Annotationen zu den Zeugen Jehovas
"Die Kinder sind die Leidtragenden dieser WT-Erbarmungslosigkeit"
ICH HABE DER WTG NACH 25 JAHREN DEN RÜCKEN GEKEHRT. WARUM? Eine Zuschrift, Bezirk Dresden
Aus CV 77 (Dezember 1975) (gekürzt)
... Ich möchte Euch in diesem "unvergeßlichen" WTG-Jahr 1975 einen Beitrag senden mit der Bitte, ihn aus den angeführten sachlichen Gründen für alle Zeugen Jehovas zu veröffentlichen.
Ich wurde 1946 getauft und war 1950 Gruppendiener. Von 1950 bis 1956 war ich in Haft, danach wieder Gruppen- bzw. Versammlungsdiener. Ich habe meinen Glauben ernst genommen. Meine Kinder wurden im Sinne Jehovas erzogen und so kam es, daß mein Sohn wohl einen Beruf erlernte, aber schulisch so viel versäumte, daß er heute bei seiner Weiterqualifizierung Schwierigkeiten hat. Heute begreife ich, daß es grundfalsch war, nach den Weisungen der WTG gehandelt zu haben. Mein Sohn ist verheiratet und hat mehrere Kinder. Wenn ihm nicht Weltmenschen bei seiner Qualifizierung geholfen hätten, könnte er seiner Familie sehr wenig bieten. Es waren schwere Stunden für mich, wo Sohn und Schwiegertochter mir Vorwürfe machten. Nun überlegt einmal, die Entwicklung geht mit Riesenschritten vorwärts. Es war schon ein Verbrechen, wie wir an unseren Kindern handelten, wie die WTG es wollte. Was geschieht aber mit den Kindern unserer Kinder.
Wenn ich mir überlege, die Kinder meiner Kinder sind schulisch sehr gut. Der eine Sohn ist 10 Jahre und will Ingenieur und das Mädchen will Ärztin werden. Und die Kinder werden es schaffen, vielleicht auch mehr. Ich habe eingesehen, nur so ist es richtig. Die WTG und ihre Führer wissen ganz genau, daß in der heutigen Entwicklung Voraussetzungen sind, um einen erforderlichen Beruf zu erlernen, 10-Klassenschule, und in wenigen Jahren reicht vielleicht das Abitur nicht aus. ...
Wenn der Apostel Paulus Menschen eigenliebig, geldliebend, anmaßend, hochmütig, ohne Selbstbeherrschung, brutal, ohne Liebe zum Guten, unbesonnen, aufgeblasen usw. nannte, so ist der WTG zu sagen, daß auch auf sie diese Worte voll zutreffen. Ich will versuchen, durch eigene Beispiele und aus der Vergangenheit der WTG zu beweisen, daß sie sich nicht nur geirrt haben, sondern laufend falsch prophezeiten und ihre Glieder bis zum Letzten ausbeuteten und seelisch versklaven. Ich bitte jeden Zeugen, die Angst vor den WT-Führern abzustreifen. Ich bitte auch, Matth. 24:11, "Es werden viele falsche Propheten kommen und viele verführen" und auch 1. Thess. 5:21 zu beachten: "Überprüft alles und das Gute haltet fest".
Ich weiß, liebe Brüder, es ist schwer. Auch ich glaubte alles, was die WTG sagte. ... Wenn wir so handeln, wie die WTG uns anweist, zerstören wir auch jetzt wieder grausam die Zukunft unserer Kinder. Es ist doch nie eingetroffen, wenn die WTG bisher ein Ende verkünden ließ!
Von oben über Bezirkskongresse, Kreiskongresse, an die Ältesten auf die Studiendiener geht der Druck. Rechnen und Schreiben reiche sozusagen aus, höhere Bildung und Qualifizierung sei nicht nötig. Wichtig sei allein, Pionier der WTG zu sein. Weil das Ende bevorstehe. Es ist fast ein Verbrechen, wie wir unsere Kinder ungebildet halten sollen. Sollen sie dadurch den WT-Versprechungen leichter folgen? Das ist nicht nur in den kapitalistischen Ländern verwerflich, wo die Ungelernten zuerst auf die Straße fliegen. Verhinderung von Bildung hat den Rang eines kapitalistischen Kolonialverbrechens! ... Wenn wir handelten, wie die WTG von uns fordert, zerstören wir auf grausame Weise die Zukunft, unserer Kinder und müssen mit berechtigtem Protest rechnen. Nicht zuletzt ist ein Ende 1975 wieder nicht gekommen.
