Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Nihilismus

Im Vorfeld des 1950er DDR-Verbotes des Zeugen Jehovas kommentierte unter der Überschrift "Falsche Propheten" am 23. 8. 1950 die CDU-Tageszeitung "Neue Zeit":

"Unter dem Vorgehen, ihre Mitmenschen über die letzten Fragen des Lebens aufzuklären, verbreiten sie sich lang und breit darüber, daß die Welt in den letzten Tagen ihrer Existenz stehe und mit einem baldigen Weltuntergang zu rechnen sei."

Am 25. 8. 1950 meinte das gleiche Blatt in einem weiteren Kommentar unter der Überschrift: "Nihilismus im religiösen Gewande":

"De Art ihrer Agitation, ihre politische Tätigkeit und ihr staatsrechtlicher Nihilismus im religiösen Gewande, lassen die gesamte demokratische Bevölkerung aufhorchen..."

Der Kommentar dieses Blattes vom 26. 8. 1950 unter der Überschrift "Propagandisten des Krieges" meinte dann:

"Wie wahr und eindeutig richtig diese Interpretation ihres Auftretens ist, ergibt sich aus einem Buch (richtiger wäre: Broschüre), das in Bern unter dem Titel 'Freiheit in der neuen Welt' und mit dem Untertitel 'Keine politische Propaganda' erschien. Auf Seite 3 dieser dokumentarischen Unterlage ihres schändlichen Treibens steht wörtlich zu lesen:

'Die freie, von Gott geschaffene Welt kommt nicht ohne Blutvergießen aus, nicht ohne das Blut des größten Freiheitskämpfers, der je auf der Erde weilte. Dieser Blutkreis macht die neue Welt zu einer Gewißheit, wenn ihr auch noch so viele und mächtige Feinde im Wege stehen mögen. Die Welt völliger Freiheit wird daher kommen, freilich nicht ohne Tumult einer Riesenschlacht, nicht ohne das Fließen von noch mehr Blut, ja das Blut aller der Menschen, die die Freiheit bekämpfen, in der 'Schlacht' jenes großen Tages Jehovas, des Allmächtigen, der allen Kriegen ein Ende setzt.'"

Und weiter äußert die "Neue Zeit":
"Der nicht unbekannte 'Prediger' (Günter) Schubert dieser Zeugen Jehovas verstieg sich am 23. Februar 1950 während einer Ansprache zu folgender gotteslästerlicher Behauptung: 'Eine Sinflut wird in Zukunft nicht passieren, aber die Menschheit wird für ihre Sünde in Zukunft vernichtet durch Atomenergie' ... Und um noch einen dieser schandbaren 'Zeugen' mit einem Zitat anzuführen, seien die Worte ihres 'Predigers' Rudolf Gierbrich wiederholt, die er am 9., April 1949 in Pirna äußerte: 'Jehova steht für den Krieg, aber für einen solchen Krieg, der ewigen Frieden bringt, ein Krieg gegen alle die, die Jehova entgegentreten und den Zeugen Jehovas verbietet, zu prophezeien."

Sehe ich es richtig ist die zitierte WTG-Schrift "Freiheit in der Neuen Welt", so ziemlich die einzigste WTG-Schrift, die in diesen Vorfeld- Verbotskommentaren wörtlich zitiert wurde.

Als Verlagsort wurde Bern genannt. Sie ist aber auch in Deutschland gedruckt worden. Das in der Deutschen Bücherei Leipzig vorhandene Exemplar davon (1946 A 3303) nennt als Erscheinungsjahr 1945 und nennt auch noch ein Verlagsbüro Stuttgart neben den Ortsangaben Brooklyn N. Y. - Magdeburg - Wiesbaden.

Auch findet sich in genanntem Exemplar der Hinweis: "Veröffentlicht unter der Zulassung Nr. US-W-1052 der Nachrichtenkontrolle der Militär-Regierung".

Daneben waren offenbar weitere Ausgaben im Umlauf. So liegt mir eine davon vor, die im Impressum lediglich vermerkt: "Herausgeber. Jehovas Zeugen Internationale Bibelforscher-Vereinigung Deutscher Zweig e.V."

Unbeschadet dieser unterschiedlichen Ausgaben kann wohl als gesichert angesehen werden, dass es sich hierbei um eine der frühesten WTG-Schriften handelt, die nach 1945, auch in Deutschland im Umlauf gesetzt worden. Sie weist neben der Seitenzählung (16 Seiten) auch die für Studienartikel der Zeugen Jehovas charakteristische Nummerierung in einzelne Abschnitte auf (insgesamt 36). Sie soll nachstehend mal etwas näher vorgestellt werden.

