Die Wachtturm-Gesellschaft und ihre Geschichtsfälschungen - ganz im Stil von
George Orwells "1984"
Eric Blair, Verfasser des berühmten Buches "Farm der Tiere" war auch Autor des
Romans "1984".
Er benutzte "George Orwell" als Pseudonym für alle seine Veröffentlichungen.
"1984" wurde 1949 herausgebracht, kurz darauf starb der Autor.
1. Zusammenfassung von Orwells "1984"
Die markanten Prognosen des Romans "1984" in einer Zusammenfassung aus Rowohlts
"Liste der Weissagungen und Prognosen", Seiten 143-144:
1984 ist die Welt in drei Einflußbereiche aufgeteilt: Ozeanien, das England,
Nord- und Südamerika, Australien und Südafrika umfaßt, Eurasien, wozu Rußland,
Europa und Sibirien zählen, und Ostasien mit China, Japan, der Mongolei und
Südostasien.
Unwissenheit ist Stärke" (wie: "Die Supermächte sind, gemessen an ihrer
politischen Struktur, der Gesellschaftsordnung und ihren Zielen, faktisch nicht
zu unterscheiden. Alle drei sind unterdrückerische, totalitäre Staaten mit
gottähnlichen Oberhäuptern, die aber keine wirkliche Macht besitzen (Großer
Bruder regiert in Ozeanien); mit einer elitären Parteispitze, die alle
politischen Entscheidungen fällt, und einer alles durchdringenden Ideologie, die
mit Urkundenfälschung, öffentlichen Widersprüchen und Lügen gestützt wird. Die
drei Staatengebilde liegen ständig im Krieg miteinander, wobei konventionelle
Waffen eingesetzt werden (obwohl Atomwaffen zur Verfügung stehen). Stein des
Anstoßes sind Teile von Afrika und Indien. Ziel der Kriegführung ist die
Kontrolle über Millionen potentieller Arbeitssklaven, die in diesen Regionen
leben, und der Verbrauch von Reichtümern, um den Lebensstandard der eigenen
Bevölkerungsmassen ständig auf dem Existenzminimum zu halten.
Politische Bündnisse verschieben sich laufend, wobei sich immer zwei Staaten
gegen den dritten wenden in einem absichtlich nie endenden Krieg.
Geschichte wird systematisch und rückwirkend verändert, indem schon
veröffentlichte Berichte umgeschrieben werden, um sie den laufenden politischen
Gegebenheiten anzupassen, wann immer Bündnisse wechseln oder Parteiführer
abgesetzt werden.
Ozeanien besteht aus drei streng voneinander getrennten Klassen: den Proles, den
geistlosen Arbeitern, die 85 Prozent der Bevölkerung stellen, der Äußeren
Partei, jenen 13 Prozent, die die Direktiven des Staates durchsetzen und die
verarmte Mittelklasse bilden, und der Inneren Elite, den 2 Prozent an der
Spitze, die die Entscheidungen treffen und die Macht ausüben.
Alle Bürger, besonders jene, die eine Machtstellung innehaben, werden ständig
überwacht. Fernseher für Empfang und Sendung sind in jedem Raum installiert und
müssen ständig eingeschaltet bleiben; die Geräte empfangen und senden von selbst
in unregelmäßigen Abständen. Bürger, besonders Kinder, werden dazu angehalten,
einander auszuspionieren.
Sexualität und Liebe sind verpönt, besonders für Parteimitglieder. Sex gibt es
nur zur Zeugung der Nachkommen. Anti-Sex-Ligen gedeihen besonders unter den
weiblichen Parteimitgliedern.
Individualismus ist Grund genug für eine Hinrichtung oder Gehirnwäsche: Die
Partei fordert kritiklose Verehrung ihrer Parolen, die allesamt ohne jede
Bedeutung oder sogar widersprüchlich sind.
Die Sprache wird vorsätzlich durch die Partei verdorben und manipuliert. Eins
der Hauptziele der Partei ist es, die Sprache so zu entstellen, daß ein normaler
Bürger abweichende Gedanken nicht mehr ausdrücken oder nicht einmal mehr denken
kann. Diese künstliche Sprache heißt Neusprech.