Durch das Verbot war ich auch veranlaßt, selbst zu prüfen, wie die WTG gegen den Kommunismus angefangen hat. Ich fand, wie Präsident Russel schon 1897 in Band 4 der Schriftstudien sagte und verkünden ließ, gewisse Züge am Kommunismus "könnten wir empfehlen, etwa den Sozialismus, aber als Ganzes ist er undurchführbar". Er setze vollkommene Menschen voraus. Würde er trotzdem begonnen, so würde er "alle zu Faulenzern machen, so daß die Menschheit schnell in Barbarei zurückfallen und dem Ruin entgegentreiben würde". .... Es wurde von der WTG doch von Anbeginn ganz falsch eingeschätzt und verkündigt, was aber heute nicht mehr als Jugendsünde betrachtet werden kann, wenn es fortgesetzt wird. ...
Wie schon erzählt, erhielt ich von meinen Kindern Vorwürfe, weil ich ihnen noch den Weisungen der WTG die berufliche Entwicklung zerstöre. Die Kinder sind die Leidtragenden dieser WT-Erbarmungslosigkeit. Nun möchte ich noch vor Augen führen, was der WT vom 15. Juni 1969, Seite 353 sagte. Ich heb mir das auf, um es jeden Bruder zu zeigen, der es sehen will. Es heißt darin, in vielen Schulen gibt es jetzt Berater, die die Schüler ermuntern, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, die ihnen eine Zukunft in diesem System der Dinge in Aussicht stellt. Laß dich von ihnen n i c h t beeinflussen. Hüte dich vor ihrer Gehirnwäsche und vor der Propaganda des Teufels, die dich veranlassen möchte, danach zustreben, in dieser Welt etwas zu werden, diese Welt hat nur noch s e h r w e n i g Z e i t ! Die Zukunft die sie in Aussicht stellt, ist keine Zukunft! Setze dir den Pionierdienst zum Ziel, den Vollzeitdienst mit der Aussicht, eines Tages in den Bethel- oder Missionsdienst zu treten.
Liebe Brüder, überlegt einmal, welche Vermessenheit die Menschen haben müssen, die das 1969 geschrieben haben! S e h r w e n i g Z e i t ? Ein großer Betrug war das! Wurde doch seit 1967 das Jahr 1975 verkündigt, das nun wieder zu den Akten gelegt ist! Wenn ich heute lese, wie damals gefordert wurde, keine höhere Bildung, keine Teilnahme am gesellschaftlichen betrieblichen Leben mit den Arbeitskollegen, ja, man brauche mindestens eine Stunde nach Feierabend, um sich von ihrem ungesunden Einfluß wieder freizumachen, man solle nur auf den treuen und verständigen Sklaven, die WTG hören und immer den WT zu Rate ziehen, wenn ich dies heute wieder lese, an meine Kinder denke und daß 1975 nur ein großer Weltbetrug war, dann kann ich nicht anders, als warnend die Stimme zu erheben. ... Es geht um die Zukunft der Kinder aller Zeugen Jehovas, die halbgebildet bleiben sollen für die WTG, um sie in Gehorsam und Furcht zu halten. Möge niemand länger an seinen Kinder für die WTG sündigen.
Korrektur zu:
"Die Kinder sind die Leidtragenden dieser Verantwortungslosigkeit"
Ein aufmerksamer Leser hat die in diesem CV-Artikel angegebene WT-Ausgabe vom 15. Juni 1969 nachgeschlagen und dabei festgestellt, dass die Textangabe um 10 Seiten differiert. Die CV schrieb von einer Seite "353". Das ist tatsächlich so in der CV gedruckt. In Wirklichkeit befindet sich der fragliche Passus jedoch auf Seite 363. Dort im Abschnitt 12. Richtig ist und das bleibt unverändert, dass es sich um die WT-Ausgabe vom 15. Juni 1969 handelt. Bekanntlich ist die nicht mit auf der WT-CD-ROM die ja erst ab 1970 anfängt. Da die zitierte WT-Passage durchaus bedeutsam ist, sei sie hier nachstehend nochmals wiedergegeben.
