„… Und hier genau scheiden sich die Geister"


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 29. November 2004 01:57:14:

„… Und hier genau scheiden sich die Geister" (wörtliches Zitat von Hans Hesse)

Im April 2000 fand in Karlsruhe im Rahmen der „Standhaft"-Veranstaltungen, eine solche statt, die sich wohl aus insgesamt 8 Themenabenden zusammensetzte, über die auch Videoaufzeichnungen vorliegen. Mitveranstalter war auch die „Forschungsstelle Widerstand im deutschen Südwesten", der Universität Karlsruhe. Dem Umstand geschuldet, nicht alleiniger Veranstalter zu sein, musste die WTG auch die „Kröte" herunterschlucken, dass dort auch Referate gehalten wurden, welche nicht unbedingt ihr spezielles Lobeslied sangen. Eines der wenigen dieser Art, war dass von Frau Dr. Angela Borgstädt, welche über die Quäker in Nazideutschland referierte.

Nun besteht zwischen Zeugen Jehovas und Quäkern schon mal dahingehend ein wesentlicher Unterschied, dass die Quäker in Kontinentaleuropa und demzufolge auch in Deutschland, nur in numerisch sehr bescheidener Zahl vertreten sind. Demzufolge konnten sie auch aus dem Grunde schon, nicht jene Bedeutung erlangen, wie es im Falle Zeugen Jehovas und ihren Konflikten im Naziregime der Fall war. Frau Dr. Borgstädt arbeitete aber an Einzelbeispielen heraus, dass die Quäker sehr wohl auch widerständiges Verhalten an den Tag gelegt hatten. Namentlich Hilfeleistung für durch das Naziregime Bedrängte. Sich dabei keineswegs nur auf die eigene Quäker-Klientel beschränkend.

Nun kann man entgegnen. Wie sollten denn Zeugen Jehovas, unter den Verbotsbedingungen des Naziregimes Hilfsaktionen organisieren. Das ginge doch nicht. Wenn dem so ist; dann muss man die Gegenfrage stellen. Und wo sind die organisierten Hilfeleistungen in freiheitlichen Gesellschaften, für Nicht-Zeugen Jehovas? Auch die wird man kaum finden können. Insofern besteht schon ein wesentlich qualitativer Unterschied zwischen Zeugen Jehovas und den Quäkern. Sicherlich wird den Zeugen Jehovas-Mitveranstaltern auch jene Aussage von Frau Dr. Borgstädt in ihrem Referat nicht sonderlich „geschmeckt" haben, indem sie der WTG vorhält, was Widerständigkeit im Naziregime anbelangt, zu sehr nach dem schwarz-weiss-Schema zu agieren. Sich selbst ins Rampenlicht zu stellen (in der nach Garbe-Zeit). Für den „Rest" aber nur abwertende Urteile parat zu haben. Demgegenüber betonte Frau Dr. Borgstädt, dass es auch bei den Quäkern „lichtvolle" Handlungsweisen gab.

Das war wohl nicht der einzigste „Misston", den die WTG bei diesen Karlsruher Veranstaltungen herunterschlucken musste. Wohl mit im vorher gedruckten Programm aufgeführt; auch ein beabsichtigter Vortrag von Gabriele Yonan. Wenn ich es richtig sehe wollte sie über den Fall Emmy Zehden referieren. Und tatsächlich, ein solches Referat kam zum Vortrag. Allerdings, nicht von Frau Yonan persönlich vorgetragen, sondern von einem anderen Zeugen Jehovas vorgelesen. Offenbar müssen sich die diesbezüglichen Geschehnisse in ganz kurzer Zeit überschlagen haben. Auch die säkulare Tagespresse nahm von dieser Veranstaltungsreihe Kenntnis und berichtete. Und offenbar fanden sich in dieser Berichterstattung auch einige kritische Anmerkungen zu der beabsichtigten Referentin Gabriele Yonan. Nicht wegen des Inhaltes ihres vorgesehenen Vortrages. Das sicherlich nicht. Sondern gegen sie als Person insgesamt in Wertung früherer Auftritte von Frau Yonan; namentlich solcher ohne direkten Zeugen Jehovas-Bezug. Gleichwohl in ihre Gesamtbewertung einfließend.

Da die WTG nicht alleiniger Veranstalter war, musste sie es daher hinnehmen, dass Yonan wohl kurzfristig wieder ausgeladen wurde. Offenbar hatte sie aber einem der Protagonisten auf der WTG-Seite, ihr beabsichtigtes Referat noch per Fax noch zugesandt, so dass es dann doch noch vorgelesen werden konnte; gleichwohl nicht durch sie persönlich.

