Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Ein DDR-Schicksal

Noch vor dem DDR-Mauerbau, veröffentlichte im Jahre 1960 ein Kölner Verlag ein Buch, dass im wesentlichen aus Interviews jener besteht, die dem DDR-Staat, oftmals Hals und Kopf ade sagten, sagen mussten. Dieser von Erika von Hornstein herausgegebene Band "Die deutsche Not", enthält also auch den Bericht eines Zeugen Jehovas. Wie gesagt, niedergeschrieben von Frau Hornstein, die da zu Papier brachte, was ihr in den entsprechenden Interviews erzählt wurde.

Man liest den hier speziell anvisierten Bericht mit gemischten Gefühlen. Einerseits hat man Mitleid mit dem Opfer, dass da von der DDR-Justiz zu 10 Jahren Zuchtaus verurteilt und den allergrößten Teil davon auch absitzen musste. Andererseits kann man sich des Eindruckes nicht erwehren; das Bildungsniveau jener speziellen Gattung von DDR-Opfern ist nicht gerade das "höchste". Gerade deshalb aber "eigneten" sie sich besonders für die westlicherseits besonders publicityträchtige Schlagzeile: Märtyrer des SED-Regimes. Märtyrer waren sie ohne Zweifel. Für was eigentlich? Jedenfalls nicht für das, was sie in ihrer heiligen Einfalt nähe wähnten. Das "Harmagedon" mit dem damit verbundenen Ideenkomplex.

Alan Rogerson formulierte einmal in seinem ZJ-Buch, dass eine freiheitliche Gesellschaft für die WTG eine weit größere Gefahr darstelle, als eine Diktaturgesellschaft. Unter Rogerson hat mit dieser These recht. Wen da in Diktaturstaaten so schlimmes ereilt hat, für den gibt es psychologisch verständlich, nur eine zusätzliche Verhärtung in seiner Position. Zum nüchternen Innehalten ist er objektiv aufgrund der vorherrschenden Umstände, gar nicht mehr in der Lage. Auch der von Hornstein vorgestellte Fall scheint mir dies zu bestätigen. Mein Kommentar zu ihm wurde vorstehend schon formuliert. Nachstehend geht es ohne weiteren Kommentar weiter. Geboten wird jetzt bloß noch dass, was man bei Hornstein lesen kann:

Und ich hörte die Stimme Jehovas

Jesajas 6, Vers 8 steht: Und ich hörte die Stimme des HERRN, der sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! Da war ich 25 Jahre alt, da hörte ich die Stimme des HERRN, da wurde ich Zeuge Jehovas.

Ich bin katholisch aufgewachsen, habe meinen Glauben immer sehr ernst genommen. Da besuchten mich einmal Zeugen Jehovas und sprachen mit mir. Ich begann die Bibel zu lesen und mußte feststellen, daß die Glaubenslehre der Katholiken und auch der Protestanten mit der Bibel überhaupt nicht übereinstimmt. Schon mit der Kindtaufe fängt es an. Christus selbst wurde von Johannes dem Täufer untergetaucht, und das geht auch bei unserer Taufe vor sich, nach biblischem Grundsatz. Rückwärts werde ich untergetaucht, das heißt, ich begrabe meinen eigenen Willen und bin gewillt, das Evangelium zu verkünden, so wie es uns die Schrift vorschreibt.

