Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Kommentar zur Urteilsbegründung vom 17. 05. 2001

Typisierende Gesamtbetrachtung. So lautet das Kardinalwort in der jetzt veröffentlichten schriftlichen Urteilsbegründung vom 17. Mai 2001 des 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache des "Endlosstreites" Klage der Zeugen Jehovas in Sachen "Körperschaft des öffentlichen Rechts".

Ein weiterer wesentlicher Satz lautet:

"Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen."

Und: Das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin, vom 14. 12. 1995, wird insoweit aufgehoben, als darin schon der ersehnte Körperschaftsstatus für die juristischen Formationen der Zeugen Jehovas festgemacht schien. Lediglich, weil der Berliner Senat erneut dagegen klagte, wurde das nicht rechtskräftig.

Und noch so ein bedeutungsschwangerer Satz:

"Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten." Wer immer auch am Ende die "Zeche" des sich über diverse Gerichtsinstanzen hinziehenden Streites zahlen muss. Er wird tief in seine Tasche greifen müssen, denn "billig" ist das ganze Unternehmen mit Sicherheit nicht. Abgesehen davon, dass die Parteien (Kläger und Beklagte) schon jetzt ihre engagierten Rechtsanwälte bezahlen müssen, mit der vagen Hoffnung, diese Kosten dem Unterlegenen vielleicht überborden zu können - oder auch nicht.

Was die Vorwürfe gegen die Zeugen Jehovas und ihre juristische Bewertung anbelangt, so spiegeln diese sich in diesem Urteilstext auch in den Sätzen wieder:

"Der erstmals im Berufungsverfahren erhobene Vorwurf, die Religionsgemeinschaft praktiziere ein totalitäres Zwangsystem" würde im staatlichen Bereich keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten. Verwiesen wird auf die Möglichkeit, durch Austritt für sich persönlich diese Situation verändern zu können.

Das wäre so ein Aspekt für die "typisierende Gesamtbetrachtung". Lasse ich mir diese Vokabel auf "der Zunge zergehen" würde ich zugleich die Berücksichtigung der Zeugen Jehovas-Ideologie damit inbegriffen sehen. Jene "Endzeittheologie", jene "Inzucht" was gesellschaftliche Kontakte anbelangt. Jene Vereinnahmung durch wöchentlich drei Versammlungstage. Jene "Schulung" und moralischer Zwang zum Predigen der WTG-Ideologie auch Außenstehenden in systematischer Form. Ich möchte den Richter sehen, der dass vielleicht persönlich mal durchgemacht hat, der dann noch unbeschwert von einer "leichten Austrittsmöglichkeit" spricht.

Wer in dieser Hinsicht indoktriniert worden ist, den fallen Austrittsgedanken alles andere als "leicht". Und die Praxis beweist (die Internetforen zum Thema Zeugen Jehovas belegen es), wieviele einen verzweifelt harten Kampf diesbezüglich kämpfen. Und man muss hinzufügen: Es gibt Fälle, wo solche an diesem Kampf zerbrechen. Nennen wir stellvertretend nur den Suizidfall Vjekoslav Marinic; dieweil er durch Fernsehpublizistik einen größeren Bekanntheitsgrad erreichte.

Weiter wird im Urteil das Thema Bluttransfusion angesprochen. Begrenzt auf Fälle unmündige Kinder betreffend. Es ist richtig. Erwachsene müssen, dieweil mündig, anders bewertet werden. Dennoch hinterlässt diese Ausgrenzung der Erwachsenen einen durchaus faden Beigeschmack bei mir. Auch ihre Fälle gehören mit zu einer "typisierenden Gesamtbetrachtung".

Mittels Vormundschaftsgerichte könnten ja im Falle von Kindern, zwangsweise Bluttransfusionen durchgesetzt werden. So der Tenor des Urteilstextes. Auch wieder so eine Halbwahrheit. Was das erst mal für einen Nervenkrieg kostet, bis es eventuell so weit ist, und ob damit nicht zusätzlich wertvolle Zeit im Einzelfall vergeudet wird, das wäre meine Rückfrage. Auch dieser Aspekt gehört mit in die "typisierende Gesamtbetrachtung", jedenfalls nach meiner Meinung.

Noch so ein Satz, bezugnehmend auf frühere Gerichtsentscheide in der Sache:

"Das religiöse Verbot der Teilnahme an staatlichen Wahlen sei ein Gesichtspunkt, der zwar bei der gebotenen Gesamtbetrachtung Berücksichtigung finden könne, der für sich allein die Versagung des Körperschaftsstatus nicht rechtfertige."

Also auch hier ist die "typisierende Gesamtbetrachtung" eingefordert. Dazu gehört auch das Gebaren in Sachen Wehr- und Ersatzdienste und die dem zugrunde liegende Theologie "kein Teil der Welt" sein zu wollen. Andererseits sich aber von der Welt in Form von Privilegien durchaus "spicken" lassen zu wollen.

Besonders die Auswirkungen der Zeugentheologie auf Dritte, müssten nach dem Urteilstext geklärt werden. Wieso eigentlich nur für Dritte? Eine Theologie der Weltfremdheit ist auch für Erste und Zweite schlimm genug.

Es ist richtig: Religionsfreiheit ist in diesem Lande ein hohes Gut. Es ist weiter zu beklagen. Die Verfilzung zwischen Staat und Kirche hat in diesem Lande erschreckende Ausmaße. Frankreich, beispielsweise, setzt da andere Maßstäbe.

Die Sache dreht sich meiner Ansicht nach doch nur darum. Ob die Zeugen Jehovas auch einen Privilegiertenstatus erzwingen können, was sie ohne Zweifel wollen. Auch ohne Privilegien haben sie die Möglichkeit ihre weltfremden Doktrinen zu praktizieren. Privilegien sind dazu keineswegs ein "Muss". Leider ist das kirchenpolitische Klima in diesem Lande für diese simple Erkenntnis nicht reif.

Es tut mir leid: Ich spreche hier für meine Person. In diesem Punkt liege ich mit diesem Staat und seiner kirchenpolitischen Lethargie über Kreuz. Gerichte sollen nun politisches Versagen "ausbügeln". Ob sie letztendlich dazu fähig sind, erscheint mir zweifelhaft.

26. 08. 2001

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