Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Ludwig Cyranek

Er wurde am 1. 9. 1907 geboren. Circa mit 17 Jahren (1924) schloss er sich den Bibelforschern an. Er hatte zwar eine kaufmännische Lehre absolviert, aber offenbar nicht allzu lange in diesem Beruf verbracht. Denn schon ab 5. Mai 1927 trat er in den hauptamtlichen Dienst der WTG, zunächst in Magdeburg. Ab 24. 10. 1931 gar, war er für sie als sogenannter Missionsarbeiter in Frankreich, Jugoslawien, Österreich und der Schweiz tätig und dies immerhin bis 1934. Die Rede ist von Ludwig Cyranek.

Musste der in die Tschechoslowakei emigrierte Paul Balzereit zum Jahreswechsel 1934/35 auf Geheiß der WTG nach Deutschland wieder zurückkehren, so erging es Cyranek ähnlich. Auch in seinem Fall war die WTG nicht gewillt, einen weiteren Auslandsaufenthalt zu gewährleisten. Cyraneks deutsche Ankunftsstelle war die Wohnung seiner Eltern in einem kleinen Dörfchen im heutigen Nordrhein-Westfalen. Er lag also wieder seinen Eltern "auf der Tasche" und dies obwohl er bereits seit 1927 "flügge" geworden war.

Allzu lange dauerte die für alle Beteiligten missliche Situation allerdings nicht. Schon am 17. April 1935 wurde er ein erstes mal verhaftet, kam aber noch lediglich mit einer bloßen Verwarnung, relativ glimpflich davon. Aber schon am 11. 9.1935 erwischte ihn es erneut. Der Haftrichter, dem er vorgeführt wurde, war nochmals "milde". Er setzte die Hauptverhandlung für den 20. 9. 35 an, verzichtete aber darauf, bis dahin Cyranek schon zu inhaftieren. Diese Chance nutzte er und setzte sich in den Untergrund ab. Anstelle der vorgesehenen Hauptverhandlung wurde jedoch am 20. 11. 35 ein steckbrieflicher Haftbefehl gegen ihn erlassen.

Wie erging es seinen Eltern in dieser Situation? Karl Schröder, auf dessen Studie dieses Referat fußt vermerkt dazu:

"Ludwig Cyraneks Eltern müssen sehr unter den polizeilichen Ermittlungen gegen ihren Sohn und den damit verbundenen öffentlichen Aufsehen gelitten haben. Vielleicht erklärt sich so Vater Johann Cyraneks Antrag, seinen polnischen Namen durch einen deutsch klingenden ersetzen zu dürfen. Am 29. Mai 1936 wurde seinem Antrag stattgegeben. Er und seine Frau Katharina, sein Sohn Alois und seine Tochter Anna nahmen den Familiennamen Emter an."

Auch die aktuelle Untergrundtätigkeit Cyraneks (er war inzwischen zum Bezirksdiener für Baden, Hessen und das Maingebiet bei den Zeugen Jehovas avanciert), währte nicht allzu lange. Schon am 5. 11. 1936 wurde er von der Gestapo erneut festgenommen. Am 9. 4. 1937 fand dann seine Gerichtsverhandlung statt, bei der er über den Strafantrag des Staatsanwaltes hinausgehend, zu 18 Monate Gefängnis verurteilt wurde, wobei die bereits erlittene Untersuchungshaft dabei nicht mit angerechnet wurde.

Der Nazigazette "Westdeutscher Beobachter" war seine Gerichtsverhandlung eine kurze Notiz wert unter der Überschrift: "Ein Staatsfeind wurde abgeurteilt" (10. 4. 37).

Die nächste Phase der Biographie von Cyranek beschreibt Schröder mit den Worten:

"Er gab später vor der Gestapo zu Protokoll: 'Kurz vor Beendigung meiner Strafhaft wurde ich der Lagerleitung vorgeführt und hier wurde mir eröffnet, dass ich entlassen werden sollte und mich in die Volksgemeinschaft einzureihen habe. Ich antwortete doppelsinnig. Ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe. Vom Sekretär wurde mir eröffnet, dass ich wahrscheinlich nicht in Freiheit käme, bin aber dann ohne jede Formalität am 9. 10. 38 aus dem Lager entlassen worden."

Erneut taucht Cyranek in die illegale Zeugenorganisation ein. Dazu Schröder:

"Seine Anweisungen bekam er vom Reichsdiener Arthur Winkler, der in Holland untergetaucht war um von dort die Arbeit im Reichsgebiet neu zu organisieren.