Als ich zu den Zeugen Jehovas übertrat, hatte ich mit meiner Verwandtschaft viel Arger. Mein Vater war Schweißer von Beruf, und ich habe auch Schweißer gelernt. Mein Vater war sehr böse, aber ich habe mich nicht beirren lassen. Ich erhielt von einem reifen Prediger jede Woche biblischen Unterricht, der dauerte 11 Monate. Ich wurde ermutigt und lernte, die Gedanken in eigenen Worten wiederzugeben und anderen von dem Gelernten zu erzählen. Dann durfte ich an den wöchentlichen Gruppenstudien teilnehmen, die in der Nachbarschaft stattfanden und durfte die Zusammenkünfte im Königreichssaal besuchen. Jede Versammlung steht unter der Leitung eines reifen christlichen Dieners und seiner sechs Gehilfen. Unsere Versammlungen wurden stark besucht und die von der SED nicht, das hat diese sehr geärgert. Im August 1950 wurden die Zeugen Jehovas vom Staat verboten. Bis dahin hatten in den öffentlichen Versammlungen immer schon Spitzel von der SED gesessen und zugehört und aufgepaßt, was gesprochen und gepredigt wurde. Das Bibelstudium soll jeder selbst betreiben, aber in den Versammlungen muß der Versammlungsdiener die Bibel auslegen und die biblischen Handbücher, und auf verschiedene Weise den Christen schulen, damit er Reife erlangt bezüglich der Lehre und des Lebenswandels. So wie Christus auf dem Wege nach Emmaus den Jüngern die Schriften erklären mußte. Deshalb mußte auch der Evangelist Philippus dem Athiopier, der zu Jerusalem angebetet hatte und sich auf der Heimreise befand, die Prophezeiung Jesajas erklären. Aber die SEDisten im Saal haben vieles auf sich bezogen und sich angegriffen gefühlt. Wir reden die Wahrheit und nehmen kein Blatt vor den Mund. Die Bewegung der Zeugen fordert, daß jedermann furchtlos und stetig Zeugnis von seinem Glauben ablege.

Wie handelt dagegen ein Katholik? Er meint, in unserer Gesellschaft gehört es nicht mehr zum guten Ton, es ist nicht höflich, den anderen deutlich wissen zu lassen, welchem Glauben man angehört. Zeugnis ablegen gilt als naiv oder als fanatisch. Was sind das nun für christliche Soldaten? Wie handeln die, wenn ihnen unter einem totalen Regime Verfolgung droht? Kein Wunder, wenn solche Menschen das gottlose kommunistische Regime noch unterstützen, auch wenn ihre Kirche darunter leidet. Aus der Zeit, als ich selber noch katholisch war, weiß ich, wie die Herren Pfarrer sich verschiedentlich für den Staat eingesetzt haben, früher für den Nazistaat und jetzt versuchen sie, auch mit dem heutigen System zu buhlen, um ein leichteres Leben zu haben. Und die Menschen sagen: Da seht die Kirche, sie verbündet sich ja selbst mit dem System des Teufels! Christus sagt in Johannes 15: Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen, denn der Knecht ist nicht größer als der HERR.

Nach dem Verbot der Zeugen Jehovas wurden wir verfolgt, konnten unsere Versammlungen nur noch im geheimen abhalten, aber die Zahl der Königreichsverkünder wuchs und wuchs, in den kommunistischen Ländern sind es heute mehr als 120 000. Ich war 1952 mit zwei anderen Zeugen zu einer großen Versammlung, die der watch tower veranstaltete, nach Westberlin gefahren und bei der Rückkehr, im Zug nach Pasewalk hoch, wurden wir verhaftet. Wir hatten Literatur bei uns - die religiösen Zeitschriften Erwachet und Der Wachtturm, der Jehovas Königreich verkündet - die haben sie bei der Zugkontrolle gefunden. Der eine Zeuge hat bei der Verhaftung ein bißchen gegengeredet, der hat 12 Jahre bekommen. Der andere Zeuge bekam 10 Jahre Zuchthaus und ich auch!

Die Vernehmungen während der Untersuchungshaft waren meist nachts, um die Leute im halb wachenden, halb schlafenden Zustand zu haben, wenn sie noch ganz durcheinander sind. Ich lag mit 7 Mann in einer Zelle. Wenn wir uns um 8 Uhr zur Ruhe gelegt hatten, dann kamen sie um 11, es ging der Schlüssel, der Name wurde gerufen. Ziehen Sie sich an, beeilen Sie sich! Dann wurde man ins Vernehmungszimmer geführt, da hatte die Stenotypistin manchmal mehr zu sagen als der Vernehmer, je nachdem, wie die beiden harmonierten. Sie gehören zu einer amerikanischen Agenten-Organisation - fing es an.

