Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Der "zahnlose" Paul Fiebig

Unheilvolle Wolken über Deutschland. Sie verdunkeln sich zusehends und nehmen immer bedrohlicher werdende Formen an. Man schreibt das Jahr 1932. Auch in der Weltanschauungszene ist Deutschland in jenem Jahre höchst gespalten. Kirchenkritische "Freidenker" machen von sich reden. Letztere zwar untereinander auch gespalten. Aber das ist für die Kirchen nur ein schwacher Trost. Der kommunistische Flügel der Freidenker ragt durch besondere Radikalität hervor.

Außerkraftsetzung bürgerlicher Freiheiten, dass gab es nicht bloß in der Nazidiktatur. Das gab es schon davor. Schamhaft in die Vokabel "Notverordnung" eingekleidet. Mittels einer solchen "Notverordnung" ereilte dem kommunistischen Flügel der Freidenker in diesen Jahren ein Verbot. Aufatmen bei den Kirchen. Dennoch rückblickend hat man zu sagen, es war nur eine Galgenfrist, die sie sich da erkämpft hatten. Mögen sie Organisationsstrukturen der Freidenker auch beschädigt haben. Was sie schon damals indes nicht konnten war, das kirchenkritische Gedankengut prinzipiell zu unterbinden.

Die Kommunisten, nicht nur ihre "Freidenker", waren in weiten Teilen, namentlich der bürgerlichen Kreise in Deutschland in Verruf. Das Beispiel Sowjetunion mit seinem dortigen innenpolitischen Terror wirkte in der Tat abschreckend genug. Für das Bürgertum, selbst wenn es kirchenkritisch war, konnte und war der Kommunismus keine "Alternative". Eine neue Alternative, namens Nationalsozialismus bot sich dem Bürgertum an und wurde zusehends angenommen. Nur war die Sache die, dass da auch ziemlich krudes Gedankengut unter einem Dach vereint war. Gegen die Kommunisten gerichtet, dass war schon klar. Aber ansonsten war noch recht wenig "klar". Arthur Dinter, einst in der Frühzeit den Nazis angehörig, ein wüster Rassenhetzer vor dem Herrn, wahrlich der Urtyp der Nazis, wurde von Hitler höchstpersönlich aus dieser Bewegung wieder exkommuniziert. Warum? Nun er wollte faktisch die Nazibewegung zu einer "Nur-Religion" umformen, in der Dinter der neue Hohepriester wäre. "197 Thesen zur Vollendung der Reformation" und anderes mehr, warf er auf den Markt. Da platzte Hitler der Kragen und er handelte.

Seiner Anhängerschaft gegenüber erklärungspflichtig, erklärte er nun, dass in seiner "Bewegung" sowohl der gläubige Protestant als auch der gläubige Katholik ihren Platz hätten. Der Beifall auf diese These hielt sich in Grenzen. Namentlich der Chefredakteur seines "Völkischen Beobachters", folgte zwar pflichtschuldigst seinem Herrn, wetterte auch gehorsamst gegen Dinter, ließ aber durchblicken, dass er nicht das letzte Wort in Sachen Dinter gesprochen wissen wollte. Er war bestrebt Dinter eine goldene Brücke zu bauen, so derselbe mal "gesunden" sollte. Schon wenige Jahre später sollte es endgültig klar sein, weshalb Rosenberg so agierte. Denn nämlich im Jahre 1931 kam Rosenberg's "Mythus des XX. Jahrhunderts" auf den Markt. Ein ungenießbarer 700-Seiten-Wälzer.

Die wenigsten Nazis haben dieses Pamphlet wirklich "gelesen". Auch Hitler bemerkte in späteren Jahren in seinen "Tischgesprächen" dass er auch zu denjenigen gehörte, die schon nach wenigen Seiten die Lektüre dieses kruden Werkes wieder abbrachen. Eine Kategorie von Leuten indes, hatte dieses "Werk" tatsächlich gelesen, und zwar gründlichst. Das waren insbesondere die Theologen, beider großen Konfessionen. Nicht nur das, die katholischen Theologen waren ob seines Inhaltes so empört, dass sie erreichten, dass der Papst höchstpersönlich Rosenbergs "Mythus" auf den Index setzte. Eine beispiellose Kampagne gegen Rosenberg setzte schon vor 1933 ein und konnte sich sogar noch in den ersten Jahren des Naziregimes fortsetzen, bis die Gestapo 1935 dann endgültig damit Schluss machte.

