Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Der gestylte Kusserow

Über den Fall der Familie Kusserow ist schon verschiedentlich berichtet worden; sowohl in der WTG-Literatur, im WTG-"Standhaft"-Video als auch in einem auch über Jehovas Zeugen verbreiteten BBC-Video über diese Familie.

Dann hatte im Jahre 1998, einer der Überlebenden dieser Familie, der 1928 geborene Hans-Werner Kusserow im Pahl-Rugenstein-Verlag auch noch einen eigenen Buchbericht dazu veröffentlicht. Nicht mit dem Anspruch, wissenschaftlich orientiert zu sein. Sehr wohl aber unter dem Gesichtspunkt einer Familienchronik.

Die Ausgabe aus dem Pahl-Rugenstein-Verlag ist mittlerweile vergriffen. Zu einer weiteren Auflage konnte sich der Verlag, wohl aus ökonomischen Gründen, nicht entschließen. Und so hat denn genannter Kusserow im Jahre 2002 im Selbstverlag, eine überarbeitete Fassung des Buches herausgebracht. Jetziger Titel "Die lila Winkel. Die Familie Kusserow. Der authentische Bericht eines Zeitzeugen."

Hatte die erste Auflage einen Umfang von 311 Seiten; sind es jetzt nunmehr nur noch 233 Seiten. Zugleich gibt es aber eine inhaltliche Erweiterung dergestalt, dass auch über jene "Standhaft"-Veranstaltungen und ähnliches, nach 1998, wo Kusserows mit vertreten waren, etwas berichtet wird.

Diese inhaltliche "Erweiterung" macht deutlich, dass der Ursprungstext noch um einiges mehr geschrumpft ist, als wie das der Vergleich der beiden genannten Seitenzahlen auf dem ersten Blick vermuten lässt.

Beide Ausgaben sind mit umfänglichem Bildmaterial versehen. Auch hierbei ist zu registrieren. Die Bildqualität in der zweiten Auflage ist erkennbar schlechter geworden. Offenbar wurden für die zweite Auflage die Bildvorlagen aus der ersten Auflage genutzt; nicht jedoch die Originale, die der ersten Auflage zugrunde lagen.

Auch wurde bei weitem nicht alles Bildmaterial übernommen, dass bereits in der ersten Auflage enthalten war. Der Löwenanteil der zu registrierenden Kürzungen, ist somit beim Bildmaterial zu verzeichnen.

Hier wiederum feststellbar. Besonders Faksimiles von Gerichtsurteilen aus der Nazizeit und ähnliches, hat der "Rasenmäher" der Kürzung erwischt.

Wer sich unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten für den Fall der Familie Kusserow interessiert, ist daher in der Tat - ohne wenn und aber - eindeutig mit der ersten Auflage "besser bedient".

Als eine in beiden Ausgaben zitierte Angabe sei erwähnt, dass Kusserow die Zahl der Zeugen Jehovas, die jene "Resolution" vom Luzerner Kongress 1936 am 12. Dezember 1936 in Deutschland verbreiteten auf 3.450 beziffert.

Das ist zwar eine marginale Zahl, die gerne oft überlesen wird, über die es indes wert ist, einen Augenblick länger nachzudenken.

Um die 25.000 Zeugen Jehovas, soll es nach den geschönten WTG-Berichten, Anfang 1933 in Deutschland gegeben haben. Sollen davon im Dezember 36 schon rund 21.500 sich in den Gefängnissen befunden haben? Eine solch abenteuerliche Fantasiezahl wagt denn selbst die WTG nicht, auf den "Ententeich" zu setzen. Ergo ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein erheblicher "Schwund" zu registrieren. War dieser "Schwund" auch in der Lesart der WTG "Standhaft"?

Sicherlich war die Familie Kusserow als solches, den "Standhaften" zuzurechnen. Auch daran ablesbar, dass zwei ihrer Söhne (Wilhelm und Wolfgang) in Sachen Wehrdienstverweigerung hingerichet wurden.

In der Einleitung zur ersten Auflage (S. 10) schrieb Kusserow noch über sich: "Seit den fünfziger Jahren stehe ich den Zeugen Jehovas passiv gegenüber, bin aber nicht aus der Glaubensgemeinschaft ausgetreten". Jenen Satz hat er dann allerdings nicht für die zweite Auflage mit übernommen. Menschlich verständlich, boten doch die Zeugen Jehovas, unter anderem auch durch die "Standhaft"-Kampagne nun ihm einen entsprechenden Resonanzboden. Und da passte wohl ein solcher Satz nicht länger ins gestylte Outfit.

Was sein mit hingerichtetem Bruder Wilhelm anbelangt, ist es durchaus wert auch registriert zu werden, dass er ursprünglich der Einberufung zur Wehrmacht nachgekommen war, dann aber während eines Heimaturlaubes auf die Verweigerungshaltung umschaltete.

Es wäre wohl reichlich gewagt, wollte man behaupten, dass seine familiäre Biographie dabei "keinerlei" maßgeblichen Einfluss gehabt hätte.

Das lässt sich auch durch einen Brief der Mutter Kusserow an einen Pflichtverteidiger der versuchte das Leben seines Mandanten zu retten, indem er sich bemühte die Mutter für eine Einflussnahme in seinem Sinne zu gewinnen, verdeutlichen.

Sie antwortete ihm darauf mit einem Schreiben vom 18. 4. 1940:

„Durch diese Pflichterfüllung dem hohen Schöpfer, Gott Jehova gegenüber, sind die Zeugen für Jehova und sein Königreich in den größten Glaubenskampf aller Zeiten geraten. Wir sind nicht im Zweifel, dass das Königreich Gottes bald den Sieg davontragen … wird. … Steht mein Sohn im Dienste des Königreiches Gottes, so muss er seinen Gehorsam beweisen, selbst bis in den Tod." (1. Aufl. S. 294f.)