Die Partei ist der alleinige Richter über das, was in allen Bereichen als wahr
zu gelten hat. Ihr Grundgedanke ist das "Doppeldenken", die Fähigkeit, zwei sich
widersprechende Aussagen gleichzeitig zu glauben, ohne die Unlogik solcher
Positionen zu merken. Parolen der Partei (wie: "Krieg ist Frieden", "Freiheit
ist Sklaverei", "Unwissenheit ist Stärke") verdeutlichen den grundlegenden
Charakter des Staates.
2. Parallelen von Orwells Welt zur Wachtturm-Gesellschaft
Aufmerksame Leser, die mit der Vergangenheit der Wachtturm-Gesellschaft vertraut
sind, werden bereits einige Parallelen bemerkt haben. Aber viele neu
hinzugekommene Zeugen Jehovas haben keine Ahnung oder nur eine sehr entstellte
Sicht aus den manipulierten Eigendarstellungen des "treuen und verständigen
Sklaven" über seine Vergangenheit. Bei InfoLink fanden wir einen Beitrag, der
sich dem Vergleich der Wachtturm-Gesellschaft mit Orwells Sicht widmete und den
wir nachfolgend wiedergeben:
1984 ist ein Zeugnis, wie dieser Grundsatz auf politischem Gebiet wirkt. Da
viele Religionen wie Jehovas Zeugen, Mormonen, die Weltweite Kirche Gottes usw.
einfach eine vergeistigte Form von Herrschaft sind und viel politische Tätigkeit
damit verbunden ist, besteht eine enge Analogie. Ich habe darum einige Auszüge
aus dem Buch 1984 ausgewählt, um die Ähnlichkeit zwischen der Wachtturm-Welt und
der Orwells aufzuzeigen.
(Anmerkung des Übersetzers: Die Zitate sind der im Ullstein-Verlag erschienenen
Übersetzung von Michael Walter - ISBN3-548-23410-0 - entnommen).
Zu Beginn des Buches zeichnet Orwell das Bild einer Weltmacht, die sich mit der
Wahrheit und mit historischen Aufzeichnungen versucht, um sich den Anstrich zu
geben, immer recht zu haben. Die Weltmacht ist Ozeanien, und Eurasien ist der
Rivale. Es wird auch der Große Bruder oder die Gesellschaft erwähnt. Man denke
an die Ähnlichkeiten zwischen diesem politischen System und der Mutter
Organisation der Zeugen Jehovas, die gleichfalls als Gesellschaft bezeichnet
wird (ein Begriff, der sowohl im Wachtturm benutzt wird als auch in der
kommunistischen Welt benutzt wurde, um die Tatsache zu verbergen, daß die wahre
Herrschaft in den Händen einer Handvoll Männer liegt). An dieser Stelle kann ich
nicht widerstehen, den Wachtturm vom 1. Juli 1957, Seite 402, anzuführen, wo
gesagt wird, wenn wir im Licht der Wahrheit wandelten, müßten wir nicht bloß
Jehova Gott als Vater, sondern auch seine Organisation als Mutter" anerkennen.
Wir kommen nun zu den Auszügen aus dem Buch 1984
... das Fürchterliche dabei war, daß alles wahr sein konnte. Wenn die Partei in
die Vergangenheit eingreifen und von diesem oder jenem Ereignis behaupten
konnte, es hat nie stattgefunden - dann war das doch gewiß erschreckender als
Folter und Tod?
Die Partei sagte, daß Ozeanien sich nie mit Eurasien verbündet hatte ... Aber wo
existierte dieses Wissen? Nur in seinem eigenen Bewußtsein ... Und wenn alle
anderen die von der Partei oktroyierte Lüge akzeptierten - wenn alle Berichte
gleich lauteten -, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.