Was hatte die Kirchen so maßlos an Rosenberg erzürnt? Sicherlich sagt man nicht zuviel wenn man es so einschätzt. Es war eigentlich nur ein winziger, lapidarer Satz. Rosenberg hatte sinngemäß auch verkündet:

"Wir erkennen heute, daß die zentralen Höchstwerte der römischen und der protestantischen Kirche als negatives Christentum unserer Seele nicht entsprechen, daß sie den organischen Kräften der nordisch-rassisch bestimmten Völker im Wege stehen, ihnen Platz zu machen haben, sich neu im Sinne eines germanischen Christentums umwerten lassen müssen. Das ist der Sinn des heutigen religiösen Suchens."

Die Theologen, dass muss man konzedieren, hatten durchaus richtig verstanden, wenn sie diesen Schachtelsatz als eine offene Kampferklärung werteten. Da war es also wieder, dass ihnen verhasste kirchenkritische Freidenkertum. Zwar war Rosenberg kein klassischer Freidenker. Eher war er ein zweiter Dinter-Verschnitt. Das heisst auch ein verhinderter Religionsgründer. Aber entscheidend war, dass sahen die Kirchen durchaus richtig. Dominiert die Rosenberg-Strömung in der Nazibewegung bedeutet dies die faktische Kriegserklärung an die Kirchen. Also das verhasste Freidenkertum wirkt in der Nazibewegung fort.

Wie, fragten sie seinen Chef Hitler. Wie vereinbaren sie dies damit, dass sie erklären, in ihrer Bewegung haben auch gläubige Protestanten und Katholiken Platz?

Hitler sitzt in der Klemme. Was soll er tun? Den Druck von Rosenberg's Mythus hat er nicht verhindert. Ihn seines Postens als Chefredakteur des "Völkischen Beobachters" zu entheben, wagt er auch nicht. Ihn aus der Partei rauszuschmeißen erst recht nicht. Er fürchtet nicht zu unrecht den "Gesichtsverlust" den ein solcher Schritt bewirken würde. Also was tut Hitler. Er verlegt sich aufs lavieren. Was der Rosenberg da geschrieben, sei doch nur eine Privatmeinung, nicht aber die offizielle Politik der Partei. Ansonsten umgeht er tunlichst das Thema.

Konsterniert nehmen die Kirchen das zur Kenntnis. Überzeugt hat es sie nicht so richtig. Noch sitzt die Nazibewegung ja nicht in Amt und Würden. Aber es ist absehbar, dass dies wohl bald der Fall sein würde. "Was tun sprach Zeus?" Nun man entschloß sich nochmals gebündelt all die Vorbehalte zusammenzufassen, die man bis dato gegen die Nazibewegung aus kirchlicher Interessenlage hatte. Man tat es in einer 1932 erschienenen zweibändigen Buchpublikation "Die Kirche und das Dritte Reich. Fragen und Forderungen deutscher Theologen". Noch hat man ein letztes mal die Chance darin "Klartext" zu reden. Man liest darin unter anderem Sätze wie diese:

"Hitler will auf dem Boden des positiven Christentums stehen, aber nur soweit es nicht den Bestand des Staates gefährdet und wie er in seinem Bekenntnisbuch sagt, nur deswegen, weil es die stärkste Stütze der Moral und damit des Staates ist, und weil sich seine Ersatzmittel dafür als unzulänglich erwiesen haben.

Schließlich: solche Ähnlichkeiten lassen sich auch zwischen Christentum und marxistischen Sozialismus feststellen, vielleicht noch in universalerem Sinn. Aber damit ist der Marxismus noch nicht christlich geworden" (S. 10).

