Lex, Matthias

"Was nicht im 'Wachtturm' steht. Eine kritische Betrachtung der 'Zeugen Jehovas und der 'Wachtturmgesellschaft'"

Diplomarbeit im Fachbereich Sozialarbeit

Fachhochschule Frankfurt am Main 1988, 112 Blatt.

Die Arbeit von Lex zerfällt meines Erachtens in "zwei Teile". In einen Darstellenden und einen Wertenden. Letzterer hat es dann besonders "in sich". Kann man schon aus der gewählten Überschrift entnehmen, dass der Autor sehr wohl der Wachtturmgesellschaft kritisch gegenübersteht, wird dieser Eindruck im wertenden Teil noch um ein vielfaches "verstärkt". Mir drängt sich dabei allerdings ein Vergleich auf. Geschichtlich gesehen gab es in der alten Bundesrepublik mal ein "studentisches Aufbegehren", dass als die "68-er Studentenunruhen" in die Annalen einging. Da gab es dann tatsächlich buchstäbliche Tote. Der Name Rudi Dutschke ist dafür Beleg. Andere "68-er" (zum Beispiel der derzeitige (im Jahre 2002) Bundeskanzler, aber auch sein Außenminister, haben danach noch eine bemerkenswerte "Verwandlung" durchgemacht. Ihre einstmals revolutionären Sprüche, gehören für sie heute zur Vergangenheit.

Dies sei jetzt Schröder und Fischer nicht besonders angekreidet. Sie befinden sich da durchaus im Kontext mit der breiten Bevölkerungsmehrheit, die da ebenfalls nichts von revolutionären Sprüchen hält. Wäre es anders, würde die bei Wahlen doch wohl auch ziemlich oft mit kandidierende DKP oder PDS in der alten Bundesrepublik nicht auf einem kaum in Prozentzahlen zu beziffernden Niedrigstniveau vegetieren. Damit ist ausgesagt. Man kann, wenn man sich als symbolischer "68-er" versteht, auch den Zeugen Jehovas "kräftigst die Leviten lesen". Auch Lex tut dies. Dennoch bleibt es sehr die Frage, ob eine solche Position überhaupt "hilfreich" ist, da wie gesagt der breite Bevölkerungskonsens sie in keiner Weise stützt. Aber vielleicht tut man Lex mit diesem Votum unrecht. Vielleicht ist auch aus ihm, wie aus etlichen anderen vormals "68-er" inzwischen auch ein zahmer "Papiertiger" geworden.

Auch muss man in Rechnung setzen, dass seine Diplomarbeit noch vor dem weltgeschichtlichen "Crash" der "DDR" zum Abschluss gekommen ist. Dieses Votum nimmt deshalb nur auf seine seinerzeitige, zeitbedingte Stellungnahme Bezug. Die aber durchaus nichts über den "Lex der Gegenwart" auszusagen vermag.

Es ist Lex erspart geblieben, dass seine Arbeit auch von dem Journalisten Horst Knaut, Verfasser eines auf die Zeugen Jehovas bezüglichen Buches ("Propheten der Angst" 1975 erschienen) bewertet wurde. Hätte Knaut sich zu Lex geäußert. Mit Sicherheit hätte er ein ähnliches Maß an Prügel bezogen, die Knaut in jenem Buche auch mit verteilte.

Knaut meinte damals (gekürzt zitiert) "Politdümmeleien" wahrzunehmen, "die den Gossenreden gegen den Westen aus zurückliegenden Zeiten noch immer ähnelt."

Als besonders kritikwürdig bewertete Knaut die Aussage:

"Ein Nutznießer der Wachtturm-Gesellschaft ist die bürgerliche Gesellschaftsordnung, für die sich die Zeugen Jehovas in etlichen entscheidenden Bereichen als systemerhaltende Stützen erweisen, indem sie Menschen, die von ihrer sozialen Struktur normalerweise in überwältigender Mehrheit zur Arbeiterklasse gehören, durch ihre Lehren faktisch dahingehend beeinflußt, daß die Privilegierten der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung ihre Vorrechte uneingeschränkt weiter ausbauen können. Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung weiß, was sie an der Wachtturm-Gesellschaft hat."

Mit Sicherheit wäre der dieserart auf das finden von "roten Tüchern", die ihn so recht in Wut versetzen können. Mit Sicherheit wäre besagter Herr Knaut, auch bei Herrn Lex fündig geworden. In den Vokabeln vielleicht geringfügig anders formuliert, aber in der Sache doch wohl ähnlich, liest man bei Lex z. B.:

"Daher ist es auch kein Wunder, daß jegliche außerparlamentarische Oppositionsbewegung in den Publikationen der 'WTG' ein negatives Image erhält, die denen der Springerpresse in nichts nachstehen. Hier wird ganz klar die Kausalität zwischen Kapitalismus und dessen Form von ökologischen Katastrophen und Wettrüsten erkannt.

Aber die 'Wachtturmgesellschaft' leitet den Protest in andere Bahnen.

Nach verbalem Protest ändert der 'Zeuge Jehovas' die Welt durch Beten und Predigen. Über solche Bürger reibt sich jedes System die Hände, von ihnen ist kein ernsthafter Widerstand gegen Raketen Atomkraftwerke und die Macht des Kapitals zu erwarten.

So ähnlich müssen sich die Arbeitsvorschriften der Frühkapitalisten für ihre Arbeiter angehört haben. 'Laßt euch ausbeuten und schweigt'. Eigentlich hätte jeder Kapitalist allen Grund dazu, eine weitere Verbreitung dieses Glaubens tatkräftig, bzw. finanziell zu unterstützen.

