"Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan"

Man wird der deutschen Bibelforscherleitung unter Balzereit bescheinigen können, dass, soweit es an ihr lag, sie ihr Möglichstes versuchte, um das Hiterverbot abzumildern, oder im günstigsten Falle seine Aufhebung zu erreichen. Wie man weiß, waren die Verhältnisse nicht so, dass ihr Erfolg beschieden war. "Die Väter aßen saure Trauben und die Kinder bekamen davon stumpfe Zähne" wollte sinngemäß schon ein uralter Bibelspruch wissen (Hesekiel 18:2). Die Bibelforscher waren in Deutschland, aus der Sicht der zeitgenössischen Kirchen, doch "nur" eine religiöse Variante des verhassten Freidenkertums, dass mit Kirchenaustrittsparolen, die Kirchen unangenehm berührt hatte. Man nahm zwar allerhand Kritik in Kauf. Wenn jedoch da jemand auftrat, der auch zum Kirchenaustritt aufforderte - und das taten die Bibelforscher - dann "hörte die Gemütlichkeit auf". Dies war aus Sicht der Kirchen, ihre unverzeihlichste Grundsünde. Über alle theologischen Differenzen, konnte man gegebenenfalls noch jovial hinwegsehen. Wenn es jedoch mittels Kirchenaustrittsparolen ans "Eingemachte" ging, dann wurde man ungemütlich. Dann konnte man sehr schnell etwaige ethische Postulate aus dem Bibelkanon vergessen. Dann hieß die Parole nur noch: "Kampf bis aufs Messer".

In einer Position der inneren Schwäche, suchte man potentielle Bündnispartner. Inzwischen hatte sich das politische Klima in Deutschland dergestalt gewandelt, dass die Zahl derjenigen die da rechten Rattenfängern Gehör schenkten, immer größer wurden. Einem dieser Rattenfänger sollte es doch tatsächlich glücken, nach 1933 die politische Macht in Deutschland an sich zu reißen. Zwar hatte man auch mit ihm und seinesgleichen gewisse Differenzen, aber man glaubte doch, zumindest in der Anfangszeit, ihm eine reelle Chance einräumen zu sollen. Von jenen die als "Deutsche Christen" ganz auf die Linie des Rattenfängers einschwenkten, erst gar nicht zu reden.

Der Rattenfänger war nicht dumm. Er erkannte klar, wo den Kirchen der Schuh drückt. Und so offerierte er ihnen um sich auch bei ihnen beliebt zu machen, schon mal als erstes eine Verfemung des Freidenkertums. Zwar mussten die Kirchen später noch feststellen, dass jenes "Freidenkertum" unter anderem Namen in seiner Gefolgschaft durchaus weiterlebte. Aber man wollte dem Hitler ja, durchaus mal eine Chance geben. Also sah man für's erste über Rosenberg und Konsorten hinweg.

Ach ja, da war ja noch (aus kirchlicher Sicht) eine andere Art Sorte "Freidenker" namens "Bibelforscher". Konnte man die nicht auch gleich mit außer Kurs setzen? Es stellte sich sehr schnell heraus, dass dies keine Problem war. Zumal letztere dem Rattenfänger auch selbst unbequem waren und wurden. Schon in etlichen Ländern, des damals noch föderalistisch gegliederten Deutschland, waren diesbezüglich schon Nägel mit Köpfen gemacht worden. Nur eben noch nicht in Preußen, mit seiner Bundeshauptstadt Berlin. Auch das sollte sich noch ändern. Außenpolitische Rücksichtnahmen, zwangen hier zu einem etwas vorsichtigeren Vorgehen. Aber bald war auch dem Rattenfänger klar, dass diese Rücksichtnahmen nicht länger würden Bestand haben können. Und um seinem Regime eine breitere Basis zu geben, pflegte er in dieser Angelegenheit keine "einsame" Entscheidung zu treffen. Nein, er lud Kirchenvertreter zu Konferenzen diesbezüglich ein, wo man sich gegenseitig bestätigte, dass man mit den verhassten "Bibelforschern" auch nichts am Hut hatt. Aber die Etikette sollte schon gewahrt bleiben. Und so überließen es den die Kirchen dem Rattenfänger, auch diesbezüglich vollendete Tatsachen zu schaffen. Man hielt es mit dem "vornehmen Schweigen". Und signalisierte damit dem Rattenfänger: Deine Entscheidung wird von uns nicht angefochten.

