Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Christl Wickert und andere
Nachdem die Dissertation von
Detlef Garbe seit 1993 auch in Buchform vorliegt, entdeckte die Zeugen-Leitung, dass diese
Thematik sich auch für eine Public-Relation-Aktion nutzen lässt. Und so werden denn seit
jenem Zeitpunkt immer neue Austellungsorte mobilisiert, um der ach so unwissenden
wissenschaftlichen Öffentlichkeit darzulegen, wie man im NS-Regime doch widerständiges
Verhalten an den Tag gelegt habe.
Das selbst G. dabei zu dem Schluss
gelangt ist, dass dieses widerständige Verhalten, zwar respektabel, aber nicht geeignet
ist als Vorbild für eine demokratisch verfasste Gesellschaft zu dienen, wird als
mit zu schluckende Kröte" in Kauf genommen. Zumal sich ja ohnehin die
Möglichkeit bietet, diesen Aspekt im Kleingedruckten" verschwinden zu lassen.
Heroisch sei man gewesen, und soweit es die Zeugen Jehovas betrifft, die als
Wehrdienstverweigerer im Ernstfall ihr Leben auf dem Schafott ließen, ist dem, diesen
Aspekt betreffend, zuzustimmen.
Allerdings gilt es auch die damalige
Motivationslage zur Kenntnis zunehmen. Im Pahl-Rugenstein-Verlag erschien Ende 1998 das
Buch von Hans-Werner Kusserow Der lila Winkel. Die Familie Kusserow. Zeugen Jehovas
unter der Nazidiktatur". Letztere war auch von dieser Sachlage betroffen. Kusserow
veröffentlicht darin auch den Schriftwechsel, den seine Mutter, Hilda Kusserow mit einem
damit befassten Rechtsanwalt führte. Dieser hatte ihr geschrieben:
Ich rate Ihnen dringend,
möglichst sofort an Ihren Sohn zu schreiben, dass er seine bisherige Haltung aufgegeben
und sich zum Militärdienst bereit erklären soll. Nur so können Sie sein Leben retten,
wozu Sie auch als Mutter verpflichtet sein dürften."
In ihrer Antwort darauf schrieb Frau
Kusserow unter anderem auch: Wir sind nicht im Zweifel, dass das Königreich Gottes
bald den Sieg davontragen (wird).
Steht mein Sohn im Dienste des Königreiches
Gottes, so muss er seinen Gehorsam beweisen, selbst bis in den Tod."
Was das baldige Königreich
Gottes" anbelangt, so hat der Schreiber dieser Zeilen, dazu nicht nur eine
unverbindliche Wischi-waschi-Meinung", sondern eine klare, sehr dezidierte. Und
in diesem Kontext kann man als Kommentar dazu sagen: diese Opfer erfolgten für ein
Phantom!
Nach 1945 hätte sich für die Zeugen
Jehovas-Organisation schon damals die Möglichkeit geboten, ihre Erfahrungen mit dem
NS-Regime auch einer größeren, interessierten wissenschaftlichen Öffentlichkeit
darzulegen. Das Buch von Kusserow und ähnliches, erschien in diesem Kontext einige
Jahrzehnte zu spät.
Es wäre angezeigt gewesen, dass
solche Zeitzeugenberichte schon unmittelbar nach 1945 erschienen wären, wie dies bei
anderen vergleichbaren Opfergruppen durchaus der Fall war. Nicht so bei den Zeugen
Jehovas.
Den Hintergrund dazu kann man im
Jahrbuch 1974 der Zeugen Jehovas" nachlesen. Dort wurde ein Rundschreiben
abgedruckt, das seitens der Zeugen Jehovas-Organisation, unmittelbar nach 1945 an die
deutschen Zeugen Jehovas adressiert war. In ihm konnte man auch lesen (S. 212, 213):
"Manche von Euch haben Jahre
hindurch sehr gelitten, indem sie sich entweder in Gefängnissen oder in
Konzentrationslagern befanden oder sonstwie verfolgt wurden. Es wird sich aber niemand von
denen, die besonderer Leiden um des Namens des Herrn willen wert geachtet wurden, etwas
darauf einbilden, und sich über andere erheben, die nicht (Jahre) in Gefängnissen oder
Konzentrationslagern zubringen mussten.
Es sollte sich niemand von Euch vor den
Mitmenschen wegen seines Leidens brüsten oder besonders hervortreten.
Lässt uns
niemand verurteilen, der vielleicht in einiger Augen Kompromisse gemacht hat oder dazu
bereit gewesen wäre."
Letzterer Satz trifft die Sachlage
insofern schon nicht, dass seitens der Zeugen Jehovas sehr wohl Verurteilungen von
Kompromissbereiten erfolgten. Namentlich zu nennen wären beispielsweise die Fälle Paul
Balzereit (Senior und Junior) sowie im gleichen Atemzug auch Hans Dollinger.
