Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Meta Kluge

„Dafür bekam ich statt der sechs Jahre, die für mich vorgesehen waren, noch zwei Jahre dazu, also acht Jahre, ebenso Fritz Winks, dem seine Unbeugsamkeit ebenfalls diese hohe Strafe bescherte. Mir war das alles egal, denn wir glaubten dass wir diese Jahre nie absitzen würden.

Einen kurzen Augenblick wurde mir schwarz vor Augen, als ich an meine Kinder dachte und die acht Jahre vor mir sah. Aber ich scheuchte diese dunkle Wolke fort. Nein, wir würden bald wieder frei sein, denn die Zeit bis Harmagedon ist kurz. So dachten wir. Wie gut, dass Jehova seine Vorsätze in gnädiges Dunkel hüllt."

Diejenige, die vorstehende Worte in einem rückblickenden Bericht zu Papier brachte, heisst Meta Kluge. Weiteren Details ihrer Ausführungen kann man entnehmen, dass man sie zu damaliger Zeit als durchaus temperamentvoll einschätzen kann.
Die 1921 geborene Meta Kluge, Mutter dreier Kinder. Ihr Mann kommt in den Kriegshandlungen des zweiten Weltkrieges mit um; schließt sich schließlich im Jahre 1949 den Zeugen Jehovas an. Diese „Freude" indes währte nicht all zu lange. Und so befindet sie sich anlässlich des 1950er DDR-Verbotes der Zeugen Jehovas, mit unter den ersten, die damals verhaftet und verurteilt wurden. Ihre Erwartung indes es sei nur noch „kurz bis Harmagedon", erwies sich als klassische Fehlerwartung.

Symptomatisch für die Befindlichkeit der zeitgenössischen Zeugen Jehovas - ihr permanentes Zufiebern auf „Harmagedon" - auch jene Episode, welche auf einen 1950er Zeugen Jehovas-Kongress in Hamburg bezug nimmt. „Schmuggelwege" machten es möglich, das Bruchstücke oder auch größere Infos, auch in die Gefängnisse gelangten. Offenbar eben auch die 1950er „Fürsten„-Kreation.


Rutherford wohnte ja in einem eigens für die vorgeblichen „Fürsten" erbauten Haus (Beth Sarim). Das war nun inzwischen obsolet geworden und erwies sich als zunehmende Belastung. Charakteristikum eben jener 1950er Kongresse die zu Grabe-Tragung der bisherigen Fürstenlehre. Das alles aber in einer auf die Befindlichkeit der Zeugen abgestimmten Form. Die derzeitigen WTG-Funktionäre seien diese „Fürsten" tönte man damals als letzten „Wahrheitsschrei". Und diese Info gelangte nun auf verschlungenen Wegen auch in die Gefängnisse. Das liest sich im Bericht der Meta Kluge dann so:

„Es konnte schon mal geschehen, dass infolge der verschlüsselten Berichterstattung Verwirrung entstand, wie jene Meldung, dass "die Fürsten" unter uns sind. Ella kam mit dieser Meldung von unten aus dem Besucherzimmer zu uns nach oben. Sie war kalkweiß. Ohnehin nicht gesprächig, stand sie da und konnte kein Wort herausbringen. Wir bestürmten sie alle. Sie zuckte mit den Schultern und - endlich - stammelte sie: "Nun ist's soweit, die Fürsten sind unter uns. Erich Frost hat es gesagt."


Man muss sich in unseren damaligen Erkenntnisstand versetzen und der besagte: "Wenn die alten Treuen, Fürsten genannt, auferstehen, dann musste jetzt Harmagedon beginnen." Alles war starr, endlich wurde debattiert. Man redete sich die Köpfe heiß. Ich dachte bei mir: ,Na, das kann ja wohl nicht angehen, da sind noch so viele andere Dinge, die sich noch nicht erfüllt haben, das muss doch alles noch vor Harmagedon geschehen, sowie ich das bisher aus der Bibel begriffen habe.' Diese Überlegung ließ ich auch laut werden und setzte hinzu: "Wer weiß, wie Bruder Frost das gemeint hat? Vielleicht hat er, angesichts des anmaßenden Verhaltens dieser Weltführer, auch wohl geäußert: ,Was die sich einbilden, Jehova wird sie alle beseitigen und uns die Erde geben. Wir sind die Besitzer der neuen Welt!'" Aber mit meiner Schlussfolgerung kam ich schlecht an.
"Ungläubiger Thomas!", schalt man mich. So, da hatte ich meinen Titel weg und er geriet mir künftig zum Nachteil."

Um nochmals auf die Aussage von Meta Kluge
„Wie gut, dass Jehova seine Vorsätze in gnädiges Dunkel hüllt" zurückzukommen.
Eine etwas fragwürdige „Gnade", die in ihrem Fall auch zur Folge haben sollte, nach ihrer 1957er Haftentlassung, keine intakte Familie mehr zu haben. Ihre Kinder - bei Verwandten aufgewachsen - waren nun de facto ihr weitgehend entfremdet. Symptomatisch dafür auch ihre Aussage:
„Ich bekam ein einziges Mal von meinem Bruder einen Brief mit bitterbösem Inhalt. Er war voller gemeiner Beschimpfungen. Daraus erfuhr ich, dass er zusammen mit meiner Mutter meine zehnjährige Heidi und den achtjährigen Horst erziehen und ernähren müsste. Seinen Zorn konnte ich in etwa verstehen. Meine Sechsjährige war zu meinem Schwiegervater gekommen, der mit seinen beiden Töchtern und deren Söhnen zusammen in einer Zweizimmerwohnung in beengten Verhältnissen lebte. Auf meine Briefe bekam ich nie Antwort. Keinen Gruß, keine Auskunft über meine Kinder. Für sie galt ich hinfort als Schwerverbrecher, dessen Existenz man ausgelöscht hatte und vergessen müsste."

Nun hat es also auch sie in die DDR-Gefängnisse verschlagen, noch dazu in eines der übel beleumundeten in Bützow-Dreibergen (Mecklenburg).
Man erfährt:
„In dieser Haftstätte starben die meisten Zeugen Jehovas. Und da der Anteil der Zeuginnen Jehovas an den Todesfällen insgesamt überproportional hoch ist (so wurden insgesamt ca. 3,6 mal mehr männliche Zeugen Jehova als weibliche verhaftet (ca. 4.000 Männer, ca. 1.100 Frauen), unter den bisher ermittelten 62 Todesopfern befinden sich jedoch 16 Frauen, was einem Verhältnis von ca. 2,9 entspricht oder einer Sterblichkeitsrate von 1,15 % bei den Männern und 1,45 % bei den Frauen), muss konstatiert werden, dass gerade in Bützow-Dreibergen besonders viele Zeuginnen starben.
Acht der bekannten sechzehn Zeuginnen Jehovas starben hier oder an den Folgen der Haft."

Ein Beispiel der Bericht über die Zeugin Martha Knie.
„Neun Jahre Konzentrationslager hatte sie überstanden. Hier genügten weniger als drei Jahre, um ihr Leben zu beenden."

Darunter befanden sich auch Selbstmörder. So eine Zeugin Jehovas namens Athalie Mayer, deren misslungener Selbstmord (sie überlebte schwer verletzt einen Sprung aus den oberen Geschossen des Treppenhauses in die Tiefe) sich auch schwer belastend in das Gedächtnis der Meta Kluge mit eingeprägt hat.
Es kann keinen Zweifel darüber geben. In Bützow-Dreibergen herrschten unmenschliche Bedingungen, die eben nicht jeder „verkraften" konnte.

Symptomatisch dafür auch der Bericht:


„Die qualvolle Prozedur der Einzelhaft wurde auch durch diese Vorfälle nicht aufgehoben. Sie bestand weiter, bis das Zuchthaus langsam an Überfüllung krankte.
Vom Erdgeschoss hörten wir Schreie und Toben. Dort war ein altes Mütterchen untergebracht, das die Nerven verloren hatte. Sie wusste nicht mehr, was sie tat. Sie aß nicht und machte sich voll. Die Wachtmeisterinnen schrieen mit ihr und wiesen die Kalfaktorinnen an, sie in den Keller zu bringen. Dort begossen sie die Irre mit eiskaltem Wasser und schrubbten sie mit Besen ab. Wir erfuhren, dass es eine von unseren Schwestern war. Wir konnten ihr nicht helfen und litten sehr darunter."

Beispielhaft auch der Bericht:
„Auf unsere Freude fiel ein schwarzer Schatten. Schwester Schumacher hatte sich erhängt. Wir erfuhren es am Morgen, als die Kalfaktorin, im Beisein der Wachtmeisterin, das Brot austeilte. Mit hämischer Genugtuung übermittelte diese uns die Nachricht. Es traf uns wie ein Keulenschlag. Warum höhnte man? "Ich denke, bei Ihnen gibt's so etwas nicht." Warum? Ja, warum? Ich wusste darauf keine Antwort. Wohl niemand wusste sie."

Zu ihrer Biographie gehört auch, wie Herausgeber Hans Hesse (Koautor Falk Bersch) schreibt:
„Ein gewisses musisches, künstlerisches Interesse deutet sich an, als sie nach der Schule von 1938 bis 1940 Geigenunterricht nimmt. Ihr Ziel, den Besuch des Neubrandenburger Konservatoriums kann sie wegen des Krieges nicht wirklichen."


Dies wiederum sollte zur Folge haben, dass es ihr unter teils abenteuerlichen Rahmenbedingungen gelang, viele ihrer gesammelten Eindrücke auch in der Form von Gedichten zu verarbeiten, die sogar alle Widrigkeiten überlebten und noch heute erhalten sind. In ihrem ursprünglichen Bericht hatte Meta Kluge diese Gedichte mit „hineingestreut".

In der von Hans Hesse vorgenommenen Textüberarbeitung der im Jahre 2000 verstorbenen Meta Kluge, sínd sie nun in dem vorliegenden Buch „Wie ein dumpfer Traum, der die Seele schreckt" auf den Seiten 172 - 204 zusammengefasst zugänglich. Schon die genannte Seitenzahl macht deutlich: Eine durchaus umfänglich zu nennende Kollektion.

Es liegt in der Natur der Pro-Zeugen Jehovas-Fraktion, zu der auch Hesse gehört, dass sie den Schwerpunkt lieber in der Schuld des ostdeutschen Regimes sieht, und die ist unbestritten.
Dennoch darf nüchtern festgestellt werden. Auch Herr Hesse oder Herr G. (um einen anderen zu nennen), hat sich bis zum heutigen Tage nicht den Zeugen Jehovas angeschlossen. Auch ein Herr Hesse wird als Privatperson für die sogenannte „Königreichshoffnung" der Zeugen Jehovas, nur wenig bis gar keine Verwendung haben. Gleichwohl thematisiert er die hingegen nicht. Er deckt also offensichtliche Lügen mit dem Mantel des Schweigens ab. Das muss auch ausgesprochen werden.

Den Buchtitel: „Wie ein dumpfer Traum …" kann man durchaus doppeldeutig interpretieren. Eine dieser Interpretationen stammt von dem Schriftsteller Ernst Wiechert, der in einer früheren Geschichtsphase (die Hitler'schen KZ.s) dort auch Zeugen Jehovas in hautnaher Nachbarschaft miterlebte: Seine Resümee mag diesen Buchbericht abschließen:

„Was nun allerdings bei näherem zusehen auf dem Grunde dieser Weltanschauung lag, war so beschaffen, daß es sich jeder ernsthaften Diskussion völlig entzog. … Man konnte sie alle achten, aber man mußte sie auch alle bedauern. Der Märtyrer, der für den Glauben stirbt, daß man nur Gras essen dürfe (im übertragenen Sinne), begibt sich des Heiligenscheins um seine Stirn."

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