Da waren da noch die Opfer selbst. Sie setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um das Unheil aufzuhalten und nachdem es eingebrochen war, möglichst wieder abzumildern. Und man konnte sogar Erfolge verbuchen. Dem Rattenfänger gelang es nicht, gleich nach der ersten Besetzung der Magdeburger Zentrale, schon vollendete Tatsachen zu hinterlassen. Nein, er müsste sich sogar wieder zeitweilig zurückziehen. Als er merkte, dass gar die USA-Regierung in diesem Poker mit einbezogen wurde, da wurde auch er immer kompromissbereiter. Er ließ sich sogar das Zugeständnis abtrotzen, die Vermögenswerte der Bibelforscher/Zeugen Jehovas freizugeben und sogar ihrer Transformierung ins Ausland - wenn auch widerwillig - zuzustimmen. Aber damit war nun wirklich das Ende der Fahnenstange erreicht. "Bis hierher und keinen Millimeter" weiter lautete die Endparole.

Nachdem die WTG auf diesem Wege ihr Vermögen gerettet hatte und auch sie erkennen musste, mehr ist nicht drin, da wurden auch ihrerseits alle bisher gepflegten diplomatischen Rücksichtnahmen ad acta gelegt. Saß man doch selbst im fernen Amerika. Pflegte man auch früher schon, den einzelnen nationalen Zweigstellen, keinerlei individuelle Kompetenzen zu bewilligen. Die nationalen Zweigstellen konnten, sollten und mussten zwar alles nach Brooklyn melden. Aber Entscheidungskompetenz hatten und haben sie nicht. Nur der Brooklyner Vatikan bestimmt.

Das mussten auch die deutschen Satrapen erfahren. Ihr Anteil an der Vermögensrettung - schön und gut. Aber das war inzwischen "Schnee von gestern". Wollte die WTG doch nicht bloß das Vermögen retten. Sie wollte eigentlich doch mehr und war mit letzterem kläglich gescheitert. Also war die Veränderung ihrer Politik angesagt. Da traf es sich gut, dass der Nazistaat ihren deutschen Statthaltern auch den Prozess zu machen pflegte. Da konnte man es gut nutzen, dass der Nazistaat jene deutschen Statthalter nunmehr wörtlich als Angeklagte anzureden pflegte. Auch ja, da der Nazistaat nun schon mal diese Vorlage geliefert hatte. Warum sollte man sie nicht gleich auch mit benutzen?! Gesagt - getan. Ein diesbezügliches Dokument ist auch die "Wachtturm-Ausgabe" vom 15. 7. 1936, aus der nachstehend noch zitiert werden soll:

"Kürzlich, als einige, die Stellungen von mehr als gewöhnlicher Wichtigkeit in der Organisation und im Werke der Gesellschaft bekleideten, vor Gericht gebracht und angeklagt wurden, sie hätten versucht, Gottes Werk gegen das Verbot der deutschen Regierung fortzusetzen, da versagten die so Beschuldigten vollständig, dass … Gebot des Herrn zu befolgen. Nicht nur unterließen diese Männer, den Namen Jehovas, sein Königreich und seinen König, Christus Jesus, zu erwähnen, denen zu dienen und zu gehorchen sie sich doch verpflichtet hatten, sondern sie machten vielmehr dem Feinde Zugeständnisse, indem sie erklärten, dass sie nichts getan hätten, um den Gesetzen Deutschlands zuwider die Interessen des Königreiches Gottes zu fördern. Eine Abschrift der Zeugenaussagen im Gerichte, dass in Halle über jene Fälle entschied, enthält die folgenden Anführungen aus dem Gerichtsprotokoll, und da es nicht nötig ist, irgendwelche Namen zu nennen, bezeichnen wir, ebenso wie das Protokoll es tut, die betreffenden Personen als die 'Angeklagten.'

Einer dieser Angeklagten nun gebrauchte in seiner Aussage vor Gericht diese Worte:

'Wir waren bemüht, alles zu vermeiden, was gegen das Verbot war (von Deutschland, welches das Predigen des Evangeliums vom Königreich verbot), weil wir der Überzeugung waren und auch heute noch sind, dass Glaubensfreiheit besteht, dass die Regierung (Deutschlands) nicht beabsichtigt, den einzelnen Christen ihren Glauben zu nehmen, und dass wir unbedingt dahin kommen würden und die Möglichkeit gegeben würde, dass die einzelnen Christen ihre Gottesdienste haben dürfen. Es ist meine Überzeugung, dass die Verhandlungen mit der Regierung der einzige Weg seien, um zu einem Resultat zu kommen, und ich habe gebeten, dass die Freunde diese Verhandlungen nicht stören möchten. Alle Informationen sind dieser Art gewesen.'