Punkt 4 und 5 des Naziprogramms, wonach Juden unter Fremdenrecht gestellt werden sollen, kommentiert derselbe Autor mit dem Satz:

"Es (das Neue Testament) weiß nichts davon, daß ein Mensch seines Blutes wegen verdammt bleiben müsse … Hier aber handelt es sich nicht bloß um eine theologische Spitzfindigkeit. Denn der Jude wird nun als Jude diffamiert und persönlich auf Grund seines Blutes, nicht seiner Taten, als minderwertig behandelt." (S. 13)

Durchaus kontrovers, wird in genannter Publikation die Sachlage angegangen. Jenem eben gebrachten Zitat steht inhaltlich beispielsweise jenes entgegen, dass von einem gewissen Karl Eger, Geheimer Konsistorialrat und Professor an der Universität Halle/S. formuliert wird.

Eger meint im Einklang mit wohlbekannten Verschwörungstheorien zu wissen:

"Sowohl Internationalismus wie Marxismus sind die listigen Erfindungen des jüdischen Geistes, die Seele des deutschen Volkes zu vergiften und es in Auflösung der nationalen Wirtschaft der Herrschaft des internationalen Leihkapitals auszuliefern. In der Geschichte der 'proletarischen' Bewegung in Deutschland im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts finden sich zu dem allen bemerkenswerte Parallelen, natürlich mit völlig anderen Vorzeichen. Deshalb kann die Kirche heute keinen größeren Fehler begehen, als wenn sie den damals begangenen Fehler bloßer Kritik an den in der Bewegung zutage tretenden Einseitigkeiten, Übersteigerungen, Fehlern, Leidenschaften, Gehässigkeiten wiederholte." (S. 21, 22)

Unterm Strich, so hat man zu sagen, hat sich die Linie von Eger durchgesetzt. Geflissentliches übersehen dessen was einem nicht schmeckt, und vor allem versuchen den Fuß in der Tür zu behalten. Eger's Empfehlungen sollten denn auch noch wahre Triumphe feiern, indem nun die neue Parole lautete, wir müssen "Deutsche Christen" sein. Rein in die Nazibewegung. Rosenberg kann nur eliminiert werden, wenn wir dort zahlreicher vertreten sind. Klug gedacht, kann man dazu nur sagen. Und Hitler auch recht. Rosenberg war Politiker genug, um die Zeichen der Zeit zu erkennen. Sein Instinkt sagte ihm und danach handelte er auch. Lassen wir's mal erst so laufen. Es kommt noch eine andere Zeit. Da wird dann der Spieß umgedreht. Jetzt brauchen wir die Kirchen noch als Mehrheitsbeschaffer. Später nicht mehr. Gedacht - getan.

Nachdem der erste Band jenes Buches erschienen, hat ihn selbstredend auch Rosenberg gelesen. In seiner Hauspostille "Nationalsozialistische Monatshefte" ging er näher darauf ein. Er unterschied sorgfältig unter den Kritikern. Wen muss man ernst nehmen? Und wen kann man übergehen, weil sich das Problem ohnehin anderweitig noch lösen lässt. Einen in jenem Band mit vertretenen Kritiker indes glaubte Rosenberg nun doch noch massiv angreifen zu müssen. Über ihn äußert er:

"Wir halten es für vollkommen ausgeschlossen, daß ein Mann, wie Herr Emil Fuchs, Professor an der Pädagogischen Akademie in Kiel, überhaupt zur Debatte herangezogen werden darf, der dem Nationalsozialismus 'grenzenlose Macht der Verleumdung und Gehässigkeit' vorwirft und zu gleicher Zeit es heute noch wagt, Karl Marx als einen der 'gewaltigsten Denker der Menschheit' hinzustellen. Der Herr wirft uns 'Mord und Totschlag als Mittel der Politik' vor und es ist möglich, daß ein ernsthafter Herausgeber derartige verleumderische Pamphlete in sein Buch aufgenommen hat."

