Annotationen zu den Zeugen Jehovas

15. Oktober 1932

Besonders in adventistischen Kreisen, wo dem Jahre 1844 der gleiche Stellenwert beigemessen wird, als einem „Grunddatum", wie bei den Zeugen Jehovas dem Jahre 1914; wird sehr viel wert gelegt auf Berechnungen, die auf den in Daniel Kap 8:14 erwähnten 2300 Tagen basieren.

So schreibt etwa der adventistische Autor E. Rühling in seinem Buch „Am Scheideweg":

„Bis zweitausenddreihundert Abende und Morgen um sind; dann wird das Heiligtum wieder geweiht werden", lautete die göttliche Antwort an Daniel."

Und weiter derselbe Autor:

„Wenn wir von der großen Zeitweissagung der 2300 Jahre die für die Juden vorgesehenen 490 Jahre abrechnen, bleiben noch 1810 Jahre übrig. Rechnen wir diese vom Jahre 34 n. Chr. weiter, so kommen wir in das Jahr 1844. Oder zählen wir die 2300 Jahre als Ganzes vom Jahre 457 v. Chr. an, so enden wir ebenfalls im Jahre 1844. Zu dieser Zeit, so lautete die Weissagung, sollte die Weihe oder Rechtfertigung des himmlischen Heiligtums beginnen."

Charles T. Russell nahm nun in seinen „Schriftstudien" Band 3 eine Änderung dergestalt vor, dass er die 2300 Tage nicht mehr genau 1844 enden lassen wollte. Ansonsten aber war seine Rechnung ähnlich, wenn er schrieb:

„Wohlan denn, in Anerkenntnis, daß die symbolischen siebzig Wochen oder 490 Tage als in Jahren erfüllt ein Siegel der 2300 Tage sein sollten, fangen wir da zu messen an, um zu sehen, wo der ganze Abschnitt erfüllt sein wird. Von den 2300 die 490 am ersten Advent erfüllten abziehend, erhalten wir als Rest 1810. So müssen also 1810 Jahre (prophetische, symbolische Tage) das Maß vom Ende der siebzig Wochen bis zu der Zeit sein, da die Heiligtum-Klasse von den verschiedenen Verunreinigungen des Papsttums -- des verwüstenden Greuels, der so lange Jahrhunderte den Tempel Gottes verunstaltet hatte -- gereinigt sein werde.

Der Tod des Messias fand, wie gezeigt, im Frühjahr des Jahres 33 statt, und dies war die Mitte oder inmitten der letzten siebzig Wochen. Das volle Ende derselben war daher eine halbe Woche oder 3 ½ Jahre später -- im Herbst des Jahres 36. So markiert also der Herbst des Jahres 1846 (1810 Jahre seit dem Herbst 36) das Ende des Gesichts von den 2300 Tagen und das Datum, da das Heiligtum gereinigt werden sollte.

Dies sind sicherlich nicht die einzigsten Auslegungen, die man jener ominösen Zahl zukommen ließ oder zukommen lassen könnte.

So berichtet Herr Hans-Hermann D. in seinem die Zeugen Jehovas in der DDR bezüglichen Buch darüber (1. Aufl. S. 30):

„In der Zeit von 1950 bis 1966 wurden ca. 2300 Zeugen Jehovas (in der DDR) zu Zuchthausstrafen verurteilt."

Diese Angabe von D. hat allerdings nie den Rang einer offiziellen WTG-Bibelauslegung erreicht. Es wäre wohl auch etwas abenteuerlich, wollte man jene 2300 auch in der Bibel vorher gesagt wissen. Indes was die Abenteuerlichkeit betrifft, so hat die WTG wohl noch nie besondere Skrupel gehabt. Man sehe sich doch mal ihre derzeit noch gültige Auslegung zu diesen „2300 Tagen" etwas näher. Einen diesbezüglichen Überblick kann man auch ihrem 1975er Jahrbuch entnehmen.

