Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Rutherford: Herrschaft und Friede

Was war er eigentlich: Theologe oder doch mehr Politiker?

Es fällt schwer diese Frage mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten. Die Rede ist - wieder einmal - von J. F. Rutherford. Eines war er aber sicherlich: Er war geltungssüchtig. Er liebte es im Rampenlicht zu stehen, wie dies auch jene, wenn auch unscharfe Aufnahme, aus dem New Yorker "Madison Square Garden" verdeutlichen kann. Jene eben genannte Eigenschaft war und ist sicherlich nicht "nur" auf Rutherford beschränkt. Man kennt noch genug solcher "Selbstdarstellungskünstler" in Vergangenheit und Gegenwart.

Wie alljährlich - so auch im Jahre 1939. Die Anhängerschaft wurde wieder einmal mit einem neuen Rutherford-Buch "beglückt". Sein englischer Titel "Salut". Seine deutschen Übersetzer schwankten bei der Festlegung des deutschen Titels. Ursprünglich wollten sie es in "Das Heil benennen. So wird es denn auch in der aus Anlass dieser "Buchfreigabe" mit präsentierten Broschüre "Herrschaft und Friede" denn auch genannt. Tatsächlich erschienen, im Deutschen ist es dann aber unter dem Titel "Die Rettung". Interessant daran auch die müde Verteidigung in Sachen Fürstenvilla "Beth Sarim."

Nicht jenes Buch soll hier jetzt im besonderem Blickpunkt stehen; wohl aber die Broschüre "Herrschaft und Friede". Am Rande mit vermerkt. Eine französischsprachige Ausgabe davon "Gouvernement et Paix", gelangte auch in den Bestand der Berliner Staatsbibliothek. Es ist nicht ganz klar, ob dies schon zeitgenössisch geschah. Die Signaturangabe (20 A 14739) lässt eher darauf schließen, nach 1945, zu kommunistischen Zeiten, in deren Bestand eingestellt. Immerhin ist es einer der wenigen Rutherfordtitel des Zeitraumes 1933-1945 die in genannter Bibliothek nachweisbar ist.

Wieder einmal lässt Rutherford sich feiern, dass über 75 Radiostationen seine Ansprache vom 25. 6. 1939 verbreitet wurde, und in 10 000 000 Druckexemplaren. Seine Zeugen Jehovas haben noch nicht einmal heute diese Zahl erreicht, womit deutlich wird, dass die "Handvoll" die es zu jener Zeit speziell in den USA gab, eine enorme Leistung vollbringen mussten, um diese Literaturmengen unters Volk zu bringen; sofern sie sie nicht "im eigenen Keller" vergammeln ließen. Bezahlt im Vorkasseverfahren, haben die Zeugen Jehovas sie sowieso. Ob sie indes die verauslagten Gelder je wieder hereinbekamen, erscheint doch mehr als zweifelhaft. Wie auch immer. Die Kasse von Rutherford und seiner "Society" stimmte auf jedem Fall!

Politisch wird Rutherford wieder einmal mit seiner Aussage: "Darum ist die Gottesherrschaft die einzige Regierung, die das Ersehnte bringen kann" (S. 4). Es sei eingeräumt, dass zu jenem Zeitpunkt, andere, weltliche Regierungen, ihren Völkern keineswegs eine "ersehnte" Politik offerierten. Insofern hat hier Rutherford durchaus einen neuralgischen Nerv getroffen. Aber er geht weiter, und spricht diesen anderen Regierungen die grundsätzliche Legitimation ab. Etwa wenn er erklärt:

"Infolgedessen bezieht sich die biblische Erklärung von Römer 13:1 und 1. Petrus 2:13,14 hinsichtlich der 'obrigkeitlichen Gewalten' nicht auf irgendwelche Herrscher der Welt, sondern allein auf die christliche Organisation" (S. 9). Ein glasharter Alleinvertretungsanspruch - kann man dazu nur sagen.

Und weiter: "Es muß den Menschen kundgetan werden, daß die Religion das raffinierteste Mittel des Teufels ist, das dazu dient, die Menschen zu verführen und sie von Gott abspenstig zu machen."

Dann wettert er weiter und kritisiert die Nazipolitik; immer gekoppelt mit einer antikatholischen Komponente. Nun ist es in der Tat so, dass man die Nazipolitik zurecht kritisieren kann. Zurecht kann man auch das Verhalten der katholischen Kirche in dieser Geschichtsphase kritisieren. Da habe ich durchaus Verständnis dafür. Dann stellt sich aber zugleich auch die Frage; bei einer solchen Position. Kann man da noch zurecht beanspruchen "nur Religion" oder da Rutherford dieses Wort ablehnte, meinetwegen auch "wahres Christentum" zu sein? Mit einer solchen Position ist die "metaphysische Religionsschiene" schon bereits bedenklich verlassen und ins primär Politische umgeschlagen!

Die WTG selbst berichtet darüber, wie diese Verkündigung bei den beabsichtigten "zehn Millionen Empfängern" "angekommen" ist. Wenn man eine einzelne Broschüre in solch einer Größenordnung herstellen lässt, dann kann man sich wohl kaum auf den Standpunkt stellen, dass eine bestimmte, unliebsame Gruppe, nicht zu deren Adressaten gehören soll. Und so kam es denn auch. Die WTG schreibt in ihrem "Verkündiger"-Buch (S. 658):

"Bevor sich Jehovas Zeugen 1939 im Madison Square Garden versammelten, hatten Anhänger des katholischen Priesters Charles Coughlin gedroht, die Zusammenkunft zu sprengen. ... Nachdem der Vortrag begonnen hatte, strömten mindestens 200 Katholiken und Nationalsozialisten, angeführt von verschiedenen katholischen Priestern, auf den Balkon. Auf ein Signal hin veranstalteten sie ein schreckliches Geheul und riefen "Heil Hitler!" und "Viva Franco!" Sie gebrauchten alle möglichen Schimpfwörter und Drohungen und griffen viele Saalordner an, die gegen die Störung einschritten."

Saalschlachten. Das kannte man auch in der Weimarer Republik. Kommunisten und Nazis pflegten bei solchen Anlässen die Einrichtung in "Kleinholz" zu verwandeln, nebst ärgeren. Ähnliches nun bei Rutherford. Auch damit wird deutlich, dass er die Grenze zum "Bereits-Politiker" in der Tat überschritten hatte!

Die Ära Rutherford

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