Wie der Staat Bundesrepublik Deutschland, die Wehrdienstverweigerung der Zeugen Jehovas im Naziregime justizmäßig beurteilte

Eine ältere Meldung führte mal über den cirka 3,5 Millionen-Einwohner-Staat Eritrea. In Afrika an den Sudan und Äthiopien angrenzend aus:

Eritrea wurde fast ohne wirtschaftliches Potential in die Unabhängigkeit entlassen. Es gibt nur wenige Industriebetriebe, Landwirtschaft ist auf Grund der klimatischen Verhältnisse nur bedingt möglich und die Infrastruktur ist ausbaubedürftig."

Ist man "verwundert", vernimmt man die Meldung, dass Jehovas Zeugen auch dort große Schwierigkeiten haben, namentlich auch beim Thema Wehrdienst? Ich glaube, Grund zum "verwundern" gibt es eigentlich nicht.
Staaten die sonst nichts haben, haben vielfach aber doch eines: Nationalismus. Und da kommen die Zeugen und sagen, dieser Nationalismus darf in keiner Weise bestätigt werden. Etwa durch die Teilnahme an "Wahlen" und ähnliches.
Über die Ergebnisse solcher Provokationspolitik im Namen der "Religion" sich zu verwundern, erscheint mir deplatziert.

Was ist Ursache - was ist Wirkung?
Die deutsche juristische Zeitschrift „Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht" befasste sich zweimal (in den Jahren 1957 und 1964) mit von Zeugen Jehovas angestrengten Gerichtsverfahren welche bis vor den deutschen Bundesgerichtshof gelangten.
In einem Falle klagte die Witwe eines Zeugen Jehovas, welcher im Naziregime im Jahre 1943 wegen Wehrdienstverweigerung hingerichtet wurde.
Ihr von ihren Rechtsanwälten vorgetragener Anspruch:
Das Naziregime sei ein Unrechtsregime. Ergo sei die Hinrichtung ihres Mannes ein Unrechtsurteil. Dafür aber habe der Rechtsnachfolger jenes Unrechtsstaates nunmehr einzustehen, etwa in der Form einer Entschädigungszahlung/Rente usw.
Im zweiten Fall aus dem Jahre 1964 wurde von Erben eines hingerichteten Zeugen Jehovas, ähnliche Ansprüche geltend gemacht.
1957 formulierte der Bundesgerichtshof in seinem Urteilstext dazu:

„Die Bestrafung eines Wehrpflichtigen, der den gesetzlich vorgeschriebenen Wehrdienst in einem Land verweigert, das die allgemeine Wehrpflicht ohne irgendeine Ausnahme kennt, kann im allgemeinen nicht als ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze angesehen werden."

1964 formulierte wiederum der deutsche Bundesgerichtshof:

„Die Glaubensgemeinschaft der „Zeugen Jehovas" verbietet bekanntlich ihren Anhängern aufs strengste jeden Wehrdienst, wie auch die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts. Welcher Staat diesen Dienst von ihnen verlangt und welche Staatsform dieser Staat hat, ist dabei völlig gleichgültig ...... Für eine auch vom Erblasser für die Motivierung seiner Wehrdienstverweigerung in Anspruch genommene Unterscheidung zwischen Rechts- und Unrechtsstaat zur Kennzeichnung der bis zu diesem Endgericht (Harmagedon) bestehenden Staatsformen ist in diesem Denken kein Raum. Die einzige rechtmäßige Gemeinschaft ist bis dahin die „Neue-Welt-Gesellschaft" der Zeugen Jehovas. ...
Es gibt sicherlich keinen Staat, der jedem seiner Bürger das Recht zuspricht, zu entscheiden, ob der Krieg ein gerechter oder ein ungerechter ist und demgemäß seiner staatsbürgerlichen Pflicht, Wehrdienst zu leisten, zu genügen oder ihre Erfüllung zu verweigern - würde der Staat jedem Bürger dieses Recht zubilligen, so würde er sich selbst damit aufgeben."