Von Dollinger beispielsweise ist der
Satz überliefert, dass es für ihn schockierend war feststellen zu müssen, dass die
Wachtturmgesellschaft unter Einschaltung der USA-Regierung, alles tat um materielle Werte
in Hitlerdeutschland zu retten, dass die gleiche Organisation ihn und Balzereit wie eine
heisse Kartoffel" jedoch fallen lies, nachdem sie als Mohr der seine
Schuldigkeit getan hat, ihren Teil zur Rettung dieser Vermögenswerte beigetragen hatten.
Die Arbeit von G., war für die WTG
sozusagen eine Art Initialzündung. Erst danach, wurde von ihr, das vorstehend
zitierte 1945-er Rundschreiben außer Kraft gesetzt. Es wäre jedoch ein
Trugschluss zu meinen, das G. der einzigste" sei, der sich wissenschaftlich mit dieser Thematik befasst
hat oder befasst. Seine Studie ist allerdings der Zeit noch immer die umfänglichste dazu
auf dem deutschen Markt.
Das auch noch andere sich damit
befassen, wird auch durch den von Hans Hesse herausgebenden Sammelband deutlich, der ganz
offensichtlich in seiner Ausstattung und inhaltlichen Tendenz als massiv von der
Wachtturmgesellschaft subventioniert, einzuschätzen ist. In diesem Sammelband hat sich
eine illustre Gesellschaft" zusammengefunden. Nämlich etliche derjenigen, die
sich von der Wachtturmgesellschaft zu Propagandazwecken instrumentalisieren lassen.
Am interessantesten ist es jedoch zu
sehen, wer in diesem Sammelband nicht vertreten ist. So beispielsweise: Renate
Lichtenegger, Walter Struve, Monika Minninger, Elke Imberger und andere mehr, die sich
allesamt auch durch fundierte Studien zum Thema ausgewiesen haben.
Ihr Fehler" war es dabei
nur, dass sie dabei nicht gleichfalls nur undifferenziert das Loblied der
Wachtturmgesellschaft sangen. Sie sich somit nicht für die Propagandazwecke der WTG
eignen.
Eine gleichfalls in diesem Sammelband
nicht vertretene Autorin ist Dr. Christl Wickert. Auch sie hat sich durch eine
einschlägige fundierte Studie ausgewiesen. Inzwischen ist sie auch in der
Gedenkstätte Neuengamme tätig, deren Leiter bekanntlich Dr. G. heisst. Also
fernerhin dürfte von ihr wohl kaum Kontroverses zu G. zu erwarten sein. Das soll aber nicht daran hindern,
ihre "Vor-G.-Studie" auch zur Kenntnis zu nehmen. Wenn man sie liest, dann
wird einem allerdings schon klarer, weshalb die WTG-Salbader auch für sie keine
Verwendung hatten.
Wie auch Imberger, so hat auch Wickert
ihr Aktenstudium in vergleichender Form durchgeführt. Beide AutorInnen werteten Akten
sowohl von Bibelforschern und Kommunisten aus und nahmen sich auch die Freiheit bei Namen
zu benennen, wo sie partielle Gemeinsamkeiten sahen.
Im Falle von Wickert betraf dies die
überlieferten Gestapo-Akten aus dem Raum Düsseldorf und Essen. Darunter 180 Akten
Bibelforscher betreffend (vgl. Grebing, Helga; Wickert, Christl (Hrsg.) Das 'andere
Deutschland' im Widerstand gegen den Nationalsozialismus", Essen 1994 S. 200-225).
Ein markanter Kernsatz (S. 202):
Im Rahmen meiner Untersuchung traf ich mehrere Zeitzeuginnen, die mir ihre
Geschichte von Leben und Arbeit in der Zeit des Nationalsozialismus aus heutiger Sicht
berichteten, die mit den über sie angelegten Gestapo-und Gerichtsakten verglichen werden
konnten. Vieles taucht in den Erinnerungen von heute nicht mehr auf.
Namen und Aktionen haben immer nur
andere verraten.
Konfrontiert man einen Menschen mit über 45 Jahre alten
Informationen - zudem aus Quellen, die im Zusammenhang mit Terror und Folter entstanden
sind -, die ein nach den eigenen moralischen Grundsätzen falsches Verhalten
dokumentieren, bricht die mühsam über die schlimmen Erfahrungen gebastelte Konstruktion
und Einordnung in den Gesamtlebenslauf zusammen."
Sie vertritt weiter die Meinung:
Die
Möglichkeit, durch eine Absage an die Vorstellungen und Gesetze Jehovas
weiteren Verfolgungen zu entkommen, nahmen wohl mehr Bibelforscherinnen und Bibelforscher
wahr, als es bisher in der Literatur angesprochen wurde. Der Druck in den Verhören wurde
so brutal und geschickt ausgeübt, dass kaum jemand nicht 'gesungen' hat." (S. 222).
Als konkretes Beispiel aus ihrem
Aktenstudium führt sie den nachfolgenden Fall an (S. 218/19):
Eine Gruppe Bibelforscherinnen,
deren Männer rechtskräftig verurteilt im Gefängnis saßen, flog 1937 als
Schriftenverteilerinnen infolge Hinweis eines V-Mannes auf. Dieser hatte sich, so lässt
sich nach dem Studium der Akten vermuten, im Gefängnis von der Lehre Jehovas abgewandt
und war zur Gestapo-Mitarbeit verpflichtet worden.
