Annotationen Zu den Zeugen Jehovas

Julius Engelhard

Manfred Koch schreibt:

"Julius Engelhard gehört mit großer Wahrscheinlichkeit ... zu den ... Bibelforschern, die in den Gefängnissen und Konzentrationslagern im Dritten Reich wegen ihres Glaubensbekenntnisses den Tod fanden oder hingerichtet wurden." (Sein Hinrichtungsdatum ist höchstwahrscheinlich der 14. 8. 1944).

Koch der für seine Ausführungen sich auf die im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf verwahrten Gestapoakten über Julius Engelhard stützt, berichtet weiter, dass er über dreizehn Monate sich in Gestapo-Untersuchungshaft befand, bevor er letztendlich vom 6. Senat des faschistischen "Volksgerichtshofes" am 2. Juni 1944 zusammen mit sieben weiteren Zeugen Jehovas aus dem Ruhrgebiet wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt wurde. Aus der diesbezüglichen Urteilsbegründung zitiert Koch:

"Der Inhalt der Schriften geht ... öffentlich darauf aus, den Wehrwillen des deutschen Volkes zu zersetzen ... und zugleich der Kriegsmacht des Reiches Schaden zuzufügen."

Zu seiner Biographie führt obiger Autor weiter aus:

"Im Jahre 1899 geboren, gehörte er zu der Generation, die die deutsche Oberste Heeresleitung noch in jugendlichem Alter im Ersten Weltkrieg an die Front schickte. ... Eine kaufmännische Lehre mußte wegen der kriegsbedingten Schließung der Lehrfirma abgebrochen werden. "

Im Juni 1917 erhielt er seine Einberufung zum Militär, aus dem er erst 1919 wieder entlassen wurde. "Es folgten Versuche, in verschiedenen Berufen Fuß zu fassen, u. a. auch als selbständiger Gewerbetreibender, die im April 1930 mit einer vier Jahre andauernden Arbeitslosigkeit endeten. Bis zum Jahre 1930 hat Engelhard aus Rücksicht auf seine katholischen Eltern und seine katholische Ehefrau - er hatte im Dezember 1928 geheiratet - den Austritt aus der katholischen Kirche nicht vollzogen. Daß er dies 1930, als er arbeitslos wurde, tat, macht den Zusammenhang von religiöser Radikalisierung und wirtschaftlicher Notlage augenscheinlich."

In Übereinstimmung mit dem Historiker Friedrich Zipfel, schätzt auch Koch ein, und dabei stützt er sich auf die ihm zugänglichen biographischen Daten von Mannheimer Zeugen Jehovas: "bestätigen die Feststellung, daß es sich bei der Lehre der Bibelforscher um eine 'Arme-Leute-Religion' (Zipfel, 1965, S. 203) handelte. Der Anteil von Invaliden, Rentnern, Hausfrauen, Arbeitslosen und einfachen Arbeitern lag deutlich über den Durchschnittswerten der Gesamtbevölkerung. Von den arbeitsfähigen Mannheimer Zeugen Jehovas z. B. waren 1933 36 Prozent arbeitslos."

Über die Substanz der Gestapovernehmungen berichtet und kommentiert Koch:

"Unter Hinweis auf das Bibelwort 'Wer ein Freund dieser Welt ist, ist ein Feind Gottes' erklärte Engelhard, er könne nicht Mitglied der NSDAP sein. In der NS-Volkswohlfahrt sehe er die Gliederung einer Partei, 'die ich aus meiner christlichen Lebensauffassung heraus ablehne'. Den Gruß 'Heil Hitler' könne er nicht anwenden, da das Heil allein von Gott komme. Am Wehrdienst könne er weder im Krieg noch im Frieden teilnehmen, denn das fünfte Gebot heiße: 'Du sollst nicht töten.' Außerdem müßte er als Soldat einen Eid auf den Führer leisten, was unmöglich sei, da er seinem 'Gott die Treue gelobt habe, und ... letzten Endes nicht zwei Herren dienen' könne.

