Annotationen zu den Zeugen Jehovas

2tes Wilting-Buch

Was kommt "nach" den Zeugen Jehovas? Das ist eine Frage die viele umtreibt. So auch Joseph Wilting aus Norwegen, dessen Lebensbiographie durch vier Jahrzehnte Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas geprägt war. In seinem ersten Buch "Das Reich das nicht kam" hat er sich und anderen darüber Rechenschaft abgelegt.

Als 1986 seine Zeugen Jehovas-Phase endgültig beendet war, fasste er den Entschluss weiterhin einer christlichen Gemeinschaft angehören zu wollen. Dies ist in der Tat durch seine Biographie erklärbar. Vier Lebensjahrzehnte "steckt" man nicht so einfach weg, als hätte es sie nie gegeben. Das wirkt weiter. So auch im Falle Wilting.

Seine Grundsatzentscheidung war gefällt. Es stellte sich nur noch die Frage ihrer praktischen Ausgestaltung.

Da kam ihm zugute in seiner Nachbarschaft freundlichen Menschen zu begegnen, die einer Art Freikirche angehören. Den sogenannten "Smith'schen Freunden". Hierzulande nicht so sehr bekannt. Gleichwohl in Norwegen so an die 7.000 an der Zahl. Dort fand er und seine Familie einen ersten Neuanschluss. Besonders beeindruckte ihn die Herzlichkeit mit der er in diesen Kreisen aufgenommen wurde. Das war doch die "Saite seiner Seele", die ihn besonders ansprach. Tief beeindruckt war er auch durch tätige, kostenfreie (wenn auch nicht kostenlose) Nachbarschaftshilfe. Er zieht den Vergleich. In diesem Umfang hat er ähnliches nicht bei den Zeugen Jehovas kennengelernt. Wer sich dort verausgabt tut es für die WTG. In der Regel jedoch nicht für seine Mitchristen in seinem unmittelbarem Umfeld.

Das wäre es dann doch gewesen könnte man meinen. Nun hat er doch das gefunden was er im tiefsten Inneren schon zu Zeugen Jehovas-Zeiten gesucht; aber da doch nicht so recht gefunden hatte. Aber wie das so mit "kostenlos"-Angeboten ist. Letztendlich "umsonst" sind sie nicht. Ein "versteckter" Preis wird allemal fällig. Das sollte auch Wilting noch erfahren.

Der Preis hieß im Falle dieser "Freikirche": "Nur wir." "Nur wir sind die wahren Christen". Das kannte Wilting schon aus ZJ-Tagen. Er hätte sich nun dieser Anforderung unterordnen können. Es so halten wie die anderen "Smith'schen Freunde" streng autoritär auf deren Führung ausgerichtet zu sein. Ja sie fast anzubeten. Zumindest sie jedenfalls mehr zu zitieren bei allen passenden oder unpassenden Gelegenheiten, als etwa die Bibel.

Hätte Wilting es geschafft, diese "Kröte" herunterzuschlucken; wäre wohl alles gut. Er wäre wohl fest integriert in diese Gemeinschaft aufgenommen gewesen.

Der Chronist indes hat festzustellen: Wilting hat es nicht geschafft. Er ist dort an dieser Klippe gescheitert. In Wiltings eigenen Worten:

"Nach und nach wurde ich mit anderen Smiths Freunden bekannt. Der Glaube und die Aufrichtigkeit, besonders der Menschen an der Basis, machte einen großen Eindruck auf Jellie (seine Frau) und mich. Was uns nach dem Bruch mit den Zeugen Jehovas half, war zum Teil der Kontakt mit diesen aufrichtigen Menschen. Wir wurden von der Liebe und Zuwendung, die wir erfuhren, überwältigt. Bei unserer Suche nach einer geistigen Gemeinschaft machten wir sowohl positive Erfahrungen mit den FREUNDEN als auch solche, die uns veranlaßten, nach und nach Abstand zu nehmen.... Ich erlebte auch eine 'kontrollorientierte Leiterschaft' … die großen Wert auf Untertänigkeit und Gehorsam gegenüber den Leitern der Bewegung legte.

In Ansprachen und Gesprächen mit Smiths Freunden werden diese großen Leiter ständig zitiert …"

Einmal ist keinmal, sagte sich wohl auch Wilting. Es fällt schon mal auf, dass er bei seiner "Suche" besonders jene Formen des Christentums nicht in die nähere Betrachtung einbezog, die andere vielleicht als liberal oder meinetwegen auch verweltlicht bezeichnen. Die waren für ihn "kein Thema". Da er mit den Smith'schen Freunden doch wohl nicht so recht glücklich geworden war, versuchte er es als nächstes mit pfingstlerisch orientierten Gruppen. Auch hierbei beeindruckte ihn wiederum die Herzlichkeit, mit der auch dort potentiellen Neuzugängen begegnet wird. Angesprochen hat ihn weiter, dass im Vergleich zur "trocken rationalen" Zeugenreligion dort auch besonders der Bereich des Emotionalen weit größeren Stellenwert findet. Etwa im Gesang und vielem anderem mehr. Auch damit hätte Wilting leben können. Er war auch dazu willens. Trotzdem klappte es letztendlich auch diesmal nicht so recht.

