Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Preußische Kirchenzeitung

Wie schon ausgeführt, stellte die protestantische Staatskirche, auch in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, k e i n e n monolithischen Block dar. Man begegnet in ihnen nicht selten Strömungen, die sich gegenseitig "nicht grün" sind; die den anderen lieber außer- denn innerhalb dieser Staatskirche sähen. Lediglich äußeren Zwängen geschuldet, spricht man das nicht immer so deutlich aus. Waren die Bibelforscher auch in erster Linie "Thema" der "Landeskirchlichen Gemeinschaften"; so bedeutet das nicht, dass "nur" sie mit ihnen sich auseinandersetzten. Andernorts vielleicht nicht so intensiv wie auf Seiten der "Landeskirchlichen Gemeinschaften"; das ist unbestritten. Aber solche Auseinandersetzungen gab es auch andernorts. Mit an forderster Stelle ist dabei die "Preußische Kirchenzeitung" zu nennen, in der man gleichfalls im Jahre 1908 einiges dazu lesen konnte.

Ein dort zum Thema schreibender W. Siegmeyer macht schon eingangs deutlich, dass er mit den "Landeskirchlichen Gemeinschaften" nicht allzu viel am Hut hat.

In der "Preußischen Kirchenzeitung" vom 4. 10. 1908 liest man:

Andere Führer (der Gemeinschaftsbewegung) wie Samuel Keller u. a., leugnen kühn die Ewigkeit der Höllenstrafen. Kurz, es steckt in der heutigen Gemeinschaftsbewegung unter dem Wust erbaulicher Phrasen und eschatologischer Schwärmereien mancher Gedanke, der der modernen Theologie entlehnt ist. Man würde sich allerdings wohl hüten, ihn zu akzeptieren, wenn man wüßte, daß er aus dieser Quelle stammte. Meistens hat er einen weiten Weg zurückzulegen, ehe er hier vor den Gläubigen erscheint, er geht über England oder Amerika.

Besonders aus Amerika ist manches in die deutschen Gemeinschaftskreise eingedrungen, was der deutschen Theologie seinen Ursprung verdankt. Diese Bemerkungen wollte ich vorausschicken, ehe ich von der 'Zionswachtturm Bibel und Traktat-Gesellschaft' redete.

Seit Jahren ist in Barmen, also inmitten des Wuppertales, dem Horde pietistischer Frömmigkeit und zugleich eifrigen Sektenwesens, eine Gesellschaft unter diesem Namen tätig, und sich bemüht, durch geschickte Reklame in kirchlichen und vorwiegend in Gemeinschaftsblättern, Propaganda für ihre Ideen zu machen. Sie findet viele Anhänger in Gemeinschaftskreisen und oftmals sind selbst, wie ich gehört habe, Pastoren ihr gegenüber hilflos (allerdings muß es um deren Theologie schwach bestellt sein). Die Ideen, die von dieser Gesellschaft verbreitet werden, muten uns merkwürdig an.

Beide Arten werden mit urwüchsiger Naivität vorgetragen und von ihren Anhängern mit fanatischem Eifer als etwas ganz Neues verkündigt und verteidigt. ...

Große Mittel stehen zur Propaganda zur Verfügung; denn jedem der sich als Unbemittelter darum bewirkt, wird das große Werk von Russell gratis zugesandt.

Das Hauptcharakteristikum der erwähnten Gesellschaft ist die scharfe und oft polternde Polemik gegen die heutigen Kirchen jeglicher Konfession. Ein Zug, der sie den Darbysten sehr nahe rückt.

Ihre Ideen (ich stütze mich hier auf das erwähnte Werk von Russell, einem längeren Artikel in einer Barmer Lokalzeitung, sowie auf private Nachrichten) sind kurz folgende:

1. Die Unsterblichkeit der Seele ist heidnisch, nicht biblische Lehre und man sagt den Leuten wissentlich oder unwissentlich die Unwahrheit über diesen Gegenstand von der Kanzel aus.

2. Der Lohn der Sünde ist nicht die Qual der Hölle, sondern der Tod. Von dem erwähnten Artikel in der Barmer Zeitung drucken wir einiges ab, um unsern Lesern eine Probe von der sonderbaren Polemik zu geben. Der Titel schon ist bezeichnend, er lautet;

'Die Christenheit in großer Gefahr! Die Zeit ist da, in welcher die Fundamente der christlichen Kirche; der Trugglaube an die Unsterblichkeit der Seele und das Märchen von der Feuerqualhölle durch die Bibel selbst unrettbar gestürzt werden."

Dann heißt es in dem Aufsatz:

"Noch nie hat man die heidnische kirchliche Lehre von der Unsterblichkeit der Seele so kräftig verteidigt, wie gerade in unseren Tagen. Das hat seinen Grund darin, daß man einsieht, daß, wenn man diese Lehre fallen läßt, dann auch die die Menschen in Furcht jagende Feuerhöllentheorie fallen lassen muß.

Ist die menschliche Seele unsterblich? Der Heide Plato sagt: Ja, sie ist unsterblich. Und diese heidnische Lehre hat man dann auch den Christen als biblische Lehre aufgezwungen. Man sollte es kaum glauben! Ist's da ein Wunder, wenn man das Christentum eine Verdummuungsreligion genannt hat?!