Die Verweigerungshaltung der Bibelforscher gegenüber dem Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus konnte von den Machthabern selbstverständlich nicht toleriert werden. Nationalsozialisten wie Bibelforscher folgten einer autoritär geprägten Doktrin, die ihre Anhänger jeweils in eine strenge Herrschaftshierarchie - einerseits den 'Führerstaat', andererseits die 'Theokratie' Jehovas - einspannte. Beide vertraten einen Anspruch auf Ausschließlichkeit, so daß der Konflikt unvermeidlich war."

Bereits im Dezember 1936 wurde Engelhard beim Verteilen von Bibelforscherschriften, ein erstes Mal verhaftet. "Seine Gefängnisstrafe von sechs Monaten blieb im Rahmen der damals üblichen Strafen für die Delikte der Bibelforscher. Eine anschließende Inschutzhaftnahme und Überführung in ein KZ, die den Zeugen Jehovas damals drohte, blieb ihm erspart."

Zu seinen familiären Verhältnissen ist anzumerken, dass er damals bereits vierfacher Familienvater war, zu dem im Jahre 1938 noch ein fünftes Kind hinzukam.

Die besondere Tragik für Engelhard begann sich etwa ab Februar/März 1939 zu entwickeln. Zu diesem Zeitpunkt erhielt er Besuch von Ludwig Cyranek, der kurz zuvor eine Haftstrafe wegen Betätigung für die IBV verbüßt hatte und sich nun bemühte, die 1937/38 zerschlagene illegale Organisation wieder aufzubauen. Cyranek gelang es den Engelhard dahingehend zu motivieren, dass letzterer mit Vervielfältigungsarbeiten der WTG-Literatur begann. Begünstigend kam hinzu, dass Engelhard im Büro seines Chefs, Zugang zu einem Verfielfältigungsapparat hatte. Als die Dachdeckerfirma, wo er zu jener Zeit tätig war, kriegsbedingt ihre Geschäftstätigkeit einstellte, gelang es Engelhard gar, jene Verfielfältigungstechnik an sich zu nehmen.

Zum Thema Motivation des Engelhard ist noch anzumerken. Er verließ just zu diesem Zeitpunkt seine sechsköpfige Familie, die nach wie vor der katholischen Kirche angehörte und lebte fortan im Untergrund bei verschiedenen anderen Zeugen Jehovas. Nachdem Cyranek seinerseits verhaftet und im März 1941 zum Tode verurteilt wurde, war Engelhard faktisch eine Art hauptamtlicher Zeuge Jehovas, der von den Spendengeldern seiner Glaubensgeschwister lebte und sich im süddeutschen Raum nach Kräften bemühte, die Zeugenorganisation am "laufen" zu halten.

Im April 1943 schlug dann allerdings auch für Engelhard "die Stunde". Kurz zuvor hatte die Gestapo eine Essener Gruppe von Zeugen Jehovas "hochgenommen". Bei deren Detailvernehmung gelang es ihr die genaue Anschrift des von Engelhard derzeit benutzten illegalen Quartiers zu erpressen. Als Engelhard gegen 21 Uhr des 3. April 1943 seine Schlafstätte aufsuchte, wurde er dort schon von der Gestapo erwartet und in "Empfang" genommen.

Seinem instruktiven 1984 veröffentlichten Bericht (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs Band 10 "Der Widerstand im deutschen Südwesten 1933-1945") hat Manfred Koch dann noch ein Foto des Julius Engelhard beigefügt, dass er aus den Gestapoakten entnommen hat.