Ich sagte: Die Nazis haben behauptet, wir sind Kommunisten. Sie behaupten, wir sind amerikanische Agenten und Saboteure, weil unser Bibelhaus in Brooklyn liegt. Unser Oberhaupt ist der Bruder Noa, der hat seinen Sitz in Amerika, in Brooklyn. Aber ich bin kein Agent, ich bin ein Zeuge Jehovas! Eben darum, sagten sie, die Zeugen Jehovas erhalten ihre Weisungen aus Amerika, sie sind alle Agenten! Wer ist noch auf der Versammlung in Westberlin gewesen? Nennen Sie die Namen - wir wissen sie auch so, aber wir wollen ihre Loyalität erproben! Ob sie die Namen kennen oder nicht, sagte ich, von mir erfahren sie keinen Namen! Meinen Sie, ich wäre ein Verräter wie Judas? Sie sind also noch immer Zeuge Jehovas? fragte der Vernehmer. - Selbstverständlich!

Mann, Sie können doch nicht mit dem Kopf durch die Wand, Sie müssen doch einsehen, daß wir jetzt die Macht haben!

Als ich wieder in meiner Zelle war, betete ich und hielt mir vor Augen, was von mir als echter Zeuge Jehovas verlangt wird: Du hältst dich strikt an die Bibel, du lebst deiner Überzeugung gemäß, ohne aus ihr ein Hehl zu machen, du stehst vor einem Gericht, dem Gericht Gottes. Je nachdem, was du tust und wie du dich verhälst, fällt das Urteil aus. Die Verantwortung für dieses Urteil liegt weder bei einer Geheimpolizei noch bei vom Volke gewählten Richtern. Jehova, der Schöpfer, der höchste Herr des Universums, ist der Richter!

Ich wurde wieder nachts vorgeführt und vernommen. Einmal fing die Stenotypistin an: Sehen Sie, wenn Sie einsichtig und klug sind, so könnten Sie hier auf Grund Ihrer Arbeit - wenn Sie für uns arbeiten würden - ein gutes Gehalt bekommen, hätten für Ihre Familie zu leben, um die Sie sich jetzt Sorgen machen müssen. Ihre Strafe wird dann nicht so hoch bemessen, wahrscheinlich würden Sie sogar sofort entlassen.

Damit meinte sie, ich sollte Spitzeldienste leisten.

Der Vernehmer fragte mich: Sie wohnen doch in der Nähe der Kaserne der KVP, fahren jeden Morgen mit Ihrem Fahrrad an dem Gelände entlang, wenn Sie zu Ihrer Arbeitsstelle fahren, nicht wahr?

Ich antwortete: Ich verstehe Sie nicht, natürlich führt mein täglicher Weg zur Fabrik da lang.

Ja, sehen Sie, sagte der Vernehmer, und da sollen wir Ihnen glauben, daß Sie nichts darüber an den amerikanischen Nachrichtendienst berichtet haben? Über die Truppeneinheiten zum Beispiel?

Ich sagte: Ich habe nie etwas berichtet, ich bin neutral.

Erzählen Sie uns keine Märchen, es kommt doch raus!

Ich gab keine Antwort mehr, habe nur noch spöttisch gelächelt. Das brachte die beiden hoch. Die Sekretärin fuhr mich an: Wir werden Ihnen den Hals umdrehen, wenn Sie uns zum besten haben wollen!

Sie haben vier Kinder, fuhr der Vernehmer fort und sah in die Akten. Was soll aus denen werden? Wie wollen Sie Ihre Kinder erziehen?