Genanntes Jahrbuch schreibt:

„Zu Beginn der vorhergesagten 2 300 Tage erschien der zweiteilige Artikel „Organisation" im Wachtturm (engl. Ausgabe vom 1. Juni und 15. Juni 1938). Im ersten Teil hieß es: „Jehovas Organisation ist in keiner Weise demokratisch. Jehova ist der Höchste, und seine Herrschaft oder Organisation ist streng theokratisch." Teil 2 enthielt eine Resolution, die von den Versammlungen der Zeugen Jehovas angenommen wurde und in der darum gebeten wurde, daß in sämtlichen Versammlungen alle amtierenden Diener theokratisch (von oben nach unten) ernannt würden.

Wenn man vom 1. Juni 1938 an zählt, endeten die 2 300 Tage am 8. Oktober 1944. Rechnet man sie vom 15. Juni 1938 an, so endeten sie am 22. Oktober 1944. Am Ende dieser Zeit wurde wieder Nachdruck auf die theokratische Organisation gelegt, indem auf dem Kongreß und der Jahresversammlung, die nacheinander vom 30. September bis zum 2. Oktober 1944 in Pittsburgh (Pennsylvanien) stattfanden, Vorträge über die Organisation und die Änderungen gehalten wurden und indem im englischen Wachtturm vom 15. Oktober („Zum Schlußwerk organisiert") und vom 1. November 1944 („Theokratische Organisation in Tätigkeit" und „Heutiges Anpassen an theokratische Richtlinien") Artikel über die theokratische Organisation veröffentlicht wurden. … siehe Wachtturm vom 15. März 1972, Seite 167—184)."

Raymond Franz konnte es sich daher nicht verkneifen, in seinem Buch „Der Gewissenskonflikt" (S. 90) dazu zu kommentieren:

„Und dennoch wurde die Annahme dieser Satzungsänderung zum Stimmrecht in

Wachtturm -Artikeln der Ausgabe vom 15. März 1972 (Verfasser: Fred Franz) als so

bedeutend dargestellt, daß sie den Schlüssel zur Deutung der Prophezeiung aus

Daniel 8:14 bildete, wo von 2300 Tagen die Rede ist, in denen ,die heilige Stätte in

ihren rechten Zustand gebracht werden' solle. Unter tausend Zeugen Jehovas, denen

man diesen Bibelvers heute vorlegt, wird wohl kaum ein einziger die Stelle mit dem

Jahr 1944 und der damaligen Satzungsänderung in Verbindung bringen. Dabei ist das

die bis heute - gültige offizielle Auslegung dieser Prophezeiung. Auch das war ein

Beispiel dafür, wie man ein unbedeutendes Ereignis hernehmen und mit großer

symbolischer Bedeutung befrachten kann."

Indes sind das nicht die einzigsten WTG-Auslegungen zu diesem Thema.

In ihrem 1958 erschienenen Buch „Dein Wille geschehe" kann man weiteres dazu lesen.

Zu dieser Zeit interpretierte man das wie folgt:

„Wenn wir nun vom 25. Mai 1926, dem Beginn der internationalen Hauptversammlung in London, 2.300 Tage von Abenden und Morgen vorwärtszählen, kommen wir zum 15. Oktober 1932. … Dort erscheint der Beschluß, den die Gruppe der Zeugen Jehovas in New York am 5. Oktober 1932 faßte. Darin wurde eine Säuberung der Versammlungsorganisation, eine Wiederherstellung derselben zu dem rechtmäßigen Stand der Heiligtumsklasse Jehovas, verlangt. Auf welche Weise? Durch die Entfernung der „Wahlältesten" oder Ältesten aus der Organisation, die von den Gliedern der Versammlung durch Handerheben gewählt und in ihr Amt eingesetzt wurden, wie dies bei einer demokratischen oder Volkswahl geschieht …

Zu Gottes bestimmter Zeit erschien nun der Artikel, betitelt ,,Jehovas Organisation", im Wachtturm, und zwar der 1. Teil in der Ausgabe vom 15. September 1932 und der 2. Teil in der Ausgabe vom 1. Oktober. In diesem Artikel wurde gezeigt, daß das ,,Wahlältesten" - System eine Anpassung an die demokratische Handlungsweise dieser Welt darstellt und somit eine unreine, nichttheokratische Einrichtung ist, da man sich dadurch dem großen Theokraten, der sein Heiligtum von oben nach unten regiert, nicht unterordnete. Durch dieses demokratische Vorgehen bei der Wahl von Ältesten wurden manche Männer zu diesem Amte gewählt, die in Wirklichkeit nicht reif oder geistig nicht erwachsen waren."