Und weiter:

Die Frage, ob ein Krieg ein gerechter oder ungerechter ist, kann dem einzelnen Bürger nicht zur Entscheidung überlassen werden. Sie kann vielleicht nicht einmal von der zeitgenössischen historischen Wissenschaft immer mit Sicherheit beantwortet werden. Das Urteil wird sehr oft erst von der Geschichte gesprochen und es ist keineswegs davon abhängig, ob der Krieg Erfolg gehabt hat oder nicht."

Also selbst die im Vergleich zu Eritrea liberalere BRD, tat sich bei diesen Fragen schwer, und zog sie auch den Standpunkt zurück, es sei halt das „Privatvergnügen" des einzelnen, wenn er in Folge seiner WTG-Indoktrinierung, für sie Positionen praktiziert, die für ihn aber nicht folgenlos bleiben.

Ein Dr. Garbe, welcher in einem seiner Aufsätze, auch auf die vorgenannten Entscheidungen des BGH zu sprechen kommt, und von ihnen alles andere als „angetan" ist. Selbst Garbe kann nicht mehr bewirken, als sein Mißfallen zu artikulieren. „Ändern" indes, an diesen Höchstrichterlichen Eintscheidungen kann auch er nichts.

In dem von Norbert Haase im Jahre 1993 veröffentlichten Katalogband "Das Reichskriegsgericht und der Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft" ist auch ein Text im vollem Wortlaut mit abgedruckt, der schon verschiedentlich zitiert wurde. Es handelt sich um eine dem Bereich Entschädigungsgesetze zugeordnete Gerichtsentscheidung, die zuerst in der juristischen Fachzeitschrift "Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht" Heft 11/1964 S. 504f. veröffentlicht wurde. Sie sei auch an dieser Stelle einmal kommentarlos dokumentiert:

Zur Frage, ob die kriegsgerichtliche Bestrafung eines »Zeugen Jehovas« wegen Verweigerung des Wehrdienstes als n(atonal)s(ozialistische) Gewaltmaßnahme anzusehen und unter welchen Voraussetzungen eine solche Verweigerung »in Bekämpfung der ns. Gewaltherrschaft« erfolgt ist.

BGH, v. 24. 6. 1964-IV ZR 236/63 (Hamburg)

Die Kl(äger) sind die Erben des 1963 in Hamburg verstorbenen St. Dieser war seit 1934 Mitglied der Glaubensgemeinschaft der »Zeugen Jehovas«. Wegen dieser Mitgliedschaft wurde er von einem Sondergericht in Breslau zu einer Gefängnisstrafe von 2 Jahren verurteilt, die er in der Zeit vom 31. 1. 1936 bis 31.1.1938 verbüßte. Am 8.9.1939 wurde er erneut in Haft genommen, weil er sich - unter Hinweis auf seinen Glauben - geweigert hatte, einer Einberufung zum Wehrdienst nachzukommen. Wegen Zersetzung der Wehrkraft wurde er am 19.9. 1939 durch ein Kriegsgericht zum Tode verurteilt. Diese Strafe wurde jedoch später in eine Zuchthausstrafe von 10 Jahren umgewandelt. Der Erblasser verbrachte die Zeit seit November 1939 im Strafgefangenenlager VII in Esterwegen. Am 3. 5. 1945 wurde er von den alliierten Truppen befreit. In der sowjetischen Besatzungszone, wo er danach Wohnsitz genommen hatte, war er wegen seiner Mitgliedschaft bei den »Zeugen Jehovas« von 1950 bis 1960 wiederum in Haft. Von 1961 bis zu seinem Tode lebte er in Hamburg, er war Inhaber des Flüchtlingsausweises C.

Durch Bescheid v. 27. 2. 1962 hat ihm die Entschädigungsbehörde wegen der in den Jahren 1936 bis 1938 erlittenen Haft eine Entschädigung von 3600 DM zuerkannt. Seinen weiteren Anspruch wegen Schadens an Freiheit hat sie dagegen abgelehnt, weil die infolge der Wehrdienstverweigerung erlittene Haft nicht als ns. Verfolgungsmaßnahme gewertet werden könne. Eine derartige Tat sei auch in anderen, insbes. auch in rechtsstaatlichen Lindern, bestraft worden.