"Du musst ein Baby sein", fordert eine bestimmte Religionsgemeinschaft, die bei Wilting zwar namentlich nicht vorkommt. Aber in der Tendenz sehr wohl. Hätte er das geschafft, dann hätte es diesmal geklappt. Nüchtern hat man festzustellen. Wilting hat es nicht geschafft. In seinen eigenen Worten liest sich das so:

"Leider habe ich erfahren müssen, daß viele Kirchen und Gemeinden eine Denkweise eindringen ließen, die darauf hinausläuft, daß lehrmäßige Auseinandersetzungen fehl am Platz sind. Im Namen des 'Friedens' und der 'Einheit' müsse man nämlich aufpassen, daß man nicht streitsüchtig, diskussionssüchtig und polemisch werde, sagen einige. Andere wiederum sagen: 'Ich bin mit dir einig in dem was du sagst, aber nicht darin, daß du es sagst. Du wirst Wellen schlagen und die Menschen aufscheuchen. Dies wird in der Kirche und in der Gemeinde Probleme verursachen.' Manche haben mir sogar gedroht, Gott werde es mir schon zeigen, als ich mich gegen bestimmte Ansichten des pfingstlerischen oder charismatischen Milieus wandte."

In der Nach-ZJ-Zeit sind viele Weichenstellungen möglich. Eine davon, bewusst weiter Christ sein zu wollen. Gerade bei vielen freikirchlichen Christen ohne ZJ-Trauma zeigt es sich, dass sie besonders dem erlebten Gemeinschaftsgefühl einen hohen Stellenwert beimessen. Auch für von den Zeugen Jehovas Kommende ist das vielfach ein sie besonders ansprechender Aspekt. Wer die Entscheidung trifft, das sei das wesentliche, diesem Kriterium muss auch meine Nach-ZJ-Zeit entsprechen, wird in nicht seltenen Fällen in eine ähnliche Entscheidungssituation wie Wilting hineingeraten. In Deutschland wird er dabei wohl kaum auf "Smith'sche Freunde"; sehr wohl aber auf etliche andere Freikirchen oder Freikirchenähnliche Gemeinschaften stoßen. Lässt er sich auf sie ein, wird ihn früher oder später auch die Frage einholen: "Schaffe ich es wieder nur ein Baby zu sein"? Ich fürchte indes für etliche dieses Genres, die da liberale Varianten meinen grundsätzlich ausschließen zu sollen. Sie werden ähnliche Erfahrungen wie Wilting sammeln. Sie haben jetzt - sofern sie denn "wollen" - zumindest die Chance das schon mal vorher "durchzuchecken", was sie denn ihre Entscheidungsoption letztendlich kosten wird. Das zweite Wilting-Buch bietet eine gute Möglichkeit dazu.

Wilting seinerseits zog sich nach einigen Erfahrungen vorgenannter Art zeitweilig auf die Position zurück, eine Art "Individualchrist" nunmehr sein zu wollen. Anders formuliert. Christ ohne feste - de jure - Organisationsbindung. Dies mag in seinem Fall, biographisch erklär- und verstehbar sein. Letztendlich beantwortet es aber nicht die Frage: Was wählt denn der, der da meint eines organisatorischen Korsetts weiterhin zu bedürfen? Wilting's Wahl wurde geschildert; und auch hinzugefügt, dass von seinem Ansatz her sich eine gewisse Zwangsläufigkeit ergab. Es muss gestattet sein auch darauf hinzuweisen, dass ein anderer Ansatz, nicht unbedingt in die fundamentalistische Ecke führen muss, wie sie hier offenbar vorliegt.

Auch dies blieb nicht seine letzte Entscheidung. Die ist wohl in seiner Aussage auf S. 301 zu sehen, es nunmehr - spät - auch mal mit den "Großkirchen" zu versuchen.

Zitat: "Vielleicht ist die Norwegische Kirche für ehemalige Sektenmitglieder besonders günstig, denn sie ist geräumig und wenig kontrollierend und vermindert das Risiko, daß traumatische Erlebnisse aktiviert werden. Hingegen legen manche freien Gemeinden größeren Wert auf lehrmäßige, gefühlsmäßige und soziale Verhältnisse, Erscheinungen, die für sich allein nicht negativ sein müssen, die aber für ehemalige Sektenmitglieder problematisch sein können."

Eines wird man wohl auch noch sagen können. Dieses Buch kann nicht nur für den Umkreis Zeugen Jehovas interessant sein. Es ist es gleichermaßen, wenn nicht gar noch größer; auch für den Bereich Pfingstbewegung, Charismatiker und ähnliches. Die Zeugen Jehovas sind von den Großkirchen vielfach geächtet. Die Pfingstler hingegen nicht. Pfingstler und Großkirchen sind sich zwar auch nicht "grün". Aber dennoch duldet man sich gegenseitig, verschweigt schamhaft was nicht zu verschweigen eigentlich angesagt wäre. In diesem Punkt macht Wilting das "Spiel" nicht mit. Letztendlich kommen auch die Pfingstler und Verwandte in seinem Buch nicht gut weg. Und ich meine, im Gegensatz zu den großkirchlichen "Schönrednern". Wilting legt hier berechtigt den Finger in eine Wunde!

Joseph Wilting

„Herr, zu wem sollen wir gehen?"

Jena 2003 (2. Auflage)

ISBN: 3-934601-75-8

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Joseph Wilting (erstes Buch)

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