Margret Bechler

Ein Hochzeitsfoto aus dem Jahre 1938. Martialisch sein Ambiente. Und vor allem, darüber kann kein Zweifel bestehen, für Jehovas Zeugen äußerst ungewöhnlich. Um es auch gleich vorweg zu sagen: Es hat auch keine direkte Beziehung zu ihnen. Bestenfalls eine indirekte, über die dann noch zu sprechen wäre.

Das Buch dem dieses Foto entnommen wurde, trägt den Untertitel "Ein deutsches Schicksal". Namentlich das Schicksal der hier abgebildeten Braut lässt einem schon in gewisser Hinsicht den "kalten Schauer" über den Rücken jagen. Sie ist es denn auch, die im weiteren Verlauf ihres Schicksals in einen mehr unfreiwilligen Kontakt zu einer Zeugin Jehovas kam, nie deren Glauben annahm. Aber eben weil das so ist, durchaus gewisse Einzelheiten in beachtlicher Chronistenform mit beim Namen nannte.

Und noch etwas. Als Ex-ZJ läuft man manchmal auch Gefahr, im Hinblick auf die eigene Biographie, doch so etwas wie einen weinerlichen Ton anzuschlagen. Was alles durch den Einfluss der WTG sich keineswegs zum "besten" gestaltet hat. Diese Sachlage ist natürlich unbestreitbar. Daran gibt es nicht zu tüfteln. Aber vielleicht hilft der Blick nach andernorts auch mal dergestalt, dass auch Menschen aus anderen Kulturkreisen, mit ganz anderen Voraussetzungen als wie die Zeugen Jehovas, manchmal bedauerliches, wenn nicht gar noch schlimmeres erleiden mussten. Dies wird kein echter "Trost" sein. Soll es auch nicht sein. Nur vielleicht dergestalt, dass man die eigenen Erfahrungen nicht verabsolutieren, sondern auch den Blick - gelegentlich - andernorts hinrichtet.

Dieses Hochzeitsbild zeigt, wie unschwer erkennbar, einen Berufssoldaten. Einen, der es zeitlebens unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen blieb. Auch seine Braut war vom Elternhaus her, schon gleichfalls stramm nationalistisch orientiert. Wie schon gesagt, die Hochzeit fand im Jahre 1938 in Hitlerdeutschland statt.

Der Berufssoldat sollte dann in der Perspektive auch in Stalingrad landen. Dort musste das Hitlerregime seine erste größere Niederlage in seinem Russlandfeldzug einstecken. Von den 284 000 Mann dort eingesetzter deutscher Soldaten, sollten schließlich nur 90 000 übrig bleiben, deren weiterer Weg die Kriegsgefangenschaft war. Auch der abgebildete Berufssoldat gehörte zu den Überlebenden, die in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten.

Die Schlacht bei Stalingrad war in der Tat, der militärische Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges.

Die in diesem Falle siegreichen Sowjets bemühten sich, aus dem deutschen Offizierskorps solche zu gewinnen, die perspektivisch auch an der "Propagandafront" gegen Hitlerdeutschland, mitkämpfen würden. Dazu wurden zwei spezielle Organisationen geschaffen. Das "Nationalkomitee Freies Deutschland" Und auch ein spezieller Offiziersverband noch zusätzlich. Der Berufssoldat Bernhard Bechler, war einer derjenigen, die diesem sowjetischen Ansinnen, schließlich Folge leistete. Mehr noch, man kann sogar sagen, er wurde perspektivisch ein sowjetischer "Konvertit". Das traf keinesfalls für "alle" im "Nationalkomitee Freies Deutschland" zu. Da gab es zwar etliche, die nunmehr auch gegen Hitlerdeutschland zu kämpfen bereit waren; jedoch keineswegs die sowjetische Ideologie anzunehmen bereit waren. Bechler war einer jenen wenigen, der diesbezüglich weniger Skrupel hatte. Es sollte sich für ihn später noch dergestalt auszahlen, im ostdeutschen Staat höchste Posten zu bekommen. Zeitweise Minister in regionalen Landesregierungen; dann noch maßgeblich mit dem Aufbau der ostdeutschen Armee, der sogenannten "Nationalen Volksarmee" beauftragt.

