Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Grünauer Str.

Berlin ist, geographisch gesehen, eine große Stadt. Unter anderem gibt es in ihr, an unterschiedlichen Standorten, gleich drei Straßen, die sich Grünauer Str. nennen. Ein Ortsunkundiger, der nicht auch die dazugehörige Postleitzahl beachtet, kann Gefahr laufen, nicht zum gewünschten Ziele zu gelangen. In einer dieser Grünauer Straßen gibt es auch eine Nr. 104. In eben dieser besagten Nummer hat auch die „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland" ihren Sitz.

Ihr Schild am unscheinbaren Eingang klärt den Interessenten darüber auf, dass man dort nicht immer zu sprechen ist. Nein - es sind vorgeschriebene „Bürozeiten" zu beachten. Nicht immer war die vorgenannte „… in Deutschland" an diesem illustren Ort ansässig. Es gab eine Zeit davor, da war sie in Berlin-Karlshorst (Heiligenbeiler Str. 27) ansässig. Noch ein paar Jahre davor, nannte man sich dort auch noch anders; nämlich „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in der DDR". Aber diese Bezeichnung war nur kurzzeitig, denn die DDR pflegte sich anschließend in „Wohlgefallen" aufzulösen. Also wurde flugs aus der DDR eben Deutschland - auch bei den Zeugen Jehovas.

Die seinerzeitige Karlshorster Immobilie wurde den Zeugen Jehovas auch mit Unterstützung der DDR-Regierung vermittelt. Dem gebürtigen Ostberliner sagte diese Anschrift einiges. So wusste er auch, dass die dortige Gegend eine Art heimliches Diplomatenviertel war. Wer sich näher für diese Gegend interessierte, der konnte registrieren, dass nur eine Querstraße weiter, auch das Mitteleuropäische Exarchat der Russisch-orthodoxen Kirche seinen Sitz hatte (bzw. noch hat). Inklusive der Redaktionsanschrift der (deutschsprachigen) Zeitschrift „Stimme der Orthodoxie".

Aber anscheinend fühlten sich die Zeugen Jehovas in dieser Gegend nicht sonderlich wohl. Gar in Tuchfühlung mit der Russisch Orthodoxen Kirche leben zu müssen, dass entsprach wohl nicht ihrem Geschmack. Also baute man sich eine neue Zentrale, mit großem furchteinflossendem schmiedeeisernem Tor, auf das auch ja gar Unbefugter etwa auf das Hofgelände gelangt, wo man den eigenen Fuhrpark stationiert hat. Da man sich gewahr wurde, dass es mit Königreichssälen auf dem Territorium des ehemaligen Ostberlin schlecht bestellt ist, so wählte man für diesen neuen Standort auch wieder das ehemalige Ostberlin aus. So hat man es denn in der Gegenwart schon zu sage und schreibe drei Königreichssälen mit geographischem Standort im ehemaligen Ostberlin gebracht. Oder soll man lieber doch sagen zu zweieinhalb?

Die Grünauer Str. ist wie schon angedeutet eine „illustre" Gegend. Zu DDR-Zeiten befand sich dort, nur ein paar Grundstücke weiter, ein Frauen-Gefängnis. Letztere Immobilie existiert immer noch. Nur das sie heute als Abschiebe-Gewahrsam für abgelehnte Asylanten genutzt wird. Nach dem Fall der Mauer (1989) machte die Grünauer Str. in weiten Bereichen einen trostlosen Eindruck. Etliche vormalige Wohnhäuser waren baupolizeilich gesperrt wegen Baufälligkeit. So auch das unmittelbar an die Nr. 104 angrenzende Grundstück. Inzwischen hat sich einiges bewegt. Sogar Hotels haben sich neuerdings hier niedergelassen.

Wie auch andernorts bauten die Zeugen Jehovas sich auch hier einen neuen Königreichssaal. Neben ihren Hauptamtlichen die auch gleich praktischerweise hier ihren Wohnsitz haben, dürfte es allerdings schwer sein, ihn mit Besuchern aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu füllen. Die Zeugen Jehovas, die die Chance haben, ihn in einem vertretbaren Fußmarsch zu erreichen, kann man an den Händen abzählen.