Eine solche Religion ist wahrlich Opium für das Volk. Vorgefundene Mißstände werden zwar verbal attackiert, aber der nötige Widerstand findet zwecks Vertröstung bis zum Paradies nie statt. Diese politische Einstellung zementiert die vorgefundenen politischen Verhältnisse und dient daher nur einer Klasse, den Herrschenden."

Ich bin mir sicher. Die Kritik des Herrn Knaut, wäre auch einem Matthias Lex in seiner Zeit vor 1989 garantiert.

Lex geht aber noch einen Schritt weiter. Da muss man dann doch wohl auf die berühmt-berüchtigte "Enquete-Kommission" des Deutschen Bundestages verweisen und auf ihr Endergebnis, dass dank der Kirchenlobby wie das "Hornberger Schießen" ausging. Viel Rauch und Nebel. Und Endergebnis. Fast null Komma nichts.

Das fand zwar erst ein paar Jahre nach der Diplomarbeit von Matthias Lex statt. Dennoch drängt sich dieser Vergleich auch auf, wenn man bei unserem Autor beispielsweise liest:

"Da es offensichtlich ist, daß hier ein Konzern eine Reihe gutgläubiger Menschen ausnutzt, stellt sich für mich die Frage des Verbots der WTG in der BRD.

Das vielbeschwörte Argument der Religionsfreiheit sollte in diesem Fall nicht zutreffen.

Welches Interesse verbirgt sich dann in einem kapitalistischen Staat an solchen Gruppen?

Um diese Frage für mich schlüssig zu beantworten schrieb ich daraufhin die großen gesellschaftlichen Gruppen an und bat sie um eine Stellungnahme zu den 'Zeugen Jehovas' und der 'Wachtturmgesellschaft'. Außer den beiden großen Kirchen war niemand in der Lage seine Position zu dieser Frage darzustellen, weder die CDU, FDP, SPD noch die Gewerkschaften. Die Grünen und die DKP reagierten bis heute nicht auf meine Anfrage.

Ich interpretiere diese Passivität dahingehend, daß keine politische Partei der BRD ein Interesse am Verbot der 'WTG' hat, da diese:

- eine staatserhaltende Ideologie vermittelt,

- vorhandene Systemkritik in ungefährliche Bahnen lenkt und das Protestpotential entpolitisiert.

In diesem Fall ist die Religion tatsächlich Opium für das Volk, denn die vorgefundenen Mißstände werden zwar verbal attackiert, aber anstatt Widerstand zu fordern, erfolgt die Vertröstung ins Paradies,

- die arbeitende Klasse in viele widersprüchliche Kleingruppen zersplittert, die alleine kein Interesse oder keine Macht haben herrschende Verhältnisse zu ändern."

Hier stellt sich wiederum die Frage nach der "Konsensfähigkeit" einer solchen These.

Wir haben in Deutschland schon zweimal ein Verbot der Zeugen Jehovas erlebt. In Hitlerdeutschland und der "DDR". Ich sage es klar heraus. Verbote sind das ungeeignetste von allen ungeeigneten Schritten. Sie werden meine Billigung

n i c h t finden. Eine ganz andere Frage ist, wie bewertet man die auch ohne KdöR nach wie vor gegebene Privilegierung der Zeugen Jehovas in steuerlicher Hinsicht z. B. Ist ihre Lehre wirklich staatserhaltend und damit von diesem als Bezuschußfähig bewertet?

Nur fürchte ich, diese Frage führt unter den obwaltenden Umständen nicht viel weiter. "Große Brötchen zu backen" - dies gehört doch wohl auf diesem Gebiet, in diesem Lande zu den unrealistischen Fata Morganas. Es wäre schon viel mehr erreicht, gelänge es wenigstens "kleine Brötchen" in Angriff zu nehmen.

Angesichts solcher Voten des Verfassers fragt man sich: Wie kommt er dazu? Hat er auch eine persönliche Betroffenheit, die ihn derartiges fordern lässt? Nun, man muss sagen: Er gehört nicht zu denjenigen, die von Kindheit an in den Zeugen Jehovas-Glauben hineinwuchsen. Gleichwohl spielten letztere in einer bestimmten Phase seines Lebens auch eine Rolle. In seinen eigenen Worten:

"Aufgrund ihrer eigenen Definition erheben 'Jehovas Zeugen' den Anspruch die 'wahren' Christen zu sein, sein Volk, das sich von der 'Welt' distanziert, unter 'Welt' verstehen sie hierbei alles, was nicht zu ihrer Organisation gehört.

Ich durfte die Bedeutung dieser Worte selbst schmerzlich erfahren. In meinem Freundeskreis schloß sich nach und nach eine ganze Gruppe 'Jehovas Zeugen' an.

Im Laufe der Zeit konnte ich Verhaltensänderungen, ein mir bis dato unbekanntes Geschichts- und Weltbild und eine veränderte Ausdrucksweise feststellen. Mit einem Wort, sie waren nicht mehr dieselben. Diese Distanzierung schloß auch unsere Freundschaft mit ein."

Ich erspare mir das jetzt weiter zu kommentieren. Der einzige Kommentar dazu, den ich mir dennoch nicht "verkneifen" kann, besteht in der Feststellung. Sofern die Verantwortlichen WTG-Apparatschiks noch die Spur von Gewissen haben sollten (was man bei diesen Herren allerdings mehr als bezweifeln kann), müssten ihnen vorzitierte Äußerungen eigentlich äußerst schrill in den Ohren klingen. Dann gibt es nur zwei Möglichkeiten als Folge dessen. Endgültig taub zu sein; oder in "Sack und Asche" Buße zu tun!

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