Genau dieses Datum, 15. 10. 1932, nennt Rutherford auch in seiner 1934 erschienenen Broschüre „Welt-Wiederaufbau" S. 55f. als „Erfüllungsdatum" Großmäulig rühmt er sich jenen Vortrag „Welt-Wiederaufbau" am 12. Nov. 1933 über eine Reihe von Radiosendern habe halten zu können; und wer denn nicht zu jenen Zuhörern gehörte, der hätte ja auch zu den Lesern seiner 205 Millionen Exemplare umfassenden Bücher und Broschüren bis zu diesem Zeitpunkt, gehören können.

Ein Mann, der seine Verkündigung in diesem Umfang verbreiten kann, der will beachtet sein. Und so mag es denn angebracht sein, neben vorgenannten Rechenkünststückchen, sich diese Broschüre mal etwas näher anzusehen.

Schon einleitend weiß Rutherford eine Erfolgsmeldung zu verkünden. Die Prohibition in den USA ist gekippt. Sicherlich hatte auch er seinen Anteil daran, denn massiv genug gegen diesen kirchlichen Weltverbesserungsversuch, hatte auch er Stellung bezogen. Aber auch das sagt er; deshalb nun in Euphorie zu verfallen, erachte er als unangebracht. Das liest sich dann so:

„In Amerika wurde das Alkoholverbot der Staatsverfassung einverleibt, und manche guten Leute glaubten, die Verbrechen würden nun abnehmen. Jedoch nach einem zehnjährigen Experiment war das Gegenteil feststellbar. Nun ist die Prohibition durch Abstimmung des Volkes wiederum aufgehoben, und so hoffen jetzt viele, dass die Verhältnisse sich bessern und es weniger Verbrechen geben werde. Aber ihre Hoffnungen werden sich nicht verwirklichen."

Und als Erklärung dazu meint Rutherford interpretieren zu können:

„Der Teufel veranlasste die Alkoholgesetzgebung in seinem Bemühungen, die Menschen von dem wahren Gott und seinem Königreich abzuwenden und sie in seine selbstsüchtigen weltlichen Systeme hineinzubringen. Die gleiche Macht bewirkte die Aufhebung des Prohibitionsgesetzes und zwar für denselben Zweck. Drangsal und Verbrechen werden zunehmen, bis der große Höhepunkt in der Schlacht von Harmagedon erreicht sein wird."

Selbstverständlich ist es für Rutherford ausgemachte Sache, dass niemand anders (außer er selbst) ein „Heilsrezept" habe. Und so spart er denn nicht mit weiterer Kritik in alle Richtungen. Unter anderem weiß er zu belehren:

„Männer, die von hohen Idealen beseelt und mit den gegenwärtigen Verhältnissen unzufrieden waren, haben verschiedene Heilspläne vorgeschlagen. Bis zur gegenwärtigen Stunde haben aber diese weltlichen Mittel keine Rettung gebracht; keines davon wird überhaupt je erfolgreich sein."

Und weiter ins Detail gehend:

„Russland zum Beispiel, das lange unter ´Bedrückung zu leiden hatte, zerbrach das alte Joch, errichtete die Sowjetregierung und hat gehofft, durch diese Regierungsmethode der Welt zum Segen sein zu können. Sein Regierungsplan ist jedoch nicht erfolgreich und wird es nicht sein.

Dann kam Italien mit seinem tatkräftigen, politischen Führer, der eine Regierungsform bildete in der Hoffnung, die Welt zu verbessern.