Wer die Vergangenheit kontrolliert", lautete die Parteiparole, kontrolliert die
Zukunft, wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit." ... Es
war ganz einfach. Es erforderte nichts weiter als eine nicht abreißende
Siegesserie über die eigene Erinnerung. Realitätskontrolle" nannte man das, in
Neusprach: Doppeldenk". (Seite 39)
Wie wirklich ist die Wirklichkeit - oder das, was wir als Wirklichkeit
wahrnehmen? Wenn eine Organisation die Macht besitzt, die Geschichte zu
verändern, welche Schrecken könnten verübt werden? Die Geschichte kann nur auf
lange Sicht in Büchern aufgezeichnet werden - aber was, wenn die Bücher geändert
werden?
Die leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas weiß, daß sie die Kontrolle über
die Vergangenheit besitzen muß, um die Zukunft zu kontrollieren. Wie?
Grundsätzlich auf vier Weisen:
Es wird verhindert, daß der durchschnittliche Zeuge Zugriff auf die Fehler oder
Täuschungsmanöver der Vergangenheit hat
die Vergangenheit wird verklärt
die Vergangenheit wird als unwichtig abgetan, oder
es werden die Bücher selbst verändert!
Für die leitende Körperschaft ist Wirklichkeit das, was sie jeweils als
gegenwärtiges Licht vom treuen und verständigen Sklaven ansieht, womit sie
natürlich sich selbst meint. Was in der Vergangenheit gelehrt wurde, soll nicht
einmal mehr betrachtet werden; tatsächlich käme es schon einem Abfall vom
Glauben gleich, wieder an frühere Ansichten zu glauben (die als altes Licht
bezeichnet werden). Jehovas Zeugen müssen mit der Zeit Schritt halten!
Beispiele für Geschichtsfälschungen der Wachtturm-Gesellschaft
Der nachfolgende Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch Der Wachtturm Konzern der
Zeugen Jehovas - Anspruch und Wirklichkeit. In diesem gut recherchierten Werk
hat der Autor, Hans-Jürgen Twisselmann, in akribischer Kleinarbeit die
historischen Fakten klar und verständlich aufgezeichnet.
Niemals waren die historischen Ereignisse eine Erfüllung biblischer Prophezeiung
im Hinblick auf die Existenz der Wachtturm-Gesellschaft oder eines "treuen und
verständigen Sklaven". Im Gegenteil! Da sich nichts von den vielen Vorhersagen
der Wachtturm-Gesellschaft erfüllte, nahm sie, ganz brutal und ohne Skrupel, zu
rigorosen Fälschungen ihrer eigenen Geschichte Zuflucht. Und heute werden diese
gefälschten Zitate in ihrer umfangreichen literarischen Produktion der
bibelerklärenden Publikationen verwendet, und wiederum Millionen Gläubige
hinters Licht geführt!
Bilde Dir, lieber Leser, nun selbst Deine Meinung.
Nachträgliche Veränderungen an Russells Schriftstudien-Bänden
Schuldzuweisungen an andere stellen jedoch nur eine Sichtweise dar, die
Fehlprognosen der Wachtturm-Gesellschaft nachträglich zu vertuschen. Mit dem
gleichen Ziel nahm die Wachtturm-Gesellschaft auch Veränderungen in den
Schriftstudienbänden vor, die sie nach 1914 neu auflegte, ohne auf diese
Veränderungen am ursprünglichen Text Russells hinzuweisen. So fällt z.B. auf,
daß im oben zitierten Band II der "Schriftstudien" von 1926 in Russells
Ankündigung von der "Zerschlagung der Nationen vor 1914" seine durch Fettdruck
hervorgehobenen Worte "vor 1914" kurzerhand gestrichen wurden. In der Ausgabe
von 1912 lautete der entscheidende Satz noch wie folgt: "Daß der Herr
gegenwärtig sein und sein Königreich aufrichten und seine große Macht gebrauchen
muß, um die Nationen, wie eines Töpfers Gefäß, vor 1914 zu zerschlagen, ist also
deutlich festgestellt ..." (97)
Hellmund nennt zwei weitere typische Beispiele für nachträglich
zurechtgebastelte "Prophezeiungen":
Ausgabe von 1913: "Die Erntearbeit wird zu ihrer Ausführung vierzig Jahre in
Anspruch nehmen und mit dem Jahre 1914 enden" (Bd. II, 146). In der Ausgabe 1926
findet man 1918 anstelle von 1914!
