Annotationen zu den Zeugen Jehovas

August Bebel als " Spiegelbild" für Jehovas Zeugen

August Bebel (1840 - 1913); einer der Gründungsväter der deutschen Sozialdemokratie, und wenn man so will, von seinem Lebenszeitraum, auch ein Zeitgenosse von Charles T. Russell, hatte mal eine Auseinandersetzung mehr grundsätzlicher Art in Sachen Religion. Erbost schrieb ihm ein katholischer Geistlicher und legte dar, weshalb er sich ungerecht beurteilt fühle. Lässt man das zeitgeschichtliche Kolorit beiseite, könnte man gar auch sagen. In dem Part von Bebels Widersacher, können sich auch heute noch etliche Zeugen Jehovas spiegelbildlich wiederfinden. Daher kann es auch für sie durchaus von Interesse sein, diese Rede und Gegenrede einmal im Detail zur Kenntnis zu nehmen. Sie wurde mal (ursprünglich war das ja eine Polemik auf Zeitungsebene) auch als separate Broschüre im Jahre 1958 vom Dietz-Verlag veröffentlicht. Daraus nachstehend einige wesentliche Auszüge:

Christentum und Sozialismus

Eine religiöse Polemik zwischen Herrn Kaplan Hohoff in Hüffe und August Bebel, dem Verfasser der Schrift: Die parlamentarische Tätigkeit des Deutschen Reichstages und der Landtage und die Sozialdemokratie.

Brief des Kaplans Hohoff an den "Volksstaat" (Zeitung) …

Sie geben in dem Leitartikel in Nr. 114 des "Volksstaat" (1873) vom 21. November einen Passus wieder aus einer in Ihrem Verlage erschienenen Broschüre … In derselben wird unter anderem die Behauptung aufgestellt, daß Staat und Kirche sich "brüderlich unterstützen, wenn es das Volk zu knechten, zu verdummen und auszubeuten gilt … die Priesterschaft sei stets für den Rückschritt und die Barbarei eingetreten."

Sie machen die Kirche verantwortlich für die Fehler und die Religion für die Mängel und Sünden ihrer Bekenner. Sie legen der Gesamtheit zur Last, was einzelne verschuldet; Sie verdammen den Schuldigen mit dem Unschuldigen. Oder nennen Sie mir ein Laster, einen Übelstand - soweit er nicht in der Natur alles Irdischen begründet ist - eine Ungerechtigkeit und Nichtswürdigkeit, die nicht von der katholischen Religion und von der katholischen Kirchenlehre streng verboten und verpönt wäre. Und darum werden Sie einräumen müssen, daß die Schuld von den Mißständen, die Sie tadeln, nicht am Katholizismus, nicht an der Religion und der Kirche liegt, sondern an den Menschen.

Wissen Sie nicht, daß Tausende und aber Tausende und Millionen von katholischen Christen und katholischen Priestern seit 1800 Jahren buchstäblich die Worte Christ erfüllt haben: "Wenn Du vollkommen sein willst, so gehe hin, verkaufe alles, was Du hast, und gib es den Armen und folge mir nach"? Wissen Sie nicht, daß ein Franz von Assisi, ein Vincenz von Paula und zahllose andere Millionen von Talern für die Armen gesammelt haben, daß sie ihr ganzes Vermögen den Dürftigen und Notleidenden schenkten und aus Liebe zu Gott und ihren Mitmenschen die freiwillige Armut wählten, um mit den Armen arm zu sein? Wissen Sie nicht, daß auch heute noch Tausende und Hunderttausende von Katholiken und Priestern jenem Beispiele folgen?

Nun wohl, auch mir wallt das Blut ob solcher Anschuldigung und auch ich glaube dieselbe durch den einfachen Hinweis auf die klägliche Stellung der meisten katholischen Geistlichen in der Gegenwart entkräften zu können. Außer Schulmeistern und den Nachtwächtern ist sicherlich keine Beamtenkategorie dürftiger besoldet als der niedere katholische Klerus. Ich kann Ihnen beweisen, daß ich pekuniär schlechter gestellt bin als ein Lakai oder eine Kammerjungfer. Und die Geringheit der Einkünfte ist noch das allerwenigste; Haß und Verfolgung, Spott und Hohn - das ist heute der Anteil des katholischen Priesters!

Antwort August Bebel:

Ich habe kirchliche Personen nicht angegriffen, ich habe nirgends bestritten, daß es unter den "Dienern der Kirche auch eine Anzahl gäbe, die aus innigster, ehrlichster Überzeugung ihrem Berufe obliegen" ....

Wollte man statistisch feststellen, in welcher Religion Millionen von Menschen am eifrigsten geglaubt und gestrebt, die größte Entsagung, die größte Selbstpeinigung, die größte Aufopferung stattgefunden hat, es unterläge keinem Zweifel, die Religion des Buddha würde in allen Beziehungen den Katholizismus und das Christentum überhaupt übertreffen.