Bezeichnenderweise fiel in der zweiten, gestylten Auflage, genau jenes Dokument vom 18. 4. 40 auch der Kürzung mit anheim. Genannter Wilhelm Kusserow wurde am 27. 4. 1940 hingerichtet.

Wie schon ausgeführt gab es noch einen zweiten Hinrichtungsfall in dieser Familie, den des Wolfgang Kusserow (hingerichtet am 28. 3. 42). Er hatte somit den Fall seines Bruders bereits plastisch vor Augen. Er wusste weiter, dass weitere Mitglieder der Familie Kusserow (nicht nur er), ebenfalls in den Mühlen der Nazijustiz äußerst unsanft behandelt wurden. Unterstellt man ihm, dass auch diese Erfahrungen ihn mitprägten, kann man ihm sogar das Prädikat zuerkennen, ein politisch motivierter Gegner des Naziregimes gewesen zu sein. Vielleicht nicht mit Bedacht; in der Sache sehr wohl.

Jener Wolfgang Kusserow verfasste im Januar 1942 ein Schriftstück, dem er dem Titel gab: "Warum verweigere ich den Wehrdienst?"

Jenes Dokument war in der ersten Auflage mit abgedruckt (S. 304f.). Doch Schande über den Herausgeber der zweiten Auflage. Dort ist es ersatzlos gestrichen, obwohl es sich um ein wesentliches Schlüsseldokument handelt.

In jenem Dokument (jetzt auszugsweise zitiert) konnte man unter anderem als seine Argumentationskette lesen:

"Wir leben heute in der letzten Zeit dieser Weltordnung. Wie ich bereits in den eben genannten Sätzen erwähnt habe. Ich könnte noch sehr viele Beweise aus der Heiligen Schrift nennen, die immer wieder darauf hinweisen, dass wir in einer Zeit leben, die der völligen Vernichtung dieses Weltsystems entgegengeht.

Noch ein Beispiel: Mein Bruder Karl, der am 1. Mai 1940 bei der Beerdigung meines ältesten Bruders einige Bibelstellen am Grabe vorlas, wurde aus diesem Grunde vor die Gestapo geladen. Als er hier den deutschen Gruß ablehnte, wurde er von einigen der Geheimen Staatspolizei im Vernehmungszimmer zu Boden geschlagen und mit Füßen getreten. Einige Tage später holte man ihn von der Arbeitsstelle. Er befindet sich heute noch im Konzentrationslager.

Nun zum Thema Russland: Mir wurde in der letzten Zeit, vielfach von Angehörigen der Wehrmacht vorgeworfen, so wurde mir neulich zum Beispiel gesagt: 'Wenn nun alle so denken wie Sie und jeder würde den Wehrdienst verweigern, dann würde der bolschewistische Terror über Deutschland hereinbrechen.'

Hier kann ich nur sagen: Wenn alle deutschen die Gebote unseres Schöpfers halten würden und danach handelten, des bin ich gewiss, dass keine fremde Macht über Deutschland hereinbrechen würde, denn genauso wie ein Vater seine Kinder beschützt oder wie eine Henne ihre Küken beschützt, so würde auch der himmlische Vater seinen Kindern beistehen. Genau so wie er das Volk vor den überwältigenden Heeren Pharaos bis auf den letzten Mann vernichtet hat, ohne dass nur einem Angehörigen seines Volkes ein Haar gekrümmt wurde, so würde er auch diesmal seine Treuen beschützen.

Wäre der Führer 1939 gezwungen gewesen, mit Sowjetrussland, mit solch einem unmoralisch, teuflischen Terrorsystem ein Bündnis abzuschließen, um sich den Rücken im Osten freizuhalten, wenn ihm der Herrgott beigestanden hätte?

Hat Jesus Christus auch schon mal ein Bündnis mit dem Teufel abgeschlossen, um seine Treuen aus den Klauen des Satans zu retten? Nein, niemals!

Wenn auch heute noch sieben meiner Geschwister um der Wahrheit willen in Gefangenschaft sind, so weiß ich doch, dass wir alle einmal unseren Lohn dafür erhalten und ich weiß auch, dass alle, die um der Wohltat wegen leiden, bald von dieser Bedrängnis befreit werden."

Schon der einleitende Satz ("Wir leben heute (1942) in der letzten Zeit dieser Weltordnung"), macht deutlich, dass auch er einer gigantischen von der WTG zu verantwortenden Selbsttäuschung anheimgefallen ist, mit buchstäblich tödlichem Ausgang!

Sicherlich, die Möglichkeit den Tod zu erleiden, auch bei anders geratterter Entscheidung, war in jenen Jahren nicht gering. Das kann jedoch kein Hauptargument sein.

Der Bibelforscher-Funktionär Dollinger, der maßgeblichen Anteil daran hat, dass es der WTG gelang, ihre materiellen Besitztümer, zu einem beachtlichen Teil aus dem Naziregime heraustransferieren. Jener Dollinger indes fällte für sich eine andere Entscheidung. Er stellte sich auf den Standpunkt: "Mein Tod nützt niemand etwas - Mein Leben indes kann einigen noch nützlich sein".

Wer hat nun in dieser Grundsatzfrage recht? Derjenige der wie Wolfgang Kusserow das Schafott wählt oder derjenige der wie Hans Dollinger für das Leben optiert?

Das Naziregime wurde jedenfalls nicht durch die Wolfgang Kusserows "aus den Angeln gehoben". Das gilt es auf jeden Fall festzustellen!

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