Schon der erste Abschnitt beginnt gleich mit den provokativen Sätzen:

"Eine freie Welt kann nur Gott der Allmächtige schaffen. Sie steht bevor und keine Macht im Himmel oder auf Erden kann der Hand des allmächtigen Schöpfers wehren, sie aufzurichten und sie in all ihrer Herrlichkeit Geschöpfen zu geben, die ihrer würdig sind ... Er (Gott) will nicht, daß seine Söhne Tyrannen oder Diktatoren untertan seien, sondern alle müssen Glieder seiner freien Organisation sein und die Universalherrschaft Gottes des Höchsten anerkennen."

Im zweiten Abschnitt geht es dann weiter mit der schon von der "Neuen Zeit" zitierten Aussage:

"Die freie, von Gott erschaffene Welt kommt nicht ohne Blutvergießen, nicht ohne das kostbare Blut des größten Freiheitskämpfers, der je auf dieser Erde weilte. Dieser bezahlte Preis macht die neue Welt zu einer Gewißheit, wenn ihr auch noch so viele und mächtige Feinde im Wege stehen mögen. Die Welt völliger Freiheit wird daher kommen, freilich nicht ohne den Tumult einer Riesenschlacht, nicht, ohne das Fließen von noch mehr Blut, ja, des Blutes all der Menschen, die die Freiheit bekämpfen, in der 'Schlacht jenes großen Tages Gottes des Allmächtigen', des Krieges, der allen Kriegen ein Ende setzt."

Diese Aussage muss man wohl in den Kontext der Endzeit-Naherwartung der Zeugen Jehovas einordnen. Eigentlich hätte je gemäß ihren Theorien, der zweite Weltkrieg in Harmagedon ausmünden sollen. Eigentlich ... Nun kam (wieder einmal) alles anders. Es war für die WTG-Führung offenbar eine psychologische Krücke, der sie bedurfte. Diese Aufrechterhaltung der Kriegsandrohung, ja ihre Verschärfung. Was als "innertheologische" Notwendigkeit, vielleicht noch nachvollziehbar, hatte aber auch eine Außenwirkung. Und diese Außenwirkung war eben, dass die Umwelt der Zeugen Jehovas, angesichts der Trümmerberge des zweiten Weltkrieges, ausgesprochen befremdet darauf reagierte. Zumal das keine Verkündigung im "stillen Kämmerlein", sondern solch eine war, die offensiv in die Öffentlichkeit getragen wurde. Schon damit wurde eine der Wurzeln gelegt, die ihren Ausläufer dann im 1950er Verbot fand.

Weiter geht es im Abschnitt fünf mit der Aussage:

"Gerade der Umstand, daß Staatsmänner der Welt und Verfechter der Demokratie fortwährend von den 'vier Freiheiten' für alle Nationen reden, beweist, daß die Welt in Fesseln liegt."

Hier muss man schon rückfragen. Welche Staatsmänner redeten von "vier Freiheiten"? Antwort: die westlichen; namentlich jene jenseits des großen Teiches. Offenbar war das ein Argument, dass auch den zeitgenössischen Zeugen Jehovas in Fleisch und Blut übergegangen ist. So findet es man schon in dem 1943 erschienenen WTG-Buch "Die Wahrheit wird euch frei machen" (S. 20). Beleg dafür ist auch die Zeitzeugin Charlotte Müller, auf diversen "Standhaft"-Veranstaltungen aufgetreten ist. Brachte sie es zwar nach 1945 nur zur Küchenkraft im Magdeburger Bethel der Zeugen Jehovas; so sollte dieser Umstand aber nicht ihre spätere (erneute Verhaftung, davor schon im Naziregime), ausschließen. In ihren diversen Statements, über die Video-Aufzeichnungen vorliegen, "stanzte" sie immer wieder die "vier Freiheiten" hervor. Die Gottesdienst- und Redefreiheit sowie das Freisein von Furcht und Not. Ob sie ihre vernehmenden Richter damit sonderlich "beeindruckt" hat, mag man mehr bezweifeln, denn glauben.

Aber offensichtlich war das eine Argumentation, die jenseits des "großen Teiches" ihren eigentlichen Ursprung hatte; und die nun in den Zeugen Jehovas ihre Multiplikatoren fand.