Die WT-Studienfrage zum Abschnitt 12 lautet:
12. Wie betrachtet man in der Welt eine höhere Bildung, und wie sollten wir darüber denken?
Der Text des eigentlichen Abschnittes lautet:
12. Der Einfluß und der Geist dieser Welt treiben die Menschen an, vorwärtszustreben und sich einen Namen zu machen. In vielen Schulen gibt es jetzt Berater, die die Schüler ermuntern, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, die ihnen eine Zukunft in diesem System der Dinge in Aussicht stellt. Laß dich von ihnen nicht beeinflussen. Hüte dich vor ihrer "Gehirnwäsche" und vor der Propaganda des Teufels, die dich veranlassen möchte, danach zu streben, etwas in dieser Welt zu werden. Diese Welt hat nur noch sehr wenig Zeit! Jede "Zukunft", die sie in Aussicht stellt, ist keine Zukunft! Handle daher weise, und wähle unter dem Einfluß des Wortes Gottes eine Laufbahn, auf der du Schutz und Segen finden wirst. Setze dir den Pionierdienst zum Ziel, den Vollzeitdienst mit der Aussicht eines Tages in den Bethel- oder Missionardienst einzutreten. Diese Lebenslaufbahn bietet dir eine ewige Zukunft!
Noch ein Zitat aus jenem Wachtturmartikel (Abschnitt 10, Seite 362). Auch er offenbart das streng egoistische Denken der WTG-Führung. Ihre grundsätzliche Absicht, für ihre Interessen, über "Leichen zu gehen". Eine Strategie der sozialen Entfremdung, um die derart haltlos gewordenen, um so enger in ihr eigenes Sklavennetz hineinzuziehen. Das auch mal jenen Apologeten für Geld, wie z. B. dem WTG-Rechtsanwalt P., diesem Schönredner verwerflicher Tatbestände, ins Stammbuch geschrieben:
10. Die ganze Welt geht der Vernichtung entgegen.
Christen dürfen von ihrem Weg nicht abgehen, um dem wahnsinnigen Lauf der Welt zu folgen,
der zu Rebellion, Haß und schließlich in den Tod führt. Sie dürfen das Tempo nicht
verlangsamen, dürfen nicht irgendwelche Seitenwege einschlagen oder Personen folgen, die
nicht wissen, wohin sie gehen. Genau das würden Christen aber tun, wenn sie an
Betriebsfeiern, Betriebsausflügen oder ähnlichen Veranstaltungen teilnehmen würden, bei
denen sie in Gesellschaft wären, die sie veranlassen könnte, es mit den sittlichen
Grundsätzen nicht mehr so genau zu nehmen. Sind wir von unseren Arbeitskollegen schon
angespornt worden, einem Sportklub oder Sportverein beizutreten, was für uns bedeuten
würde, daß wir Zeit, die wir dem Bibelstudium oder dem Predigen der guten Botschaft von
Gottes Königreich widmen könnten, dem Sport opfern müßten? Wir würden dadurch
unnötigerweise in weltliche Gesellschaft kommen, die uns zu falschen Entscheidungen
beeinflussen und uns leicht zu unmoralischen Handlungen verleiten könnte. Wie aus den
Karteien der Wachtturm-Gesellschaft hervorgeht, ist das schon oft vorgekommen.
Noch ein weiterer Erlebnisbericht aus Dresden sei hier zitiert. Entnommen der CV 126:
In der CV 126 gelesen. Ein Erlebnisbericht aus der DDR, als es die DDR noch gab. Vieles
darin mag für Alt-Bundesrepublikanische Ohren ungewohnt klingen. Einiges indes vielleicht
auch nicht. So mag denn jeder seine eigene Meinung zu diesem Bericht sich bilden.
"Viele Wege führen nach Rom" sagt man. Im übertragenem Sinne. Viele Wege
können auch von der WTG wieder wegführen. Nachstehend einiges aus diesem Bericht:
Die Entscheidung für diesen Zeugnisbrief fiel, nachdem ich erfahren mußte, daß kein
zuständiger Bruder bereit ist, sich offen und aufrichtig ernstester Kritik an der
Organisation zu stellen und gegen sie sprechende Tatsachen zu widerlegen. Mein eigener
Ältester schlug als Antwort auf Bemängelung seines untheokratischen Verhaltens wütend
die Tür vor mir zu. Ich empfinde es als eine christliche Verantwortung, hierüber nicht
zu schweigen. Möge meine Erfahrung für alle eine Hilfe sein.
Wie es begann
Ich wurde 1955 in Dresden geboren und wuchs in einem anderen christlichen Elternhaus auf.
In der Schulzeit ging ich manchmal nebenbei in die Christenlehre . Die Jahre verflossen.