Kurzfristig, für das vermutete Vakuum, hatten die Veranstalter Hans Hesse als Ersatz eingeladen, mit der Bitte ein zusätzliches Referat zu übernehmen, was er dann auch am 12. 4. 2000 vortrug. Schon in seiner Einleitung ging er auf den genannten Eklat der Ausladung Yonan indirekt ein; ohne sie aber namentlich zu nennen. Hesse meinte in Reaktion auf die Presseartikel, er sehe sich nicht als vor dem Karren der WTG gespannt.

Das sei einmal zur Kenntnis genommen. Eine gewisse Unabhängigkeit sei ihm durchaus zugestanden. Gleichwohl versteht er es, die immer in jenem Rahmen sich bewegen zu lassen, der ihn für die WTG weiterhin als Geschäftspartner interessant erscheinen lässt. Hesse wird also wohl kaum jene (unsichtbare) Grenze überschreiten, die seine Geschäftsbeziehung zur WTG ernsthaft gefährdete. Gleichwohl hält er es doch auch mit jener Romanfigur im Roman von Stefan Heym, mit dem Titel „Der König David Bericht"; der sich auch dadurch auszeichnete, seinem Geschichtsbericht, der als Auftragsarbeit doch eigentlich alle Zweifel an dem großen David, ein für allemal beseitigen sollte, dadurch zu „entwerten" in der Sicht der Mächtigen, dass er gewisse Zweifel in Nebensätzen einfließen lässt und damit das denken „unerlaubter Gedanken" befördert. Jedenfalls hat mich Hesse schon mehrmals an jenen Vergleich erinnert, bei der Lektüre einiger (nicht aller) seiner Ausführungen.

Offenbar hatte Hesse am 12. 4. 2000 in diesem Sinne einen besonderen „Glanztag". Brachte er doch in seinem Vortrag, der doch eigentlich auch alle Zweifel ausräumen sollte, auch ein paar solcher von der WTG unerwünschte Nebensätze mit unter.

Thematisch hatte sich Hesse besonders dem Thema Frauen-Konzentrationslager gewidmet. Angefangen von Moringen; über das Nachfolgelager Lichtenburg in Thüringen; schließlich in Ravensbrück thematisch landend. Hatte die Lichtenburg etwa 1.400 Frauen als Insassen; davon ein beträchtlicher Teil Zeuginnen Jehovas, so sollte das Nachfolgerlager Ravensbrück, in das ab Mai 1939 auch die Zeuginnen Jehovas mit überstellt wurden, insgesamt 130.000 Insassen in den sechs Jahren seines Bestehens zählen.

Schon in der Anfangszeit (in Moringen) waren die Zeuginnen Jehovas im Sinne der Lagerleitung, dadurch unangenehm aufgefallen, dass sie Arbeiten für das sogenannte Winterhilfswerk der Nazis verweigerten. In der Lichtenburg herrschte denn ein schärferer Wind. Die Konflikte eskalierten weiter. Ein zusätzlicher Konfliktpunkt dort, die Ablehnung der Zeuginnen Jehovas, sich über Radio übertragene Hitlerreden, im Gefängnishof zwangsweise anzuhören. Die SS zog aber dabei schon sehr schnell härtere Seiten auf, als dies etwa noch in Moringen der Fall war. Und sie setzte ihre Ansprüche mit Gewalt durch.

Eine weitere Steigerung der Konflikte sollte es dann in Ravensbrück geben. Besonders in die Geschichte eingegangen ist dabei der 19. Dezember 1939. An diesem Tage wurden die Zeuginnen Jehovas, die in der dortigen Nahstube beschäftigt waren, beauftragt, Taschen für die Wehrmacht zu nähen. Hesse interpretiert; es habe sich dabei um Pistolentaschen gehandelt. Sie lehnten geschlossen ab. Auch jetzt fackelte die SS nicht lange. Alle Verweigerer landeten im berüchtigten Zellenbau. Damit war dieser Konflikt aber noch nicht beendet. Nun waren in Ravensbrück die Zeuginnen Jehovas nicht „nur" in der Nähstube tätig, sondern noch in diversen anderen Arbeitsfeldern. Um ein Exempel zu statuieren, befahl der Kommandant alle Zeuginnen Jehovas auf den Appellplatz. Dort wurden sie mit der gleichen Forderung konfrontiert; und der Kommandant musste widerwillig zur Kenntnis nehmen; erneute, diesmals generelle Ablehnung.