Darauf sagte ich: In der Zucht und in der Mahnung des HERRN. Ich will sie zu gottesfürchtigen Kindern erziehen. Das genügt, schrie der Vernehmer, raus! Neun oder zehn Mal bin ich so vernommen worden. Dann wurde ich zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die Anklageschrift haben sie uns morgens gegeben, und als wir vom Termin zurückkamen, stand schon der Kommissar vor der Tür, hat uns die Anklageschrift abgenommen.

Dann kam ich ins Zuchthaus Bützow. Und dann ins Zuchthaus Berlin-Rummelsburg. Die schlimmste Zeit war aber das halbe Jahr Untersuchungshaft bei der Stasi. Wir waren ganz abgeschlossen. Kamen nicht ein einziges Mal an die frische Luft. Eine Zelle mit 7 Mann und ein kleines Fenster. Wie wir aussahen! Kalkweiß, wie Kellergewächse! Verpflegung gab's morgens zwei dünne Schnitten mit Marmelade und einen Topf Kaffee. Mittags ¾ Liter dünne Wassersuppe, abends wieder zwei Schnitten. Wir hatten furchtbaren Hunger! Dann haben die uns einen Spitzel in die Zelle geschickt, einen ehemaligen VP-Angehörigen, der sollte sich bewähren.

Als ich ins Zuchthaus Bützow kam, waren da alles Zellen zu drei Mann und wir drin mit 8 Mann. Von 1952 bis 55 waren furchtbare Zustände. Wir lagen am Fußboden auf Pritschen, einer neben den anderen gepreßt. Der Notdurftkübel stand in der Ecke. Der letzte, der da lag - wenn jemand nachts austreten mußte - da platschte dem das bald ins Gesicht. Ich habe dann in der Schneiderei gearbeitet. Eine halbe Stunde am Tag kamen wir jetzt an die frische Luft. In Bützow war die Verpflegung auch etwas besser als bei der Stasi. Einmal gab's Sauerkraut mit Wasser, dann wieder Mohrrüben mit Wasser. Und dann die Mecklenburger Ananas, Wrucken! Das gab's dreimal doppelt in der Woche, und sonntags ein paar trockene Kartoffeln und einen kleinen Klops, so Kugeln aus Fleisch und Brot. Aber immer noch haben wir schrecklich gehungert. Seit der Zeit habe ich häufig Herzbeschwerden.

In den ersten Monaten haben sie uns Zeugen Jehovas alle auseinandergerissen, aber dann erkannten sie, daß das keinen Sinn hatte. Wir haben manche in den anderen Zellen bekehrt, und da haben sie uns Zeugen alle wieder zusammengesteckt. So konnten wir unsere biblischen Betrachtungen gemeinsam abhalten. Das wußten sie sowieso im Zuchthaus, daß wir das machten. Es war immer wie ein Wunder, daß wir Bibeln hatten. Die haben uns die Zuchthausbeamten abgenommen und eingeschlossen, aber immer wieder waren welche da. Das geschah so: einer von uns hat mal saubergemacht im Kommandoleiterzimmer und da war der Schrank nicht abgeschlossen, und er hat die Bibeln da drin liegen sehen und uns wiedergebracht. Eine Weile haben wir auch auf illegale Weise in Paketen unsere Literatur geschickt bekommen. Wenn die Beamten was davon gefunden haben, wurden wir 21 Tage in den lichtlosen Keller gesperrt. Aber kein einziger Zeuge ist in der Haftzeit von seinem Glauben abgesprungen. Im Gegenteil, durch die Haft sind Schwache erst stark geworden. Auch zu Spitzeldiensten hat sich nie ein Zeuge Jehovas pressen lassen. Sie waren machtlos gegen uns, und das war ihre Wut.