Wie die christlichen Lehren nichts anderes als die Quintessenz der philosophischen Anschauungen des Altertums seit Sokrates und Plato sind, so sind seine gottesdienstlichen Formen, wie sie heute noch namentlich im Katholizismus geübt werden, heidnischen gottesdienstlichen Gebräuchen und Symbolen entnommen. Das Christentum ist also nichts anderes als jede andere Religion auch, es bildet den geistigen Niederschlag einer vorgeschrittenen Kulturperiode, für welche die alten bis dahin geltenden Religionen überwunden waren. Es ist Menschenwerk, nichts mehr und nichts weniger, dass sich entwickelte und gestaltete, je nachdem die Sitten, Gewohnheiten und die alten Religionen eines Volkes, unter denen es sich Bahn brach, es notwendig machten.

Diese Unklarheiten und Widersprüche der Bibel oder der sogenannten Heiligen Schrift sind es, die von jeher zu den verschiedensten Auslegungen führten und innerhalb der christlichen Kirche bis in unser Zeitalter den Grund zu den heftigsten Streitigkeiten und Spaltungen legten. Diese Unklarheiten und Widersprüche würden die katholische wie die evangelische Kirche längst in lauter Sekten aufgelöst haben, wenn nicht die Priester- und Staatsgewalt gemeinsam alles aufböten, die Rechtgläubigkeit an den einmal aufgestellten Lehren mit Gewalt aufrechtzuerhalten.

Sie werden nach dem bis hierher Ausgeführten sich auch nicht wundern, wenn ich mich nicht nur als Gegner des Katholizismus, sondern als Gegner j e d e r Religion bekenne.

Die Religion ist, wie ich schon eben ausgeführt, das Produkt des Kulturzustandes eines Volkes oder einer Reihe auf gleicher Kulturstufe stehender Völker.

Es ist also wohl zur Genüge nachgewiesen, daß das Christentum weder das "Beste" noch das "Vollkommenste" ist, sondern nicht besser und vollkommener ist als andere Religionen auch, das heißt mangelhaft und unvollkommen. Seine Beseitigung vom Standpunkt des Fortschritts der Menschheit ist eine Notwendigkeit.

Aber die Moral des Christentums! rufen Sie aus. Die Moral hat weder mit dem Christentum noch mit der Religion überhaupt etwas zu schaffen; die Moral ist nach dem jeweiligen Kulturzustand der Völker verschieden.

Die Religion der Liebe, die christliche, ist seit mehr als achtzehn Jahrhunderten gegen alle Andersdenkende eine Religion des Hasses, der Verfolgung, der Unterdrückung gewesen.

Die eifrigsten Gläubigen haben aber, wenn sie auch glaubten Gutes zu tun, am meisten der Menschheit geschadet, denn sie haben jedes Rütteln an den Dogmen als Ketzerei, jedes Bezweifeln der Grundlagen der Religion als Kardinalverbrechen angesehen und mit Feuer und Schwert dagegen gewütet.

Die Kreuzzüge, die zahllosen Religionsverfolgungen, die Inquisition, die Judenverfolgungen, die Hexenprozesse, in denen Hunderttausende von Menschen dem blinden Wahn geopfert wurden, sind von fanatischen Priestern hervorgerufen und geschürt, von den klugen und kaltblütigen unter ihnen für Ausbreitung der Macht der Kirche - die i h r e Macht war - und nicht selten des Raubes wegen unterstützt worden.

Das Christentum ist freiheits- und kulturfeindlich. Durch seine Lehre vom passiven Gehorsam gegen die "von Gott eingesetzte" Obrigkeit, sein Predigen zur Duldung und Ergebung im Leiden, verknüpft mit dem Hinweis, daß für alle Beschwerden hienieden die Seligkeit im jenseitigen Leben entschädigen werde, hat es die Menschheit von ihrem Zweck, sich nach allen Richtungen zu vervollkommnen, nach ihrer höchsten Entwicklung zu streben und der gewonnenen Güter sich zu freuen und sie zu genießen, abgezogen.

Diese haben vielmehr, indem sie die Erde als ein Jammertal darstellten, die Entbehrung und Enthaltsamkeit predigten und die Menschheit auf ein k ü n f t i g e s Leben verwiesen, für dessen Existenz keine Beweise vorhanden sind und keine beigebracht werden können, weil seine Existenz unmöglich ist, dem menschlichen Streben die schlimmsten Fesseln angelegt und den menschlichen Fortschritt gehemmt.

Aber sie sind die Hauptverteidiger der Vorrechte, der Standes- und Klassenherrschaft, sie wollen nicht die Gerechtigkeit, sondern Mildtätigkeit, nicht die Gleichheit, sondern die demütige Unterwerfung, nicht das Wissen, sondern den Glauben.

Der sogenannte gute Kern im Christentum, den Sie, aber ich nicht darin finde, ist nicht christlich, sondern allgemein menschlich, und was das Christentum eigentlich bildet, der Lehren- und Dogmenkram, ist der Menschheit feindlich.

Gerhart Hauptmann Der Narr in Christo Emanuel Quint

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