Die Folgen ließen auch diesmal nicht auf sich warten. Alle Verweigerinnen kamen für Wochen in den berüchtigten Zellenbau und waren dort weiter sich verschärfenden Repressalien ausgesetzt. Als diese Tortur nach endlosen Wochen ihr Ende schließlich fand, bedeutete das noch keineswegs auch das Ende der persönlichen Leiden. Inzwischen war ein strenger Winter in voller Härte eingebrochen. Folgt man der Schilderung, soll der Schnee gar Barackenhöhe erreicht haben. Unter unmenschlichen Rahmenbedingungen war es nun die Aufgabe dieser entkräfteten Frauen, das Barackengelände begehbar zu halten, und die ungeheuren Schneemengen auf einem nahegelegenen See zu verfrachten.

Offenbar wurde diese Arbeit, zumindest, nicht verweigert. Sie konnte ja auch nicht als direkte Kriegsarbeit deklariert werden. Diese Strapazen sollten drei lange Monate währen. Danach ergab sich aber eine erneute Eskalation. Und jetzt trat etwas ein, was es vorher so nicht gab. Hatten bisher die Zeuginnen Jehovas nahezu geschlossen, gewisse Befehle verweigert, so gab es diese Einheit jetzt nicht mehr. Einige, wie Hesse betont, von Außenstehenden, so genannt „Extreme" verweigerten es nun gar aufzustehen, wenn der Kommandant ihre Baracke betrat; und auch an den täglichen Zählappellen verweigerten sie die Teilnahme.Auch das schliessen der Fensterläden, abends, als angeordnete Verdunklungsmaßnahme, verweigerten einige von ihnen.
Auch da war die SS nicht zimperlich. Die Verweigernden wurden eben mit Gewalt auf den Appellplatz geschleift. Dabei machte sich die SS noch nicht einmal selbst die Finger schmutzig. Das wurde eben als Befehl via Ausführung über die Kapos weiterkommandiert.

Aber wie gesagt. Die vorherige einheitliche Haltung der Zeuginnen Jehovas gab es nun nicht mehr. Hesse stellt dazu die durchaus berechtigte Frage:
„Wenn ich Pulver in Granaten einfülle, dann ist die Sache relativ eindeutig. Wie aber sieht es mit Wolle aus der Kaninchenzucht aus. Wofür wird diese Wolle verwendet. Woher habe ich meine Informationen dazu usw. usf."

Diese Fragestellung erwies sich nun als „Scheidungsgrund" unter den Zeuginnen Jehovas. Nicht alle bezogen noch die Position der „Extremen". So auch namentlich Frau Getrud Pötzinger nicht. Weitere Folge. Die SS machte mit dem verbliebenen harten Kern der „Extremen" nicht viel Federlesen. Die wurden systematisch auf „Transport" geschickt. Einen Transport ohne Wiederkehr. Das einzigste was von ihnen ins Lager noch zurückkehren sollte, war ihre vormalige Häftlingskleidung und Nummern. Nicht jedoch ihre Trägerinnen. Die waren systematisch ermordet worden. Verständlich schon das die Rückkehr nur der Kleidung der Betroffenen, das Klima der Furcht und Angst weiter anheizte. Hesse schätzt, dass etwa 164 solcher Ermordungen, mehr oder weniger, aktenmäßig nachweisbar wären. Diese Phase fand etwa 1943 ihr Ende. Schlicht aus dem Grunde; dass es die Fraktion der „Extremen" in den KZs zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gab; dieweil sie allesamt zuvor ermordet worden waren. Wer das KZ von den Zeuginnen Jehovas nach 1945 überleben sollte; der gehörte jedenfalls nicht (mehr) dieser Fraktion in seinen Leidenstagen, dort an. Was nicht ausschließt auch zeitweilig die Positionen der „Extremen" mit praktiziert zu haben. Aber eben doch nicht bis zum bitteren Ende, das in der Regel in der buchstäblichen Ermordung bestand.

Ergänzend noch dazu jene Passage aus dem zusammen mit Jürgen Harder herausgegebenen Buch von Hans Hesse „Und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müßte ..." (S. 166):

„Die Zeugin Jehovas Ruth Bruch schildert die Situation, als die Frauen im KZ wußten, was es wirklich mit den Transporten auf sich hatte: 'Man hatte diesen Häftlingen gesagt, sie würden entlassen werden und zuvor woanders hingebracht, um sich zu erholen. Beim ersten Transport waren sie sehr freudig, weil sie ja glaubten, es geht in die Freiheit. Wie schrecklich, als einige Tage später Kleider und alles, was sie mit hatten und auf ihrer Heimreise gebraucht hätten, zurückkam. Nun wußten wir, daß sie umgebracht worden waren. Ich war selbst Zeuge, als der nächste Transport verladen wurde. Herzzerreißend war es mitzuerleben, wie sie den Wagen erkletterten und weinend uns laut um Hilfe baten. Leider standen wir hilflos dabei und mußten zusehen, wie diese armen Menschen wie Schlachtvieh abtransportiert wurden, ohne helfen zu können."


ZurIndexseite