ZJ (aktive & ehemalige)und politisches Engagement


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Prometeus am 05. September 2001 13:10:38:

Es gibt sicherlich mehrere Möglichkeiten für einen Christen (oder Nichtchristen) sich politisch zu betätigen. Für die meisten ist das auch ganz normal. Nicht so für Zeugen Jehovas. Sie werden von der WTG zu "politischer Neutralität" verdonnert, was letztlich aussagt, daß sie nicht wählen gehen, bzw. sich nicht zur Wahl stellen. Außerdem haben sie andauernd öffentlich zu bekunden, daß sie "Gottes Königreich" wählen und alle politischen Systeme, einschließlich (oder vor allem) der Demokratie ablehnen. Und daß es angeblich ihre freie Gewissensentscheidung wäre.

Da dies aber oftmals nicht die innere Überzeugung darstellt, sondern nur gebetsmühlenartig in Ansprachen und Predigtdienst wiederholt wird, entstehen daraus Konflikte dergestalt, daß man einerseits de facto zur "Partei der Nichtwähler" gehört, andererseits aber sehr wohl politische Vorlieben für die eine oder andere Seite hat. Mein Vater (Ältester und Gilead- Absolvent) hat bei Bundestagswahlen (besonders 1969) immer für die SPD mitgefiebert.

Da nun mal jeder der nicht zur Wahl geht, gleichfalls eine politische Meinungsäußerung abgibt, und sei es nur dergestalt, daß durch Fernbleiben der Wahlen politische Extremistenparteien an beiden Seiten des politischen Spektrums gestärkt werden, so ist der Begriff der "politischen Neutralität" ZJ betreffend sehr unzureichend. Man verhält sich eben nicht neutral indem man an Wahlen nicht teilnimmt.

Noch anders sieht es bei totalitären Regimes aus. Nichtteilnahme an Wahlen stellt dort meist eine politische Demonstration dar, indem gezeigt werden soll, daß man das Regime nicht unterstützt, sondern dagegen ist. Dies war in der DDR so, dies war in allen kommunistisch oder faschistisch regierten Ländern so. Die WTG propagierte "Neutralität" in der Form, daß sie ihre Mitglieder zum Widerstand aufrief (" Gott mehr gehorchen als den Menschen"). Das ist jedoch eine klare politische Aussage und ist nicht "neutral".

Noch interpretiert die WTG die Jesus- Aussage des NT "Ihr sollt kein Teil der Welt sein. so wie ich kein Teil der Welt bin"(NW) so, daß damit auch alle politischen Aktivitäten gemeint seien (der historische Jesus war keineswegs unpolitisch oder "politisch neutral"). Früher bezog man dieses "Jesus- Gebot" auch auf Gewerkschaften, Verbände und Vereine. Davon ist heute keine Rede mehr. Im Gegenteil! Es bleibt abzuwarten wie schnell der weltweit geführte Kampf der WTG um Anerkennung als Kirche im jeweiligen Staate auch das Wahl- und Wählbarkeitsverbot aufweicht (in Zambia bewibt sich gerade ein aktiver ZJ als Staatspräsident, Quelle: watchtower-Observer). Sollte das auch hier geschehen, so ist allerdings nicht anzunehmen, daß die WTG dazu aufruft Parteien zu wählen, deren Parteiprogramm den WTG- Doktrin entgegenstehen. Also würde die WTG in Deutschland neben der angestrebten K.d.ö.R. auch eine eigene Interessenvertretung in Form einer politischen Partei gründen müssen. Die Pfingstgemeinden (PBC), Transzedentale Meditation (Naturgesetzpartei), Christliche Fundis (CM) und neuerdings auch die faschistoiden Islamisten von "Millis Görüs"(?), die derzeit gerade dabei sind eine Partei zu gründen, machen es vor. Wenn man berücksichtigt wie schwierig es ist, politische Parteien zu verbieten oder zu bekämpfen (als Partei kann man jeden Unsinn zum Programm machen) erscheint dieser Weg als empfehlenswert.

Bleiben noch die "Ehemaligen" und ihr "politisches Engagement". Geprägt von ihrer ("politisch neutralen") Vergangenheit und der Unterdrückung der persönlichen politischen Meinung versuchen manche offenbar nun ihre politische Entwicklung im Schnelldurchlauf nachzuholen.

Wie gerne wäre doch so mancher auch mit Rudi Dutschke mitmarschiert, hätte mit Joschka Fischer zusammen gegen "Startbahn West" Steine geworfen und Häuser besetzt oder hätte sich gerne als Redakteur der Schülerzeitung versucht. Was tun?

Also besorgt man sich jetzt Designer- Stiefel mit Stahlkappen und bewaffnet sich mit Motorradhelm und Flugblättern und zieht am 1.Mai nach Kreuzberg oder am Wochenende als AntiFa- Tourist durch deutsche Innenstädte um mit martialischem Geschrei ein paar rechte Spinner ins Fernsehen zu bringen, die ansonsten keinerlei Beachtung fänden (und denen schon lange mangels Masse die Lust am Demonstrieren abhanden gekommen wäre), wäre da nicht das ach so wichtige "Gewalt gegen Rechts"- Bündnis.

(Ein Kurt Tucholski würde sich im Grabe rumdrehen, könnte er diese Clownerie miterleben. Eine grüne Partei, entstanden aus der Friedensbewegung, also pazifistisch geprägt, als Fürsprecher deutscher Militäreinsätze in Mazedonien und ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister der mal eben zwischen zwei "Knutsch- Einsätzen" auf Mallorca nach Tetovo fliegt um den deutschen Soldaten zu sagen, daß das Waffeneinsammeln vielleicht doch nicht völlig ungefährlich ist [sonst hätte man ja auch die freiwillige Feuerwehr von Castrop- Rauxel hinschicken können]. Das erinnert moralisch doch stark an Konrad Adenauer, der einmal sagte: "Hören Sie auf die alten Nazis zu jagen, wir haben doch niemand anders".)

Nun sind nicht alle "Ehemaligen" linksnostalgisch. Die Weltanschauung "Ehemaliger" reicht von fundamentalistisch christlich über agnostisch, atheistisch bis zum politischen Extremismus. Andere suchen sich eine neue Heimat bei politischen Parteien oder arbeiten ihre Vergangenheit anders auf (durch Mitarbeit in Gewerkschaft, Rotes Kreuz, Verbänden, Vereinen, Aussteiger- und Sebsthilfegruppen, schreiben Bücher oder betreiben anderweitig Aufklärung). Aber alle haben etwas gemeinsam:

Alle Ehemaligen sehen die Dauer ihrer ZJ- Mitgliedschaft als verlorene Zeit an und versuchen hinterher, die Zeit in der einen oder anderen Form aufzuholen. Dies beinhaltet wie selbstverständlich auch politische Arbeit und gesellschaftliches Engagement in unterschiedlichster Weise. Das gibt doch zu denken, oder?




ZurIndexseite