Ausgabe 1913: "Die "Zeiten der Nationen" beweisen, daß die gegenwärtigen
Regierungen alle vor dem Schluß des Jahres 1914 gestürzt sein müssen (Bd. II,
234).
Die Ausgabe 1926 hat statt dessen "von dem Jahre 1914 an" im Text, also das
blanke Gegenteil!" (98)
Der Verfasser ergänzt:
"Ob man hier von Fälschung reden darf, können die Juristen sagen. Sicher steckt
aber in dieser nachträglichen Textbearbeitung ein interessantes Eingeständnis
der Wachtturm-Gesellschaft."
In diesem Zusammenhang verdient eine im vorliegenden Buch bisher nicht erwähnte
Abhandlung Russells Beachtung, der er die Überschrift gab: "Das bestätigende
Zeugnis von Gottes Stein-Zeugen und Propheten, der Großen Pyramide in Egypten."
Es handelt sich um die Cheopspyramide. Russell hatte in dieser Abhandlung in
Band III der "Schriftstudien" ausführlich darzustellen versucht, wie sehr der in
der Bibel bezeugte Heilsplan Gottes auch in den genauestens nachgemessenen
Gängen und Räumen dieser Pyramide mathematisch-architektonisch sichtbar wird.
Darum rühmte er sie als " ... "Zeuge" Jehovas in dem Lande Egypten" (99)
Natürlich fand er auch die Ergebnisse seiner "biblischen" chronologischen
Berechnungen in dem Bauwerk wieder, z.B.:
"Diese Berechnung zeigt das Jahr 1874 n.Chr. an, als den Anfang der Periode der
Trübsal markierend; denn 1542 v. Chr. plus 1874 n.Chr. macht 3416 Jahre. So
bezeugt die Pyramide, daß der Schluß des Jahres 1874 der chronologische Anfang
der Zeit der Trübsal war, dergleichen nie gewesen ist, ... noch je sein wird.
Und so wird man bemerken, daß dieser "Zeuge" das biblische Zeugnis über diesen
Gegenstand völlig bestätigt ..." (100)
Nach der Enttäuschung von 1914, die Russells gesamte Chronologie nach eigener
Einsicht als falsch entlarvte, hatte die Wachtturm--Gesellschaft zunächst an
1874 noch festgehalten, (101) dieses Datum jedoch später mehr und mehr durch
1914 ersetzt. Darum wurde in Russells Text in der Fassung von 1926 flugs 1874 in
1914 geändert (bzw. 1915), so daß er nun wie folgt lautet:
"Diese Berechnung zeigt das Jahr 1915 n.Chr., als den Anfang der Zeit der
Drangsal bezeichnend, an; denn 1542 v. Chr. und 1915 n.Chr. geben 3457 Jahre. So
bezeugt die Pyramide, daß der Schluß des Jahres 1914 der chronologische Anfang
der Zeit der Drangsal war, dergleichen nicht gewesen ist noch auch je sein wird.
Und so wird man bemerken, daß dieser "Zeuge" das biblische Zeugnis über diesen
Gegenstand völlig bestätigt ..." (102)
In der Zwischenzeit - zwischen der Ausgabe von 1913 und der von 1926 - müßte
also eine Veränderung der Maße im Innern der Pyramide erfolgt sein, eine
Veränderung um 40 Zoll. Genau um die 40 Zoll, die nötig sind, damit die Rechnung
wieder stimmt - mit dem "neueren Licht" der Wachtturm-Gesellschaft
übereinstimmt, in dessen Mitte das Datum 1914 steht. Hellmund bemerkt in seiner
Anm. 299 zu diesem frühen Meisterstück der Wachtturm-Gesellschaft:
"Meines Wissens ist die Cheopspyramide zwischen 1913 und 1926 aber nicht um ca.
40 Zoll gewachsen. Dies Verfahren zur bewußten Irreführung der Leser und
Gläubigen kann man wohl "Fälschung" nennen. jedenfalls ist deutlich, zu welchen
Mitteln die Wachtturm-Gesellschaft greifen kann."