Rosenberg's Attacke speziell gegen Emil Fuchs geht dergestalt weiter, dass er ihm im besonderen den auch von ihm vertretenen Pazifismus ankreidet. Etwas vom Thema abweichend hat man zu registrieren, dass besagter Emil Fuchs in späteren Jahren noch in der "DDR" als "Vorzeige-Theologieprofessor" agierte. Erwähnenswert auch noch. Der Sohn von Emil Fuchs, Physiker von Beruf, nach Großbritannien emigriert, dort mit in die Entwicklung der Atombombe integriert, bekam ob der Ungeheuerlichkeit ihrer Vernichtungskraft moralische Skrupel. Und er entschloss sich als "Gegengewicht" der Sowjetunion die Atombombenkenntnisse zugänglich zu machen. Dieser Spionagefall wurde später aufgeklärt, Fuchs verbüsste eine langjährige Strafe. Seine letzten Lebensjahre konnte er dann noch in der "DDR" verbringen.

Zurück zum Thema. Ein eher "zahnloser" Rosenberg-Kritiker, der in diesem Sammelband auch mit vertreten ist, stellt der Pfarrer und Theologieprofessor an der Universität Leipzig, Paul Fiebig dar. Er ereifert sich besonders darüber, dass in der Nazi und verwandten "Bewegungen", es auch Thesen gab, die unterstellten, Jesus sei "kein" Jude gewesen. Da ihm klar ist, eine solche These ist wissenschaftlich nicht haltbar, spricht er dies auch entsprechend aus. Etwa wenn er ausruft:

"Es ist wissenschaftlich unhaltbar, daß Jesus rassisch-völkisch ein Nichtjude gewesen sei. Das Neue Testament sagt ausdrücklich, daß an ihm die Beschneidung vollzogen worden ist. Seine Muttersprache ist das Hebräisch-Aramäische." (S. 30).

Damit sei das Thema Vorgeschichte des Naziregimes erst mal verlassen. Über den "zahnlosen" (ironisch gemeint) Paul Fiebig gilt es noch zu berichten; dass er auch 1925 eine Schrift veröffentlichte die betitelt war "Die Bibelauslegung der 'Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher' geprüft". Ich glaube indes auch ihren Inhalt schon charakterisiert zu haben, mit der Vokabel "zahnlos". Nicht als "zahnlos" hingegen würde ich seine 1921 erschienene Schrift bewerten, betitelt: "Juden und Nichtjuden. Erläuterungen zu Th. Fritschs 'Handbuch der Judenfrage'". Darin führt er unter anderem den Beweis, dass die bis in die Gegenwart von antisemitischen Kreisen strapazierten Verleumdungen der jüdischen Religionsurkunden namens "Talmud" in der Tat nichts anderes als wie Verleumdungen sind.

Wenn noch heute ein Verleumder vom anderen zwar selbige Thesen abschreibt, was man leider immer wieder registrieren muss, auch hier im Internet, so gilt es dennoch vehement dagegen Widerspruch einzulegen. Schon Fiebig hat es getan. Dieses sein Verdienst bleibt ungeschmälert bestehen. Es ist ein Trauerspiel, dass solches auch heute noch vonnöten ist!

In Heft 9/1924 der Zeitschrift "Der Geisteskampf der Gegenwart" veröffentlichte Fiebig auch einen Aufsatz der überschrieben war "Jüdische Herrschaft auf Erden". In der Sache handelt es sich dabei faktisch mehr oder weniger nur um eine Selbstreferierung der 1. Auflage seines Bibelforscher-Büchleins. Fiebig registriert aber auch, dass es sehr wohl etliche andere sich auch zu den Bibelforschern äußernde Zeitgenossen gab, die in der Schiene des Antisemitismus fuhren und in halb und falschverstandener Interpretation des Bibelforscherschrifttums auch selbige in die jüdische Ecke stellten. Noch heute begegnet man solchen Spezies, leider. Der Name Robin de Ruiter ist nur ein Beispiel dafür. Insofern hat Fiebigs schon damalige Ablehnung solcher Thesen auch noch ihre Gegenwartsbedeutung. Zwar ist Fiebig auch in dieser Frage mehr oder weniger "zahnlos". Aber wenn man die gesamte zum Thema vorliegende zeitgenössische Literatur kennt, darf man wahrlich nicht wählerisch sein. Da muss man schon solche Aussagen "feiern" wie die von Fiebig im genannten Aufsatz (S. 209):

"Nun noch die Frage: beweist jene Erwartung der Bibelforscher für 1925, daß hinter ihnen jüdisches Kapital steckt? Meines Erachtens ist das nicht der Fall."

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