vier Männer und die Apokalypse
Seit fünfzehn Jahren wird in Berlin eine Art Glaubenskrieg geführt. Es geht um die Zeugen Jehovas - und es geht um eine kleine Ewigkeit vor Gericht

... im Februar. Der erste Sachbearbeiter ist inzwischen tot. Wolf-Dietrich Patermann, sein Nachfolger, ist seit zwei Jahren pensioniert. Er müsste nicht mehr arbeiten. Aber auf zwei Jahre kommt es in der Berliner Verwaltung auch nicht mehr an, wenn man für einen Antrag zuständig ist, der vor fünfzehn Jahren eingereicht wurde. Und wenn so viel auf dem Spiel steht.
Die Zeugen Jehovas würden gern Körperschaft
Die Zeugen Jehovas würden gern Körperschaft des öffentlichen Rechts werden. Das wollen sie seit 1990. Und Wolf-Dietrich Patermann will das nicht. Nicht nur, weil er die Zeugen Jehovas für einen Verein hält, der seine Mitglieder unterdrückt, der den Staat als Satan bezeichnet und dafür nicht auch noch staatliche Privilegien bekommen soll. Was der Staat den Zeugen Jehovas gewährt, das würden auch andere Religionsgemeinschaften einklagen, islamische Fundamentalisten zum Beispiel. "Die haben wahrscheinlich ihre Anträge schon in den Schubladen", sagt Patermann. Und wenn die Zeugen Jehovas anerkannt werden, dann könnten auch Islamisten bald Kirchensteuern eintreiben und Beamte beschäftigen, Gotteshäuser ohne großes Genehmigungsverfahren errichten. Die als Körperschaft anerkannte Gemeinschaft hat Hoheitsrechte, sie wird für den Staat ein kleiner Staat.
Ein Graus für Patermann. Also sammelt er von zu Hause aus weiter die Beweise, die notwendig sind, damit kein Stein ins Rollen kommt, damit die Zeugen Jehovas keine Vorrechte erhalten und die Islamisten später auch nicht. Er hört nicht auf zu arbeiten, er liest die Schriften der Gemeinschaft und die der Aussteiger, seine Zettelsammlung ist groß und darin sind Zeichnungen, auf denen Zeugen Jehovas den bevorstehenden Weltuntergang gemalt haben, Bilder mit rollenden Felsbrocken, Flammen und schreienden Menschen. Patermann streitet die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht hoch und wieder herunter - und ist standhaft wie ein Verkäufer der Zeitschrift "Wachturm", der für die Zeugen Jehovas in der Fußgängerzone steht. Ergebnis seines Strebens bislang: Niederlage vor dem Berliner Oberverwaltungsgericht, Sieg vor dem Bundesverwaltungsgericht, Unentschieden vor dem Bundesverfassungsgericht, Unentschieden in der Rückrunde vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das zweite Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht dauert an.
Patermann ist ein freundlicher älterer Herr, mit Weste, sportlicher Hose und weißem Haar, einer, den man gern als Bürgermeister sähe. Warum macht er das? "Angst", sagt er mit tiefer Stimme, "schwebt über dem Verfahren". Für ihn steht fest, dass die Zeugen Jehovas ihre Kinder unterdrücken. Erst - "von Babyzeiten an" - wappne man sie für die Apokalypse, in grausamen Bildern würden ihnen die Qualen beim Ende der Welt vorgeführt. Dann müssten sie in den Gotteshäusern der Zeugen Jehovas still sitzen. Und würden gezüchtigt, wenn sie sich rühren. Schließlich werde den Jugendlichen Bildung vorenthalten, fromm, nicht klug sollten sie sein "Das prägt", sagt Patermann.
Und dann noch: "Der Umgang mit Abtrünnigen...". Kein Kontakt zu den engsten Familienmitgliedern, wenn sie sich von der Gemeinde abwenden. Es sei nicht einmal mehr erlaubt, sie auf der Straße zu grüßen. "Solche Leute sind lebende Tote, und mit lebenden Toten verkehrt man nicht", so baue die Gemeinschaft enormen psychischen Druck auf, sagt Patermann.