Aus den Gründen: Das Ber(ufungs)Gericht hat die Frage, ob die Bestrafung des Erblassers eine ns. Gewaltmaßnahme war, unentschieden gelassen. Sie ist zu verneinen. Als rechtliche Grundlage für diese Bestrafung kam nur die Bestimmung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 der Kriegssonderstrafrechtsverordnpng (KSStVO) v.17. 8. 1938 (RGBl. I 1939,1455) in Betracht. Danach wurde derjenige, der es unternahm, sich der Erfüllung des Wehrdienstes ganz

oder teilweise zu entziehen, mit dem Tode, in minder schweren Fällen mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft. Es läßt sich nicht sagen, daß diese Vorschrift sich eindeutig als Ausdruck und Ausfluß einer rechtsstaatswidrigen Ordnung gekennzeichnet und sich darum - gemessen an letzten für eine Rechtsgemeinschaft verbindlichen Grundnormen - als Unrechtsnorm dargestellt habe, der ein an solchen unverrückbaren Normen orientiertes Denken und Empfinden auch zur Zeit der NS-Herrschaft die Geltung habe absprechen dürfen und müssen. Diese Folgerung würde bedeuten, daß Richter, die seinerzeit auf Grund dieser Norm Strafen verhängt haben, damit in jedem Falle nicht Recht gesprochen, sondern schlechthin Unrecht verübt hätten. Sie ist keinesfalls schon deshalb gerechtfertigt, weil unser heutiges Rechtsbewußtsein, wie es in Art. 4 Abs. 3 GG und §25 WehrpflG i. d. f. v. 14. 1. 1961 (BGB I. 130) seinen Ausdruck gefunden hat, die Bestrafung eines Wehrpflichtigen, der erweislich aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigert, insbes. seine Bestrafung mit dem Tode - jedenfalls im Bereich unserer Rechtsgemeinschaft - nicht zuläßt. Denn die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Staat das Recht hat, Wehrdienstverweigerer zu bestrafen und welches Strafmaß er dabei anwenden darf, läßt sich nicht schon aus dem Grundsatz der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, wie er im Bewußtsein der Allgemeinheit lebt, und auch nicht von einem unantastbaren Kernbestand rechtlicher Sollenssätze her für jede Zeit und jede geschichtlichte Situation ein für allemal eindeutig und zweifelsfrei beantworten. Das ergibt sich schon aus der kaum übersehbaren Fülle der verschiedenartigen gesetzgeberischen Maßnahmen, mit denen etwa im Laufe des letzten halben Jahrhunderts die Kulturstaaten zu verschiedenen Zeiten diese Frage zu lösen versucht haben. Wie der Senat bereits in seinem RzW 57, 52 Nr. 38 veröffentlichten Urt(eil) dargelegt hat, hat nicht nur Deutschland und dieses nicht etwa nur zur Zeit der ns. Herrschaft Wehrdienstverweigerer bestraft, sondern dies haben auch zahlreiche andere Länder, wie Belgien, Frankreich und die Schweiz sowie osteuropäische Staaten und die USA im ersten Weltkrieg getan. Die in diesen Ländern verhängten Strafen sind zum Teil außerordentlich schwer gewesen; so sind während des ersten Weltkriegs in Rußland, Ungarn und den USA öfters Todesstrafen verhängt worden, und zwar auch gegen solche Personen, die lediglich aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigert hatten (vgl. zu diesen Fragen die von der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländischen öffentliches Recht der Universität Hamburg herausgegebenen Dokumente über die Kriegsdienstverweigerung in deutschem und ausländischem Recht Heft XIII, insbes. S. 6, 16 und 32 sowie das in dem Urt(eil) des L(and)G(erichts) Stuttgart RzW 54, 149, wiedergegebene Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg v. 16. 1. 1954, nach dein sich ein allgemein anerkanntes Recht auf Wehrdienstverweigerung weder früher noch heute herausgebildet hat und selbst unter Berücksichtigung der Länder, die ein solches Recht anerkennen, Einigkeit darüber besteht, daß das anerkannte Grundrecht der Gewissensfreiheit nicht schon das Recht auf Wehrdienstverweigerung einschließt).