Und so wird er denn nicht nur für eine, sondern gleich für mehrere Ostberliner Versammlungen genutzt. Dabei erweist sich dieser Standort als verkehrspolitisches Handicap. Die Grünauer Str. ist eine relativ schmale Straße. In ihr verkehrt auch eine zwei Außenstadtbezirke verbindende Straßenbahn. Eine Konsequenz dieser Sachlage ist auch, dass in diesem Bereich nahezu keine öffentlich zugängliche Parkmöglichkeiten vorhanden sind. Inzwischen hat sich aber die Lebensmittelkette "Lidl" ein paar Grundstücke weiter auch niedergelassen. Und so kann man denn auch an Sonntagen, wo Lidl geschlossen hat, ein gerammelt vollen Parkplatz zu gewissen Zeiten registrieren. Andernorts gibt es Lebensmittelketten, die ihre Parkplätze mit Schranken versehen und jedem androhen, der die üblich Einkaufszeit mißachtet, gar kostenpflichtig abgeschleppt zu werden. Nicht so offenbar in der Grünauer Str. Vielleicht habe da die Zeugen Jehovas mit Lidl einen entsprechenden "Deal" ausgehandelt?

Gegenüber der Nr. 104 befindet sich ein Wohnblock, der auch über einige der äußerst raren offiziellen Parkplätze verfügt. Die dortigen Anwohner dürften nicht gerade „erfreut" sein, wenn ihnen ihre Parkplätze durch Zeugen Jehovas aus halb Ostberlin streitig gemacht werden. Aber letzteren ist die prekäre Parksituation natürlich auch bekannt. Wer die örtliche Lage im Detail kennt, der weiß allerdings, dass die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Zeitaufwand her, eine „halben Weltreise" gleich kommt

Am 14. 06. 2000 berichtete die "Berliner Zeitung" über den beabsichtigten Bau eines weiteren Königreichssaales im Lande Brandenburg in der Gemeinde Eggersdorf. Geplant für eine Besucherkapazität von 120 bis 150 Personen. Im fraglichen
Einzugsgebiet hingegen gäbe es derzeit nur ca. 60 Zeugen Jehovas. Der Artikel enthält auch eine Skizze über die weiteren Königreichssäle im Lande Brandenburg, die entweder schon vorhanden oder im Bau sind.

Zählt man sie zusammen kommt man auf die Zahl 11. Nimmt man die genannte Zahl für Eggersdorf als Basis, dann kann man in etwa eine Hochrechnung über die Zahl der Zeugen Jehovas im Lande Brandenburg veranstalten. "Beeindruckend" ist diese Zahl im zehnten Jahre nach dem Mauerfall sicherlich nicht. Gratulation für die Brandenburger, die auf diese Art, trotz der Missionsaktivitäten der Zeugen, sozusagen "mit den Füssen abgestimmt haben".

Dazu könnte man (im Artikel nicht genannt), noch die mageren drei Königreichssäle hinzuzählen, die Jehovas Zeugen in den Jahren nach 1990 in Ostberlin errichtet haben. Einer davon hat bekanntlich einen Sonderstatus (Grünauerstr.).

Westberlin - wie es im ZJ-Jahrbuch zum letzten mal separat ausgewiesen wurde (1984).

Für jenes Jahr wurde dort eine Verkündigerdurchschschnittszahl von 4907 angegeben. Zum Vergleich: Im Jahre 1974 betrug diese Zahl noch 5436. Der Rückgang von rund 500 in genannten Zeitraum ist zwar nicht "weltbewegend". Setzt man aber im Vergleich die Missionsaktivitäten der Zeugen hinzu, aber doch als relativ beachtlich zu werten.

Für Ostberlin bezifferte die Stasi, laut den Akten in der (jetzt) Birthlerbehörde, im Jahre 1968 die Zahl der dortigen Zeugen Jehovas auf rund 700. Die könnte man ja jetzt zu den Gesamt-Berliner Zahlen hinzuschlagen.

Zu "DDR"-Zeiten ist in jener Stasistudie aus der diese Zahlen entnommen wurden, aber schon registriert worden; dass auch der Ostberliner Bestand an Zeugen Jehovas, im Vergleich zu den Zahlen aus den fünfziger Jahren, zunehmend geschrumpft ist.

So vermerkt die Stasi, dass sie einschätzt der Anteil der über 50jährigen sei männlich ca 55%; weiblich gar 70%. Jene zunehmende Überalterung dürfte sich wohl auch in den nachfolgenden Jahren kaum wesentlich zum besseren geändert haben.

Ein Indiz dafür auch, dass der Königreichssaal in der Grünauer Str. (Berliner ZJ-Zentrale), faktisch für halb Ostberlin zuständig ist. Lediglich Berlin-Marzahn (zu DDR-Zeiten seinerzeitiges Neubaugebiet) und Berlin-Pankow sind noch als eigenständige Königreichssaalzentren auf ehemals Ostberliner Gebiet zu nennen. Etliche andere Bereiche in "Grenznähe" wurden indes vielfach traditionellen Westberliner Königreichssälen zugeschlagen.