Deutsches Volk, du bist betrogen worden, durch die Herschsüchtelein eines mittelalterlichen, ja antiken Pfaffentums! Man will dir auch heute noch nicht die Wahrheit sagen, weil man weiß, daß mit der Lehre von der Unsterblichkeit bzw. Sterblichkeit der Furcht und Schrecken jagende Lehre von der Feuerqualenhölle und vom Fegefeuer steht und fällt. Wach endlich auf; deutscher Michel! Auch deine Führer - wir nehmen sie in Schutz; denn sie meinen's gut - haben's bisher nicht besser gewußt. Wohl hat schon Luther gegen die heidnische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele protestiert - aber - das hat man dir wohlweislich verborgen!"

Hervorragende Führer der Gemeinschaftsbewegung, wie Professor Ströter, Pastor Krawielitzki, Pastor Stockmeyer haben sich schon ganz oder teilweise dem von der "Zionswachtturm Gesellschaft" vertretenen Ideen angeschlossen.

Trotz des religiösen Enthusiasmus, mit dem sie auftreten, können diese Kolporteure nur Verwirrung anrichten.

In der Ausgabe vom 18. 10. 1908 der "Preußischen Kirchenzeitung" liest man dann noch in einem abgedruckten Leserbrief, der auf den zuvor zitierten Artikel Bezug nimmt:

Zu dem Artikel 'Zionswachtturm' ... ist ergänzend zu bemerken, daß die angeführte Barmer Zeitung eine sozialdemokratische war, nachdem, wie es zu dem betr. Aufsatz eines Pastors em. hieß, die bürgerlichen Blätter die Aufnahme des Aufsatzes abgelehnt hatten. Diese Momente scheinen für die Beurteilung der Sachlage und des Wuppertals keineswegs ohne Bedeutung zu sein. Übrigens war in jenem Aufsatz des Pastors em. weder vom Verfasser noch von der Redaktion irgendwie auf den Zusammenhang zwischen den dargelegten Ideen und dem 'Zionswachtturm' hingewiesen worden.

Auch dieser Leserbrief in der bürgerlichen "Preussischen Kirchenzeitung" ist durchaus charakteristisch. Wie gelesen, wurde es nicht versäumt, die neu aufgekommene Bibelforscherbewegung, zugleich politisch zu denunzieren. Diese Tendenz sollte sich auch in späteren Jahrzehnten noch fortsetzen.

In der Ausgabe vom 1. 11. 1908 der "Preußischen Kirchenzeitung" gibt es von dem Artikelschreiber Siegmeyer noch einen "Nachschlag". Nun erschien es ihm noch wichtig festzustellen:

In Nr. 40 der 'Preußischen Kirchenzeitung' schrieb ich, daß Ströter, Krawlieitzki, Stockmeyer sich ganz oder teilweise den Ideen der darbystisch-adventistischen 'Zionswachtturm Gesellschaft' angeschlossen hätten. Ich dachte hierbei an die Äußerungen der genannten Männer auf der diesjährigen Gnadauer Konferenz in Wernigerode. Triumphierend berichtet die Zeitschrift der 'Zionswachtturm Gesellschaft' von dieser Konferenz, daß jene Männer für ihre Ideen in herrlicher Weise gezeugt hätten.

'Licht und Leben', ein in Gemeinschaften vielgelesenes Blatt, berichtet, daß zwar die Genannten in Wernigerode wirklich solche Gedanken vertreten hätten, daß aber 'die biblische Wahrheit durchleuchtete und den Sieg gewann.'

'Die Milleniumsleute nehmen die Vertreter der in Gnadau vorgetragenen Anschauungen für sich in Anspruch; wir denken die Brüder Krawielitzki, Stockmeyer, Ströter werden sich dafür bedanken.' (Zu dem mitgenannten Ströter; siehe auch: Theologische Israelverklärung

Man lese nur die Thesen, die Krawielitzki in Gnadau seinem Vortrag über 'Die Zubereitung der Gemeinde Gottes auf den Tag Jesu Christi und die Evangelisation der Welt' aufstellte:

1. Die Gemeinde Gottes oder der Leib Jesu Christi ist die Schar von Erstlingen und Überwindern, die während dieses Zeitalters (cf 'Der Plan der Zeitalter' von Russell) aus allen Nationen gesammelt und gleichgestaltet werden soll dem Ebenbild des Sohnes Gottes, auf daß er sei der Erstgeborene unter vielen Brüdern.

2. Die Gemeinde Gottes wird vollendet bei der Entrückung in der sich das Haupt mit seinen Gliedern verbindet, so daß der Leib Jesu Christi - ein nun abgeschlossener fertiger Organismus - dem Haupte für seine weiteren Aufgaben als Werkzeug zur Verfügung steht.

In den Thesen 3 - 5 findet man Gedanken von der Bekehrung Israels und der Evangelisation der Welt, die, auf Grund des Römerbriefes entwickelt, wohl der gesamten Gemeinschaftsbewegung eigen sind.

These 6 und 7 sind bemerkenswert.

6. Zu der Gemeinde Gottes, zum Leibe Christi gehören nicht alle Erretteten, sondern nur die, welche als mit Christo Gekreuzigte, Gestorbene und Auferstandene zielbewußt unter den Leiden dieser Zeit in sein Ebenbild sich ausgestalten lassen.

7. Weder 'Volkskirchen' noch 'Freikirchen' oder 'Gemeinschaften' und 'Gemeinden' können in unserem Zeitalter 'Reichsgotteszustände' (d. h. eine heilige reine Gemeinde darstellen) herbeiführen, sondern dienen lediglich als Werkstätten oder Baugerüste, in welchen die zu der Gemeinde Gottes Gehörenden unter allen Wechseln und Verfall ausreifen zu völlig gelösten, allein an das Haupt gebundenen Gliedern.

Unschwer wird man die Verwandtschaft mit den Ideen von 'Zionswachtturm' erkennen.

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