Demgemäß ist auch, soweit ersichtlich, den hier in Betracht kommenden Bestimmungen der KSStVO der Charakter der Rechtsstaatlichkeit bisher in der R(echt)spr(echung) nirgends abgesprochen worden (vgl. OLG Koblenz in RzW 53, 267; LG Stuttgart, aaO; OLG Oldenburg in RzW 56,259; BGH-St. 3, 110,116; 4,66,68; LM Nr. 3 zu § 826 Gc und die dort angeführten weiteren Entscheidungen der Strafsenate des BGH; ebenso auch van Dam-Loos, BEG § 1 Anm. 5, und Becker-Huber-Küster, BErgG § 1 Anm. 24).

Diese grundsätzliche Stellungnahme schließt naturgemäß, wie sich schon aus § 2 Abs. 2 BEG ergibt, nicht aus, daß im Einzelfall die Bestrafung eines Kriegsdienstverweigerers auf Grund der angeführten Bestimmung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 KSStVO eine NS-Gewaltmaßnahme gewesen ist. Sie ist es immer dann gewesen, wenn es den Richtern bei der Bestrafung darauf ankam oder auch darauf ankam, den Angeklagten wegen seiner politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gegnerschaft zum NS-Regime zu treffen, insbes(ondere) also, wenn er aus einem dieser Gründe besonders hart bestraft worden ist (vgl. Urt(eil) des Sen(ats) RzW 56,360; 57, 51). In dieser Hinsicht kann man jedoch nicht mit Becker-Huber-Küster aaO annehmen, schon die Bestrafung mit dem Tode spreche immer dafür, daß der totale Staat den prinzipiellen Gegner des Totalitarismus habe treffen wollen. Auch bei der Verhängung einer solchen Strafe konnten die Richter sich ausschließlich von der Überzeugung leiten lassen, daß sie notwendig sei, um die Widerstandskraft des deutschen Volkes im Kriege zu schützen. Es kann auch der Meinung von Blessin-Wilden, BEG § 2 Randn. 8, nicht zugestimmt werden, nach welcher bei der Bestrafung wegen einer aus Glaubensgründen erklärten Kriegsdienstverweigerung der Glaube immer der Verfolgungsgrund sei. Daran ist zwar richtig, daß der Glaube des Kriegsdienstverweigerers insoweit Anlaß zu seiner Verurteilung gegeben hat, als er daraus die Verpflichtung hergeleitet hat, den Kriegsdienst zu verweigern und daß damit sein Glaube objektiv eine Ursache für seine Bestrafung war. Das ist jedoch nach der st(ändigen) Rspr. des Sen. für die Annahme einer NS-Verfolgungsmaßnahme nicht ausreichend. Hierfür ist vielmehr erforderlich, daß der Geschädigte nach dem Willen der Verfolger als Gegner des NS getroffen werden sollte. Für die Kriegsrichter war aber der Beweggrund, aus dem der Kriegsdienst verweigert wurde, soweit es auf die Feststellung des Straftatbestandes der Wehrkraftzersetzung ankam, unerheblich. Der Beweggrund konnte allenfalls für die Strafzumessung von Bedeutung sein. Unter diesem Gesichtspunkt könnte allerdings die Frage gestellt werden, ob nicht eine Verweigerung des Kriegsdienstes auf Grund einer echten Glaubensüberzeugung in jedem Falle zu der Annahme eines minder schweren Falles i. S. des § 5 Abs. 2 KSStVO hätte führen, also die Verhängung der Todesstrafe hätte ausschließen müssen. Es wird sich indessen schwerlich sagen lassen, daß die Kriegsrichter sich bei gegenteiliger Auslegung des Gesetzes eines offenkundigen Mißbrauchs des ihnen hinsichtlich der Strafzumessung eingeräumten Ermessens schuldig gemacht hätten. Diese Frage kann jedoch für den vorl. Fall dahingestellt bleiben, da die gegen den Erblasser tatsächlich durchgeführte Strafmaßnahme nicht seine Hinrichtung, sondern eine mehrjährige Freiheitsentziehung war. Dafür, daß seine Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas bei seiner Bestrafung als strafschärfender Umstand gewertet worden sei, bietet der Sachverhalt keinerlei Anhalt.