Aber soweit sind wir noch nicht.

Noch sitzt Bechler in der Sowjetunion. Er spielt seinen ihm zugedachten Part, und ist unter anderem auch in deutschsprachigen Propagandasendungen russischer Radiosender präsent.

Seine Frau, gehört in jenen Jahren (1943/44) als Offiziersfrau, noch zu den relativ Begüterten. Eine hochherrschaftliche 4 Zimmerwohnung bleibt ihr und ihren zwei Kindern, noch lange unangefochten, und auch finanziell ließ sich der Hitlerstaat gegenüber Offiziersfrauen nicht lumpen (immer vergleichsweise gesehen).

Da erhält sie eines Tages Besuch eines Unbekannten. Der kommt ganz schnell zur Sache. Der nimmt sich auch die Freiheit an ihrem eigenem Radioapparat, zur passenden Zeit, jene sowjetischen deutschsprachigen Radiosendungen im Kurzwellenbereich einzustellen und laufen zu lassen. Der Offiziersfrau bleibt "erst mal die Spucke" weg. Nie hätte sie von sich aus gewagt, solch einen "Frevel" zu begehen. Das ganze Auftreten dieses Unbekannten muss wohl eine Art Schockreaktion bei ihr bewirkt haben. Beglückwünschte er sie doch zu ihrem übergelaufenen Mann. Plötzlich erhält sie auch ungewöhnlich viel Post, die gleichfalls ähnliche Glückwünsche ausspricht. Das ganze wird ihr unheimlich. Und sie entscheidet sich dafür, sich den nazistischen Behörden zu offenbaren.

Die Gestapo ist hocherfreut. Aufgrund ihrer Beschreibung dieses Unbekannten, legt sie ihr Fotos vor, mit der Zielstellung einen ganz speziellen Kandidaten, den die Gestapo schon vorher im Auge hatte, zeugenmäßig festnageln zu können. Angeblich will die genannte Offiziersfrau die Gestapovorlage aber nicht bestätigt haben. Sie lässt sich aber bereitwilligst für Personengegenüberstellungen instrumentalisieren; ist auch bei einer Gestapo-Hausdurchsuchung zeugenmäßig zugegen.

Noch einmal erhält sie weiteren Besuch eines Unbekannten der vorgenannten Art. Schroff will sie ihn abgefertigt haben. Das hinderte sie aber nicht danach sofort die Gestapo anzurufen und bei einer gezielten Razzia im Bereich des Hauptbahnhofes dazu mitzutragen, dass dieser zweite Unbekannte tatsächlich von der Gestapo dingfest gemacht werden konnte.

Nun sei einmal eine spezielle Passage aus ihrem Bericht zitiert:

"Am 20. August also bekam ich diesen Brief, einen Einschreibebrief aus Zwickau, der Absender war ein Rechtsanwalt. Mir war sofort klar, daß es sich nur um meinen Besucher von damals handeln konnte. ... Der Anwalt schrieb mir, Anton Jakob sei vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt worden, und nun habe seine Frau in ihrer Hausgemeinschaft Unterschriften für ein Gnadengesuch gesammelt, und sie bäte auch mich, ja gerade mich, sich daran zu beteiligen in dem Sinne, daß ich bezeugen solle, ihr Mann habe mir den Eindruck gemacht, im besten Glauben zu handeln, nur mir privat etwas Gutes tun zu wollen, ohne politische Absicht. Ich solle darum bitten, das Todesurteil nicht zu vollstrecken. Zum Schluß bat der Anwalt mich, innerhalb von zwei Tagen zu antworten."

