Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Doppelmoral

Auf der seinerzeitigen norwegischen Webseite Wachtower Observer des Kent Steinhaug, war  längere Zeit in Faksimile ein Text eingestellt, der von den anonymen Antwortschreibern der  Wachtturmgesellschaft stammt. Er ist durchaus als bemerkenswert einzustufen wie die nachfolgende Überschrift zu seiner deutschen Übersetzung verdeutlicht. Abgeschlossen wird dieser Vorgang noch durch einige Stellungnahmen im Forum dazu:

Marihuana rauchen - ein Komiteefall.
Nicht aufgeklärte Mordfälle hingegen nicht!

Es ist schon eine bemerkenswerte Doppelmoral die da seitens der Watchtower Bible and Tract Society of New York, Inc. offenbart wurde.
Jetzt liegt eine deutsche Übersetzung eines diesbezüglichen Schreibens, obigen Absenders vom 24. 12. 1992 vor. Auch wenn das mittlerweile länger zurückliegt. Die Fragwürdigkeit der diesbezüglichen WTG-Argumentation bleibt bestehen. Unter dem Aktenzeichen SCH:SSK 24. Dezember 1992 schrieb die WTG auf eine vorangegangene Anfrage:

Liebe Brüder,

wir haben Euren Brief vom 17. Dezember erhalten, in dem Ihr nachfragt, wie eine Situation zu handhaben sei, die einen Bruder betrifft, der sich in der Vergangenheit schwerer Verstöße gegen das Gesetz schuldig gemacht hat.

Ihr habt erklärt Ihr hättet Informationen erhalten, dass dieser Bruder "vor seiner Taufe mehrere Morde und Verbrechen begangen" habe. Ihr fragt, ob "das Gesetz des Staates Florida von Euch irgendein Vorgehen fordert. Die Justizbehörden in Florida haben keine Kenntnis von dieser Situation."

Als Älteste seid Ihr nicht verpflichtet, Informationen dieser Art bei den Behörden offenzulegen. Jede Information, die Ihr erhalten habt, während Ihr Euren Pflichten als Älteste nachgekommen seid, ist streng vertraulich. Was er tut, um seine Schuld gegenüber der Gesellschaft abzutragen, hängt großenteils von ihm und seinem Gewissen ab. Da er anscheinend gesetzesflüchtig ist wurde er offensichtlich für keine besonderen Dienstvorrechte in der Versammlung in Frage kommen.

Ihr sagt Ihr hättet "einen Bericht darüber, dass er mit Arbeitskollegen Marihuana geraucht habe, und dass das wohl nach seiner Taufe war." Wir nehmen an, das ist der Grund, warum Ihr es als notwendig empfindet, mit ihm zusammenzukommen. Da er ein treuer Bruder ist und gegenwärtig die Versammlungen besucht, besteht die Notwendigkeit, die Sache zu untersuchen, um festzustellen, ob die Versammlung irgend etwas unternehmen sollte. Das wahrscheinlich beste Vorgehen ist wenn zwei Älteste informell mit ihm reden und diskrete Erkundigungen über sein gegenwärtiges Betragen einziehen. Wenn es erhebliche Beweise für schweres Fehlverhalten zu geben scheint, dann sollte in dem Fall ein Komitee gebildet werden.

Wie wir glauben, werdet Ihr verstehen, dass es unumgänglich ist, dass die Ältesten strikte Vertraulichkeit über seine Vergangenheit wahren. Wenn die Ältesten unbeabsichtigt sein früheres Fehlverhalten offenbaren, wird das zweifellos große Auswirkungen auf ihn und seine Frau haben. So sind bei der Behandlung dieses Falles gutes Urteils- und Unterscheidungsvermögen notwendig. Wir vertrauen darauf, dass Ihr die Dinge angemessen behandeln werdet. Schreibt uns wieder, wenn Ihr weitere Anleitung braucht.

Wir bitten um Jehovas Leitung, wenn Ihr Euch bemüht Eure schwere Verantwortung als Hirten der Herde zu erfüllen. Wir übersenden Euch Grüße christlicher Verbundenheit.

Eure Brüder,…

Man vergleiche auch:

http://www.silentlambs.org/education/92_murder_letter.cfm

 

Geschrieben von Gerhard Z... am 07. Juni 2001 21:34:37:

Als Antwort auf: Doppelmoral geschrieben von Drahbeck am 07. Juni 2001 18:04:37:

Wo liegt da das Problem. Soweit ich erkennen kann, unterliegen also alle Verfehlungen der Schweigepflicht - wie bei Anwälten, Ärzten und "normalen" Geistlichen. Die Verfehlungen vor dem Beitritt interessieren die Kirche nicht, wenn aber nach dem Eintritt Verfehlungen gegen das Kirchenrecht bekannt werden, dann werden diese entsprechen den internen Regeln behandelt. Was hat also dieser Fall mit "Doppelmoral" zu tun? Ich finde diese Anweisungen durchaus in Ordnung.

 

Geschrieben von Drahbeck am 08. Juni 2001 04:45:57:

Als Antwort auf: Re: Doppelmoral geschrieben von Gerhard Z... am 07. Juni 2001 21:34:37:

...
Das mit der Schweigepflicht ist von der Theorie her ja nicht unakzeptabel. Nur in der Praxis sieht es doch so aus, dass gerade bei Jehovas Zeugen diese Schweigepflicht nicht sonderlich beachtet wird. Die dortigen Ältesten sind sozusagen "Hobbygeistliche". Es wurde schon mal zynisch kommentiert, dass etliche dieser "Hobbygeistlichen" es im weltlichen Leben nicht sonderlich weit gebracht haben. Ihre Defizite kompensieren sie dann bei den Zeugen Jehovas, wo "sie was sind". Das soll jetzt nicht verallgemeinert werden. Aber solche Fälle gibt es.