Ich lernte einen Beruf und ging dann in meines Vaters Betrieb arbeiten. Nun war ich auch
in dem Alter, wo ich etwas mehr Wert auf die Mode, Haarfrisur usw. legte. Sicher in
jugendlicher Übertreibung. So erregte ich damit auch Anstoß. Deshalb wurde ich mit einem
Arbeitskollegen in Verbindung gebracht, der Zeuge Jehovas war. Sie wollten mir helfen,
Dieser Bruder W. M. erzählte mir bald alles aus seiner religiös-politischen Sicht: Von
neuen gesellschaftlichen " Systemen ", von einer Vernichtung der jetzigen
politischen Gesellschaft in "Harmagedon", vom Teufel, von den negativen
Erscheinungen der heutigen politischen Gesellschaftsform. Das regte mich zum Vergleichen
an. Ich las die Bibelverse, auf die ich dazu hingewiesen wurde und hörte immer wieder die
Bibelerklärungen von Jehovas Zeugen dazu. Weil das im Namen Gottes vorgetragen wurde, war
ich allem gegenüber völlig arglos.
In der folgenden Zeit erhielt ich öfter abgezogene Exemplare von "Wachtturm"
und "Erwachet". In meiner mangelhaften religiösen und gesellschaftlichen
Bildung und Übersicht fand ich bald Gefallen an dieser Literatur, fand sie glaubwürdig
und studierte eifrig die Bibelerklärungen. Wie wir alle unter Hinweis auf Errettung oder
Vernichtung angehalten sind, suchte ich bald alle Gelegenheit, teils auf Arbeit oder auf
der Straße, andere Menschen nach den Weisungen der Organisation anzusprechen und ihre
Wahrheit zu verbreiten.
Ein Widersinn machte mich schon mal stutzig
Mit meiner neuen Erkenntnis hatte ich also nicht hinter dem Berg gehalten. Auch meine
Eltern bezogen sofort Stellung dagegen. Da hatte ich natürlich Angst, ihnen die
Wachtturm-Schriften zu zeigen. Eines Tages lese ich einen abgezogenen Wachtturm. Meine
Schwester überraschte mich und will wissen was ich lese. "Das geht Dich nichts
an." Sie erzählte es meinen Eltern, die ich dann anlog, wie es die Organisation in
"theokratischer Kriegslist" verlangt. "Ich habe doch gar nichts." Aber
sie glaubten mir nicht. Es ist schlimm, wie man für die Organisation die eigene Familie
belügen muß. Vor meinem Vater konnte ich die Literatur erfolgreich verheimlichen. Meine
Mutter fand sie in meiner Abwesenheit. So wurde die Konfrontation und Spaltung zu meinen
Eltern unaufhaltsam vertieft. Der Bruder M. festigte das mit den Worten: "Wenn Du den
Glauben der Zeugen Jehovas annimmst, dann zeigst Du praktisch mit Deiner Kontrastellung,
daß nur Du recht hast, und das sollst Du ja auch tun!" Als ich ihm erzählte, wie
die Wachtturmschriften gefunden wurden, sagte er: "Jehova hat im Moment der Suche die
Blicke Deines Vaters abgelenkt." "Ja, aber wo war denn Jehova, als meine Mutter
alles fand? Er hätte sie doch mit Blindheit schlagen müssen. Wie können meine Eltern so
widersinnig von Gott gegen mich ausgespielt werden? Was wird uns hier zugemutet? Zitieren
die Zeugen Jehovas nicht Gott, wie sie ihn gerade brauchen? Aber das wurde in mir wieder
verdrängt. Die Anstachelung zur Konfrontation war stärker, was sich bei jungen Menschen
leicht ausnutzen läßt. Es wurde also zu einem Exempel, womit ich den Stempel für noch
weiteres Interesse an den WT-Schriften setzte.
Meine Liebe wird ausgenutzt
Trotz Verbot meiner Eltern ging ich zum Bruder M. ins Studium. Einige Zeit später riet er
mir, das Studium zum Bruder P. zu verlegen, um sich nicht zu gefährden. Arglos befolgte
ich es. Meine Eltern haben dann mit meinen neuen Erkenntnissen viel Ärger mit mir gehabt.
Sie haben alles versucht. Aber wer keine genaue Einsicht, Übersicht und Erfahrung hat,
kann nichts schaffen. Alles Reden und Überzeugenwollen nützte ihnen also nichts.
Nach längerer Zeit lernte ich eine junge Schwester kennen. Meine Eltern sahen nicht gern,
daß ich eine Zeugin Jehovas heiratete. Aber das konnten sie nicht verhindern. Sie gaben
sich damit zufrieden und meinten: sie müssen sich miteinander verstehen. Ich merkte aber,
wie es von der Organisation ein Hinhalten gab, ehe unsere Ehe Zustimmung fand. Für mich
war das von der Taufe nicht abhängig. Sie aber wollten das. Sie nutzten also meine Liebe
erpresserisch für die Organisationserweiterung aus. Mir war es egal, ob vor oder nach der
Taufe. Ihnen aber nicht. So siegten sie in diesem Punkt über mich. Es ist nur gut, daß
"Liebe blind macht". So wurde ich davor behütet, genau so berechnend zu sein
wie sie.