Die hier angeführten Worte bedeuten offenbar, soviel als: wir müssen eine irdische Macht fragen, ob wir Gott den Allmächtigen anbeten und ihm dienen sollen oder nicht.

Bei derselben am 17. Dezember 1935 in Halle stattgefundenen Gerichtsverhandlung machte ein anderer Vertreter der Gesellschaft, der der Verletzung der deutschen Verordnung angeklagt war, zu seiner Verteidigung folgende Aussagen, die wir hier aus dem Protokoll anführen:

Frage des Vorsitzenden des Gerichts: 'Haben Sie das für erlaubt gehalten, weiter treu zusammen zu stehen und eine Tätigkeit auszuüben?'

Antwort des Angeklagten: 'Nein, ich würde das als eine Verletzung der Verbotsmaßnahmen angesehen haben.'

Frage des Vorsitzenden des Gerichts: 'Ist davon gesprochen worden, dass alle treu zum Glauben halten sollen?'

Dazu gab der Angeklagte die Antwort: 'Das ist nicht besprochen worden. … Wir haben vielmehr einen organisatorischen Zusammenhalt unter den Glaubensfreunden zu verhindern gesucht. Die einzelnen Beamten (der Gesellschaft) waren auch nicht berechtigt, einen solchen Zusammenhalt zu organisieren oder zu fördern.'

Frage des Rechtsanwalts: 'Bei den Besprechungen, die in Magdeburg stattfanden zwischen den Bezirksdienstleitern, sind dort Andeutungen gemacht worden, dass der Einzelne sich seine Existenz suchen solle und das derselbe illegal tätig sein soll?'

Antwort des Angeklagten: 'Nein, im Gegenteil, einmal ist speziell von mir angeregt worden, dass solche Herren, die eine Tätigkeit haben, sie ablegen sollen.'

Die oben angeführten Aussagen der Angeklagten widersprechen durchaus dem, was Gottes Wort gebietet und sind stracks dem entgegengesetzt, was nach dem Erachten der Gesellschaft getan werden muss und was jene Vertreter zu tun angewiesen worden waren. Ihre Worte zeigen, dass sie auf einen Kompromiss mit dem Feinde eingingen. Die aber, die Gott und seinem Königreiche treu sind, müssen seinen Geboten gehorchen, ganz ungeachtet dessen, was irgendeine irdische Macht verordnen oder befehlen mag. Niemand kann sich Gott treu erweisen und seine Lauterkeit gegen Gott bewahren und gleichzeitig auf einen Vergleich mit den Feinden eingehen, indem er aus Furcht vor den Feinden Gottes und seines Reiches es unterläßt oder sich weigert, Gott zu dienen. Lauheit ist ein Greuel in den Augen Gottes (Offb. 3:16). Jehovas Zeugen lieben ihn, und sie beweisen dies durch ihren Freimut bei der Verkündigung des Zeugnisses der Wahrheit an diesem Tage des Gerichts (1. Joh. 4:17, 18). Die Richter, die über die oben erwähnten Fälle zu Gericht saßen, müssen die Halbherzigkeit der Angeklagten deutlich gesehen haben, und sie nahmen dennoch keine Rücksicht auf sie.

Die Gesellschaft würde ungereimt handeln, würde sie nun irgend etwas zugunsten jener Verurteilten unternehmen, nachdem sie sich unter Druck als untreu erwiesen haben. …

Kann da noch irgendein Zweifel in den Gedanken irgendeines Gliedes der wahrhaft gesalbten Tempelklasse darüber bestehen, dass die Schlacht zwischen den Religionisten und den treuen Knechten Jehovas jetzt im Gange ist? Hat diese Schlacht nicht mit wachsender Heftigkeit während der letzten zehn Jahre gewütet? Die römisch-katholische Hierarchie hat alle Geschütze auf die Zeugen Jehovas gerichtet. In Deutschland hat diese böse 'alte Hure' eine Anzahl abgeschreckt, dass sie verstummt sind; doch sind in jenem traurigen Lande viele demütige, treue und wahrhaftige Zeugen geblieben, die entschlossen sind, das Gebot zu befolgen und das Zeugnis zu geben, selbst wenn dies sie ihren letzten Blutstropfen kosten sollte."

ZurIndexseite

1936er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte