Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Instrumentalisiert

Es ist sicherlich nicht uninteressant, wie seitens Jugendlicher die Zeugen Jehovas beurteilt werden. Aus dem reichhaltigen Angebot des Internets hatten sie sich eigenverantwortet einen entsprechenden Beitrag rauschgefischt. Es hätte in ihrer redaktionellen Kompetenz gelegen, statt dessen auch einen selbstdarstellenden Beitrag der Zeugen Jehovas zu wählen; was aber in vorliegendem Fall nicht zutraf. Wirklich bemerkenswert!
Minoritas-Projekt
Klasse 10c des Ernst Moritz Arndt-Gymnasiums Bonn
Dieses Projekt sammelt Dokumente/Links zum Thema Minderheiten
Wie nutzen Minderheiten die Möglichkeiten des neuen Mediums Internet, wie stellen sie sich dar? Wichtig ist aber auch für uns das kritische und kompetente Umgehen mit Informationen von und über diese Gruppen ausserhalb des publizistischen Mainstreams!
 

Über Glauben, Neutralität und Gehorsam zum Staat

Es ist eigentlich immer dasselbe Bild. Sobald sich die Zeugen Jehovas nicht in ihren eigenen Kreisen bewegen, sondern der öffentlichen Kritik ausgesetzt sind, geben sie ein äußerst schwaches Bild ab. So auch anläßlich einer Podiumsdiskussion am 29. September 1997 im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.

Eingeladen hatte das Referat für Weltanschauungsfragen des Bistums Limburg, sowie die Evangelische Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen. Die Veranstaltung trug den Titel "Widerstand aus dem Glauben? - Katholiken, Protestanten und Zeugen Jehovas im NS-Staat." Die Diskussion wurde geleitet von Kurt-Helmut Eimuth vom evangelischen Regionalverband Frankfurt, der in Fachkreisen durch mehrere Veröffentlichungen über die Zeugen Jehovas bekannt ist. Diskussionsteilnehmer waren Professor Matthias Benad von der Kirchlichen Hochschule, Bethel, Dr. Detlef G., Historiker und Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, und Lutz Lemhöfer vom Katholischen Bistum in Limburg.

Dr. Detlef G. gab einen betont sachlichen Überblick über die Geschichte der Zeugen Jehovas in Deutschland seit Ende des Ersten Welkriegs. Er würdigte dabei die kompromißlose Glaubenshaltung der Mehrheit der damaligen "Bibelforscher", wies jedoch auch auf einige Besonderheiten hin, wie sie in der Wachtturm-eigenen Darstellung nicht vorkommen.

So hat zum Beispiel die Wachtturm-Gesellschaft 1933 noch versucht, eine Übereinkunft mit dem damaligen Regime zu finden, was zum Beispiel durch ein Schreiben an den "sehr geehrten Herrn Reichskanzler" dokumentiert ist. Dabei benutzte man bewußt NS-Terminologie, versuchte die gemeinsame negative Haltung gegenüber den "Geschäftsjuden" und dem "anglo-amerikanischen Weltreich" zu unterstreichen und betonte die gemeinsamen Ziele der NS-Regierung und den Bibelforschern.

Ein weiterer Aspekt war der besondere Status, den die Bibelforscher in den KZs erhielten. Sie wurden nämlich nicht als politische Gefangene gekennzeichnet, wie etwa zahlreiche katholische oder protestantische, die ebenfalls aufgrund ihrer religiös motivierten Haltung inhaftiert worden waren, sondern erhielten ein eigenes Abzeichen.

Die Zeugen Jehovas schließen daraus, daß die Zeugen Jehovas die einzige Religionsgemeinschaft gewesen wäre, die aus religiöser Überzeugung Widerstand gegen den NS-Staat geleistet habe. G. hingegen führt diese Sonderstellung darauf zurück, daß die Bibelforscher eine verhältnismäßig große Gruppe bildeten, die selbst im KZ unter sich blieb und kaum Kontakte zu den anderen Häftlingen pflegte. Außerdem galten sie als hervorragende Arbeiter und wurden daher bald in großem Umfang für die rüstungsnahe Produktion eingesetzt (wobei sie die Produktion direkter Rüstungsgüter ablehnten). Die rund 2.000 in die KZs eingewiesenen Zeugen Jehovas (auch hier operiert die WTG gerne mit inflationären Zahlen) genossen daher einen Sonderstatus, der jedoch das NS-Regime nicht davon abhielt insgesamt rund 1.200 von ihnen umzubringen.

G. führt aus, daß die Zeugen Jehovas für ihre Haltung Respekt verdienten, ihr Schicksal jedoch in der Geschichtsschreibung bisher nur unzureichend Beachtung findet. Er führt dies aber zu einem erheblichen Teil auf die ablehnende Haltung der Wachtturm-Gesellschaft selbst zurück, die sich nach außen völlig abschottet und Historikern keinen Zugang zu ihren Aufzeichnungen und Archiven gewährt. Er sagte: "...der Wunsch nach einem Deutungsmonopol in Fragen der eigenen Geschichte mag diese nonkooperative Haltung bestimmt haben."

Er verwies jedoch auf die Tatsache, daß sich die WTG speziell im Laufe der letzten 2 Jahre zunehmend nach außen öffnet und mit einer großangelegten Kampagne versucht, diesen Teil ihrer Geschichte ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken. Doch diese Bemühung, so G. "...dürften zwielichtiger Natur sein". Denn bei diesen Bemühungen ginge es "...nicht vorrangig um die Vergangenheit, sondern um aktuelle Belange". Dafür spricht zum Beispiel eine Pressemitteilung des Informationsdienstes der Zeugen Jehovas vom 6. Nobember 1996, in der auf die Hitler-Ära verweisen wird. Darin ist von Parallelen zur heutigen Zeit, einer erneuten Stigmatisierung der Zeugen Jehovas und einer gezielten Abwehrpolemit der religiösen Konkurrenten die Rede.

Lutz Lemhöfer stufte es als negativen Tatbestand ein, daß die Zeugen Jehovas ihre ehemaligen Opfer für ihre aktuellen Zielsetzungen instrumentalisieren würden.

Mit anderen Worten: Daß die WTG ausgerechnet jetzt und mit großem Aufwand auf ihre Opferrolle eines Großteils der Zeugen Jehovas während der Nazi-Diktatur hinweist, hat vermutlich in erster Linie mit ihrem Bemühen zu tun, den Begriff "Sekte" von sich abzuschütteln und hier in Deutschland zu einer anerkannten Religionsgemeinschaft mit öffentlich-rechtlichem Status zu werden.

Der einzige Kommentar, den die anwesenden Verteter der WTG zur Sache beitrugen, kam vom WTG-Beauftragten Johannes W.. Er bezog sich auf das, was sie unter politischer Neutralität verstehen. Dabei wurde Römer 13 zitiert und durch die Erklärung ergänzt, "...Jehovas Zeugen betrachten nicht jede Regierung als vom Teufel. Wenn man die Bücher Rutherfords aufmerksam liest, stellt man vielmehr fest, daß hier lediglich habsüchtige, stolze und selbstsüchtige Politiker gemeint sind." Außerdem wurde darauf hingewiesen, daß die Zeugen Jehovas "...nie flohen aus dem KZ und daß sie auch nicht ihr Tun daruf richteten, den nationalsozialistischen Staat zu stürzen. Ein Grund dafür war Loyalität der Obrigkeit gegenüber."

Vermutlich ist es selbst den übrigen Zeugen Jehovas unter den Anwesenden nicht bewußt geworden, welchen krassen Widerspruch diese Aussagen zu der noch immer geltenden Lehre darstellen. Steht nicht in den WT-Schriften klar und deutlich zu lesen, daß dieses gesamte "System der Dinge" vom Satan beherrscht wird und daß "wahre Christen" (also Zeugen Jehovas) "kein Teil" davon zu sein haben? Ist es nicht so, daß die Zeugen Jehovas schon allein deshalb nicht zur Wahl gehen, weil sie felsenfest davon überzeugt sind, daß die politischen Systeme dieser Erde schon "in Kürze" vernichtet werden?

Oder sollte es sich hier bereits um die ersten Vorboten einer neuen Bibelinterpretation handeln - als die ersten Anzeichen einer "neuen Erkenntnis", die schon bald als "helleres Licht" im Wachtturm zu lesen sein wird? Schließlich kann es keinem "wahren Christen" verwehrt sein, einen "guten" Politiker zu wählen, wenn ausschließlich die "habsüchtigen, stolzen oder selbstsüchtigen" Politiker gemeint sind, wenn von Satans System die Rede ist.

Man darf gespannt sein, wie weit die Wachtturm-Gesellschaft gehen wird, um ihr Ziel zu erreichen, als Gesellschaft des öffentlichen Rechts zu einem anerkannten Teil unserer Gesellschaft zu werden. Schließlich wurde auch die über viele Jahrzehnte unerbittliche Haltung zum Thema Wehrersatzdienst sang- und klanglos aufgegeben.

Wird auch der Gang zur Wahlurne schon bald zur Gewissensfrage erklärt?

Zur Loyalität gegenüber der Obrigkeit, die von der WTG gerne in den Mittelpunkt gestellt wird, hatte Olaf Fichter, selbst ehemaliger Zeuge Jehovas und langjähriger Vollzeitprediger, eine interessante Anmerkung zu machen. Er verwies darauf, daß die hauptamtlichen Mitarbeiter der WTG über Jahrzente hinweg ohne jegliche soziale Absicherung "ökonomisch ausgebeutet und ausgenutzt" wurden. Selbst als das Bundessozialgericht die Zeugen Jehovas 1963 als "ordensähnliche Gemeinschaft" einstufte und die WTG dazu verpflichtete, alle aus diesem "Orden" ausgetretenen Mitarbeiter in der Rentenversicherung nachzuversichern, erfuhren die betroffenen Personen davon nichts und wurden dadurch um ihre Rechte und die ihnen zustehende Rente gebracht.

Seine Schlußfolgerung: "Die Zeugen Jehovas, die immer sagen, sie wären treue Bürger und gäben dem Zäsar was des Zäsars ist, haben Millionen unterschlagen."
Bericht: Stephan E. W.
http://members.aol.com/minoritas/robert.htm

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