Annotationen zu den Zeugen Jehovas
"Der Jonadab"
Man kennt die Strategie auch von den Kommunisten aus der NS-Zeit. Da wurden Tarndrucke angefertigt, die auf dem ersten Blick den Eindruck erweckten, als handle es sich um neutrales Schrifttum. In Wahrheit enthielten sie jedoch kommunistische Agitationsschriften. Soweit es die Kommunisten betraf, wurden ihre Schriften entweder selbst in Deutschland hergestellt, oder illegal eingeschmuggelt. Jedenfalls erfolgte kein regulärer Postversand aus dem Ausland nach Deutschland, da den Kommunisten sehr wohl bewusst war, dass dies ein frei Haus-liefern der Anschriften ihrer Sympathisanten in Deutschland, an die Gestapo gleichkäme.
Was soll man nun diesbezüglich zu Jehovas Zeugen sagen? Auch sie bedienten sich der Taktik der Tarndrucke. Im Gegensatz zu den Kommunisten jedoch, hatten sie die Unverfrorenheit, oder Naivität, ihre Schriften auch auf dem offiziellen Postwege einzuführen. Die Gestapo-Lageberichte des Jahres 1935 sind voll von Beispielen davon.
So notierte die Gestapo
Frankfurt/M., Regierungsbezirk Wiesbaden in ihrem Lagebericht vom Mai 1935:
"Im laufe des Monats wurden im Wege der
Postnachschau zweimal je eine größere Sendung (etwa 700-800 Stück) Drucksachen der
Bibelforscher angehalten und beschlagnahmt. Bei der ersten Sendung handelte es sich um die
Broschüre 'Der Weg' eine Ersatzzeitung für das 'Goldene Zeitalter' während die zweite
Sendung 'Prophezeiung über die Bäume', eine Ersatzzeitung für den 'Wachturm' enthielt.
Zur gleichen Zeit machte auch die
Gestapo Oldenburg eine analoge Meldung:
"Den Anhängern der Internationalen
Bibelforschervereinigung gehen fortlaufend unaufgefordert Druckschriften aus der Schweiz
zu, die fast in allen Fällen durch Postkontrolle erfaßt werden."
Im September 1935 meldet die
Gestapo Aachen:
"Dagegen wurde eine Versendung von
Werbeschriften seitens der Ernsten Bibelforscher aus der Schweiz festgestellt. Erfaßt
wurde eine neue Halbmonatsschrift, die sehr geschickt getarnt ist und sich betitelt 'Der
neue Sproß', erschienen im Verlag Jakob Grädel, Biel-Schweiz, Rebenweg 14. Erst im
letzten Artikel erfährt der Leser, welchen Zweck diese Schrift verfolgt
Weiter
wurden durch Postkontrollen zwei Druckschriften 'Gebahnte Straße' und 'Das Verstehen der
Prophetie' der Sekte Internationale Bibelforscher erfaßt. Die Druckschrift 'Die gebahnte
Straße' erscheint ebenfalls in der Schweiz und ist durch den Verlag A. F. Vögeli,
Solothurn/Schweiz Schloßweg Nr. 1 zu beziehen. Aus der Druckschrift 'Das Verstehen der
Prophetie' ist der Herausgeber und der Verlagsort nicht zu erkennen."
In einem zusammenfassenden
Gesamtbericht für das Jahr 1935, referiert die Gestapo:
"In den letzten Monaten wurden
hauptsächlich die folgenden, meist aus der Schweiz eingeführten Schriften erfaßt:
'Gefangene', 'Zeitenwende', 'Jungfrau',
'Simson'; 'Die Stadt der Sicherheit', 'Das goldene Zeitalter'; 'The Watch Tower and Herald
of Christ's Presence', 'Erhaltung'.
Sobald eine Zeitschrift verboten wird,
erscheint eine neue, die nichts anderes als eine Ersatzschrift ist. Der Inhalt aller
dieser Zeitschriften ist dem Sinne nach stets der gleiche.