In Deutschland erdenkt Hitler einen Plan und bringt ihn zum Ausdruck mit dem selbstbezeugten Vorhaben, dadurch die Welt zu beherrschen und zu erneuern. Außerhalb Deutschlands glauben nur wenige an ihn. Auch sein Plan wird niemals zustande kommen, wie gut auch immer seine Absichten sein mögen."

Nochmals zur Erinnerung. Dieser Radiovortrag datierte vom November 1933. Da dürfte es doch wohl schon in aller Welt deutlich geworden sein; wohin „der Hase läuft" bezüglich Deutschland.. Da noch von „guten Absichten" des Hitler zu reden… Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das aber nur am Rande.

Von Verfolgung der Zeugen Jehovas ist in dieser Broschüre auch die Rede. Aber getreu dem Motto das Rutherford das Hemd näher ist als die Hose, erwähnt er Hitlerdeutschland zu diesem Zeitpunkt nicht. Er weiß nur von Verfolgung, direkt in den USA zu berichten.

Zitat:

„Der Teufel und seine irdischen Vertreter bekämpfen natürlich Jehovas Zeugen bei diesem Zeugniswerk …Das ist der Grund, weshalb die katholische Hierarchie, die Hauptvertreterin des Teufels auf Erden, unentwegt Jehovas Zeugen verleumdet, sie verfolgt und auf Grund falscher Anklagen ihre Verhaftung und Einkerkerung veranlasst. Ein auffallendes Beispiel dieser Verfolgung der Zeugen Jehovas durch Satans Vertreter finden wir heute in gewissen Teilen des Staates New Yersey."

Rutherford beschränkt sich nicht, nur nach außen den erhobenen Zeigefinger zu präsentieren. Nein, auch nach innen. Etwa wenn er verkündet:

„Während der Elia-Zeit, (womit die Russell-Epoche gemeint ist) stellten sich diejenigen, die bei Hauptversammlungen zusammengekommen waren, gewöhnlich die Frage: ‚Wie lange wird es wohl noch dauern, bis unser Werk vollendet ist?'

Heute aber fragen wir uns gegenseitig: ‚Was können wir tun, um noch wirkungsvoller die uns übertragenen Pflichten zu erfüllen und uns unserer Vorrechte würdig zu erweisen?' Wir kümmern uns nicht mehr darum, wie lange wir wohl noch auf Erden sein werden. Wir wissen, dass, nachdem wir in die Organisation des Herrn hineingebracht worden sind, sofern wir treu ausharren, wir auf immerdar mit dem Herrn sein werden, sei es nun im Organismus des Fleisches oder im Geiste."

Ganz so glatt, wie vorstehende Worte den Eindruck erwecken, ist wohl diese Umstellung von konkreter Endzeiterwartungen, mehr in die Richtung des nebulösen Sankt Nimmerleinstages, wohl nicht vonstatten gegangen, denn an innerorganisatorischer Polemik, spart auch Rutherford nicht in dieser Broschüre. So etwa wenn er ausruft:

„Was auch immer die ‚Ältesten' gewirkt haben mögen als sie versuchten, das Volke Gottes in vergangenen Zeiten zu lehren, so ist doch gewiß, dass sie nicht Lehrer derer sind, die in den Tempel gesammelt wurden.

Es gibt einige Törichte frühere Älteste, die sich jetzt mit den Gruppen des Volkes des Herrn zu verständigen suchen, indem sie denken, es sei ihr gutes Recht, Einladungen von gewissen Gruppen anzunehmen und hierhin und dorthin zu reisen, um vor den Gruppen Ansprachen zu halten. Sie glauben immer noch, dass sie Lehrer seien, doch sind sie es nicht. …

Wenn es in einer Gruppe Glieder gibt, die die Organisation des Herrn nicht schätzen und die nicht willig und gerne bereit sind, Organisationsanweisungen zu befolgen und vielmehr darauf bestehen, ihren eigenen Weg zu gehen, so kann sogleich geschlossen werden, dass diese sich außerhalb des Tempels befinden. Wer murrt, klagt und widerspenstig handelt, ist außerhalb des Tempels."

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