Da die Zeugen ihre Versammlungen intern nummerieren zitiert das auch genannte Studie. Zitat:

"Die Versammlungen 1151, 1152, 1153 und 1155 spielen gegenwärtig im Raum der Hauptstadt kaum eine Rolle. Die Versammlung 1155 entwickelt sich immer mehr zu einem direkten Anhängsel der Versammlung 1156. … Die entscheidendste Rolle im Gebiet 115 spielen die Versammlungen 1154 (Pankow) und 1156 (Treptow)."

Wie gesagt, dass war der Stand von 1968.

Im Zusammenhang mit der vor einigen Jahren besonders akuten Diskussion, betreffs Verlagerung von Bundesbehörden von Bonn nach Berlin, gehörte besonders auch die katholische Kirche mit zum Chor der Kritiker dieser Entwicklung. Als herausgehobener Sprecher trat dort besonders der derzeitige Kölner Bischof in Aktion. Letzterer wusste wovon er redete. Er war ja mal selbst in Berlin ansässig gewesen. Und in seiner Berliner Zeit sowohl für die Katholiken in Ost- wie in Westberlin zuständig. Und das Diasporadasein seiner Kirche empfand er schon damals als nicht "optimal". Berlin war für ihn und seinesgleichen, ein "verrufenes", hartes Pflaster; zumal ihm auch andere Gegenden, etwa das Eichsfeld, geläufig waren, wo die Kirche damals und heute noch eine Macht darstellt. Dagegen ist Berlin die sprichwörtliche "Wüste".

Wenn also ein Kardinal Meissner die Berliner Diasporasituation beklagt, dann gibt es sicherlich noch einige mehr, die in diesem Klagegesang mit einstimmen können. Z. B. die Zeugen. Aber auch die Ex-Zeugen.

Noch eins. Jetzt zitiere ich wieder mal die Stasi. Die konstatierte; dass in den Nordbezirken der seinerzeitigen DDR, nur 10% der Gesamtzahl der DDR-Zeugen ansässig seien. 90% hingegen im Raum Dresden, Erzgebirge, Magdeburg.

Also auch die Zeugen haben ihre übertragenen "Eichsfelder". Berlin gehört mit Sicherheit nicht dazu.

Was wurde aus der Bayernallee 49/50?

Mitte der 50-er Jahre begann die WTG in Berlin-Charlottenburg Bayernallee 49/50 ein eigenes Zweigbüro auszubauen. Wie üblich wurden dazu auf den Kreisversammlungen usw. Aufrufe bezüglich gesuchter Handwerker gestartet, die dort zum Nulltarif tätig waren. Auch der Bau eines Königreichssaales, wurde bei diesen Bauarbeiten mit in Angriff genommen. Letzterer ist heute noch aktiv. Dann kam im Jahre 1961 der DDR-Mauerbau und die WTG beschloß, ihr Berliner Zweigbüro wieder aufzugeben, da letzteres hauptsächlich im Blick auf die DDR-Zeugen Jehovas errichtet worden war. Durch die neue politische Situation bedingt, meinte man, nunmehr von Wiesbaden direkt agieren zu sollen, jedoch nicht mehr über Berlin.

Nachdem die "DDR" zu bestehen aufhörte und man durchaus Bedarf für ein neues Berliner Büro hatte, wurde jedoch die Bayernallee 49/50 nicht mehr aktiviert. Heute findet man an diesem Objekt zwei Namensschilder vor. Einmal, den Namen der Wachtturmgesllschaft. Sucht man jedoch im Berliner Telefonbuch unter Wachtturmgesellschaft, dann findet man dort keinen Eintrag. Jenes Namensschild ist daher eher als eine Art "Briefkastenfirma" zu bewerten. Zugleich wird jedoch durch dieses Namensschild auch dokumentiert, dass die WTG offenbar nach wie vor Eigentümer jener Immobilie ist.

Das zweite Namensschild ist schon etwas "interessanter". Es lautet auf den Namen: Seniorenheim Horst Czapla. Also offenbar hat die WTG ihre Immobilie an ein kommerziell geführtes Seniorenheim vermietet.Sie kassiert also dafür allmonatlich einen entsprechenden (ortsüblichen) Mietzins. Ob jene Handwerker, die dort daeinst zum Nulltarif gearbeitet haben, sich das so vorgestellt haben, wie es nun gekommen ist, erscheint indes etwas zweifelhaft.

Infos zur Bayernallee

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