Januar 1936 noch, meldet die Gestapo
Düsseldorf:
"Druckschriften aus der Schweiz werden indessen immer noch an ehem. Anhänger der
Bibelforscherbewegung versandt. An neuen Bibelforscherschriften wurde eine neue
Ersatzschrift der verbotenen Druckschrift 'Der Wachtturm' ohne Impressum mit dem Titel
'Versuchung' erfasst."
Analog registriert Kiel im Februar 1936:
"Obwohl die Einfuhr der aus dem Ausland kommenden Druckschriften der IBV schon an den
Grenzen unterbunden werden soll, tauchen immer noch zahlreiche Exemplare dieser Schriften
aus der Schweiz und aus Polen im hiesigen Bezirk auf."
Offenbar waren besonders die Jahre 1934-35 die Hochphase dieser Entwicklung. Mit Befremden nimmt man allerdings zur Kenntnis, dass da von Jehovas Zeugen auch in beträchtlichem Umfange der offizielle Postweg genutzt wurde.
Zur Erinnerung: Noch in der Ausgabe vom 15.
Oktober 1934 des Schweizer "Goldenen Zeitalters" war eine scharfe Resolution an
Hitler abgedruckt, in der sich unter anderem auch die Sätze finden: "Als gläubiger
Mann, der Sie vorgeben zu sein, müssen Sie sicherlich auch Kenntnis besitzen von der
Warnungs-Botschaft Gottes an alle Herrscher der Erde, wenn in Psalm 105 Verse 14 und 15 an
sie die Worte gerichtet sind:
'Er (Gott) strafte Könige um ihretwillen. Tastet meine Gesalbten nicht an und tut meinen
Propheten kein Leid!'"
Nur zwei Monate später, wurden Exemplare der gleichen Zeitschrift ins Hitlerdeutschland auf dem offiziellen gesandt. Fast der gleichen Zeitschrift, muss noch korrigierend hinzugefügt werden. Da dort selbstredend ein Vertrieb über Zeitungskioske nicht erfolgen konnte, blieben als effektive Empfänger nur solche deutsche Zeugen Jehovas übrig, deren Adressen man auch in der Schweiz inzwischen gesammelt hatte. Die Gestapo hat das zwar nicht ausdrücklich vermerkt. Aber immerhin wird sie auf ihre Art und Weise, für diese Sekudantendienste dankbar gewesen sein.
Ein solches Tarnexemplar habe ich jetzt
vorzuliegen. Es nannte sich nicht mehr "Das Goldene Zeitalter". Dafür war der
neue Name: "Der Jonadab. Zeitschrift für Menschen guten Willens". Als Verlag
wird darin im Impressum angegeben: "Der Jonadab", Handelshof 38, Zürich. Auch
eine Anschrift für Österreich ist enthalten:
Peter Gölles, Floriangasse 54, Wien 8. Jener Gölles der später dann mit zu den
verhafteten österreichischen Zeugen Jehovas gehörte, nach der Naziokkupation jenes
Landes.
Auch werden im Impressum die genauen Bezugspreise für ein Abonnement (halbjährlich oder jährlich) genannt. Fein aufgegliedert jeweils für die Länder: Schweiz, Österreich und Deutschland. Letzteres muß man sich besonders auf die Zunge zergehen lassen.
Vergleicht man nun den Inhalt dieser Zeitschrift (Nr. 4 vom 15. Dezember 1934) stellt man fest, sie ist völlig synchron mit der gleichen Ausgabe des "Goldenen Zeitalters". Sogar die Reklame für die Rutherford-Broschüre "Heim und Glück" findet man parallel in beiden Ausgaben. Der einzige wesentliche Unterschied den ich entdecken konnte war der, dass das "Goldene Zeitalter" auch noch diverse Reklamen für (überwiegend französischsprachige) Radiosendungen der Zeugen Jehovas enthielt. Das hatte "Der Jonadab" so nicht mit übernommen. Ein schwacher Trost, angesichts dessen, dass seine Hauptfunktion in der Lieferung von Zeugen Jehovasanschriften an die Gestapo bestand!