Immer wieder haben sie uns in der Haftzeit gefragt, ob wir weiter an unserem Glauben festhalten wollen. Und dann haben wir >ja< gesagt und dann haben sie geflucht und uns aus dem Zimmer geworfen. Viele Zeugen saßen im Zuchthaus Bützow. Sie können in der Zone ja nicht alle Zeugen verhaften, sie haben in jeder Versammlung, die sie entdecken konnten, den Versammlungsdiener verhaftet. Oder die Zeugen, die weiter von Haus zu Haus gegangen sind und die Leute aufsuchten, um mit ihnen über Gott zu sprechen - auch das ist verboten. Im Matthäus-Evangelium steht: Christus ist von Haus zu Haus gegangen, um die Menschen zu bekehren, und auf Marktplätze und in den Tempel ist er gegangen. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten verwarfen seine Rede. Die Apostel gingen dann wie Christus von Haus zu Haus und von Ort zu Ort und haben die Leute bekehrt. Ich habe oft erlebt, daß Leute unsere Schriften genommen haben, gelesen und haben sich bekehrt, haben gesagt: Ja, dies ist der rechte Glaube! Und haben sich taufen lassen. -

In der Schrift steht: In gelegener und ungelegener Zeit sollst du predigen. Und gerade im Zuchthaus haben wir das geübt. Die Menschen sind dort durch die Haft seelisch zerrüttet und besonders aufgeschlossen für Gottes Wort. Draußen im Leben kommt man an die Herzen dieser Menschen gar nicht heran, aber im Zuchthaus beginnt das Grübeln: Gibt es einen Gott oder gibt es keinen Gott? Und wenn es Gott gibt, warum läßt er dies zu, daß mir so geschehen ist? Und dann erklären wir ihm, was Gott mit ihm vorhat, daß er ihm solche Prüfung schickt.

Da war einmal ein junger Volkspolizist. Der hatte von uns gehört und hat sich in unsere Zelle verlegen lassen und hat uns gefragt und gefragt. Man spürte richtig, wie es in ihm arbeitete, und er wollte gerne Zeuge werden, sagte er, - aber ich weiß nicht, was dann aus ihm wurde, sie haben ihn verlegt in einen anderen Block. Ein anderer Junge saß wegen Buntmetalldiebstahl, der ist in der Haft auch mit Zeugen Jehovas zusammengekommen und hat gesagt: Sowie ich herauskomme, lasse ich mich taufen! Und als er rauskam, hat er sich wahrhaftig taufen lassen und ist dann in Ostberlin von Haus zu Haus gegangen und hat, den Leuten von Gott gesprochen. Und ist in das Haus eines Mannes gekommen, der hat ihn in die Wohnstube reingeholt und hat sich mit ihm ein Weilchen unterhalten und dann hat er die Polizei angerufen und hat gesagt: Ich habe einen von diesen Zeugen Jehovas in der Wohnung, holt ihn ab!

Der Mann war ein SED-Funktionär.

Als ich nach Berlin ins Zuchthaus Rummelsburg verlegt wurde, traf ich den Jungen wieder, da hat er dann als Zeuge Jehovas gesessen. Aber für einen Zeugen ist die Haftzeit leichter zu ertragen als für andere Strafgefangene, denn wir halten uns ja immer Christi Leidensweg vor Augen, dann den Leidensweg der Apostel. Paulus war ja zuerst ein Gegner der Christen, war Saulus von Tarsus, der hat auch viel Haft durchmachen müssen, und auch die anderen Apostel. Johannes zum Beispiel wurde enthauptet, weil das Böse auf dieser Welt vorherrschend ist. Ich wurde nach 7 ½ Jahren Zuchthaus entlassen, sogenannte Strafaussetzung mit dreijähriger Bewährungsfrist. Als der Beamte mich entließ, hat er mich gefragt: Na, sind Sie immer noch Zeuge Jehovas? Da habe ich gesagt: Ja, das bin ich noch. Na, ist ja auch egal. Aber sind Sie noch immer feindlich gegen die DDR eingestellt?

Darauf habe ich gesagt: Ich hatte überhaupt keine Einstellung gegen die DDR. Ich werde erst mal froh sein, wenn ich hier heraus bin, werde versuchen, Arbeit zu bekommen, damit ich meine Familie ernähren kann. Mit der Politik befassen wir uns grundsätzlich nicht.