Zu der Frage, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 2 BEG in der Person des Erblassers erfüllt sind, hat das BerGericht festgestellt, daß der Erblasser den Kriegsdienst nicht nur aus Gründen seines Glaubens, sondern auch wegen seiner politischen Gegnerschaft gegen den NS verweigert habe. Aus seinen Erklärungen, daß der von Hitler entfachte Zweite Weltkrieg ein völkerrechtswidriger Krieg gewesen sei, durch den der ns. Staat auf Länder- und Völkerraub ausgegangen sei, und daß dieser Staat kein Rechtsstaat, sondern ein diktatorischer Unrechtsstaat gewesen sei, könne, so meint das BerGericht, gefolgert werden, daß er sowohl die Außen- als auch die Innenpolitik dieses Staates mißbilligt habe und daß neben seiner Glaubensüberzeugung auch diese Mißbilligung für ihn der Beweggrund für seine Kriegsdienstverweigerung gewesen sei. Diese sei darum auch ein Akt des politischen Widerstandes gewesen.

Die Frage, welcher positiven politischen Überzeugung und Zielsetzung dieser Beweggrund entsprungen sei, hat das BerGericht nicht erörtert. Das beim Erblasser von ihm angenommene politische Motiv wird im BerUrteil nur insoweit näher bestimmt, als es darin bestanden haben soll, daß der Erblasser dem NS-Staat den Kriegsdienst verweigert habe, uni nicht zu helfen, durch einen siegreichen Krieg die Unrechtsherschaft auf unabsehbare Zeit zu stabilisieren. Diese Annahme ergibt sich aus dem vom BerGericht in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Grundsatz, daß derjenige, der aus diesem Grund den Kriegsdienst verweigere, aus politischen Gründen Widerstand leiste.

Diese tatsächlichen Feststellungen werden als solche von der Rev(ision) nicht angegriffen. Sie begegnen gleichwohl rechtlichen Bedenken, weil es nach den Ausführungen des BerGerichts zweifelhaft bleibt, ob sie mit seiner zunächst getroffenen Feststellung, der Erblasser habe den Kriegsdienst um seines Glaubens willen verweigert, und mit dem allgemeinen Erfahrungswissen über den Inhalt und die Forderungen dieses Glaubens und der daraus für seine Anhänger sich ergebenden Verpflichtung in bezug auf ihr Verhalten zum Staat vereinbar sind und deshalb als für das RevGericht bindend der Entscheidung zugrunde gelegt werden können.

Soweit der Zeuge Jehovas auf Grund dieser Glaubensüberzeugung den Kriegsdienst verweigert, bekämpft er damit nicht das jeweilige ihm gegenübertretende staatliche Regime um seines etwaigen besonderen Unrechtscharakters willen. Ebensowenig wie somit die im zweiten Weltkrieg den Kriegsdienst verweigernden Zeugen durch ihre Weigerung in Rußland den Kommunismus oder in England oder Amerika die Demokratie bekämpft haben, haben sie in Deutschland den NS als solchen, d. h. dessen spezifische verbrecherische politische und ideologische Zielsetzungen bekämpft. Dabei ist es naturgemäß denkbar, daß der Zeuge diese Zielsetzungen als Ausdruck einer auch von ihm als besonders bösartig angesehenen und empfundenen Spielart der grundsätzlich ohnehin bösen staatlichen Macht in besonders hohem Maße abgelehnt und ein gewisses Interesse daran gehabt hat, noch vor Harmagedon von dem Druck dieses Regimes befreit zu werden und mit seinen Mitmenschen, insbes. mit seinen Glaubensgenossen, auch bis dahin unter einem weniger drückenden, wenn auch gleichfalls dämonischen, Regime zu leben.