Die Orientierung der Zeugen Jehovas-Verkündigung auf Destruktivität kommt auch im Abschnitt 11 genannter Schrift zum Ausdruck wen es darin heißt:

"In den Tagen vor der Flut redeten sich die Menschen ein, die religiöse, soziale und staatliche Einrichtung der Dinge sei fest und beständig. So spotteten sie denn über die Warnung vor dem Ende der Welt, die Noah, Jehovas treuer Zeuge, und seine Gefährten, seine Angehörigen, ausrichteten. Die Geschichte wird sich wiederholen. In der 'Neuordnung' nach dem jetzigen totalen Kriege, wird die offizielle Propaganda, die von den Unterstützern der Nachkriegsorganisation ausgeht, dem allgemeinen Volk einreden, die bessere, schönere Welt sei nun eingeführt, um zu bleiben, und werde so, wie Menschenhand sie schuf, kraft einer internationalen Polizeimacht, auch durch Menschenhand erhalten bleiben."

Und zur Motivation der Anhängerschaft für das auch zukünftige nur Treppenterrierdasein, geht es dann weiter mit den Sätzen:

"Großartig wird die in Aussicht gestellte Weltfreiheit gepriesen werden, und die Religion wird behaupten, daß sei die neue Welt, von der Menschen so lange geträumt hätten und die mit dem Segen der Religion Bestand haben müsse. Man halte aber inne und frage sich; Warum dieses plötzliche Propagandageschmetter für eine von Politikern und Religionisten geschaffene neue Welt, besonders nach 1918 n. Chr., und wer steckt dahinter?"

Diese Frage glaubt die WTG dann im Abschnitt 12 wie folgt beantworten zu können:

"Nachdem der Faschisten- und der Nazi-Diktator in den Jahren 1929 und 1933 mit dem Religionsoberhaupt der Vatikanstadt ihre Konkordate abgeschlossen hatten, setzten sie ihr gemeinsames Programm für den Weltangriff in Gang und nannten als Ziel die Errichtung einer neuen Weltordnung, die tausend Jahre dauern werde. Auch der römische Pontifex betete um die Aufrichtung einer neuen Ordnung der Dinge, und die Achsenmächte entnahmen daraus, daß der religiöse Pontifex für ihre Ziele und Bestrebungen Verständnis habe. (24. November 1940). Die Angriffshandlungen der Achsenmächte führten zu dem erdenweiten Krieg. Die Mächte, die den Angreifern tapfer Widerstand leisteten, taten sich unter der Gegenparole zusammen: Aufbau einer neuen Welt, in der auf Erden die "vier Freiheiten" Geltung haben sollten. In der Hitze des totalen Krieges wird für eine solch demokratische Welt eifrig Propaganda gemacht und das mobilisierte Volk wird zum Höchsteinsatz für einen Sieg angespornt, wodurch der Friede gewonnen werde. Die Prophezeiung Daniels, Kapitel 11, sagte diesen weltweitesten Krieg zwischen dem totalitären 'Nordkönig' samt seinen Bundesgenossen und dem demokratischen 'Südkönig' mit seinen Vereinten Nationen voraus. Gemäß der inspirierten Prophezeiung beweist dieses Ringen, daß die 'Zeit des Endes' für die Welt gekommen ist, eines Endes, das die Vernichtung aller Totalherrschaft, von Satan und seinen Dämonen angefangen bis hinunter zum Menschen, einschließt".

Das alles zeigt, es war eigentlich schon vorher klar. Aber die Lektüre dieser Schrift hat es noch einmal zusätzlich bestätigt. Das zeitgenössische Weltbild der Zeugen Jehovas ist in den Rahmen einer akuten Endzeit-Naherwartung eingespannt. Aufgrund dieser irrigen Illusion wird der Umwelt mit äußerster Destruktivität begegnet. In den USA mag das zum Selbstverständnis zu gewährender Narrenfreiheit gehört haben. Andernorts, im angesicht buchstäblicher Trümmerberge im Umfeld, glaubt man diese Narrenfreiheit nicht gewähren zu können. Wenn Narren ihre närrische Weltsicht dennoch mit Gewalt durchsetzen wollen; dann sind wohl Konflikte, ernsthafterer Natur, vorprogrammiert. Und so ist denn diese Geschichte auch tatsächlich gelaufen!

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