Ich kam dann heim und versuchte, meine alte Stelle wieder zu bekommen als Schweißer, aber das war unmöglich, fast 8 Jahre waren vergangen. Da habe ich im Betrieb die Diesel-Ameise gefahren, das ist so ein Dieselfahrzeug mit Fußsteuerung, das habe ich gefahren. Die fanden für die Diesel-Ameise keinen anderen, und so bekam ich sie eben.

Ich verdiente knapp 6oo Mark, davon dann noch die Abzüge. Meine Frau hatte Schulden machen müssen, die mußten wir abzahlen. Wie sollte meine arme Frau auch die Jahre durchkommen mit den vier Kindern? 111 Mark Unterstützung für die Kinder bekam sie vom Staat! Und dann hat sie für die Nachbarn gestrickt, und so haben sie sich durchgebracht. Alle Vierteljahr durfte meine Frau mich im Zuchthaus besuchen, aber niemals konnten wir dabei allein sprechen, sieben Jahre lang.

Meine Frau war früher evangelisch. Sie war evangelisch geblieben während unserer Ehe. Und als ich aus der Haft zurückkam, hat sie mir gesagt, daß sie auch zum Glauben der Zeugen Jehovas übergetreten ist. Sie hat, während ich für meinen Glauben im Zuchthaus saß, die Bibel zur Hand genommen. Sie suchte einen Sinn in allem und suchte Trost. Dann erkannte sie das Heil und ist übergetreten und hat dann an den Versammlungen teilgenommen, die illegal weitergingen.

So hatte also das Leben in der Freiheit mit seinen Schwierigkeiten wieder für mich begonnen. Die Funktionäre im Werk kamen zu mir, ich sollte in den FDGB eintreten. Dauernd haben sie mich belästigt. Ich stand unter Kontrolle, wie jeder, der aus der Haft kommt! Viele merken es bloß nicht.

Dann kamen die Funktionäre und drängten, ich muß zur Wahl gehen! Ich sagte, ich gehe nicht zur Wahl. Die Gründe möchte ich nicht näher erläutern, das hängt mit meinem Glauben zusammen. Ich bin Zeuge Jehovas! - Wir Zeugen Jehovas gehen grundsätzlich nicht zur Wahl, genauso, wie wir keinen Wehrdienst leisten - ich sagte: Ich kann das nicht unterstützen, was Menschen in den Regierungsstellen machen und wie sie sich benehmen, dafür kann ich nicht gutstehen, und auf Grund dessen gehe ich nicht zur Wahl!

Von dem Tage ab haben sie zugesehen, wie sie mich einfingen. Ich hatte meine Besuche in den Häusern wieder aufgenommen so wie früher. Da hat mich eine Witwe verpfiffen, sie war eine Zugereiste, ich kannte sie vorher nicht; in so einer mittleren Stadt kennt man doch ein bißchen die Leute. Sie unterhielt sich sonntags morgens unter der Haustür mit mir und heuchelte Interesse und bat mich, einen Abend wiederzukommen, Dienstagabend. Aber an dem Dienstagabend konnte ich nicht hingehen, weil vom Werk aus eine Kulturbundversammlung einberufen war. Und meine Frau machte sich auf und wollte statt meiner mit der Frau reden, macht sich aber an der Tür noch nicht bekannt, wer sie wäre, steht grad erst im Flur und da sieht sie durch den Spalt in der Stube zwei Männer sitzen. Staatssicherheitsdienst!

Meine Frau lief davon, unter einem Vorwand, lief nach Hause, und als ich von der Versammlung zurückkam, hatte sie schon was zusammengepackt, und wir sind in derselben Nacht noch weg mit den Kindern. Ich konnte doch nicht noch einmal für Jahre ins Zuchthaus gehen - was sollte aus den Kindern werden? -

Ostdeutschland

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