Davon, daß der Erblasser auch aus diesem Grunde den NS bekämpft habe, könnte jedoch nur gesprochen werden, wenn die schon aus seinem Glauben sich ergebende strenge und bedingungslose Verpflichtung, den Kriegsdienst jedem Staat gegenüber zu verweigern, für sich allein nicht ausgereicht hätte, ihn zu dieser Weigerung zu bestimmen, wenn es also dazu zusätzlich noch der Vorstellung von der besonderen Verwerflichkeit des ns. Regines und seiner Bestrebungen und eines aus dieser Vorstellung sich für ihn ergebenden Antriebes, also des Zusammenwirkens beider Motive bedurft hätte, oder wenn umgekehrt sogar diese Vorstellung und der aus ihr sich ergebende Antrieb ihn auch ohne das Gebot seines Glaubens dazu bewogen hätten, den Kriegsdienst zu verweigern. Die Ausführungen des BerGerichts lassen nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, in welchem Sinne es eine politische Motivierung für das Handeln des Erblassers als bewiesen angesehen hat und ob es sich aller Bedenken bewußt gewesen ist, die nach den obigen Darlegungen dagegen sprechen können, daß ein solches Motiv tatsächlich für den Entschluß und für die Haltung des Erblassers bestimmend gewesen ist. Diese Bedenken wiegen möglicherweise um so schwerer, als eine die politische Motivierung bejahende Feststellung sich nur auf die entsprechenden Behauptungen des Erblassers stützen könnte, zu denen auch das BerGericht bemerkt, daß sie in ihrem Wortlaut durch die in den öffentlichen Nachrichtenmitteln seit 1945 übliche Ausdrucksweise beeinflußt seien.

Dieser Mangel des BerUrteils führt, da, wie noch darzulegen ist, der Anspruch des Erblassers auch nicht aus einem übergesetzlichen Widerstandsrecht hergeleitet werden kann, zur Aufhebung des BerUrteils, damit das BerGericht die Frage, ob der Erblasser den Wehrdienst »in Bekämpfung der ns. Gewaltherrschaft« verweigert hat, unter Berücksichtigung der hier erörterten Gesichtspunkte erneut prüfen kann. Bei dieser Prüfung wird noch folgendes zu beachten sein: Sowohl das Verhalten des Erblassers vor dem zweiten Weltkrieg als auch die Tatsache, daß er nach seiner Befreiung in der Sowjetzone wiederum um seines Glaubens willen schwere Verfolgung auf sich nahm, dürfte die Annahme nahe legen, daß er ein ganz entschiedener Anhänger seiner Glaubensgemeinschaft und als solcher entschlossen war, unter allen Umständen der ihm von seiner Glaubensgemeinschaft auferlegten Verpflichtung zur Verweigerung des Kriegsdienstes nachzukommen. Etwas anderes hat auch er selbst nicht behauptet. Das mag zwar die Feststellung, daß auch ein politisches Motiv in dem oben dargelegten Sinne, etwa in dem Sinne, daß der Erblasser immerhin auch an einer »vorläufigen« Änderung der politischen Verhältnisse (bis zum Tag von Harmagedon) interessiert gewesen sei, nicht ausschließen. In dieser Hinsicht wird jedoch zu erwägen sein, ob eine solche vorläufige Änderung nicht in aller Regel für einen Zeugen Jehovas bei seinem Entschluß zur Verweigerung des Wehrdienstes von ganz untergeordneter Bedeutung ist und wie die Stellung der Zeugen Jehovas zur Wehrpflicht in der Bundesrepublik beweist, an seiner ablehnenden Haltung gegenüber seinem dabei etwa von der Diktatur zur freiheitlichen Demokratie übergegangenen Heimatstaat nichts ändert. Die entscheidende Änderung der bestehenden Verhältnisse erwartet der Zeuge Jehovas in jedem Falle erst mit der Aufrichtung der Gottesherrschaft nach dem Gericht von Harmagedon. Diese Änderung aber wird nach seiner Glaubensüberzeugung nicht durch ein menschliches, erst recht nicht durch ein politisches Handeln, sondern durch einen souveränen übermächtigen Eingriff Jehovas herbeigeführt, der allein auch den Zeitpunkt hierfür bestimmt oder richtiger schon lange bestimmt hat […]

Auch mit einer Verneinung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 2 BEG wäre jedoch die Frage, ob dem Erblasser wegen des Schadens, den er durch die strafgerichtliche Verurteilung wegen Wehrdienstverweigerung erlitten hat, ein Entsch(ädigungs)Anspruch zustand, noch nicht entschieden. Ein solcher Anspruch würde ihm auch zustehen, wenn seine Weigerung, der Einberufung zum Wehrdienst Folge zu leisten, als Widerstandshandlung gerechtfertigt und er dafür somit zu Unrecht bestraft worden wäre. Seine Bestrafung würde dann aus diesem Grunde eine Gewaltmaßnahme darstellen. Eine solche Beurteilung seines Verhaltens ist indes rechtlich nicht möglich.