In diesem Reich des Bösen müssten Gajus Glockentin und eigentlich die Diktatoren sein. Gajus Glockentin ist Justitiar der Gemeinschaft, des Ordens der Zeugen Jehovas. Er lebt auf dem Areal der deutschen Zentrale im hessischen Selters und isst täglich gemeinsam mit 1800 Ordensmitgliedern, "in einem etwas größeren Esszimmer, wie Sie sich vorstellen können". Glockentin sieht aus wie ein guter Jurist, mit Brille, blass und dünn; , einer von zwei Prozessanwälten der Zeugen Jehovas, ist ein gemütlicher Mensch aus Bayern, der das "R" kräftig rollt.
Glockentin und , die Juristen gehen auch von Haustür zu Haustür, und wer sie öffnet, den beginnen sie zu bekehren. "Das machen wir, weil wir die Menschen lieben". Machen sie das auch gern? "Bei Regen nicht so", sagt Glockentin und verzieht den Mund, seufzt. "Du sprichst mir aus dem Herzen". Dann schweigen sie.
Können zwei Männer, die ungern nass werden beim Missionieren, so fanatisch sein, wie Patermann sagt? Reden so Fundamentalisten? Man weiß nicht mehr, wer die religiösen Fanatiker und wer die Verwaltungsjuristen sein sollen, wenn man mit beiden Seiten geredet hat. Patermann hat Akten voller Zitate aus dem "Wachturm" zusammengetragen, Bibelstellen und gestelzt-religiösen Auslegungen, als Beweis für Menschenfeindlichkeit. Die Pressemappe der Zeugen Jehovas ist zu zwei dicken, gebundenen Bänden herangewachsen. Beide Seiten eifern, als ginge es um das Leben.
Es ging sogar um viel mehr. Es ging in diesem Rechtsstreit ohne Ende schon um das ewige Leben. Die juristischen Dogmen, die sie sich um die Ohren gehauen haben, sind von religiösen kaum zu unterscheiden. Weil die "Gewähr der Dauer" Voraussetzung für den Körperschaftsstatus ist, lautete eine der Streitfragen: Sind die Zeugen Jehovas wirklich von Dauer, wenn sie sich in einem Jahrhundert drei Mal auf den Weltuntergang vorbereiten?
"Da dann alles Fleisch verbrennt, und nur die Zeugen Jehovas gerettet werden, wäre kein Staat mehr da, der sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkennen könnte", erklärt der Sachbearbeiter Patermann trocken. Der Prozessanwalt, der mit ihm zusammenarbeitet, Stefan Südhoff, geht den juristisch sicheren Weg: Jedenfalls bis zum Ende der Welt sei die Religionsgemeinschaft von Dauer, sagt er. Dann lachen die beiden über die komischen Sätze, die sie sagen. Aber sie hätten sich damit zufrieden gegeben, wenn ein Gericht den Weltuntergang als Indiz gegen die Zeugen Jehovas gewertet hätte. Doch die Frage sei durch, erklärt Südhoff und schaut ernst durch seine gelb getönten Brillengläser. Mit dem Argument konnte er kein Gericht überzeugen.
Die Apokalypse sehen die Zeugen Jehovas gelassen - zumindest haben sie nie geglaubt, dass sie dadurch vor Gericht einen Nachteil haben würden: "Wenn ich davon ausgehe, dass ich länger da bin als alle anderen, also ewig...", setzt Gajus Glockentin gerade an, als Anwalt dazwischenruft: "Des is a Dauer!" und Glockentin so die Gelegenheit gibt fortzuführen: "Fast penetrant würde ich sagen." Dann lachen die beiden leise in sich hinein.