In ihrer gleichfalls per Einschreiben vorgenommenen Rückantwort, lehnte die Offiziersfrau es ab, diesem Ansinnen in der gewünschten Form zu entsprechen.

Um es kurz zu machen. Nach 1945 hatte dies für sie die Folge sich schon kurze Zeit danach im sowjetischen Gewahrsam zu befinden. Ihr Fall wurde später auch noch der ostdeutschen Justiz übertragen, die das lebenslängliche Urteil bestätigte. Sie ist dann aber doch 1956 begnadigt worden und konnte nach Westdeutschland ausreisen.

Ihr mit den Sowjets heimkehrender Mann, hat offenbar keine ernsthaften Anstrengungen unternommen, seine Frau (nicht mehr auf freiem Fuße wie bereits ausgeführt) wiederzufinden. Gleichwohl seine Kinder, die zeitweise bei anderen Verwandten untergekommen waren, nahm er wieder zu sich. Seine rasende Karriere wurde schon umrissen. In seiner Ministerzeit hatte er auch eine Sekretarin, eine stramme Altkommunistin. Die wurde schon bald seine zweite Ehefrau; indem er die erste für "tot" erklären ließ. Der westliche Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen hat sich zwar bemüht, in seinem Fall den Vorwurf der Bigamie zu erhärten, ist aber doch wohl nicht ausreichend fündig geworden.

Dies wäre in groben Zügen die Tragödie, über die es zu berichten galt.

In ihrer Gefangenenzeit lernte die Margret Bechler auch die Zeugin Jehovas Hildegard Seliger kennen. Über die Seliger schrieb der "Wachtturm" (15. 9. 93) einmal:

" Ernst und Hildegard Seliger aus Deutschland. Beide verbrachten wegen ihres Glaubens zusammengerechnet über 40 Jahre in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und kommunistischen Gefängnissen. Selbst im Gefängnis fuhren sie unbeirrt fort, anderen Gefangenen Zeugnis zu geben. Hildegard berichtete: „Die Zuchthausverwaltung stufte mich als besonders gefährlich ein, da ich, wie eine Beamtin sagte, den ganzen Tag nur von der Bibel sprechen würde. Ich kam daher in eine Kellerzelle."

Nun seien noch etwas die Ausführungen der Margret Bechler über Hildegard Seliger zitiert. Bechler schreibt ihren Namen mit zwei ee die WTG mit einem. Aber das ist marginal. Ein großer Kommentar zu diesen Ausführungen erspart sich auch. Sie sprechen durchaus für sich. Hingewiesen sei aber ausdrücklich auf jene Passage, wo auf das Jahr 1954 im Endzeitsinne spekuliert wurde. "Hoffen und Harren" hielt auch Hildegard Seliger zum Narren, kann man dazu wohl nur als Kommentar sagen:

"Meine erste Mitbewohnerin war eine Zeugin Jehovas. In Waldheim gab es etwa hundert von ihnen, sie wurden in einem Stockwerk isoliert gehalten, man sah in ihnen eine große Gefahr. Diese Frau aber mußte zusätzlich abgesondert werden, sie war Laienpredigerin und geistiger Mittelpunkt ihrer Glaubensgenossen. Sogar hier im Haus war ihr eine Bekehrung gelungen, man hatte sie erwischt, als sie die Neubekehrte unter der Dusche taufte.

Nun war aber keine Zelle frei. Da legte man sie zu mir, weil man sagte, die Dreykorn (Mädchenname der Bechler) ist nicht zu beeinflussen, da besteht keine Gefahr, daß die sich bekehren und taufen läßt. Und das war auch ganz richtig gesehen ...

Sie kam herein, schüttelte mir beide Hände und stellte sich vor. Seeliger hieß sie. Frau Seeliger. Sie hatte den naiven zuversichtlichen Gesichtsausdruck, den ich schon bei anderen Zeugen Jehovas wahrgenommen hatte, diese unbedingte Gläubigkeit, aber bei ihr leuchteten geistige Beweglichkeit und Mutterwitz durch.

