516 unterschrieben


Bekanntermaßen machten die Nazis die Freilassung von verhafteten Bibelforscher/Zeugen Jehovas von der Unterschrift unter einem Abschwörungsrevers abhängig. Speziell für die Konzentrationslager ist zu konstatieren, dass dort nur eine kleine Minderheit davon Gebrauch machte. Der interne Gruppendruck zeigte seine Wirkung. Es gab aber auch verhaftete Bibelforscher/Zeugen Jehovas, die sich "noch" in regulären Gefängnissen befanden und dort in einer gemischten Belegung, nicht unbedingt mit anderen Glaubensangehörigen näheren Kontakt hatten. Und es gab, auch im Naziregime, gelegentlich sogenannte Amnestien. Über eine solche berichten die "Informationen des Geheimen Staatspolizeiamtes" Nr. 20 vom 30. 6. 1938:
"Nach den bisher vorliegenden Berichten der Staatspolizeileit- und Staatspolizeistellen wurden 516 Bibelforscher auf Grund des Straffreiheitsgesetzes vom 30. 4. 38 aus der Straf- bzw. Untersuchungshaft entlassen.
Die Entlassenen haben sich schriftlich verpflichtet, sich nicht mehr für die illegale Internationale Bibelforscher-Vereinigung zu betätigen und auch künftig kein 'Zeugnis' für deren Lehre zu geben."

 

In einem Beitrag für das Forum der pro-Zeugen Jehovas orientierten "Standhaft"-Webseite, verweist Angela Kawell unter Hinweis auf Gestapoaktenbestände (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf) dass von 57 Bibelforschern aus Düsseldorf und Neuss, die dort dergestalt erfasst sind, auffällt, "dass nicht wenige von ihnen eine 'Verpflichtungserklärung' unterschrieben." Auch Kawell registriert, dass es diesbezüglich durchaus unterschiedliche Variante jener ominösen Erklärung gegeben habe. Auch andere Gruppen, etwa Kommunisten und Sozialdemokraten, wurden partiell mit solchen Erklärungen traktiert. Die unterschiedliche Form jener Erklärungen, die ja von Gestapobeamten formuliert wurden, bewirkten, dass man sie als linguistisch nicht immer "korrekt" bewerten kann. Einige drohen lediglich erneute Straßmaßnahmen an, sollte der Betreffende erneut "auffällig" werden, andere gehen weiter und verlangen zugleich eine "Abschwörung" vom Geistesgut der Zeugen Jehovas.

Von "theokratischer Kriegslist", reden auch die heutigen Zeugen Jehovas noch. Der Fakt als solches wurde von ihnen schon zu Bibelforscher-Zeiten praktiziert. Der Fairnes halber sei eingeräumt, auch andernorts ist ähnliches registrierbar. Etwa beim jesuitischen "Mentalvorbehalt". Man unterschreibt eine bestimmte Wortwahl, interpretiert ihre Substanz aber in ganz anderem Sinne. Auch den Zeugen Jehovas ist eine solche Technik nicht fremd.

Kawell zitiert auch solch einen geradezu vom Mentalvorbehalt durchsetzten Text:

"Mit der Internationalen Bibelforschervereinigung habe ich nichts zu tun und kann eine aktive Betätigung für diese Vereinigung auf keinen Fall zugeben. Wohl gebe ich zu, ein 'Zeuge Jehovas' zu sein ... Ich verstehe unter 'Zeugen Jehovas' nur solche Leute, die die Schrift kennen gelernt und Gottes Gebote befolgen ... Was es mit dem Verbot der Internationalen Bibelforschervereinigung für eine Bewandtnis hat, kann ich nicht sagen. Für mich kommt dieses Verbot nur insofern in Frage, weil die Internationale Bibelforschervereinigung mit den 'Zeugen Jehovas' auf eine Stufe gestellt worden ist. Jedenfalls habe ich dieses so gehört."

Meines Erachtens ist die Diskussion darüber, wer welche Form von "Erklärung" unterschrieben oder nicht unterschrieben hat, relativ müßig. Anders formuliert. Es ist bekannt, dass die Gestapo einige Zeugen Jehovas, auch nach Ablauf ihrer gerichtlich verhängten Strafe nicht tatsächlich freiließ, sondern sie unter der Floskel "Schutzhaft" anschließend in ein KZ beförderte und dies mit unbestimmten Haftausgang. Das waren dann die in Gestapo-Sicht "hartnäckigen" Fälle. Man braucht jedoch nur die Zahl der tatsächlich bis zum bitteren Ende in den KZs verbliebenen Zeugen Jehovas (respektive der dort auch Umgekommenen) ins Verhältnis zu denjenigen setzen, die auch einmal als Zeuge Jehovas gerichtlich belangt wurden. Und es ist festzuhalten, dass von den gerichtlich belangten keineswegs "alle" das Schicksal der "Hartnäckigen" erlitten. Auch die Gestapo war in der Lage in gewissem Umfange zu differenzieren. Ihr in dem Zeitungsartikel "Pauline hatte Pech"  genanntes Opfer wird sie sicherlich nicht auf "eine Stufe" etwa mit den Zeugen Jehovas Engelhard und Cyranek gestellt haben, die mit ihrem Leben bezahlen mussten. Selbst aus den KZ gab es vereinzelte (allerdings die Minderheit) Freilassungen. Genannt sei beispielsweise der einmal ein hoher Zeuge Jehovas gewesene Paul Balzereit. Das Gesamtbild ist also durchaus ambivalent. Es gab auch nicht wenige Zeugen Jehovas, oder meinetwegen "vormalige" derselben, die sich im gewissem Umfang dem Gestapodruck beugten. Mit oder ohne "Verpflichtungserklärung".

ZurIndexseite