In einer anderen, gleichfalls 1984 veröffentlichten Studie, beschäftigt sich Manfred Koch besonders mit den Zeugen Jehovas, regional in Mannheim. Aus seiner Mannheim-Studie sei noch eine Aussage zitiert, die durchaus grundsätzliche Bedeutung zur Einschätzung der zeitgenössischen Zeugen Jehovas hat. Dort schreibt er:

"Die Konfrontation der Zeugen Jehovas mit dem Nationalsozialismus, die sich in dieser Verweigerungshaltung manifestierte, findet sich ausgeprägt auch im nationalen wie übernationalen Traktatschrifttum der Sekte. Die angebliche 'Neutralität' in aktuellen politischen Fragen mußte angesichts des Totalitätsanspruchs des Nationalsozialismus, der die eigene Existenz bedrohte, zur Fiktion werden. Die Brooklyner Zentrale der Ernsten Bibelforscher erklärte schon früh ihre Gegnerschaft zu den faschistischen Bewegungen in Europa und stellte sich während des Spanischen Bürgerkriegs auf die Seite der Republik. Nach 1933 wurde der Hitler-Staat zunehmend schärfer attackiert. Hitler erschien dabei als ein "Sprößling Satans" dessen Herrschaft Jehova Gott als erste zerstören werde. Nach dem Verbot der Sekte wurde der Vorwurf, sie sei kommunistenfreundlich und ein Wegbereiter der jüdisch-bolschewistischen Weltrevolution, zurückgewiesen. Im Gegenzug behaupteten die Zeugen Jehovas, Hitler sei vom Papst abhängig, der Nationalsozialismus und insbesondere die Gestapo arbeite mit dem Papsttum zusammen. Nach Kriegsbeginn erklärten die Zeugen Jehovas in ihren Schriften, sie seien 'für die Demokratie', und prophezeiten Hitler, er sei zu 'ewiger Vernichtung' verurteilt."

Bezüglich der Gestapo-Vernehmungen verwendet Manfred Koch (in "Aufstieg der NSDAP und Widerstand", Karlsruhe 1993), die Formulierung, das in den Verhören, diese "ihn physisch und psychisch überforderten". Er bescheinigt ihm zwar weiter, er gab nur das zu "was ihm die Polizei nachweisen konnte. Zudem behielt er ungebrochen seine Glaubensüberzeugung, die die verhörenden Beamten als religiöse Überspanntheit ansahen."
Lässt man sich diese Formulierung "auf der Zunge zergehen" (physisch und psychisch überfordert), so besagt sie doch wohl nicht mehr und weniger als dies. Letztendlich war die Gestapo Herr des Verfahrens. Letztere nahm sich ausreichend Zeit, um ihr Opfer "weichzukochen". Auch anderen Zeugen Jehovas, denen man einschlägige Vorhalte machen muss (etwa Erich Frost, Konrad Franke, Fritz Winkler) sagten nicht aus "Lust am Verrat" aus. Auch sie waren nur "physisch und psychisch überfordert".
Er hielt ungebrochen an seiner Glaubensüberzeugung fest. Auch das ist glaubwürdig. Was war das für eine Überzeugung? Doch zeitgenössisch die: Harmagedon sei nah! Davon lebten doch die Zeugen Jehovas. Hätten sie diese Überzeugung nicht gehabt. Ihre Widerständigkeit im Hitlerregime hätte wohl nicht jenes Ausmaß erreicht, wie es im Hitlerregime tatsächlich der Fall war.
Auch dazu äußert Manfred Koch klar und das kann man nur unterstreichen:
"Die Kraft dieses Widerstandes, der hartnäckig war und mit dem Bekennermut stets auch die eigene Existenz aufs Spiel setzte, wurzelte letztlich im religiösen Bekenntnis und nicht in freiheitlich-demokratischen Zielsetzungen." Die Zeugen Jehovas verweigerten aufgrund ihrer Bibelauslegung jeder weltlichen Autorität die Gefolgschaft.

Auch wenn unterstellt wird, die Ehefrau des Engelhard (Luise Engelhard) gehörte selbst nicht den Zeugen Jehovas an, so sollte ihr das nicht ersparen, auch durch die Gestapomühlen mit durchgedreht zu werden, wovon auch nachfolgender Aktenauszug kündet:

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