Noch bevor sie sich einrichtete, entdeckte sie die Bibel ... Endlich, sagte sie, endlich eine Bibel. Wir dürfen nämlich keine haben.

Sie nahm sie in die Hand und blätterte darin und erzählte mir zugleich, was sie am meisten beschäftigte, daß nämlich der Untergang der Welt kurz bevorstünde. Hier sei es zu lesen, im Matthäus-Evangelium, Kapitel 24, Vers 29 und folgende: Bald aber nach der Trübsal derselbigen Zeit, werden Sonne und Mond den Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden sich bewegen. Und alsdann wird erscheinen das Zeichen des Menschen Sohnes im Himmel. Und alsdann werden heulen alle Geschlechter auf Erden, und werden sehen kommen des Menschen Sohn in den Wolken des Himmels, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen; und die werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels bis zum andern ... Wahrlich ich sage euch: Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß dieses alles geschehe.

Sie blickte mich triumphierend an, ob das nicht genau stimme: Bald nach der Trübsal derselben Zeit. Das Weltende stünde nahe bevor, ihre Propheten glaubten an das Jahr vierundfünfzig.

Ich war etwas verblüfft, nach dieser Rechnung blieb uns ein gutes Jahr bis zum Weltuntergang.

Jaja, sagte sie, die vierzig sei eine heilige Zahl, eine Zeitperiode Gottes im Leben des Menschen, überall zu finden. 1914 sei eine Weltordnung zusammengebrochen, danach hätte Chaos geherrscht, vierzig Jahre lang, also stünde die neue Weltordnung unmittelbar bevor.

Ich fragte sie, was sie denn machten, wenn nichts geschähe, kein Weltuntergang und keine neue Weltordnung.

Das bedeutet nur, daß sie sich verrechnet hätten. Es könne ja auch 1917 sein, mit der russischen Revolution habe die Herrschaft des Teufels über die Erde begonnen. Aber auch da sei nicht mehr lange hin, wir alle würden es erleben.

Ich frage mich, ob Frau Seeliger noch immer rechnet. Sicher aber ist sie bei ihrem Glauben geblieben, die Bibel war für sie eine Art Terminkalender Gottes, in dem sie als eine der Auserwählten nun auch zu lesen verstand."

Von den weiteren Ausführungen sei vielleicht noch die Passage über den "Blutwurstkrieg" zitiert:

"Ich hatte so manche Vorteile von dieser Zellengemeinschaft. So bekam ich sonnabends immer Frau Seeligers Blutwurstzuteilung ...

Frau Seeliger verzichtete also auf die Blutwurst, jeden Samstagabend die besondere Delikatesse unserer Kaltverpflegung. Sie war aber großherzig genug, sie mir zu überlassen. Ich sei ihren Riten nicht verpflichtet, meinte sie. Bei uns machte sich die Weigerung also nicht bemerkbar, im Stockwerk der Zeugen Jehovas, wo sie unter sich waren, gab es deswegen den Wurstkrieg.

Schönfeld bekam Wind von der allgemeinen Ablehnung. Nun hatte er ja immer den Drang, jeden Eigenwillen zu brechen; er gab also den Befehl, die zurückgewiesene Blutwurst am kommenden Tag in die Suppe zu schneiden. Daraufhin lehnten die Zeugen Jehovas das Mittagessen ab.

Schönfeld erschien bei ihnen.

Er ließ alle Zellen öffnen, stellte sich auf den Gang und hielt ihnen eine Rede. Sie hätten seine eiserne Faust noch nicht kennengelernt und sie würden zerschellen an dieser Blutwurst.

Große Worte. ... Eine Woche lang wiesen sie das Mittagessen zurück, weil in jeder Suppe Blutwurst schwamm, dann streckte Schönfeld die Waffen, seine Kräfte waren erschöpft, der Wurstkrieg war zu Ende."

Der Bericht von Margret Bechler

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