Vertröstung auf die nächste Zukunft
1918
Nach der Enttäuschung von 1914 war es menschlich verständlich, daß die Anhänger
der Wachtturm-Gesellschaft sich fragten: Wann wird nun das für 1914 Erwartete
endlich kommen? Naheliegend war die Antwort: Die "Zeiten der Nationen" sind 1914
abgelaufen. Von nun an müssen auch die erhofften Ereignisse eintreten.
Die Wachtturm-Gesellschaft gab sich jedoch mit einer so allgemeinen Auskunft
nicht zufrieden. Schon in ihrem 1917 in großer Eile herausgegebenen Band VII der
"Schriftstudien" nennt sie das Jahr 1918 als Termin für den Zusammenbruch der
"Namen-Christenheit" und der Vollendung der "kleinen Herde", der "wahren"
Christen (gemeint sind die Watch Tower-Anhänger). Die Wachtturm-Gesellschaft
beruft sich dabei auf Russells eigene Äußerungen, in denen er abermals
Parallelen zu Jesu erstem Kommen zog: Das Land Juda wurde insgesamt erst im
Jahre 73 n.Chr. von den Römern erobert, also 40 + 3,5 Jahre nach Jesu
öffentlichem Auftreten im Jahre 29. Ebenso wird auch das Gegenbild zu Juda,
nämlich die "nominelle Kirche", erst 40 + 3,5 Jahre nach Christi unsichtbarer
Wiederkunft (im Jahre 1874) verwüstet werden, also 1918. (103)
An anderer Stelle des VII. Bandes wird ein "Bethelmitarbeiter" zitiert, der über
ein Gespräch bei Tisch berichtet, an dem auch C. T. Russell sich beteiligte:
"Vor etwa drei Monaten stellte ich bei Tisch mehrere Fragen, deren letztere
folgendermaßen lautete: "Nachdem ich erkannte, daß die Zeit der jüdischen
Drangsal mit dem Frühjahr 73 nach Christi endete, wofür ich den deutlichen
Beweis aus der Geschichte zog, was werden wir wohl da für das Paralleljahr 1918
zu erwarten haben?" Bruder Russell legte die Frage dreien hervorragenden Brüdern
vor, die alle erwiderten, sie wüßten es nicht, wollten aber gerne zuwarten und
sehen. Als er mich aufrief, sagte ich: "Da das Jahr 73 nach Christi die
vollständige Zerstörung des nominellen fleischlichen Israels brachte, so folgere
ich daraus, daß wir in dem Paralleljahr 1918 den gänzlichen Umsturz des
nominellen geistlichen Israels, d.h. den Fall von Babylon erwarten dürfen."
(Off. 18.) Bruder Russell antwortete: "Ganz richtig! Das ist genau der Schluß,
der zu ziehen ist." Zuvor aber die Vollendung der Kirche." (104)
Der VII. Band stellt also das Datum 1918 eindeutig heraus, möchte jedoch
vorsichtig sein. (105) Gleichwohl nahmen die Anhänger das neue Datum, das der
"Kanal Jehovas" nannte, als "bare Münze". Ein Beispiel dafür ist ein
schottischer Zeuge Jehovas, der in seiner Lebensgeschichte (u.a. über seine
Erfahrungen in der Zeit seiner Inhaftierung) berichtet:
"Im September oder Oktober 1917 brachte ein Neuankömmling die Nachricht ins
Gefängnis, das Buch "Das vollendete Geheimnis" sei herausgekommen (in Englisch),
und die Kirche werde im Frühjahr 1918 hinweggenommen werden und dann kam das
Jahr 1918 - kam und ging vorüber - Was nun? Ich war im April nicht Himmel
gekommen ..." (106)
Tatsächlich hatte ja die englische Übersetzung des Buches an zahlreichen Stellen
das Datum 1918 genannt. In der deutschen Übersetzung hatten die für sie
Verantwortlichen vorsichtshalber an etlichen Stellen schon lieber "nach dem
Jahre 1918" geschrieben, wo im englischen Originaltext "In the year 1918" stand.