Die eingenommenen Summen - manchmal bis zu 2500 RM - mussten in unregelmäßigen Abständen dem Reichsdiener Arthur Winkler in Holland abgeliefert werden. Winkler verlangte auch, dass in Deutschland Wertgegenstände gekauft werden sollten, die statt des Geldes zu übergeben waren."

Weiter vermerkt Schröder:

"Ende März/Anfang April 1939 suchte Ludwig Cyranek Arthur Winkler in Holland auf. Bei dieser Gelegenheit erhielt er einen falschen holländischen Pass auf den Namen Arie Tol. Im Bibelhaus Heemstede besprach er mit Winkler organisatorische Fragen."

Weiter kommentiert Schröder:

"All diese Überlegungen trugen den Stempel des Dilettantismus, denn sowohl Ludwig Cyranek als auch die übrigen 'Diener' waren aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer psychischen Disposition für eine konspirative Tätigkeit denkbar ungeeignet. Hinzu kam noch, dass ihre religiöse Tätigkeit immer eine missionarische war, die nie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden konnte. Der hierarchisch gegliederte Funktionärsapparat der IBV war daher sehr gefährdet. Sobald die Gestapo einen Funktionär gefasst und zur Aussage gezwungen hatte, konnte die gesamte Organisation aufgerollt werden.

Als Ludwig Cyranek Ende Juli 1939 mit seinem falschen Pass nach Deutschland zurückkehrte, wurde ihm sein dilettantisches Verhalten fast zum Verhängnis. Bei der Befragung über Woher und Wohin verwickelte er sich in Widersprüche, so dass der misstrauische deutsche Grenzbeamte ihm eine Aufenthaltsgenehmigung für nur einen Tag ausstellte und das in Cyraneks falschem Pass vermerkte. Damit war der Pass für ihn unbrauchbar geworden."

Die nächste Phase seinen abenteuerlichen Lebens beschreibt Schröder mit den Worten:

"Cyranek ließ Anfang 1940 Briefe von inhaftierten und zum Tode verurteilten Wehrdienstverweigerern in der Schrift 'Fürchtet euch nicht' veröffentlichen. Damit war der Tatbestand der Wehrkraftzersetzung gegeben. Die Gestapo fahndete nun verstärkt nach ihm und seinen Helfern. Ende 1939/Anfang 1940 konnte sie zahlreiche Funktionäre verhaften. Als Cyranek im Februar 1940 bei einem Glaubensbruder übernachtete, führte die Gestapo eine Haussuchung durch und verhaftete den Gastgeber. Cyranek selbst konnte nur mit knapper Not entkommen. Er trug noch die Pyjamajacke unter seinem Anzug, als er seine Glaubensgenossen in Magdeburg warnte. Von Magdeburg fuhr er nach Dresden, wo er einen Tag später in einer Gastwirtschaft festgenommen wurde. Wahrscheinlich hatte ihn ein von der Gestapo in die IBV eingeschleuster V-Mann denunziert."

Die WTG meint diesen Dresdner V-Mann näher verifizieren zu können und nennt seinen Namen als Hans Müller und lastet ihm noch eine Reihe anderer Judassdienste an. Laut Garbe (3,. Auflage S. 328) war besagter Müller als WTG-Funktionär für den Osten Deutschlands zuständig. Auch G. schließt sich der These an, dass Müller für das "Hochgehen" von Cyranek die Verantwortung trägt (S. 336).

Weiter vermerkt Schröder:

"Bei der Aufdeckung der IBV im Reichsgebiet kam der Gestapo zugute, dass bereits zahlreiche Funktionäre verhaftet waren. Widersprüchliche Aussagen konnten deshalb bei den bekanntlich brutalen Verhörmethoden der Gestapo schnell geklärt werden. Ludwig Cyranek legte dann auch ein 33 Schreibmaschinenseiten umfassendes Geständnis ab, in welchem er auch über seine Tätigkeit zwischen dem 11. September 1935 (seinem Untertauchen) und dem 5. November 1936 (seiner Verhaftung) Auskunft gab. Das Protokoll beginnt mit den Worten:

'Ich bin bereit über meine illegale Betätigung umfassend Auskunft zu geben, nachdem mir nachgewiesen worden ist, dass ich nichts mehr verraten kann.'"

Die Gestapo nutzte die Verhaftung des Cyranek auch zu Gegenüberstellungen, um so hartnäckige Leugner in die Knie zu zwingen. So der Fall Cyranek/Stanislaus Smok (Vgl. "Geschichte der ZJ" S. 316, 317)

Die Auswirkungen der Cyranek-Verhaftung werden vom genannten Autor mit den Worten skizziert:

"Am 25. Mai 1940 sandte die Gestapo-Leitstelle Dresden die Vernehmungsprotokolle Cyraneks und eines weiteren Angeklagten an alle übrigen Gestapo-Leitstellen im Reich 'zur Kenntnisnahme und weiteren Auswertung.' Von einer örtlichen Aufrollung der IBV bat sie aber abzusehen, da das Reichssicherheitshauptamt den Termin zur 'schlagartigen Durchführung der Aktion im gesamten Reichsgebiet' festsetzen werde. Ein Funkspruch aus Berlin setzte diese Aktion dann auf Mittwoch den 12. Juni 1940 fest."

