Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Frank Wagner

Im Internet gelesen:
Buchauszug aus
Rüdiger Knechtel, Jürgen Fiedler (Hg.)
Stalins DDR
Berichte politisch Verfolgter
Forum Verlag Leipzig 1991
http://www.otopia.de/knechtel/stalin_4.htm

dort:
Frank Wagner
Die Benachteiligung in meiner Entwicklung wurde mir schon in die Wiege gelegt. Richtig gespürt habe ich es erst, als meine Schulzeit begann. Ich wurde von meinen Eltern nach den religiösen Geboten der Zeugen Jehovas erzogen. Da diese Organisation 1950 vom Staat strikt verboten wurde, war mein Lebensweg vorprogrammiert. Nach 1950 wurden viele unserer Glaubensbrüder verhaftet und zu langen bis lebenslänglichen Strafen verurteilt. Mein Vater war ein solches Opfer der Willkürjustiz der damaligen Zeit. Er war nach West-Berlin gefahren, um von dort Schriften der Zeugen Jehovas zu holen. Auf der Heimfahrt wurde er mitten auf der Landstraße in Pelzig von einer Polizeistreife angehalten und aufgefordert, den Rucksack zu öffnen. Man fand bei ihm bibelerklärende Schriften. Er wurde sofort verhaftet und in einen Keller der Stasi eingesperrt. Sein Urteil lautete drei Jahre Zuchthaus wegen Spionage und Boykotthetze. Er verbüßte ein Jahr und acht Monate in Waldheim, wo er nicht arbeiten durfte. Diese bittere Erfahrung sollte auch mir nicht erspart bleiben, aber das später.

1954 wurde ich eingeschult und sollte ein paar Wochen später in die Pionierorganisation aufgenommen werden. Dies lehnten meine Eltern natürlich ab. Seit diesem Zeitpunkt war ich immer Außenseiter in meiner Klasse und wurde von manchen Lehrern immer wieder bearbeitet, den sozialistischen Weg einzuschlagen.
Als zum Beispiel im damaligen Karl-Marx-Stadt dieser überdimensionale Karl-Marx-Bronzekopf eingeweiht wurde, hatte man der ganzen Klasse befohlen, bei der Einweihung dieses Götzenbildes dabei zu sein. Ich ging natürlich nicht zu so einer Kulthandlung mit. Postwendend erschienen am nächsten Tag zwei Lehrerinnen bei meinen Eltern, um ihnen Vorwürfe zu machen, daß ich so ein wichtiges Ereignis in meinem Leben verpaßt hatte.

Mein großes Hobby waren Biologie und Mikroskopie. Als die Frage der Berufswahl stand, hatte ich den Wunsch, Naturwissenschaft zu studieren. Da ich aber der FDJ nicht angehörte und mich gesellschaftlich nicht betätigte, wurde aus diesem Wunsch nichts. Einen Beruf erlernen durfte ich aber auch nicht. Ich hatte mir mit meinen recht guten Zensuren eine Lehrstelle als Mechaniker für Datenverarbeitungsanlagen im VEB Robotron gesucht. Als es zur Lehrvertragsunterzeichnung kam, sollte ich mich mit einer vormilitärischen Ausbildung einverstanden erklären, was ich ablehnte.
Daraufhin wurde der Lehrvertrag ungültig und mir blieb nur noch, irgendwo als Hilfsarbeiter zu beginnen. Ich nahm eine Tätigkeit als Hilfsschlosser im VEB Baumwollspinnerei auf und erwarb später im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung den Facharbeiter als Schlosser und Mechaniker für Spülautomaten sowie mehrere Schweißerpässe.

1982 bekam ich die Einberufung zum Wehrdienst, die ich aus Glaubens- und Gewissensgründen ablehnte. Ich war der Meinung, daß nach zwei Weltkriegen mit über 60 Millionen Toten das Kriegspielen endlich ein Ende haben müßte. Weitere 63 Glaubensbrüder wurden mit mir vom Gericht zu 20 Monaten Zuchthaus verurteilt. Dies geschah in einem Schnellverfahren, in dem wir weder eine Anklageschrift noch ein Urteil ausgehändigt erhielten.

In Flauen erlebte ich die schlimmsten Tage und Monate meines Lebens. Die Zelle war gerade sieben Quadratmeter groß und mit sechs Personen belegt. Die Toilette befand sich in einer Ecke ohne Vorhang, so daß jeder Anteil an der Notdurft des anderen hatte. Eine große Belastung war auch, daß man zeitweise mit den übelsten Kriminellen zusammenlag. Ständig wurde ich mit "Rotlicht" bestrahlt. Im Knast war extra ein Stasioffizier, der die Aufgabe hatte, Leute wie uns geistig zu demoralisieren. Unsere Post wurde geöffnet und vielmals eingezogen. Da ich in der Hauswerkstatt tätig war, wurden mir viele private Aufträge befohlen, für hohe Offiziere.

Während meiner Haftzeit habe ich miterlebt, wie einer, dessen Fluchtversuch aus der DDR gescheitert war, in eine Einzelzelle in Arrest kam, wie ein Hund eingesperrt. Er erhielt keine Zeitung, die Liege war angeschnallt und das Fenster ständig offen, so daß manchmal Minusgrade in der Zelle herrschten. Nach einem Nervenzusammenbruch hatte er einem Schließer ins Gesicht gespuckt, worauf man ihn sieben Tage auf einer Holzpritsche mit vier Handschellen ankettete. Er lag die ganze Zeit in seinem eigenen Dreck. Nach dieser Folter kam er wieder in seine Zelle. In der nächsten Nacht hat er sich an beiden Händen die Pulsadern aufgeschnitten. Nur durch einen glücklichen Umstand ist er nicht verblutet. Ein diensthabender Obermeister hatte Glasscheiben zerbrechen hören und ahnte sofort, was passiert war. Ich mußte in derselben Nacht noch das Fenster reparieren und Gitter davor schweißen. Der Mithäftling wurde notdürftig verbunden und danach in die blutverschmierte Zelle gesperrt.

Nach meiner Entlassung begann ich in meinem alten Betrieb. Mein Entschluß, ein Meisterstudium aufzunehmen, scheiterte abermals an meiner politischen Einstellung und meiner Nichtzugehörigkeit zum FDGB. Jetzt bin ich froh darüber, daß dieser Stasi-Staat endlich zerbrochen ist und man sich als Mensch frei bewegen und seine Meinung vertreten kann.

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