(107) In den späteren Auflagen der deutschen Übersetzung wurde das Bemühen um
Abschwächung der Erwartungen für 1918 verstärkt fortgesetzt. Dasselbe gilt für
ein weiteres Datum:
192I
Im Band VII der "Schriftstudien" wird dieser Termin gleichzeitig mit 1918
angekündigt. Der für Nicht-Zeugen Jehovas schwer verständliche Text setzt die
Vorstellung voraus, daß die Namenchristenheit durch ihr Verhalten das nach der
Oktoberrevolution von 1917 entstandene sozialistische "Staatengebilde"
provoziert, so daß dieses die Namenkirche vernichten wird. Kurz danach wird dann
auch diesem Gebilde selbst ein Ende bereitet durch die Anarchisten. In einer
Auslegung zu Hes. 35,15 heißt es:
"Wie du deine Freude hattest an dem Erbteil des Hauses Israel, darum daß es
verwüstet war, ebenso werde ich dir tun: eine Wüste sollst du werden, Gebirge
Seir und ganz Edom insgesamt! Und sie werden wissen, daß ich Jehova bin. - So
wie die irdischgesinnten Teile der Christenheit (Edom) sich freuen werden über
die Verwüstung der Christenheit (Israel), ebenso wird es ihnen ergehen. Die
durch "Edom" gegründeten sozialen Staatengebilde sollen durch die Anarchie
gänzlich verwüstet werden - voraussichtlich ums Jahr 192I." (108)
In der englischen Originalausgabe fehlt das Wort "voraussichtlich"; in späteren
deutschen Ausgaben wird die Jahreszahl 1921 gestrichen, die erwähnte Verwüstung
nur sehr allgemein für das "Ende der Zeit der Drangsal" angekündigt.
Diese Deutung von Hesekiel 35,I5 wie auch die folgenden Auslegungen zeigen
übrigens, wie die Wachtturm-Gesellschaft mit biblischen Texten und Zahlen
jongliert, um den Nachweis der unmittelbar bevorstehenden Verherrlichung der
"wahren Kirche" zu erbringen:
"Die Himmelfahrt fand 40 Tage nach Christi Auferstehung statt. Das bestätigt die
Hoffnung der Kirche hinsichtlich ihrer Verherrlichung - 40 Jahre (ein Jahr für
einen Tag) nach der Auferweckung der schlafenden Heiligen, im Frühling 1878. Die
sieben Tage vor der Flut mögen sieben Jahre darstellen und zwar von 1914-1921,
eine Jahrwoche, in deren Mitte die letzten Glieder des Messias hinter den
Vorhang gehen. Die "große Schar"-Klasse wird am Schluß dieser Woche eingegangen
sein ..." (109)
Etwas später nennt die englischen Originalausgabe - wie auch die deutsche
Erstausgabe - von Band VII dann wieder ausdrücklich das Jahr 1921 als "Ende des
himmlischen Weges":
"Die Auferweckung der schlafenden Heiligen im Jahr 1878 fand genau in der Mitte
(dreieinhalb Jahre) zwischen dem Anfang der Zeiten der Wiederherstellung, im
Jahre 1874, und dem Schluß der hohen Berufung im Jahre 1881, statt. Somit
dürften wir die Erwartung hegen, daß die Verherrlichung der kleinen Herde im
Frühling des Jahres 1918 stattfinden wird. Das wäre wiederum die Mitte zwischen
dem Schluß der Zeiten der Nationen und dem Ende des himmlischen Weges, 1921
n.Chr." (110)
1925
Nicht nur der Zeitpunkt der Verwüstung der Namen-Christenheit und der Vollendung
der "wahren Kirche" bewegte die Wachtturm-Gesellschaft und ihre Anhänger. Das
alte Thema der Aufrichtung des Königreiches auf Erden stand auch auf der
Tagesordnung. Dieses Ereignis wurde seit 1917, seit Herausgabe des VII. Bandes
der "Schriftstudien", auf 1925 datiert:
"Zweifellos war der Satan der Meinung, daß das tausendjährige Reich im Jahre
1915 aufgerichtet würde ..." - (der Satan?!) - "Nun, sei dem, wie es wolle, es
liegen Beweise vor, daß die Aufrichtung des Reiches in Palästina wahrscheinlich
ins Jahr 1925 fällt, also zehn Jahre später, als wir einst annahmen." (111)
( ... )
Die obige knappe Auflistung schon zeigt: Es kam bei der Wachtturm-Gesellschaft
nach der Panne von 1914 geradezu zu einer Inflation immer neuer kurzlebiger
Endtermine, die nicht hielten, was sie versprachen - Symptome einer
Grundlagenkrise, die man wohl auf diesem Wege in Vergessenheit zu bringen
suchte, aber gerade dadurch zementierte und offenbar machte. So hat die
Wachtturm-Gesellschaft mit den fragwürdigen Methoden der Krisenbewältigung sich
einen echten Bärendienst erwiesen:
Selbstrechtfertigung bei gleichzeitiger Abwälzung der Schuld auf ihre Anhänger;
nachträgliche Änderungen an den ursprünglichen "Schriftstudien"-Texten;
Vertröstung der noch verbliebenen Anhänger auf die nächste Zukunft, z.T. unter
Veröffentlichung neuer Endtermine.