Es ist davon auszugehen, daß dem staatlichen Recht vorgehende höhere Rechtsgrundsätze dem Staatsbürger unter gewissen Voraussetzungen ein Widerstandsrecht gegenüber dem Staat geben können. Dieses Widerstandsrecht stellt einen Rechtfertigungsgrund dar. Eine Handlung, die zwar gegen das geltende Gesetz verstößt, aber durch das Widerstandrecht gedeckt wird, ist rechtmäßig. Wird der Handelnde wegen einer solchen von ihm begangenen Handlung nach den geltenden Gesetzen bestraft, dann ist diese Bestrafung Unrecht. Dabei ist zu bedenken, daß solche übergesetzlichen Sätze auch für Staaten mit einer rechtsstaatlichen Ordnung gelten. Bei der Beantwortung der hierzu entscheidenden Frage muß daher zunächst davon abgesehen werden, daß es der ns. Staat war, der den Angriffskrieg führte und den Erblasser zum Kriegsdienst einberief. Der Sachverhalt muß vielmehr zunächst einmal so betrachtet werden, als handle es sich dabei um Vorgänge, die sich in einem Rechtsstaat abgespielt haben, der einen Angriffskrieg gegen benachbarte Staaten begonnen hat. Es gibt sicherlich keinen Staat, der jedem seiner Bürger das Recht zuspricht, zu entscheiden, ob der Krieg ein gerechter oder ein ungerechter ist und demgemäß seiner staatsbürgerlichen Pflicht, Wehrdienst tu leisten, zu genügen oder ihre Erfüllung zu verweigern. Würde der Staat jedem Bürger dieses Recht zubilligen, so würde er sich selbst damit aufgeben. Denn die Frage, ob ein Krieg ein gerechter oder ungerechter ist, kann dem einzelnen Bürger nicht zur Entscheidung überlassen werden. Sie kann vielleicht nicht einmal von der zeitgenössischen historischen Wissenschaft immer mit Sicherheit beantwortet werden. Das Urteil wird sehr oft erst von der Geschichte gesprochen und es ist keineswegs davon abhängig, ob der Krieg Erfolg gehabt hat oder nicht. Diese Erwägungen zeigen, daß eine Kriegsdienstverweigerung nicht durch ein allen Staaten gegenüber geltendes Widerstandsrecht gedeckt sein kann. Denn dieses Recht kann nicht so weit gehen, Handlungen zu rechtfertigen, die eine ernste Gefahr für jeden Staat bedeuten.

Die Frage, ob die Handlung des Erblassers durch ein Recht zum Widerstand gerechtfertigt war, ist jedoch noch unter einem anderen Gesichtspunkt zu prüfen. Derjenige, der es ablehnt, sich an einem Verbrechen zu beteiligen, handelt rechtmäßig. Wird er wegen dieses Verhaltens bestraft, dann ist diese Bestrafung Unrecht. Befehle, Juden zu erschießen oder Kriegsgefangene umzubringen, waren Aufforderungen, Verbrechen zu begehen. Diejenigen, die sich weigerten, solche Befehle auszuführen, handelten rechtmäßig. Sind sie deswegen bestraft worden, dann ist ihnen Unrecht geschehen.