Schröder schätzt ein, dass damit vorerst das endgültige Ende der organisierten Tätigkeit der Zeugen Jehovas in Hitlerdeutschland eingeläutet worden sei.

Am 20. 3. 1941 erfolgte die gerichtliche Verurteilung zur Todesstrafe wegen Wehrkraftzersetzung. Den Nazis war der Fall Cyranek dann noch eine Propagandakampagne in ihrer Presse wert. Dazu der Autor:

"In gleichlautenden Texten, aber mit verschiedenen Balkenüberschriften berichtet die nationalsozialistische Presse über dieses Terrorurteil und versuchte, es propagandistisch auszuschlachten.

'Bibelforscher als Saboteure des Luftschutzes' - 'Haupträdelsführer mit dem Tode bestraft' schrieb die Rheinische Landeszeitung vom 21. März 1941, und der im Siegkreis erscheinende Westdeutsche Beobachter vom 22. März 1941 setzte als Schlagzeile: 'Saboteure des Luftschutzes - Zuchthaus für Ernste Bibelforscher.'

Abschließend hieß es in beiden Artikeln: 'Die verbotene Vereinigung verneint nicht nur den Wehrdienst, sondern hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Maßnahmen von Organisationen der Volksgemeinschaft, darunter auch des Reichsluftschutzbundes, zu sabotieren. Sie bringt damit Gut und Leben deutscher Volksgenossen in größte Gefahr. Das darum der Haupträdelsführer Cyranek mit dem Tode bestraft wurde, entspricht voll und ganz dem Empfinden des Volkes, das vor solchem frevelhaftem Treiben geschützt werden muss.'"

Am 4. Juni 1941 endete das Leben von Ludwig Cyranek.

Zu seinen familiären Umfeld vermerkt der Autor noch, der sich für seine Studie unter anderem auf die entsprechenden Gestapoakten im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf stützt, dass diese Familie ursprünglich mal 13 Kinder hatte, von denen einige aber verstarben. Nicht alle sind wohl Zeugen Jehovas geworden. Einige aber wohl doch. Genannt werden diesbezüglich seine Brüder Karl und Alois.

Weiter dass vier seiner leiblichen Brüder Wehrdienst leisteten. Diesbezüglich genannt werden: Toni, Wilhelm, Johann und Alois. Einer wird als "vermisst" (Wilhelm Felix) eingestuft. Einer als gefallen (Toni). Letzterer hatte sich davor schon in einer Eingabe an die Nazibehörden, anlässlich des Todesurteiles, für Ludwig Cyranek verwandt. Namentlich der auch als Zeuge Jehovas ausgewiesene Alois, der zugleich auch als Wehrdienstleistender bezeichnet wird, verdient diesbezüglich der Beachtung.

An relativ entlegener Stelle ist die Studie von Karl Schröder veröffentlicht worden. In der außerhalb des Buchhandels erschienenen Publikation. "Die Vierziger Jahre. Der Siegburger Raum zwischen Kriegsanfang und Währungsreform. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Stadtmuseums Siegburg im Torhausmuseum des Siegwerks (11. 9. 1988 - 16. 10. 1988)"

Im wissenschaftlichen Bibliothekswesen ist mir derzeit nur ein Exemplar davon in der Universitätsbibliothek Dortmund bekannt.

Seit dem Jahre 2011, hat die University of Virginia eine Einscannung vorgenommen, die über die Google-Buchsuche, die (unvollständige) Abfrage einiger Stichwörter ermöglicht, aber (in Deutschand) keinerlei Volltext bietet.

Schon frühzeitig wurde in der Literatur auch des Ludwig Cyranek gedacht. Neben etlichen regionalgeschichtlichen Studien ist da insbesondere der 1955 erschienene Band, der von dem Theologen Helmut Gollwitzer herausgegeben wurde zu nennen, unter dem Titel:

"Du hast mich heimgesucht bei Nacht. Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933 - 1945", worin auch ein solcher von Cyranek an seine Angehörigen, mit abgedruckt ist. Wenn die WTG ihn erstmals in ihrem 1974-er Jahrbuch mit abdruckte, so ist festzuhalten. Gollwitzer war diesbezüglich schon weit früher tätig!

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