Zudem: Eine universitäre Bildung, analog den Geistlichen anderer Religionsgemeinschaften haben sie in der Regel nicht. Sie werden aber, wie das USA-Beispiel zeigt, durchaus auch mit schwierigen Situationen konfrontiert.
Gerade im genannten Beispiel, wurde der Betreffende als "treuer Zeuge Jehovas" bezeichnet. Da "vergibt" man einiges. Nicht vergeben wollte man in seinem Fall das Marihuana-Rauchen.

Es sind Fälle bekannt, wo Krankenhausangestellte, die (berufliche Kenntnis) von Vorgängen haben, die bei den Zeugen Jehovas verboten sind, durchaus zur Denunziation ihrer Religionsgemeinschaft gegenüber aufgefordert wurden. Ob sie es tun wäre die zweite Frage. Aber immerhin die Möglichkeit des Denunzierens wird ihnen als "eigene Gewissensentscheidung" plausibel gemacht seitens der WTG.
Der USA-Mordfall war offenbar diesbezüglich sankrosant. Wenn Abtreibungen in Krankenhäusern als Mord bewertet werden. Dann fragt man sich doch, was ist mit klassischen Mordfällen?

Zudem über diese Mordfälle sollte dieser "treue Zeuge Jehovas" nicht stolpern, wohl aber über das Marihuana-Rauchen. Sorry es tut mir leid. Diese Gewichtung von zwei Tatbeständen. Den einen übersieht man geflissentlich. Den anderen nimmt man hingegen als Anlass eines Ausschlußverfahrens. Diese unterschiedliche Gewichtung kann ich nicht anders als Doppelmoral bezeichnen.
 

Geschrieben von Bauer am 08. Juni 2001 10:49:16:

Als Antwort auf: Re: Doppelmoral geschrieben von Gerhard Z... am 07. Juni 2001 21:34:37:

>Wo liegt da das Problem. Soweit ich erkennen kann, unterliegen also alle Verfehlungen der Schweigepflicht - wie bei Anwälten, Ärzten und "normalen" Geistlichen. Die Verfehlungen vor dem Beitritt interessieren die Kirche nicht,
 

Gerhard,

Mir wird kotzübel, wenn ich mir vorstelle im Königreichssaal sitze ein Mörder neben mir. Ein Mörder ohne Strafe! Ein Mörder von dem man weiß, dass er ein Mörder ist.
Im alten Israel gab es nur für unabsichtliche Totschläger eine Ausweichmöglichkeit. Mord wird weder von Gott noch von Jesus Christus vergeben!!! Dazu ist das Leben zu wertvoll.

Eine Gemeinschaft, die so etwas toleriert und wie du auch noch als akzeptabel ansieht, Mörder aufnimmt und in ihrer Mitte duldet, ist doch satanischen Ursprungs. Wie kann man das mit seinem Gewissen vereinbaren, bei Mord einfach mit der Schulter zu zucken und zu sagen "Das war vor unserer Zeit, das geht uns nichts an!"? Das sind doch Gedanken, die nur der Teufel haben kann. Bei kleinen Verfehlungen allerdings, wenn jemand vor seiner Taufe einen kleinen Ladendiebstahl begangen hat, wird ihm nahgelegt dies in Ordnung zu bringen. Aber was ist da ein Mord dagegen? Jehovas Zeugen verderben die Menschen und verderben das Gewissen anständiger Menschen! Anders kann so etwas nicht bezeichnet werden. Einfach teuflisch!

Und es geht ja noch nicht einmal um eine Beichte!!! Hier lautet die Anweisung Mord zu ignorieren. Und es wird ein Weg aufgezeichnet, sich des 'Problemfalles' womöglich durch Ausschluss wegen Rauschgiftgenuss zu entledigen. Aber auch im Falle einer Beichte ist die Frage, was wird von einem Mörder verlangt? Sich der Staatsmacht stellen? An anderer Stelle wird gesagt, der Staat trage das Schwert zu recht und schützt die Bürger zu denen auch Jehovas Zeugen gehören, z.B. vor Mördern. Das macht doch keinen Sinn, wenn Jehovas Zeugen Mördern eine Heimstädte bieten.

Es ist schon schlimm wie wenig Jehovas Zeugen denken, wie wenig sie ganzheitlich denken. Nur immer in einer Schublade. Das Denkvermögen wird lahm gelegt und sie erhalten immer nur für ein Problem eine plausible Erklärung.

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Der zitierte Fall ("Murder Letters"), in den USA sich abspielend, hatte zeitgenössisch einiges Aufsehen erregt, zumal ihm einschlägige Presseberichte vorangegangen waren.

Die Tendenz zum "deckeln" unbequemer Fakten, ist unübersehbar.

Selbige "Strategie" soll ja auch anderen Kreisen im Fall der Fälle, nicht unbekannt sein, was ja nicht zu bestreiten wäre.

Indes darf man schon einen wesentlichen Unterschied darin sehen, dass man ja im propagandistischen Selbstverständnis der Zeugen Jehovas, "besser" sein will als andere. Mir indes scheint, schon Lessing hat darauf in seinem "Nathan der Weise", die passende Antwort herauskristallisiert.


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