Der vom NS-Staat geführte Krieg war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Dadurch, daß er diesen Krieg entfesselte und führte, hat er ein Verbrechen i. S. des Völkerrechts begangen. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß der Einzelne ein Verbrechen begangen hat, weil er an diesem Krieg teilnahm. Es ist im Völkerrecht eine sehr umstrittene Frage, wie weit die Träger der Staatsgewalt und ihre ausführenden Organe persönlich für ein vom Staat begangenes Unrecht verantwortlich gemacht und strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden können. Auf diese Frage ist hier nicht näher einzugehen. Es ist aber wohl nirgends und von niemandem ernstlich die Ansicht vertreten worden, daß der Staatsbürger, der sich in Erfüllung seiner Wehrpflicht an einen solchen verbrecherischen Krieg beteiligt, auch seinerseits damit ein Verbrechen begeht. Man kann nicht sagen, daß alle deutschen Soldaten des zweiten Weltkrieges wegen ihrer Teilnahme an diesem Krieg, soweit sie sich nicht auf einen strafrechtlichen Notstand berufen können, objektiv ein Verbrechen begangen haben, daß ihnen also dieses Verhalten nur dann vorgeworfen werden könne, wenn sie nicht erkennen konnten, daß es sich um einen Angriffskrieg handelte. Es hat sicherlich sehr viele gegeben, die ebenso wie nach seiner Behauptung der Erblasser, davon überzeugt waren, daß der vom ns. Regime entfesselte Krieg ein verbrecherischer Angriffskrieg war. Sie haben dennoch dem Einberufungsbefehl Folge geleistet und ihre soldatischen Pflichten erfüllt. Es läßt sich nicht ernstlich die Ansicht vertreten, daß sie sich nur dann nicht strafbar gemacht hätten, wenn sie bei einer Weigerung Gefahr laufen mußten, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und vielleicht zum Tode verurteilt zu werden. Wollte man das annehmen, so hatten auch diejenigen ein Verbrechen begangen, die wissend, daß es sich um einen Angriffskrieg handelte, dem Gestellungsbefehl dennoch Folge leisteten, obwohl sie in der Lage waren, ohne ihr Leben und ihre Freiheit auf Spiel zu setzen, ins neutrale Ausland zu entkommen.

Daß auch der Entsch(eidungs)Gesetzgeber nicht schon die bloße Teilnahme an Kriegshandlungen auf Seiten des ns. Deutschland als sittlich verwerflich angesehen hat, ergibt sich zweifelsfrei aus der Bestimmung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BEG, nach welcher nur die Verfolgung wegen eines Einsatzes gegen die auch durch den Krieg nicht gerechtfertigte Vernichtung von Menschenleben einen Entsch(ädigungs)Anspruch begründen soll. Der Gesetzgeber geht hier also davon aus, daß nicht jede Vernichtung von Menschenleben im letzten Kriege der sittlichen Rechtfertigung entbehrt. Dieselbe Auffassung ist auch in den Beratungen des Wiedergutmachungsausschusses zum BEG -vgl. Protokoll Nr. 10 v.11.1. 1956, S, 5 - zum Ausdruck gekommen.

Läßt sich somit nicht sagen, daß der Erblasser mit seiner Weigerung, der Einberufung zum Wehrdienst Folge zu leisten, gegen das Ansinnen, ein Verbrechen zu begehen, Widerstand geleistet habe, so läßt sich auch unter diesem Gesichtspunkt nicht feststellen, daß das, was ihm widerfahren ist, eine NS-Gewaltmaßnahme gewesen sei.

Die Kl. haben schließlich vorgetragen, daß die Freiheitsentziehung, die der Erblasser erlitten habe, insofern eine rechtsstaatswidrige Maßnahme gewesen sei, als sie nach dem Willen der damaligen Machthaber nicht als Vollstreckung der gegen ihn verhängten Strafe angesehen worden sei, diese vielmehr erst nach dem Kriege habe verbüßt werden sollen. Eine solche Anordnung konnte nach §§ 104, 105 der Kriegsstrafverfahrensordnung v.17.5.1938 (RGBL 1 1939,.1457) getroffen werden. Wenn sie im Falle des Erblassers getroffen worden ist, so traf sie ihn, wie die obigen Darlegungen ergeben, nicht als politischen oder weltanschaulichen Gegner des NS, sondern als eine gegen die Kriegsdienstverweigerung als solche gerichtete Maßnahme, der alle Kriegsdienstverweigerer ausgesetzt waren. Zudem ist sie für den Erblasser praktisch nicht mehr zur Auswirkung gekommen. Das wäre erst dann geschehen, wenn seine Strafzeit über die in dem Begnadigungserlaß vorgesehene Dauer von 10 Jahren hinaus erstreckt worden wäre.

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