Am 20. Februar 1937 teilte eine
'unbedingt zuverlässige V-Person' aus Bibelforscherkreisen im Ruhrgebiet der Stapostelle
Essen mit, dass am gleichen Tag in Mülheim und Essen eine Flugblattaktion unter
Federführung der schon vorbestraften 44-jährigen Martha Ka. geplant sei. Es sollte sich
um eine im September 1936 in Luzern verabschiedete Resolution handeln".
Aufgrund dieses Hinweises konnte die
Gestapo, wieder einmal, zuschlagen.
Eine beachtliche Stellungnahme liegt
auch in einer Studie vor, die im Jahre 1985 von Prof. Günter Heuzeroth, von der
Universität Oldenburg herausgegeben wurde, unter dem Titel: "Unter der
Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus 1933-1945". Der 3. Band dieser Studie war
den Verfolgten aus religiösen Gründen gewidmet. Darin behandelt Sylvia Wille auch die
Zeugen Jehovas unter der Überschrift: "Die unter dem lila Winkel litten. Die
Verweigerung der Zeugen Jehovas und ihre Verfolgung".Einige wertende Kernsätze
daraus (S. 183-186):
"Und in der Tat, es gibt
bedenkliche Gemeinsamkeiten zwischen Nationalsozialisten und Zeugen Jehovas, die hier
erwähnt werden müssen. Beide Organisationen sind streng hierarchisch nach dem
Führerprinzip aufgebaut und verlangen von ihren Mitgliedern absoluten Gehorsam, wobei sie
weder Widerspruch noch wirkliche Freiheit des Denkens dulden. Wer bei den Zeugen Jehovas
Meinungen äußert, die auch nur einen Hauch von der offiziellen Lehrmeinung abweicht,
gilt als vom Satan inspiriert.
Dem Rassenwahn der Nationalsozialisten
und ihrer Einschätzung, Repräsentant der Herrenrasse zu sein, steht auf Seiten der
Zeugen Jehovas der Glaube an eine besondere Auserwähltheit gegenüber; den Ausdruck
'Gottes Volk' reservieren sie nur für ihre eigene Glaubensgemeinschaft, während alle
anderen Konfessionen als Satanswerk gelten. Die Nationalsozialisten sprechen von der
Endlösung der Judenfrage, während für die Zeugen Jehovas der Endkampf zwischen Gut und
Böse unmittelbar bevorsteht. Nach dieser Schlacht von Harmagedon wird Jesus als
'größter Feldherr aller Zeiten' ein 'tausendjähriges Reich' errichten. Die Verwendung
von Redewendungen, die auch fester Bestandteil der Nazipropaganda waren, ist erschreckend.
Weitere Widersprüchlichkeiten und
Ungereimtheiten ergeben sich bei den Zeugen Jehovas auch in der Frage der
Wehrdienstverweigerung. Das die Schweizer 'Wachtturm'-Führung im Jahre 1943 ihre
Mitglieder dazu aufgerufen hatte, ihre militärischen Pflichten zu erfüllen und dem Staat
keine Schwierigkeiten auf diesem Gebiet zu machen. Eine unglaubliche Feststellung, wenn
man bedenkt, dass zum gleichen Zeitpunkt in Deutschland ihre Mitbrüder eine totale
Verweigerung all dessen, was mit Krieg zu tun hatte, vollzogen und sich am Ende hinrichten
ließen.
Und noch etwas verschweigen die Zeugen
Jehovas heute. Zwei Männer wurden nach dem Krieg Führer der deutschen
Wachtturm-Gesellschaft, die während der Naziherrschaft ihre Glaubensbrüder an die
Gestapo verraten hatten. Erich Frost gab 1937 bei einem Verhör die Namen der
Bezirksleiter preis. Konrad Franke nannte den Namen des Mannes, der die Kontakte zwischen
den illegal arbeitenden Gruppen herstellte. Nach Konrad Frankes Tod 1983 würdigte ihn der
'Wachtturm' als Mann, der 'unter den Verfolgungen des Hitlerregimes ausharrte.' Selbst,
wenn man bedenkt, unter welchen Druck die beiden Männer damals standen, muten solche
Ehrungen heute, etwas verfehlt an.
Selbstverständlich muss festgehalten
werden, dass die Zeugen Jehovas keine Menschen in Konzentrationslager gesteckt und
ermordet haben, sich nicht am Krieg beteiligten und nie persönliche Gewalt ausgeübt
haben. Das darf jedoch nicht den Blick auf die Tatsache verstellen, dass Fanatismus immer
potentiell gewalttätig ist. Berichte von ehemaligen Zeugen Jehovas über die zum Teil
massive psychische Unterdrückung innerhalb dieser Sekte sprechen hier eine deutliche
Sprache."
Winkler Frost Franke