Fußnoten:
(97) Bd. II der Schriftstudien, Ausg. 1912, S. i65.
(98) Hellmund, Geschichte der Zeugen Jehovas, Anm. 256; vgl. dazu auch
Stuhlhofer, Charles T. Russell und die Zeugen Jehovas. Der unbelehrbare Prophet,
S. 39-42. -Am besten belegt in E.V. Süßkind, Zeugen Jehovas, S. 68-72.
(99) Bd. III der "Schriftstudien" Russells, Ausg. 1913 und 1926, S. 3o9.
Hellmund bemerkt dazu (Anm. 295):" ... meines Wissens die in der
WT-Gesellschafts-eigenen Literatur älteste Belegstelle für den Begriff "Zeuge
Jehovas". Nach heutiger Auffassung der Zeugen Jehovas ein anrüchiger
Zusammenhang." Gleichwohl könnte Russells Denkanstoß die spätere Namensgebung
mit ausgelöst haben.
(100) Bd. III, Ausg. 1913, S. 327.
(101) So noch in "Die Harfe Gottes" (I922). Im Wachtturm vom 1. 7.1927, S. 195f.
werden 1914 und I874 gleichzeitig erwähnt, in den dreißiger Jahren kommt meines
Wissens 1874 nicht mehr vor.
(102) Bd. III, Ausg. 1926, S. 330.
(103) Bd.VII der "Schriftstudien" (Ausgabe von 1917, als angeblich posthumes
Werk Russells), S. 65-69. (In späteren Ausgaben ab S. 74.)
(104) a.a.O., Ausgabe 1917, S. 153f; in der Ausgabe von 1925, S. 166 (dort
leicht veränderte Ausdrucksweise).
(105) Am Schluß der oben zitierten Stelle (Anm. 103) kommt Bd. VII, S. 72, zu
dem Fazit: "Somit dürften wir die Erwartung hegen, daß die Verherrlichung der
kleinen Herde und die Hinwegnahme der letzten Glieder des Leibes des Christus
nicht mehr fern sein kann, wir werden w a r t e n und A u s s c h a u halten,
nicht gleichgültig jedoch, damit nicht etwa ein anderer, eifrigerer unsere Krone
nehme. Die Zeit kann nicht mehr fern sein. Müßten wir aber noch 5o Jahre warten,
was sollten wir uns deshalb sorgen?"
(106) Der Wachtturm 1957, S. 139.
(107) Stuhlhofer hat in mühevoller Kleinarbeit solche Stellen aufgelistet. Vgl.
dazu sein Buch Charles T. Russell und die Zeugen Jehovas .... S. I34-I36.
(108) Erstausgabe von Bd.VII, S. 777.
(109) a.a.O., S. 71.
(110) a.a.O., S. 72.
(111) a.a.O., S. 152 (Auslegung von Offbg. 7,3).
-----------------------------------
Der seinerzeitigen Webseite wtcleanup entnommen
http://geocities.com/wtcleanup/01Allgemeines/11OrwellWTGeschichte.htm