Ich fürchte nur, daß die Organisation jetzt nach meiner Abkehr genauso berechnend
fortfährt, nur umgekehrt. Ich habe inzwischen erfahren, wie sie mit ihrer
Verteufelungsmethode schon andere Ehen und Familien kaputtgemacht hat, wo einer der
Partner mit ihnen nicht mehr mitmachen wollte.
Wachtturm-gemäß religiös-politisch aktiv
Nach unserer Heirat nahm ich am Studium bei Bruder W. teil. Ich ging auch mit meiner Frau
oder Bruder W. "von Haus zu Haus in die Häuser, auf Friedhöfe oder zu anderen
Menschen, um sie für den Glauben der Organisation zu gewinnen. Ein halbes Jahr machte ich
ein Studium mit einem jungen Menschen. Er hatte aber nicht immer Zeit, wie wir wollten und
so brachen wir ab. Weil sich durch unsere Heirat weitreichende Verbindungen unter den
Zeugen Jehovas ergeben haben, erzählte ich von diesem jungen Mann. Wir suchten ihn nun zu
dritt wieder auf. Dieser Mann konnte manche Dinge nicht begreifen. Aber was er begriff ,
setzte er auch in die Praxis um. Also verließ er durch den antikommunistischen und
antisowjetischen wie staatsfeindlichen Einfluß der Organisation die Gesellschaft für
Deutsch-Sowjetische-Freundschaft, wurde ihr Feind und ging als Wehrersatzdienstverweigerer
ins Gefängnis. So weit hatten wir ihn gebracht, obwohl er noch nicht getauft war. Mit
Bruder W. und P. hatten wir noch einen anderen jungen Mann zu betreuen. Er war aus dem
Strafvollzug gekommen. Auch bei ehemaligen Verletzern von Staatsgesetzen sieht die
Organisation einen möglichen Ansatzpunkt. Ich möchte ihm heute wirklich helfen.
Vielleicht liest er diesen Zeugnisbrief.
Außerdem ging ich öfter mit Bruder W. samstagabends in ein bestimmtes Gebiet.
Sonntagvormittags ging ich meist allein in das mir von einem Altesten zugewiesene Gebiet.
Dabei wurde ich informiert über Adressen von Angehörigen der Staatssicherheit und der
Polizei, damit ich bei ihnen nicht vorspreche. Ich war sehr aktiv und sprach bei vielen
Leuten vor.
Ich werde innerlich kritisch
Mit der Zeit wurde mir das ständige Drängen zum Studium der Bibel nur im Sinne der
Literatur zu viel. Ich merkte, wie jeder andere Gedanke und Wissensbereich unterdrückt
wurde. Ich bin doch nicht als Unmündiger unter Vormundschaft, dachte ich manchmal. Man
muß sich doch auch mit anderen Wissensgebieten beschäftigen dürfen. Man ißt ja auch
nicht jeden Tag das gleiche.
In der Wachtturm-Literatur waren ja auch andere Quellen angegeben, religiöse, politische,
wissenschaftliche, philosophische. Dadurch angeregt und bestätigt las ich auch andere
Philosophen zum Beispiel. Ich erfuhr Tatsachen, die ich bisher nicht kannte. So kam ich zu
einem anderen Nachdenken über die Bibel und die Religion, als es der Wachtturm erlaubt.
Ich machte mir ernste Gedanken und brachte sie auch bei den Versammlungen vor in dem
arglosem Glauben, alle Probleme stellen zu dürfen, die mich beschäftigen. Aber ich
mußte mit der Zeit feststellen, daß ich zu einem "schwarzen Schaf" gestempelt
wurde. Sie brachten mir bei, mir nicht so viele Gedanken über alles zu machen. Wir
sollten alles Jehova überlassen, er werde alles für uns regeln. So geht es nun wirklich
nicht. Sie unterdrücken ja im Namen Gottes völlig begründete Fragen. Das wird für
einen selbst nachdenklichen Menschen zur Zwangsjacke, noch dazu, wo ich anderen predigen
und antworten muß. Aber auch die kritische Erkenntnis kommt, nur sie wächst nur von
Anstoß zu Anstoß, nicht auf einmal. Das Vergewissern ist oft mühsam, zeitaufwendig und
langwierig.
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