Das machen sie selten. Glockentin erzählt von einem Schriftsatz aus der Kanzlei Südhoffs. Die Zeugen Jehovas seien an der Verfolgung durch die Nazis selber Schuld gewesen und nutzten ihre Opferrolle von damals aus, habe darin gestanden, wörtlich: "Sie hätten das Leiden wohl vermeiden können", wenn sie sich nicht so stur gegen den Wehrdienst gestellt hätten. "Eine Entschuldigung ist nie erfolgt", formuliert Glockentin bitter. Danach hätten die Oberen der Gemeinschaft überlegt, ob sie den Kampf nicht aufgeben sollen. So wichtig sei ihnen der Status nicht, als dass sie sich das bieten lassen wollten.
sagt, er fühlt sich an den Pranger gestellt wegen der Dinge, die in all den Jahren vor Gericht über das Familienleben der Zeugen Jehovas berichtet wurden. Als ob er sein Kind verprügele und dumm hielte, als ob jeder, der aus der Gemeinschaft austrete, gequält würde. "Wie viele Tausende treten aus", ereifern sich Glockentin und in der Lounge eines Berliner Hotels, in dem sie sich auf einen weiteren Prozesstag vorbereiten. "Und nur ein ganz kleiner Prozentsatz von ihnen hat Probleme". Die trügen sie dann aber sofort zu Patermann.
Patermann sagt, dass er oft stundenlang mit Aussteigern telefoniert hat. Nach jedem Prozesstag hätten sie ihn bombardiert mit ihren Nöten. Paterman ist egal, wie harmlos Glockentin und sich darstellen. Er kennt Opfer, da können Worte nur Beschönigung sein, findet er. "Der Kreideverbrauch ist gestiegen", kommentiert Südhoff die Selbstdarstellung der Gemeinde.
und Patermann kennen sich nun schon über ein Jahrzehnt. Aber wenn sie sich alle paar Monate in den Sälen der Gerichte treffen, geben sie sich nicht einmal die Hand. Vier Männer und ihr Glaubenskrieg in Europa im 21. Jahrhundert. Zwei verteidigen ihre Religion, zwei den Staat. Nicht mit Waffen, sondern mit Schriftsätzen und Beweisanträgen, aber verbissen.
Der Richter im jüngsten Verfahren ist eher belustigt über so viel Hingabe. Zum Beispiel über Südhoffs These, dass die Zeugen Jehovas in der New Yorker Zentrale ihre starren Glaubenssätze bewusst unschuldig formulieren. "In Brooklyn denken die also auch an das Berliner Gericht?", fragt der Richter. Sein Urteil wäre das sechste in der Sache und könnte wieder angefochten werden, daher will er es mit einer Einigung probieren. Sein Vorschlag: Die Zeugen Jehovas dürfen Körperschaft des öffentlichen Rechts werden, aber nicht mit allen Vorrechten, zum Beispiel könnten sie keine Steuern eintreiben und keine Beamte beschäftigen.
Noch einen Monat haben beide Parteien nun, um sich auf den Vergleich zu einigen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass sich das Land Berlin darauf einlassen wird. "Entweder diese Wand ist gelb oder sie ist schwarz", sagt Patermann und zeigt auf das gelbweiße Innengemäuer des Oberverwaltungsgerichts. Er wäre ein wenig beleidigt, wenn das Verfahren so klanglos endete. Ohne Einigung aber wird sich der Richter vermutlich gegen das Land Berlin entscheiden, das hat er mit seinen Fragen in der letzten Verhandlung angedeutet. "Haben Sie in all der Zeit schon mal einen Gottesdienst der Zeugen Jehovas besucht", hat er Patermann gefragt und den Prozess ohne Kommentar fortgesetzt, als der knapp antwortet: "Da bin ich zu sehr Partei."
Der Prozess wird weiter gehen. Zur Not würden die Parteien wohl noch mal bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Es kann Jahre dauern. Und die Anwälte im Verfahren können vielleicht noch Silberjubiläum feiern, sagt Patermann
www.berlinonline.de/berliner-zeitung/seite_3/419360.html


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