Re: Verschwörungstheorien


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 30. September 2004 13:30:00:

Als Antwort auf: Verschwörungstheorien geschrieben von Sandy am 30. September 2004 05:21:20:

„Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur", analysierte zutreffend einmal ein Karl Marx. Damit allerdings ist der soziale Nährboden der Religion keinesfalls „ausgetrocknet". Zuletzt sah man das an den rasanten Zunahmezahlen der Zeugen Jehovas im Bereich der ehemaligen Sowjetunion. Der Traum einer Gesellschaft mit halbwegs ausgeglichenen Lebensverhältnissen wurde auch dort der endgültige Todesstoß versetzt. In der Folge gibt es in diesem Bereich auch buchstäbliche Millionäre, die es vorher dort nicht gab. Es gibt aber auch die Öffnung der Schere am anderen Ende dieser Skala. Wer denn keine wirklichen Perspektiven mehr hat, der ist und wird auch anfällig für allerlei Rattenfängerlatein, wobei Religion nur eines von vielen Angeboten ist.

Es gibt aber auch das Rattenfängerlatein mit Rechtsnationalistischer Ausprägung. Zuletzt auch bei der Sachsenwahl in beachtlichem Umfang registrierbar und sicherlich im Lande von Hartz IV noch nicht die Spitze der Fahnenstange erreicht habend. Einen gemeinsamen Nenner dieser ansonsten sehr unterschiedlichen „Brüder" gilt es auch noch zu registrieren. Die Artikulierung angestauten Unmutes in irrationalen Formen.

Ob da einer an ein nahe bevorstehendes Harmagedon glaubt, oder ein anderer einen „Jo Conrad" oder einen „Jan von Helsing" zu seinen Propheten erklärt ist kein wirklich qualitativer Unterschied. Beide genannten Beispiele bedienen eine soziologische Komponente, nämlich vorhandenen sozialen Unmut in irrationale Bahnen zu kanalisieren. Die einen wähnen durch die ihnen Sorgen bereitenden Rahmenbedingungen Harmagedon nah, die anderen wittern allerlei Verschwörer für den gleichen Tatbestand im Hintergrund am Wirken.

Lesen sie dann gar noch aus Scannerkassen und deren Codes die Zahl 666 heraus, oder aus der Ein Dollar-Note erschreckliche Freimaurerverschwörungen, dann ist der Schritt von der Wissensgesellschaft zur irrationalen Glaubensgesellschaft, vollends überschritten. Letztendlich kann man sie dann auch als eine Art religiös Gläubiger ansprechen. Ihr Unterschied zu den traditionell religiös Gläubigen besteht lediglich darin, dass sie einer vagabundierenden Form von Religion huldigen. Ihre Geisteshaltung ist zwar derjenigen der konventionell Religiösen identisch; aber sie verschreiben sich (noch) nicht mit Haut und Haaren einem neuen Totalitarismus.

Es sei denn, sie sind, als einer Variante, den rechtsnationalistischen Rattenfängern auf den Leim gegangen. Dann fühlen sie sich vielleicht auch emotional angesprochen durch deren Musikangebote, durch deren Kameradschaftsabende und ähnliches mehr. Dann ist der Schritt sie als „sakularisiert" religiös Gläubige anzusprechen, in der Tat nicht mehr weit. Dann ist es auch kein Novum in diesen Kreisen mehr, beispielsweise das abstruse Hasspamphlet „Protokolle der Weisen von Zion" als eine Offenbarungsschrift hochzuachten. Wird da doch auch eine einfache, zu einfache Weltsicht gepredigt

Aber das kennt man schon von dem braunen Rattenfänger der Jahres 1933.
„Die Frankfurter Zeitung stöhne, die 'Protokolle der Weisen von Zion' seien eine Fälschung. Genau das aber Beweise ihre Echtheit" so die „Logik" des 1933er Rattenfänger. Wohin das dann führte, sah man allerspätestens in Auschwitz. Gestern waren es die Juden. „Nur" gestern? Heute sind es wohl die Ausländer, die die neue Ersatzjudenfunktion wahrnehmen. 1933 fing alles noch „relativ harmlos" an. 1940 und weitere Jahre, war es dann nicht mehr „harmlos".

Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn die Rolle gewisser Ausländer kritisch analysiert, bewertet, und so es sich als notwendig erweist, daraus auch reale Schlussfolgerungen gezogen werden. Was allerdings stört ist der Umstand, dass Verschwörungsgläubige mit ihrem begrenzten Horizont in ihr begrenztes Weltbild, auch diese Faktenlage mit übernehmen. Dann werden wir nämlich bald wieder bei einem neuen Auschwitz angelangt sein.

Diese Ersatzreligionsfunktion ist das eigentliche Problem.


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